Obwohl Schmerzen der häufigste Grund für eine Vorstellung in der Notaufnahme sind, ist ihre Erfassung und Therapie sehr heterogen organisiert und wird vielfach von Patienten als unzureichend beschrieben. Eine spezielle Leitlinie existiert bislang nicht und so wird beispielsweise die Delegation an die Notfallpflege nach Standard Operating Procedure (SOP) sehr unterschiedlich gehandhabt.
Methode
Mithilfe einer Umfrage erfolgte eine Ist-Analyse zur Organisation und Durchführung der akuten Schmerztherapie in deutschen Notaufnahmen. 18 Fragen wurden onlinebasiert erstellt und über das Notaufnahmeverzeichnis der DGINA e. V. (Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin) und DIVI e. V. (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) an die Leiter von 951 deutschen Notaufnahmen verschickt.
Ergebnis
Es konnten 166 vollständige Fragebögen ausgewertet werden. Die Erfassung der Schmerzen erfolgt bei 77,7 % der Notaufnahmen innerhalb der ersten 10 min nach Erstkontakt, meist mit der numerischen Rating-Skala (46,4 %). Obwohl 17,7 % nicht dauerhaft ärztlich besetzt sind, dürfen in insgesamt 32,5 % der Notaufnahmen Pflegekräfte keine eigenständige Schmerztherapie durchführen. Eine spezielle SOP gab es nur in 44,8 % der befragten Notaufnahmen. Die am häufigsten verwendeten Analgetika sind Piritramid und Morphin sowie Metamizol und Ibuprofen.
Schlussfolgerung
Eine entsprechende nationale Leitlinie könnte Handlungssicherheit geben und als Grundlage für angepasste, örtliche SOP helfen, Verzögerungen bei der akuten Schmerztherapie zu vermeiden.
Hinweise
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Einleitung
Akuter Schmerz ist ein physiologischer Warn- und Schutzmechanismus des Körpers auf äußere Reize und Schädigungen, der unbehandelt jedoch langfristige und komplikative Folgen für den Patienten entwickeln kann [1]. Neben der moralischen und juristischen Verpflichtung, Schmerzen adäquat zu therapieren (§ 1, Abs. 2 Ärztliche Berufsordnung), kann eine adäquate Analgesie nachfolgende Behandlungskosten senken. Entsprechend dieser vielfältigen Implikationen wird die Schmerztherapie auch als Qualitätskriterium in der Notaufnahmezertifizierung Zert 2.0 der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfallmedizin (DGINA) adressiert [2].
Obwohl Schmerzen der häufigste Grund für eine Vorstellung in der Notaufnahme sind [3], konnten diverse Studien weltweit eine verzögerte und insuffiziente Schmerztherapie im Rahmen der Notaufnahmeversorgung zeigen [4, 5]. So wurde beispielsweise in einer europäischen Vergleichsstudie die Analgesie im Mittel erst 50 min nach Aufnahme begonnen [6]. Kumle und Kollegen untersuchten 2013 diese Oligoanalgesie anhand internationaler Studien, da für Deutschland bislang entsprechende Daten fehlten [7].
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Neben Empfehlungen zu speziellen Schmerzzuständen, z. B. zu neuropathischen Schmerzen [8], findet man im deutschsprachigen Raum AWMF-Leitlinien zur Therapie chronischer oder perioperativer Schmerzen sowie zur Analgesie auf der Intensivstation [9‐11]. Auch für den prähospitalen Bereich gibt es strukturierte Konzepte [12]. Für den speziellen Bereich der Notaufnahme fehlen bislang verbindliche Empfehlungen.
In der vorliegenden nationalen Umfrage soll daher im Sinne einer Ist-Analyse zunächst beleuchtet werden, wer innerhalb der Notaufnahmen maßgeblich für die Schmerztherapie verantwortlich ist, inwieweit entsprechende Handlungsanweisungen existieren und wer diese letztlich umsetzt. Weiterhin wurden eingesetzte Scores zur Erfassung von Schmerzen sowie verwendete Medikamente und ihre Applikationsformen evaluiert.
Methodik
Für die Erhebung wurden 18 Fragen mit dem onlinebasierten Programm www.unipark.de (Questback GmbH, Köln) erstellt. Diese gliederten sich in einen allgemeinen Teil zu Fachrichtung, Art des Krankenhauses und Organisation der Notaufnahme sowie einen Hauptteil zur Durchführung der Schmerztherapie. 17 Fragen wurden als Multiple-Choice-Fragen konzipiert, teilweise mit Auswahl eines Freitextfeldes. Die Angabe zur Anzahl der Patientenkontakte erfolgte offen. Der Link zur onlinebasierten Umfrage wurde über das Notaufnahmeverzeichnis (DGINA_DIVI@notfall-forschung.de) der DGINA e. V. (Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin) und DIVI e. V. (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) an die Leiter von 951 deutschen Notaufnahmen verschickt [13]. Die Umfrage war vom 29.11.2021 bis zum 26.12.2021 aktiv, wobei zwei Wochen vor Ablauf eine standardisierte Erinnerung an den gesamten Verteiler verschickt wurde.
Für die vorliegende Studie bestand laut medizinischer Ethikkommission der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg keine Beratungspflicht (2021-076). Die Verarbeitung und Auswertung der anonymisierten Daten erfolgte mittels deskriptiver Statistik in Microsoft Excel für Mac, Version 16.55 (Fa. Microsoft, Redmond, WA, USA). Die Darstellung erfolgt in absoluten Zahlen und Anteilen (Prozent).
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Ergebnisse
Von 951 angeschriebenen Notaufnahmeleitern erhielten wir 166 vollständige Fragebögen zur Auswertung. Tab. 1 gibt einen Überblick über die Teilnehmer, welche größtenteils der inneren Medizin (30,1 %), der Anästhesiologie (28,9 %) sowie der Unfallchirurgie (19,3 %) angehörten. Fast die Hälfte leiteten Notaufnahmen in einem Haus der Grund- und Regelversorgung (47,6 %), gefolgt von Schwerpunktversorgern (32,5 %). Neun Notaufnahmeleiter aus Universitätskliniken nahmen teil (5,4 %), Bundeswehrkrankenhäuser waren nicht vertreten.
Tab. 1
Charakteristik der teilnehmenden Notaufnahmen (Angaben in Prozent)
Art des Krankenhauses
Fachrichtung des Leiters Notaufnahme
Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung
47,6
Allgemeinchirurgie
10,2
Nichtuniversitärer Maximalversorger
10,8
Allgemeinmedizin
1,2
Haus der Schwerpunktversorgung
32,5
Anästhesiologie
28,9
Universitätsklinikum
5,4
Innere Medizin
30,7
Bundeswehrkrankenhaus
0,0
Unfallchirurgie
19,3
Sonstiges Krankenhaus
3,6
Sonstige Fachrichtung
9,6
Notaufnahme durchgehend ärztlich besetzt?
Organisation der Notaufnahme
Ja
82,3
Interdisziplinäre Notaufnahme
93,3
Nein
17,7
Einzelne getrennte Bereiche
6,7
In fast allen teilnehmenden Krankenhäusern war die Notaufnahme zentral organisiert (93,3 %), der Rest arbeitet in getrennten Aufnahmen der einzelnen Fachbereiche. Der Großteil der Notaufnahmen ist dabei dauerhaft ärztlich besetzt (82,3 %). Abb. 1 zeigt die geschätzte Anzahl der Patientenkontakte, wobei fast die Hälfte (48,8 %) der Befragten hier keine Angabe machte.
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Nur 11 % gaben an, keine SOP zum Thema Analgesie zu haben. Ein Viertel der Befragten nutzt eine allgemeine hausinterne Leitlinie zur Schmerztherapie (25,4 %), weitere 18,8 % eine Leitlinie aus einem der Fachbereiche und der größte Teil hat spezielle Anweisungen für die Notaufnahme (44,8 %).
Erfassung der Schmerzintensität und Zuständigkeiten
Bei den Methoden zur Erfassung der Schmerzintensität waren Mehrfachnennungen möglich. Die numerische Rating-Skala wurde am häufigsten genannt (NRS, 46,4 %), gefolgt von der visuellen Analogskala (VAS, 23,2 %) und offenen Fragen an den Patienten (17,5 %). Die Pain Behaviour Scale (PBS, 1,8 %) und Smiley-Analogskala (SAS, 10,8 %) werden selten genutzt. In zwei Freitextantworten wurden zusätzlich die BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) sowie KUSS (Kindliche Unbehagen- und Schmerzskala) genannt.
Die Erfassung der Schmerzintensität erfolgt bei 77,7 % der Notaufnahmen innerhalb der ersten zehn Minuten nach Erstkontakt oder innerhalb der ersten halben Stunde (6,8 %). Des Weiteren gaben acht Teilnehmer an, eine Erfassung im Rahmen des Manchester-Triage-Systems (MTS) und somit innerhalb der ersten Minuten durchzuführen. 10,4 % konnten keinen definierten Zeitraum für die Schmerzerfassung nennen. Etwa zwei Drittel gaben an, dass die Erfassung nach festem Algorithmus im Verlauf wiederholt werde (65,6 % vs. 34,4 %).
Die Zuständigkeit für die Schmerztherapie lag meist bei den Ärzten der Notaufnahme (63,4 %) bzw. bei den Ärzten der aufnehmenden Fachabteilungen (28,6 %). Nur in sieben Notaufnahmen lag laut Angaben die Zuständigkeit bei der Pflege (4,2 %). Hingegen dürfen in knapp der Hälfte (48,5 %) der Notaufnahmen Pflegekräfte eigenständig die Schmerztherapie durchführen, jedoch ohne Zugriff auf Opioide. Nur in einem Fünftel der Notaufnahmen (19,0 %) dürfen Pflegekräfte eigenständig ausgewählte Opioide verabreichen, in einem Drittel der Häuser (32,5 %) führen Pflegekräfte keine selbstständige Analgesie durch.
Analgesieverfahren und Rettungsdienst
Eine Regionalanästhesie wird in den befragten Notaufnahmen nur „selten“ (54,9 %) oder überhaupt nicht durchgeführt (31,7 %). Lediglich 13,4 % gaben einen regelmäßigen Einsatz an. Auch eine Analgesie in Form einer „patient-controlled analgesia“ (PCA) wird selten (11,6 %), meist jedoch gar nicht genutzt (83,5 %).
Die Abb. 2, 3 und 4 zeigen die verwendeten Analgetika und ihre Applikationsformen. Am häufigsten werden Metamizol (69,5 %) und Ibuprofen (21,3 %) sowie Piritramid (76,2 %) und Morphin (10,9 %) eingesetzt. Im Freitext wurden die erfragten Analgetika nochmals in Kombination benannt, ein Teilnehmer gab das nicht erfragte Pethidin als führendes Opioid an. Metamizol wird von allen Befragten flächendeckend bei verschiedenen Indikationen (98,2 %) und nur in drei teilnehmenden Notaufnahmen überhaupt nicht eingesetzt (1,8 %).
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Die Analgetika wurden dabei überwiegend intravenös verabreicht (Kurzinfusion 55,5 %, Bolus/Titration 29,3 %), seltener per os (11,6 %).
Das in den 60er-Jahren als Anästhetikum entwickelte und seit 2018 als Inhalator zugelassene Methoxyfluran (Penthrox®) ist rund zwei Dritteln der Befragten bekannt, wird jedoch nicht in der Notaufnahme genutzt. Lediglich 4 Teilnehmer (2,5 %) gaben eine Nutzung durch den lokalen Rettungsdienst an. Insgesamt wird die Schmerztherapie durch den Rettungsdienst nur selten (12,3 %) als ungenügend, in 42,3 % als ausreichend und bei 41,7 % als gut bewertet.
Diskussion
Deutschlandweit stellen sich ca. 20 Mio. Patienten pro Jahr in einer Notaufnahme vor [14]. Das Symptom Schmerz ist dabei der häufigste Grund [3], was die Wichtigkeit der strukturierten Erfassung und Behandlung unterstreicht. Mit 166 vollständigen Datensätzen konnte im Rahmen dieser Studie eine gute Grundlage zur Beschreibung des Ist-Zustands von Organisation und Durchführung der Analgesie im Rahmen der Notaufnahmeversorgung geschaffen werden.
Standard Operating Procedures (SOP)
Idealerweise sollen SOP als schriftliche Arbeitsanweisungen für eine einheitliche Umsetzung definierter Abläufe sorgen. Hierdurch kann einerseits Handlungssicherheit beim Anwender, z. B. der Pflegekraft der Notaufnahme, erzeugt werden; andererseits kann der Leiter der Notaufnahme auch in seiner Abwesenheit für strukturierte Prozesse sorgen [15]. Interessanterweise gaben weniger als 50 % der Befragten das Vorhandensein einer speziellen SOP zum Thema Schmerztherapie in der Notaufnahme an. Lediglich 68,5 % der teilnehmenden Schwerpunktversorger und 22,2 % der Uniklinken arbeiten demnach mit speziellen SOP im Notaufnahmesetting. Verfahrensanweisungen aus anderen Bereichen (meist zur postoperativen Schmerztherapie) können dabei nicht immer 1:1 auf die Notaufnahme übertragen werden.
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Da bislang in Deutschland keine spezielle nationale Leitlinie für die Notaufnahme existiert, kann die Ausarbeitung eigener Handlungsanweisungen/SOP empfohlen werden, da dies u. a. hilft, folgenschwere Fehler zu vermeiden [15, 16] und die Qualität der Analgesie zu steigern [17]. Bei der Erstellung, Pflege sowie Nutzung der SOP scheinen dabei moderne Web- und App-basierte Systeme im PC hinterlegten Dokumenten überlegen zu sein [18].
Erfassung der Schmerzintensität und Zuständigkeiten
Die Befragten gaben zum größten Teil eine Erfassung der Schmerzintensität innerhalb der ersten 10 min nach Patientenkontakt an, was vor allem der Verbreitung entsprechender Triagesysteme geschuldet ist. Die Schmerzintensität wird von Patienten und Behandelnden oft sehr unterschiedlich eingeschätzt und sollte daher unbedingt strukturiert erfragt bzw. erfasst werden [19]. Dabei können gerade nicht sichtbare Verletzungen bzw. Erkrankungen von Behandelnden unterschätzt werden. Maier und Kollegen zeigten entsprechend in einer Studie, dass das Schmerzniveau bei konservativ behandelten Patienten deutlich höher lag als bei postoperativen Patienten [20]. Starke Schmerzen werden eher unter- und leichte Schmerzen überschätzt [21]. Eine strukturierte Erfassung ist somit Grundlage der Therapie, wobei bereits die Schulung von Pflegekräften zur Anwendung entsprechender Scores in einer Arbeit von Silka und Kollegen bei Traumapatienten zu einer deutlich häufigeren Erfassung der Schmerzen mit entsprechender konsekutiver Schmerztherapie führte [22]. Die hier in der Hälfte der Fälle genannte NRS (0 = kein Schmerz bis 10 = maximal vorstellbarer Schmerz) ist dabei ein etabliertes Verfahren, um auch den Erfolg (NRS < 4 in Ruhe und < 6 bei Belastung) einer entsprechenden Therapie zu evaluieren [20]. Der Score ist dabei einfach und mit hoher Sensitivität anwendbar [23] und wird z. B. in der Leitlinie zur Behandlung akuter perioperativer sowie posttraumatischer Schmerzen empfohlen [10].
Die von 17,5 % der Notaufnahmeleiter genannte offene Frage nach Schmerzen kann für einzelne Patienten praktikabel sein, sollte aber durch gezielte Frage nach starken oder behandlungsbedürftigen Schmerzen präzisiert werden [24]. Ältere oder demente Patienten dissimulieren häufig ihre Symptome, was z. B. durch begleitende Schonatmung oder Tachykardie zu einer weiteren Verschlechterung führen kann. Die BESD(Beurteilung von Schmerzen bei Demenz)-Skala erfasst deshalb zusätzlich Parameter wie Atmung, Mimik und Körpersprache [25]. Hier sei auf die AWMF-publizierte S3-Leitlinie „Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe“ verwiesen [26].
Insgesamt kann festgehalten werden, dass eine frühe und strukturierte Schmerzanamnese durch Pflegekräfte helfen kann, die Reaktionszeit bis zum Beginn einer adäquaten Analgesie – vor allem in Notaufnahmen mit hohem Patientenaufkommen – zu verkürzen [5].
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Mit ausformulierten Handlungsanweisungen kann, analog zur präklinischen Delegation von Notfallsanitätern [12], die Schmerztherapie durch Pflegekräfte unseres Erachtens problemlos erfolgen. Basierend auf Handlungsalgorithmen können Notfallsanitäter nach Freigabe durch den jeweiligen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst in verschiedenen Situationen eigenständig eine Schmerztherapie durchführen. Ein ähnliches Konzept wäre auch für die Notfallpflege wünschenswert.
Immerhin 17,7 % der befragten Notaufnahmen waren nicht dauerhaft ärztlich besetzt, wobei die Art der Besetzung (Rufbereitschaft, direkte Anwesenheit, parallele Stationsarbeit usw.) nicht ausdifferenziert wurde. Die allgemeine Zuständigkeit für die Analgesie wird scheinbar unterschiedlich gehandhabt, wobei sie in Schwerpunktversorgern und Universitätskliniken signifikant häufiger den Ärzten der Notaufnahme unterliegt als bei den einzelnen aufnehmenden Fachbereichen.
Interessanterweise gaben 10 Krankenhäuser an, dass Pflegekräfte eine Schmerztherapie nicht selbstständig beginnen dürfen, obwohl keine dauerhafte ärztliche Besetzung zugegen sei. In weiteren 15 Kliniken durften die Pflegekräfte zumindest Nichtopioide selbstständig verabreichen. Die oft fehlende ärztliche Präsenz in der Notaufnahme verdeutlicht nochmals, wie wichtig die Initiierung einer Analgesie durch entsprechend geschulte Pflegekräfte ist. Die hohe Fluktuation in der ärztlichen Besetzung von Notaufnahmen, gepaart mit dem Einsatz vieler Berufsanfänger, spricht ebenfalls für die Bereitstellung entsprechender SOP mit einhergehenden Anwenderschulungen [27].
Analgesieverfahren und Bewertung des Rettungsdiensts
Anders als beispielsweise in Großbritannien stellt in Deutschland erwartungsgemäß Piritramid das mit Abstand meistverwendete Opioid dar. Häufigste Applikationsform generell ist die Kurzinfusion. Titrierte Boli mit individueller Gesamtdosis führen ggf. schneller zu einer Schmerzreduktion, jedoch scheint auch die kürzere Patientenbindung für Kurzinfusionen zu sprechen [28]. Gerade für nichttraumatische Viszeralschmerzen konnten deutliche Vorteile der „patient-controlled analgesia“ (PCA) gezeigt werden [29], wobei durch technische Fehler mit Verzögerung der Schmerztherapie der potenzielle Vorteil ggf. verspielt werden kann [30]. Aktuell wird die PCA jedoch nur von 4,8 % der befragten Notaufnahmen regelmäßig und von 11,6 % selten genutzt, was auch dem höheren Aufwand geschuldet sein kann. Auf jeden Fall sollte nach Applikation eines Analgetikums eine Reevaluation im angemessenen Zeitintervall erfolgen, um einerseits die Schmerztherapie zu steuern und andererseits Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Atemdepression zu erkennen [10]. Eine sichtbare Applikation mit einhergehender Zuwendung verbessert durch Placeboeffekte die Schmerzreduktion zusätzlich [31].
Nicht alle Patienten brauchen ein Opioid für eine adäquate Schmerztherapie. Zusätzlich bestehen angesichts des zunehmenden Substanzmissbrauchs verständlicherweise Vorbehalte [32]. Grundlage jeder Schmerztherapie sollte nach WHO-Stufenschema ohnehin ein Nichtopioid sein, wobei auch hier die Schmerzabfrage nach Scores und Therapie nach SOP bei der Auswahl des Analgetikums helfen kann. Zu beachten ist jedoch, dass das WHO-Schema ursprünglich zur Therapie tumorbedingter Schmerzen erstellt wurde und eine Anpassung bei bestimmten Indikationen, wie z. B. traumabedingten Extremitätenschmerzen, diskutiert wird [33].
Die Aufschlüsselung der einzelnen Analgetika nach Indikation war nicht Teil der Befragung, es ist jedoch zu erwarten, dass Morphin vor allem bei thorakalen, internistischen Beschwerden zum Einsatz kommt. Eine alternative Anwendung von Ketamin, wie in internationalen Studien beschrieben [32], kommt in erster Linie für Traumapatienten in Betracht, setzt jedoch auch eine adäquate Schulung und – wie auch bei anderen Analgetika – ein entsprechendes Monitoring der Vitalfunktionen voraus [34].
Als weitere Alternativen zu Opioiden werden Regionalanästhesieverfahren diskutiert, welche teilweise bereits in der Präklinik Anwendung finden [35]. Regionalanästhesie ist jedoch stark an örtliche Strukturen und bestimmte Indikationen gebunden, was die Anwendbarkeit einschränkt und sich entsprechend durch die seltene Nutzung laut Umfrage zeigt. Der aufgrund möglicher Agranulozytose in der Vergangenheit immer wieder diskutierte Einsatz von Metamizol scheint nicht zu einer verminderten Anwendung dieses Analgetikums zu führen, da lediglich 1,8 % Notaufnahmen angaben, es gar nicht mehr zu nutzen. Insgesamt hat Metamizol zur Behandlung starker Schmerzen ein günstiges Nebenwirkungsprofil (v. a. in Bezug auf Nephro- und Hepatotoxizität; [36]), was es besonders für den Einsatz bei noch nicht vollständig amnestizierten bzw. untersuchten Patienten praktikabel macht.
Eine entsprechende Aufklärung, spätestens als Information im Entlassungsbrief, sollte dabei Teil hausinterner SOP sein, genauso wie eine entsprechende Kreislaufüberwachung bei intravenöser Gabe.
Analog zur Vorstellung in einer Notaufnahme ist Schmerz auch im Rettungsdienst ein häufiger Alarmierungsgrund [37], vor allem nach Trauma oder bei abdominalen Beschwerden [38]. Auch hier wird eine rasche und suffiziente Analgesie oftmals nur unzureichend umgesetzt [12].
Von den meisten Notaufnahmeleitern wurde die präklinische bzw. notärztliche Schmerztherapie als gut (41,7 %) oder zumindest ausreichend (42,3 %) eingeschätzt. Es ergibt sich daher die Notwendigkeit, auch rettungsdienstlich vorgestellte Patienten hinsichtlich ihrer Schmerzen zu evaluieren, um eine entsprechend adäquate Analgesie einzuleiten, fortzuführen oder zu ergänzen. Gerade bei abdominellen Beschwerden wird, z. B. im Gegensatz zum akuten Koronarsyndrom, häufig keine Schmerztherapie begonnen [38], obwohl die Sorge, mögliche Symptome zu verschleiern und die Diagnostik zu erschweren, seit Langem als unbegründet gilt [39].
Limitationen
Die vorliegende Studie stellt unseres Erachtens die erste landesweite Umfrage zur Ist-Analyse der Analgesie in deutschen Notaufnahmen dar, weißt jedoch einige Limitationen auf. Aufgrund der Rückläuferquoten (insgesamt 166 vollständige Datensätze aus Selbstauskünften der jeweiligen Notaufnahmeleiter) können die Ergebnisse auch angesichts der Begrenzung registrierter Notaufnahmen nicht uneingeschränkt für Deutschland verallgemeinert werden. Dennoch können Tendenzen zur Struktur und Organisation der Analgesie in deutschen Notaufnahmen abgeleitet werden und im Ausblick als Anstoß für weitere Auswertungen und die Erstellung von Handlungsempfehlungen dienen.
Fazit für die Praxis
Schmerzen sind der häufigste Grund für eine Vorstellung von Patienten in der Notaufnahme.
Die organisatorische Ausgestaltung von Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und SOP zur Analgesie in deutschen Notaufnahmen ist sehr heterogen.
Die Erfassung von Schmerzen und die anschließende Therapie sollten durch Handlungsanweisungen geregelt sein.
Die Analgesie sollte bereits frühzeitig durch geschulte Pflegekräfte begonnen werden, um Verzögerungen zu vermeiden.
Bei der medikamentösen Auswahl lassen sich mit Metamizol und Piritramid allgemeine Trends erkennen.
Eine zukünftige nationale Leitlinie kann, auch bei der Organisation vor Ort, Handlungssicherheit geben.
Danksagung
Wir danken Herrn Martin Pin und Frau Karen Jerusalem von der DGINA e. V. für die Wegbereitung des Projekts sowie der DIVI e. V. für die Unterstützung bei der Durchführung.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
T. Warnecke, O. Djuren, J. Hinkelbein, C. Mohrman und B. Rosner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Die Ethikkommission der Universität Oldenburg Fakultät 6 hat eine Beratungspflicht für dieses Projekt verneint (2021-076).
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