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2019 | Pflegepraxis | Buch

Langzeitbetreuung Wachkoma

Eine Herausforderung für Betreuende und Angehörige

herausgegeben von: Anita Steinbach, Dr. Johann Donis

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Das Thema Wachkoma hat in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Kein anderes Krankheitsbild fordert das interdisziplinäre Team mehr als die Betreuung eines Menschen in diesem auf unbestimmte Zeit reduzierten Bewusstseinszustand. Dieses Buch greift alle relevanten Aspekte rund um das Thema Wachkoma auf und beleuchtet sie in einem umfassenden, modernen Kontext. Der medizinische Teil bietet aktuelle wissenschaftliche Informationen mit diagnostischen und therapeutischen Schwerpunkten, aber auch erfahrungsbasiertes Wissen zu den häufigsten Komplikationen. Darüber hinaus werden ausführlich Betreuungsformen und -strukturen beschrieben. Im pflegerischen Teil bilden Pflegemodelle und -konzepte einen wichtigen Schwerpunkt. Neben der Beschreibung von sehr praxisorientierten Pflegestandards, hilfreichen Checklisten und Arbeitsplänen wird auch auf die Notwendigkeit eines pflegewissenschaftlichen Zugangs eingegangen. Diese dritte Auflage versteht sich als „Reiseführer“ für Ärzte, Pflegepersonen und Therapeuten, die Menschen im Wachkoma betreuen. Richtet sich aber auch an betroffene Angehörige, die vielleicht vor der Entscheidung einer Betreuung zu Hause stehen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Grundlagen

Frontmatter
Kapitel 1. Charakterisierung der Wachkomapatienten und der Einrichtungen für ihre Betreuung
Zusammenfassung
Menschen mit dem klinischen Bild eines apallischen Syndroms, in der angloamerikanischen Literatur als „vegetative state“ oder „unresponsive wakefulness syndrome“ und umgangssprachlich als „Wachkoma“ bezeichnet, sind eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Patientengruppe. Mit einer über Monate oder auch Jahre hinweg reduzierten Bewusstseinslage und neurologisch wie neuropsychologisch definierten äußerst auffälligen Verhaltensmustern stellen sie ohne Zweifel eine enorme Herausforderung dar. Das gilt sowohl für betreuende professionelle Gruppen wie Ärzte, Pflegepersonal, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Psychologen als insbesondere auch für die betroffenen Angehörigen.
Johann A. Donis
Kapitel 2. Historischer Rückblick
Zusammenfassung
„Der Patient liegt wach da mit offenen Augen. Der Blick starrt geradeaus oder gleitet ohne Fixationspunkt verständnislos hin und her. Auch der Versuch, die Aufmerksamkeit hinzulenken, gelingt nicht oder höchstens spurenweise; Ansprechen, Anfassen, Vorhalten von Gegenständen erweckt keinen sinnvollen Widerhall. Die reflektorischen Flucht- und Abwehrbewegungen können fehlen. Es fehlt manchmal auch das reflektorische Zurückgehen in die Grundstellung bzw. in die optimale Ruhestellung, mit dem der Gesunde zufällige, nicht mehr gebrauchte, besonders auch unzweckmäßige oder unbequeme Körperstellungen automatisch zu beenden pflegt. Infolgedessen können diese Kranken in aktiv oder passiv gewordenen Zufallsstellungen verharren bleiben. Dieses Verhalten kann entweder auf der Unfähigkeit einer sinnvollen Reizerwiderung oder auf einer primären Antriebsstörung beruhen. Im Gegensatz dazu kann das elementare Irradiieren unverarbeiteter und ungebremster Außenreize enorm gesteigert sein, sodass sensible Reize mit Zuckungen beantwortet werden können. Trotz Wachsein ist der Patient unfähig zu sprechen, zu erkennen, sinnvolle Handlungsformen in erlernter Art durchzuführen. Dagegen sind bestimmte vegetative Elementarfunktionen, wie etwa das Schlucken, erhalten. Daneben treten die bekannten frühen Tiefenreflexe, wie Saugreflex oder Greifreflex, hervor. Es kann mit variablen Begleitsymptomen von anderen Hirnteilen einhergehen, zum Beispiel mit Tonuserhöhungen, extrapyramidalen Hyperkinesen (Chorea, Athetose, Tremor).“
Johann A. Donis
Kapitel 3. Symptome eines Wachkomas
Zusammenfassung
Der Begriff Wachkoma wurde unter der Bezeichnung apallisches Syndrom erstmals 1940 in der wissenschaftlichen Literatur erwähnt. Um die oft endlosen Diskussionen zu verstehen über die Sinnhaftigkeit oder Nichtsinnhaftigkeit etwaiger diagnostischer Maßnahmen, Untersuchungen oder Therapien bei Menschen im Wachkoma, die leidigen Fragen, wieweit bewusste Wahrnehmung vorhanden ist oder nicht, ist es hilfreich, die historische Entwicklung und die aktuellen Standpunkte zum Thema Wachkoma zu kennen und zu verstehen. Ist das Wachkoma ein Durchgangssyndrom oder ein Endstadium? Abhängig von der historisch gewachsenen Sichtweise wird man zu unterschiedlichen Antworten gelangen. Als Kernsymptome sind allen klinischen Beschreibungen gemeinsam das Fehlen oder eine zumindest hochgradige Einschränkung eines bewussten Wahrnehmens, ein fehlendes Bewusstsein des Patienten seiner selbst und seiner Umwelt und ein Fehlen jeglicher sinnvoller Reaktionen auf äußere Reize bei erhaltenem Schlaf-Wach-Rhythmus. Neue Entwicklungen geben zwar häufig Antworten, sind aber auch Grund für neue Fragen und neue Unsicherheiten.
Johann A. Donis
Kapitel 4. Was ist Bewusstsein?
Was unterscheidet Wachheit von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung? Ein Versuch, Wachkoma zu verstehen, und über die Schwierigkeit, Bewusstsein zu erkennen
Zusammenfassung
Die zentrale Frage bei der Beschäftigung mit dem Thema Wachkoma ist die Frage, was denn Bewusstsein ist. Die Grundvoraussetzung für Bewusstsein und bewusstes Wahrnehmen, und das bestätigen auch neueste Untersuchungen (Monti und Sannita 2016), sind Weckbarkeit („arousal reaction“), Wachheit („wakefullness“) und Aufmerksamkeit („awareness“). Um diese Voraussetzungen sicherzustellen, müssen nicht nur die entsprechenden Areale im Gehirn intakt sein, sondern auch die Verbindungen zwischen diesen Arealen. Es geht also um die Intaktheit oder Wiederherstellung von Netzwerken. Das fundamentale Problem bei der Beurteilung, ob Bewusstsein vorhanden ist oder nicht, bleibt aber die Frage, wieweit man aufgrund der in der Regel zusätzlich bestehenden massiven motorischen, visuellen, auditiven, verbalen, kognitiven und anderen Defizite Aufmerksamkeit und gezielte Wahrnehmung beurteilen kann. Trotz vielversprechender technischer Entwicklungen bleibt die Frage, ob bewusste Wahrnehmung vorhanden ist oder nicht, oft von zentraler Bedeutung insbesondere auch für die ethische Begründung therapeutischer und rehabilitativer Maßnahmen oder Nicht-Maßnahmen.
Johann A. Donis
Kapitel 5. Ursachen eines Wachkomas
Zusammenfassung
Prinzipiell lassen sich 2 Ursachengruppen unterscheiden: traumatisch bedingtes Wachkoma und nicht traumatisch bedingtes Wachkoma. Jedes schwere Schädel-Hirn-Trauma kann zu einem Wachkoma führen. Meist handelt es sich um schwere Verkehrsunfälle, zunehmend aber auch um Freizeitunfälle durch riskante Sportarten oder um Arbeitsunfälle, z. B. durch einen Sturz aus großer Höhe. Beim traumatisch bedingten Wachkoma treten enorme Beschleunigungs-, Verzögerungs- und Rotationskräfte auf, wodurch die unterschiedlichsten Bahnsysteme innerhalb des Gehirns, aber auch zwischen Hirnrinde und Hirnstamm mechanisch geschädigt oder zerstört werden. Daneben kommt es durch punktuell einwirkende Kräfte zu einer lokalen Schädigung der Gehirnrinde, aber auch tiefer gelegener Hirnstrukturen. Im Weiteren sind mit einem Schädel-Hirn-Trauma in der Regel neben Gefäßzerreißungen, Blutungen innerhalb des Gehirns und der Gehirnhäute auch lokale Schädigungen durch Knochenfrakturen verbunden. Insgesamt sind die Schädigungsmuster höchst unterschiedlich, abhängig von der Art der Gewalteinwirkung. Als Verursacher von nicht traumatisch bedingtem Wachkoma finden sich ebenfalls eine Vielzahl von Erkrankungen, aber auch exogene Ursachen, die alle eine längerfristige Sauerstoffunterversorgung oder Mangeldurchblutung des Gehirns, insbesondere der Gehirnrinde, zur Folge haben.
Johann A. Donis
Kapitel 6. Entwicklung eines Wachkomas
Zusammenfassung
Jedes primäre Ereignis, sei es nun traumatisch oder nicht traumatisch, führt durch die damit verbundene schwere Schädigung des Gehirns zu einem initialen Koma. Somit beginnt die Karriere jedes Wachkomapatienten in der Regel auf der Intensivstation, wo er bewusstlos eingeliefert wird.
Johann A. Donis
Kapitel 7. Häufigkeit des Wachkomas
Zusammenfassung
Beim Thema Wachkoma können wir eine traumatische und eine nichttraumatische Ursachengruppe unterscheiden. Das Verhältnis traumatisch zu nichttraumatisch liegt bei etwa 20 zu 80, wobei die traumatische Gruppe eher abnimmt und die nichttraumatische Gruppe aufgrund der verbesserten intensivmedizinischen Möglichkeiten zunimmt. Durch die Entwicklung der Intensivmedizin überleben viele Menschen und werden vielleicht auch ganz wiederhergestellt. Aber es überleben auch mehr mit bleibenden schwersten Behinderungen. Die Entwicklung des Wachkomas verläuft bei beiden Gruppen ähnlich. Aufgrund der immer vorhandenen Hirnschwellung kommt es zu einer Schädigung des Mittelhirns – es entsteht ein Mittelhirnsyndrom, das die Symptome des Wachkomas, insbesondere die Bewusstseinsstörung und die klassischen motorischen Schablonen schon vorwegnimmt. Kann dieser Zustand nicht erfolgreich behandelt werden, entstehen irreversible Schäden, und es entwickelt sich das klinische Bild des Wachkomas. Über die Häufigkeit, also die Inzidenz und Prävalenz des Wachkomas, gibt es über Jahrzehnte hinweg stark unterschiedliche Angaben. Das gibt Hinweise auf die Grundeinstellung zu dieser Patientengruppe, aber auch auf die Betreuungsqualität.
Johann A. Donis

Diagnose, Therapie und Versorgung

Frontmatter
Kapitel 8. Diagnose eines Wachkomas
Zusammenfassung
Die Diagnose eines Wachkomas ist auch heute trotz modernster apparativer Untersuchungsmethoden nur durch eine exakte und auch ausreichend lange klinische Untersuchung und Beobachtung möglich. Wir haben im Kap. 4 „Was ist Bewusstsein“ darauf hingewiesen. Es muss nochmals betont werden, dass es bis dato weiterhin keine apparative Zusatzuntersuchung gibt, mit deren Hilfe man die Diagnose eines Wachkomas mit Sicherheit stellen kann. Natürlich können uns diverse instrumentelle Techniken wie kraniale Computertomographie, Magnetresonanztomographie, EEG, evozierte Potenziale und letztendlich auch die neueren funktionellen bildgebenden Verfahren unterstützen, insbesondere was die Prognose und den weiteren Verlauf betrifft. Bis heute aber steht uns ausschließlich die fundierte klinische Untersuchung zur Verfügung, um das Krankheitsbild Wachkoma festzustellen.
Johann A. Donis
Kapitel 9. Differenzialdiagnosen zum Wachkoma
Zusammenfassung
Die klinische Diagnose eines Wachkomas bleibt bis heute eine Herausforderung. Das Ergebnis der Untersuchung des Patienten wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass immer nur eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Untersuchung stattfindet und mehrere Untersuchungen im zeitlichen Abstand sinnvoll sind. Auch haben gerade im Wachkomabereich die Beobachtungen der Angehörigen und anderer Berufsgruppen eine hohe Bedeutung und müssen als wichtige Beiträge gewertet werden. Die Schwierigkeit der klinischen Diagnose sollte keinesfalls zu voreiligen prognostischen Schlüssen führen. Auf die Häufigkeit von Fehldiagnosen muss mit Nachdruck hingewiesen werden. Als häufigste Differenzialdiagnosen werden das Locked-in-Syndrom, der akinetische Mutismus beschrieben. Weiters gehen wir auch auf die Begriffe Koma und Hirntod ein. Begriffe, die im Zusammenhang mit Wachkoma immer wieder fälschlicherweise als Differentialdiagnosen genannt werden.
Johann A. Donis
Kapitel 10. Neue bildgebende Verfahren
Auswege aus dem diagnostischen Dilemma? Was haben sie verändert. Was werden sie verändern?
Zusammenfassung
Neue technische bildgebende Verfahren, allen voran die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), haben gezeigt, dass bei mehreren Menschen im Wachkoma, bei denen in der klinischen Untersuchung kein Hinweis auf bewusste Wahrnehmung der eigenen Person wie der Umwelt zu finden war, bewusste Wahrnehmung nachweisbar ist, da auf äußere Reize und verbale Aufträge dieselben Areale aktiv sind wie bei gesunden Probanden. Damit ergibt sich – trotz vieler untersuchungstechnischer Schwierigkeiten – die Möglichkeit, bewusste Wahrnehmung zu dokumentieren, auch wenn das klinisch nicht möglich ist. Diese Methoden eröffnen auch die ferne Möglichkeit, eine zumindest Ja/Nein-Kommunikation aufzubauen. Problematisch ist aber die Tatsache, dass auch negative Ergebnisse aus vielen Gründen eine bewusste Wahrnehmung nicht ausschließen. Zweifelsohne haben die neuen Untersuchungstechniken die Einstellung zum Thema Wachkoma verändert.
Johann A. Donis
Kapitel 11. Rückbildung – Remission – des Wachkomas
Zusammenfassung
Neue technische bildgebende Verfahren allen voran die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) haben gezeigt dass bei mehreren Menschen im Wachkoma, bei denen in der klinischen Untersuchung kein Hinweis auf bewusste Wahrnehmung der eigenen Person wie der Umwelt zu finden war, bewusste Wahrnehmung nachweisbar ist, da auf äußere Reize und verbale Aufträge dieselben Areale aktiv sind wie bei gesunden Probanden. Damit ergibt sich – trotz vieler untersuchungstechnischer Schwierigkeiten – die Möglichkeit, bewusste Wahrnehmung zu dokumentieren, auch wenn das klinisch nicht möglich ist. Diese Methoden eröffnen auch die ferne Möglichkeit, eine zumindest Ja-Nein-Kommunikation aufzubauen. Problematisch ist aber die Tatsache, dass auch negative Ergebnisse aus vielen Gründen eine bewusste Wahrnehmung nicht ausschließen. Zweifelsohne haben die neuen Untersuchungstechniken die Einstellung zum Thema Wachkoma verändert.
Johann A. Donis
Kapitel 12. Prognose des Wachkomas: Unser Verhalten bestimmt die Prognose und die Prognose unser Verhalten
Zusammenfassung
Die Erstellung einer Prognose für Menschen im Wachkoma muss sehr kritisch hinterfragt werden und bedarf besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme. Es bleibt eine Tatsache, dass Menschen, die durch ein Schädel-Hirn-Trauma in den Zustand eines Wachkomas gelangen, und jüngere Patienten insgesamt günstigere Voraussetzungen für eine Remission und für die Wiedererlangung der bewussten Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit haben als Patienten, die aufgrund einer Hypoxie oder einer Gehirnblutung in diesen Zustand gekommen sind. Über 40 % der Patienten versterben innerhalb des ersten Jahres. Gegenüber der früheren Meinung sind aber Remissionen auch noch nach 2 und mehr Jahren möglich. Es muss aber festgehalten werden, dass trotz Wiedererlangen der bewussten Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeiten fast ausnahmslos alle Patienten funktionell schwerstbehindert bleiben.
Johann A. Donis
Kapitel 13. Therapie des Wachkomas
Gibt es die?
Zusammenfassung
Es gibt eine Vielzahl an sinnvollen und auch nachgewiesen wirksamen therapeutischen Maßnahmen bei Patienten im Wachkoma. Aufgrund der hohen Komplexität des Krankheitsbildes gibt es natürlich nicht „die Therapie“ des Wachkomas, die dazu führt, dass innerhalb kürzester Zeit der Patient völlig wiederhergestellt ist, so wie eine Antibiotikatherapie bei einer bakteriellen Lungenentzündung. Was immer wir tun, es muss uns klar sein, dass wir mit schwerstkranken und schwerstbehinderten Menschen und oft auch sehr instabilen Situationen konfrontiert sind. Oft ist schon ein kleiner Schritt in Richtung Stabilität und vielleicht in Richtung einer ersten oder weiteren Remission ein großer Gewinn. Was immer wir tun, muss gut überlegt und in einem Gesamtkontext beurteilt werden. Sowohl therapeutischer Nihilismus als auch reiner Aktionismus sind abzulehnen. Das Kapitel zeigt eine Vielzahl an Möglichkeiten auf, die, gezielt und konsequent, aber auch kritisch eingesetzt, zu einer Stabilisierung und positiven Entwicklung beitragen können.
Johann A. Donis
Kapitel 14. Häufige Komplikationen bei Patienten im Wachkoma
Zusammenfassung
Patienten im Wachkoma sind schwerstkranke und schwerstbehinderte Menschen. Die Kenntnis und das Erkennen der wichtigsten Komplikationen sowie das adäquate Reagieren besonders im Langzeitbereich sind eine enorme Herausforderung für das betreuende Personal, aber auch für betreuende Angehörige. Hier findet man immer wieder fehlende Erfahrung und unzureichendes Wissen, was wiederum Unsicherheit und Ängste verursacht. Auch Komplikationen, die nicht primär dem neurologischen Fachgebiet zuzuordnen sind, müssen erkannt und entsprechend behandelt werden. Ziel soll es sein, die Aufmerksamkeit der Betreuenden zu schärfen und die Notwendigkeit einer qualifizierten Betreuung zu unterstreichen. Wir können an dieser Stelle nur die wichtigsten Aspekte anführen, die im Alltag immer wieder zu Problemen führen können und fast regelhaft besonders im Langzeitbereich Grund für Diskussionen sind.
Johann A. Donis
Kapitel 15. Schluck- und Trachealkanülenmanagement bei Patientinnen und Patienten im Wachkoma
Zusammenfassung
Das folgende Buchkapitel befasst sich mit Schluckstörungen bei Menschen im Wachkoma. Am Beginn des Kapitels wird auf anschauliche und ausführliche Weise, der komplex organisierte, gesund ablaufende Schluckakt erklärt. Darauf aufbauend, werden Symptome beschrieben, die auf eine Schluckstörung hinweisen, und das Erkennen einer solchen erleichtern. Da viele Menschen im Wachkoma mit einer Trachealkanüle versorgt sind und dies eine besondere Situation in der Behandlung und Begutachtung von Schluckstörungen darstellt, widmen sich die nächsten Abschnitte intensiv der Bearbeitung dieses Schwerpunktes. Demnach wird zunächst auf die Tracheotomie und deren Hintergrund und Indikation eingegangen. Die nachfolgenden Abschnitte veranschaulichen den Einfluss der Trachealkanüle auf die Atem-Schluck-Funktion und zeigen auf, welche therapeutisch-rehabilitativen Maßnahmen möglich sind.
Michaela Trapl-Grundschober
Kapitel 16. Versorgungsstrukturen
Zusammenfassung
Durch den medizinischen Fortschritt im Bereich der Notfallmedizin, der Neurologie, Neurochirurgie und neurologisch orientierten Intensivmedizin überlebt eine zunehmende Zahl von Menschen schwere und schwerste Hirnschädigungen. Bei einem Teil der Patienten bilden sich die Hirnschädigungsfolgen trotz ausreichend langer Rehabilitation nur unvollständig zurück. Es sind oft Zustände mit geringem Bewusstsein, minimalen mentalen und kognitiven Funktionen und anderen schweren Residualsyndromen, vorwiegend im Bereich der Motorik. Neben der Entwicklung einer leistungsfähigen Akutversorgung und Rehabilitation wurde der Notwendigkeit einer auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe ausgerichteten, langfristigen stationären, teilstationären und häuslichen Betreuung zu wenig Beachtung geschenkt. Somit bleibt die Situation schwerst hirngeschädigter Patienten, die über lange Zeit, ggf. auch lebenslang, einer Langzeitbehandlung, Langzeitrehabilitation und Pflege bedürfen, ungeklärt, obwohl hier übereinstimmend dauerhafte unterstützende, betreuende und zustandserhaltende Maßnahmen erforderlich sind.
Johann A. Donis

Pflege und Betreuung

Frontmatter
Kapitel 17. Betreuungsphasen
Zusammenfassung
Menschen mit schweren Schädel-Hirn-Schädigungen benötigen von der Akutphase bis in den Langzeitbereich klar strukturierte Betreuungseinrichtungen. Diesem Umstand entsprechend, wurden in Deutschland und auch in Österreich von den Fachgesellschaften die Phasen der neurologischen Rehabilitation definiert und in ihrer Strukturqualität und teilweise Prozessqualität beschrieben. Beim klinischen Bild des Wachkomas aber verbleibt ein Teil der Patienten trotz intensiver Bemühungen in der Akutfrührehabilitation in einem instabilen und medizinisch wie pflegerisch höchst aufwendigen Zustand. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde schon in den frühen 1990er-Jahren in Deutschland die Betreuungsphase F(b) – Langzeitrehabilitation und aktivierende Behandlungspflege definiert. Es handelt sich um Langzeitbetreuungseinrichtungen, die durch ihre Ausstattung und ihre fachliche Expertise in der Lage sind, diese Patientengruppe qualitativ hochwertig zu betreuen. Leider gibt es bis heute in Österreich keine entsprechende Definition der neurologischen Fachgesellschaften für die Langzeitbetreuung und Langzeitrehabilitation für Menschen im Wachkoma. Im vorliegenden Kapitel wird dieser Bereich daher ausführlich beschrieben mit dem Verweis, dass in Österreich seit 2011 auch eine entsprechende ÖNORM für die Langzeitbetreuung von Patienten im Wachkomabereich als Vorgabe erarbeitet ist.
Johann A. Donis
Kapitel 18. Die Geschichte der Angehörigen
Zusammenfassung
Die Geschichte der Angehörigen verläuft in der Regel mit unterschiedlichsten Abweichungen nach einem sehr ähnlichen Muster ab, wie man es aus zahlreichen Publikationen zum Thema Phasen der psychischen Verarbeitung und Krisenbewältigungsmodellen kennt. Die Situation ist von einer bedrückenden Einmaligkeit mit zahlreichsten Facetten, die in diesem Kapitel angesprochen werden. Über allem steht die nie endende Hoffnung, dass der betroffenen Mensch wieder so wird wie vor dem Ereignis – eine Hoffnung, die den meisten Angehörigen oft für lange Zeit die Kraft gibt, ungeheure Belastungen auf sich zu nehmen und dabei oft nicht wahrzunehmen, dass sie selbst Hilfe benötigen, um schrittweise die neue Situation anzunehmen, zu trauern und ihr eigenes Leben neu zu gestalten.
Johann A. Donis
Kapitel 19. Vielleicht geht es doch zu Hause?
Zusammenfassung
Die häusliche Betreuung von Menschen im Wachkoma ist eine enorme Herausforderung. Die Entscheidung muss professionell und engmaschig begleitet werden. Neben den emotionalen, persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen einer Betreuung daheim steht die Organisation des ausreichend qualifizierten Betreuungsteams, der gesamten notwendigen materiellen Betreuungsinfrastruktur und eines entsprechend vorbereiteten Umfeldes im Vordergrund. Das Kapitel gibt einen umfassenden Überblick über die zahlreichen Facetten, die es zu berücksichtigen gilt, um eine häusliche Betreuung von Menschen im Wachkoma für alle Beteiligten zufriedenstellend zu gestalten.
Johann A. Donis
Kapitel 20. Umgang mit Wachkomapatienten: Biomedizinischer versus beziehungsmedizinischer-personenzentrierter Zugang
Zusammenfassung
Wann immer das Thema Wachkoma diskutiert wird, stellt sich der Gegensatz zwischen einem biomedizinischen und einem beziehungsmedizinischen Zugang. Ist der Mensch eine Organmaschine, oder hat das Leben nicht nur eine körperliche, sondern auch eine geistig-soziale Komponente, und definiert sich der Mensch nicht auch durch sozialen Kontakt und Interaktion mit seiner Umwelt – auf welchem Niveau auch immer? Diese Frage soll Anlass sein, sich mit dem Zwiespalt zu beschäftigen, der uns ständig im Umgang mit diesen Menschen beschäftigt. Wir werden bewusst die innere Spannung wahrnehmen, unsere Ohnmacht, Unsicherheit und Hilflosigkeit. Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir eine Hinwendung für sinnlos halten und weglaufen oder ob wir sie für sinnvoll, notwendig erachten und begleiten.
Johann A. Donis
Kapitel 21. Wachkoma und Ethik
Zusammenfassung
Das Thema Wachkoma provoziert regelhaft ethische Diskussionen. Welchen Zugang man auch dazu hat, es werden immer Entscheidungen zu treffen sein zwischen zumindest 2 schlechten Möglichkeiten, und es wird niemals einfach sein, die etwas weniger schlechte Antwort zu finden. Besonders dramatisch und in der Medizin wohl einmalig ist die unfassbare Tatsache, dass nicht selten Menschen im Wachkoma das Recht auf Leben abgesprochen wird. In mehreren Ländern wird ein Leben im Wachkoma als nutzlos und sinnlos angesehen und Ein-am-Leben-Erhalten als ethisch bedenklich eingestuft, gilt es doch, ein sinnloses Leben zu beenden und unnötiges Leiden zu vermeiden. Für uns und unser Tun bedeutet es, sich zu entscheiden. Wir können grundsätzlich zwischen 3 Umgangsformen mit Menschen im Wachkoma wählen: Wir können schwerkranke, schwerbehinderte Menschen einfach liegen lassen, sie verwahren im Sinne einer passiven, stillen oder indirekten Euthanasie, sie als rehabilitationsunfähige und therapieresistente Individuen bezeichnen. Wir können diese Menschen töten oder verhungern lassen, wie es in vielen Ländern dieser Welt schon passiert, etwa durch Entfernen der Magensonde. Wir können uns aber auch für eine aktive Behandlung, Förderung, Integration und Inklusion schwer kranker, schwer behinderter Menschen entscheiden.
Johann A. Donis
Kapitel 22. Patientenverfügung und Wachkoma
Zusammenfassung
Das Thema Patientenverfügung gewinnt in der Diskussion um die Betreuung schwerstkranker und schwerstbehinderter Menschen im Wachkoma zunehmend an Bedeutung. Im Rahmen einer Patientenverfügung bestimmt ein Gesunder darüber, was er bei Eintritt der Erkrankung wünscht, im Falle der Unfähigkeit, zu diesem Zeitpunkt selbst zu entscheiden. Es bleibt ein Phänomen, dass sich der gesunde Mensch offenbar leichter vorstellen kann, tot zu sein als schwer krank oder behindert. Es stellt sich die Frage, was denn das denkbar schlechteste Outcome sein könnte: Ein Leben mit schwerster Behinderung oder der Tod? Aber natürlich gibt es Zeitpunkte im Laufe eines Wachkomalebens, in dem Sterben und Tod auch von den Angehörigen akzeptiert werden können. Dieses Kapitel will nicht darüber entscheiden, ob Patientenverfügungen prinzipiell gut oder schlecht sind. Es geht darum, auf die damit verbundene Problematik aufmerksam zu machen, und es stellt sich die berechtigte Frage, ob die Tragweite der individuellen Wünsche in einer Patientenverfügung, die letztendlich zum Tod des Verfassers führen können, auch tatsächlich erfasst werden kann.
Johann A. Donis
Kapitel 23. Änderungen messbar machen – Skalen und Scores
Zusammenfassung
Die klinische Beurteilung von Menschen Im Wachkoma, sei es im Vollbild (UWS/VS) wie in den verschiedenen Remissionsstadien (MCS), stellt eine große Herausforderung dar. Oft ist man verleitet, sich auf subjektive Einschätzungen zu verlassen, und der Patient ist dann eben „etwas besser oder schlechter“ als bei der letzten Beobachtung, wacher oder weniger wach, stabiler oder instabiler. Gerade bei einem Syndrom, bei dem so viele Unsicherheiten im täglichen Umgang bestehen, sollte man bemüht sein, Zustände, aber auch deren Veränderungen, möglichst objektiv zu beurteilen. Dazu ist es sinnvoll, sich bei Verlaufsdokumentation und Verlaufsbeurteilung weniger auf subjektive Einschätzungen, sondern auf objektiv messbare Parameter zu verlassen. In diesem Kapitel werden die gängigsten klinischen Messinstrumente für den Wachkomabereich vorgestellt, die in der Lage sind, das beobachtete Verhalten möglichst quantitativ und damit auch vergleichbar zu beschreiben.
Johann A. Donis
Kapitel 24. Projekt Apalliker Care Unit – Wachkomastation
Zusammenfassung
Die institutionelle Langzeitbetreuung von Menschen im Wachkoma stellt eine besondere Herausforderung dar. Langjährige Erfahrung hat gezeigt, dass in spezialisierten Einheiten, die auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe abgestimmt sind und in denen ein multidisziplinäres und für dieses Krankheitsbild speziell geschultes Team vorhanden ist, die Betreuungsqualität am besten sichergestellt werden kann. Mischsysteme, wie sie gerne unter dem Titel einer integrativen Versorgung – meist im Rahmen einer geriatrischen Station oder Palliativstation – angeboten werden, können die umfangreichen Herausforderungen oft nur sehr schwer bewältigen. Wie fühlt es sich wohl an, als 30-jähriger Wachkomapatient mit 85-jährigen multimorbiden Patienten oder Tumorpatienten im Endstadium gemeinsam betreut zu werden. Wer wird wohl eher die Aufmerksamkeit auf sich lenken? Die, die nicht für sich sprechen können, oder die, die auf welche Weise auch immer sich Aufmerksamkeit verschaffen. Wer aber plant, eine spezielle Einrichtung für Menschen im Wachkoma zu etablieren, wird mit den Ausführungen dieses Kapitels wertvolle Anregungen und Hilfen finden.
Johann A. Donis
Kapitel 25. Pflegemodelle und angewandte Pflegekonzepte
Zusammenfassung
Menschen im Wachkoma sind schwerst mehrfach beeinträchtigt und dadurch massivst in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt. Daraus ergibt sich auch eine extrem hohe Pflegeabhängigkeit. Das heißt, dass diese Menschen vollständig auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen sind. Sie können ihre Umwelt nicht richtig wahrnehmen, können sich nicht adäquat ausdrücken, und meist sind sie auch nicht in der Lage, in einer für uns verständlichen Form mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Gegenstände können von ihnen nicht benannt und entsprechend zugeordnet werden und ebenso sind sie nicht in der Lage, ihre Emotionen zu verbalisieren.
Anita Steinbach
Kapitel 26. Pflegemodelle und Wachkoma
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden einige Pflegemodelle und deren Hauptaufgaben beschrieben. Pflegemodelle bilden die Basis für das pflegerische Handeln und ermöglichen es den Pflegekräften, Zusammenhänge zu erkennen. Vor allem bei der Pflege von Menschen im Wachkoma macht es Sinn, sich nicht nur an einem Pflegemodell zu orientieren, sondern unterschiedliche Pflegemodelle in Augenschein zu nehmen. Menschen im Wachkoma haben besondere Bedürfnisse und ein Recht auf Reintegration in die Gesellschaft. Um dies zu ermöglichen, ist eine ganzheitliche Betreuung in einem interdisziplinären Team erforderlich.
Anita Steinbach
Kapitel 27. Marie-Luise Friedemann
Zusammenfassung
Pflegetheoretikerin aus der Schweiz. Sie ist Begründerin der Theorie des systemischen Gleichgewichts. Friedemann sieht die Familie als den Ursprung und Mittelpunkt unserer Lebenserfahrungen, Lebensweise, kulturellen Erfahrungen und emotionalen Begegnungen.
Anita Steinbach
Kapitel 28. Die Selbstfürsorge- oder Selbstpflege-Defizit-Theorie der Krankenpflege von Dorothea Orem
Zusammenfassung
Dorothea Orem wurde in Baltimore geboren und absolvierte die Krankenpflegeschule in Washington D.C. Sie arbeitete unter anderem an einem Projekt zur Verbesserung der praktischen Pflegeausbildung. Der Ausgangspunkt ihres Denkens verschiebt sich von einem traditionell passiven Patienten als Empfänger der Pflege zu einer aktiv handelnden Person, die grundsätzlich für sich selbst sorgt. Im Mittelpunkt steht die Selbstfürsorge-Defizit-Theorie der Pflege („self care deficit theory of nursing“).
Anita Steinbach
Kapitel 29. ICF-Modell „International Classification of Functioning, Disability and Health“
Zusammenfassung
Obwohl in der Langzeitbetreuung von Menschen im Wachkoma die Pflege einen sehr hohen Stellenwert einnimmt, kann die umfassende Behandlung und Betreuung niemals von einer Berufsgruppe allein abgedeckt werden. Um die Patienten nicht zu überfordern, aber doch optimal berufsübergreifend zu fördern, ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich – wobei wir das Ziel einer ganzheitlichen Betreuung nur teilweise erreichen können (eigene Grenzen, Organisationsstrukturen etc.). Auch Menschen im Wachkoma haben das Recht, am Leben in der Gesellschaft teilnehmen zu können, und dürfen keine Benachteiligungen erfahren. Die Erwartungshaltung von Angehörigen ist oft eine vollständige Heilung ihrer Betroffenen. Tatsächlich aber geht es in erster Linie trotz weiterbestehender Beeinträchtigung um die gesellschaftliche Integration und Teilhabe. Daher sollte auch das ICF-Modell in Augenschein genommen werden. Mithilfe der ICF können der Gesundheitszustand und die mit der Gesundheit zusammenhängenden Zustände beschrieben werden.
Anita Steinbach
Kapitel 30. Patientenorientierte Arbeitsorganisationsformen
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird erklärt, warum in der Langzeitpflege von Menschen im Wachkoma eine patientenorientierte Arbeitsorganisation mit ganzheitlichem Ansatz erforderlich ist und welche Arbeitsorganisationsformen dazugehören. In der funktionell orientierten Arbeitsorganisationsform, Funktionspflege (Hauptdienst, Beidienst usw.), wird die tägliche Pflegeintervention nach Tätigkeiten gegliedert und aufgeteilt. Jede Pflegeperson ist für alle Patienten auf der Station verantwortlich. Diese Arbeitsorganisationsform würde die Wachkomapatienten nur verunsichern, da sie es durch ihre massive Wahrnehmungsbeeinträchtigung nicht schaffen, sich auf viele Hände und Stimmen zu konzentrieren und einzustellen. Die Pflegepersonen könnten nicht mit ihnen in Beziehung treten, da es nicht möglich wäre, eine tragfähige Vertrauensbasis zu schaffen. Menschen im Wachkoma haben keine andere Möglichkeit, unangenehmen Situationen zu entkommen, als sich noch weiter in sich zurückzuziehen. Die vegetative Symptomatik würde in den Vordergrund treten, und eine gezielte Förderung wäre nicht mehr möglich.
Anita Steinbach
Kapitel 31. Pflegekonzepte zur Wahrnehmungsförderung
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden Pflegekonzepte zur Wahrnehmungsförderung mit Pflegestandards vorgestellt. Die Kommunikation mit Menschen im Wachkoma findet auf ganz basaler Ebene statt, und eine angenehme, schmerzfreie Positionierung ist von elementarer Bedeutung. Die Pflegekonzepte sind in alle Alltagshandlungen integriert und bieten den Pflegenden die Möglichkeit, pflegetherapeutisch zu handeln. Pflegekonzepte wie Basale Stimulation, Affolter, Handling und Lagerung nach Bobath, Kinästhetik und reaktivierende Pflege sind die Grundpfeiler in der Langzeitbetreuung von Menschen im Wachkoma. Diese Pflegekonzepte sind als Denkwerkzeuge der Pflegenden zu betrachten und sollen bedürfnisorientiert in unterschiedlichem Ausmaß am einzelnen Patienten zur Anwendung kommen.
Anita Steinbach
Kapitel 32. Basale Stimulation® – Pflege und Betreuung von Menschen im Wachkoma bewusst gestalten
Zusammenfassung
Die Aufgabe aller Professionen, insbesondere der Pflege ist es, sich mit dem ganzen Menschen auseinanderzusetzen, um eine optimale Rehabilitation und größtmögliche Lebensqualität zu gewährleisten. Dabei sollten wir unseren Fokus nicht ausschließlich auf Krankheitssymptomatik und Funktionsstörungen im klassischen Sinn richten, sondern nach vorhandenen Ressourcen und der individuellen Persönlichkeit der uns anvertrauten Menschen suchen. Die Voraussetzung dafür ist, die Bereitschaft sein eigenes (Pflege-)Verständnis und Handeln kontinuierlich zu reflektieren, begleitet von der Kompetenz, in jeder Begegnung sich mit höchster Aufmerksamkeit und Sensibilität seinem Gegenüber bewusst zuzuwenden. Das Konzept der Basalen Stimulation® verspricht diesem hohen Anspruch gerecht zu werden.
Peter Schaufler
Kapitel 33. Konzept Affolter®
Zusammenfassung
Die Entwicklungspsychologin Dr. Félicie Affolter hat eine Methode entwickelt, um den Patienten zu einer besser gespürten Information zu verhelfen und somit die Wahrnehmung zu fördern – das Führen. Mit ihren Mitarbeitern hat sie bereits in den 1960er-Jahren wissenschaftliche Arbeiten durchgeführt. Bei ihrem Modell orientiert sie sich an der Entwicklungstheorie von Jean Piaget (Psychologe und Erkenntnistheoretiker), dessen Ansätze auf einer normalen und pathologischen Entwicklung beruhen (vgl. Piaget 1993, 1995, 2003). Bei diesem Ansatz wird die Wahrnehmung in Beziehung zu Bewegung, Sprache und sozialem Verhalten deutlich. Menschen berühren sich automatisch immer wieder selbst und ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Ständig verändern wir unsere Körperposition, kratzen uns und berühren auch stets andere Menschen. Wachkomapatienten sind nicht in der Lage, ihre Körperposition selbst zu verändern, und einige von ihnen können sich auch nicht selbst oder jemand anderen berühren. Dadurch mangelt es ihnen an gespürter Information, und dies führt bei Nichtbeachtung durch die Pflegenden bei den Patienten zu Orientierungslosigkeit bis zu selbstschädigendem Verhalten.
Anita Steinbach
Kapitel 34. Das Affolter-Modell bei Wachkoma
Zusammenfassung
Entwicklung beruht auf einer Interaktion zwischen Person und Umwelt. Das heißt, dass die Entwicklung einerseits durch die Aktivitäten der Person, andererseits durch andere Menschen und Geschehnisse (Umwelt) beeinflusst wird. Interaktionsgeschehen begleitet den Menschen sein ganzes Leben lang. Nach einer Hirnschädigung ist der Mensch oft nicht mehr fähig diese Interaktion zu steuern. Es fehlen die Erfahrungen auf denen Entwicklung beruht. Deshalb muss die gespührte Interaktion mit dem Geschädigten geführt werden. Das Affolter-Modell bietet dazu einige Methoden.
Jürgen Söll
Kapitel 35. Konzept Präaffolter
Zusammenfassung
Da Menschen im Wachkoma immer wieder lange andauernde Bewusstseinsstörungen und vegetative Entgleisungen aufweisen, bedarf es eines speziell angepassten Pflegetherapieansatzes. Ein mögliches Angebot in der Betreuung von Menschen im Wachkoma ist das „Pumpen“ nach Präaffolter. Präaffolter erhalten die Patienten, die ihr Körperschema verloren haben. „Pumpen“ bedeutet, dass man die Bewegung mit seinen Händen so ausführt, als würde man einen Schwamm auspressen. Die meisten der Patienten sind tetraplegisch, trotzdem ist es möglich, dass eine Körperseite weniger stark betroffen ist. Wenn dies der Fall ist, beginnt man mit der „weniger betroffenen“ Körperseite. Hier hat der Patient die Möglichkeit, besser wahrzunehmen. Die Pflegeperson umfasst z. B. die Hand des Patienten flächig mit beiden Händen und gibt gleichmäßig Druck für die Dauer von etwa 3 s.
Anita Steinbach
Kapitel 36. Konzept Kinästhetik®
Zusammenfassung
Ein wesentlicher Baustein für unsere Lebensentwicklung von der Geburt bis zum Tod ist der Erwerb und der Erhalt von grundlegenden Bewegungsfähigkeiten. Wir kommunizieren mit den Patienten durch Berührung und Bewegung, da dies das früheste und ursprünglichste Mittel in der zwischenmenschlichen Beziehung ist, durch das wir lernen. Nur eine als angenehm empfundene Berührung veranlasst, sich ihr zuzuwenden (vgl. Grossmann-Schnyder, Berühren. PRAKTISCHER Leitfaden zur Psychotonik in Pflege und Therapie [3. Aufl.], Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart, S 19, 2000). Menschen im Wachkoma verstehen ihre soziale und materielle Umwelt nicht mehr oder noch nicht. Botschaften jedoch, die ihren Körper unmittelbar betreffen, erreichen sie. Sie sind in jedem Remissionsstadium und in jedem Zustand in der Lage, über ihren Körper am sensomotorischen Interaktionsgeschehen teilzunehmen.
Anita Steinbach
Kapitel 37. Kinaesthetics für Menschen im Prozess Wachkoma
Zusammenfassung
Bewegung ist einzigartig für jedes Lebewesen, jede Bewegung wird aus Kinaesthetics-Perspektive als Lernerfahrung bezeichnet. Die vollzogenen Bewegungen nehmen Einfluss auf die weitere Entwicklung, sowohl aus Sicht der Anatomie (körperliche Veränderungen) als auch auf geistig-psychischer Ebene (u. a. denken, fühlen, Kognition und Emotionen). Kinaesthetics benutzt diese Erkenntnis in der Gegenüberstellung der Begriffe Entwicklungsbewegung und Bewegungsentwicklung. Beide Begriffe sind ständig nebeneinanderlaufend existent und nicht voneinander lösbar. Alle menschlichen Funktionen sind mit Bewegung verbunden. Das Ziel von Kinaesthetics ist es, sensibel zu werden für Bewegungswahrnehmungen und die Entwicklung von Bewegungskompetenz zu fördern und zu unterstützen. Das bedeutet stets einen Lernprozess, in dem beide Seiten, die betroffenen Menschen und das betreuende Umfeld, in gleicher Weise und in gleichem Ausmaß beteiligt sind.
Norbert Feldmann
Kapitel 38. Konzept Bobath
Zusammenfassung
Das Bobath-Konzept ist ein 24-h-Management, an dem alle Berufsgruppen um den Patienten aktiv beteiligt sind. Entwickelt wurde dieses Konzept von Berta Bobath (Physiotherapeutin) und ihrem Mann, Dr. Karl Bobath (Facharzt für Neurologie), hauptsächlich zur Pflege bei Hemiplegie. Dieses Konzept beinhaltet, dass keine einzelnen Übungen, sondern alltagsorientierte Bewegungs- und Handlungsweisen, die bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, wie z. B. sich waschen und kleiden, vom Patienten mit entsprechender Hilfe angewandt werden. Bobath wird in alle Alltagshandlungen integriert und ist ein aktivierendes Bewegungskonzept, welches Pflegenden viele Möglichkeiten bietet, pflegetherapeutisch am Patienten zu handeln (vgl. Dammshäuser, Bobath-Konzept in der Pflege. Grundlagen, Problemerkennung und Praxis, Urban & Fischer, München, S 1, 2005). Die 4 Hauptelemente sind: Positionierung, Mobilisation, Handling und Selbsthilfetraining. Alle pflegerischen Handlungen werden ständig den Bedürfnissen und dem jeweiligen Krankheitsbild des Patienten angepasst. Programme haben sich immer am Patienten zu orientieren und nicht umgekehrt (vgl. Davies, Hemiplegie. Ein umfassendes Behandlungskonzept nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen [2. Aufl.], Springer-Verlag, New York, S 40, 2002).
Anita Steinbach
Kapitel 39. SMART Scale: Sensory Modality Assessement and Rehabilitation Technique
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden die SMART Scale in der Praxis sowie die 8 Modalitäten der Smart Scale vorgestellt, und es wird ein Einblick in ein Pflegeforschungsprojekt gegeben, das zum Ziel hatte, sich den vielen Fragen in der Pflege von Menschen im Wachkoma nach wissenschaftlichen Kriterien zu nähern.
Anita Steinbach
Kapitel 40. Integrierte Methoden zum Pflege- und Betreuungskonzept
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden Methoden und Angebote beschrieben, die das herkömmliche Pflege- und Betreuungskonzept unterstützen und ergänzen. Vordergründig geht es darum, eine Kommunikationsform mit den Patienten auf verschiedenen Sinnesebenen unter Einbeziehung der Angehörigen zu finden. Vorgestellt wird die Arbeit mit einem Förderplan.
Anita Steinbach
Backmatter
Metadaten
Titel
Langzeitbetreuung Wachkoma
herausgegeben von
Anita Steinbach
Dr. Johann Donis
Copyright-Jahr
2019
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-58755-3
Print ISBN
978-3-662-58754-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-58755-3