Strukturelle und klinikbezogene Merkmale
Hüftgelenknahe Femurfrakturen (HF) stellen eine große Belastung für älteren Patienten dar. Es ist nicht verwunderlich, dass der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) die Versorgung solcher Frakturen innerhalb von 24 h nach Aufnahme fordert [
8]. Diese gesetzliche Vorgabe führte zusammen mit der Umstellung des Krankenhausfinanzierungssystems auf das DRG-Fallpauschalensystem zu einer Steigerung des ökonomischen Drucks und einer Verschärfung der oftmals vorbestehenden strukturellen Defizite in Krankenhäusern [
15].
So scheinen neben patientenbezogenen Faktoren auch klinikbezogene Kriterien, die wesentlich an der Infra- und Prozessstruktur der Häuser bedingt sind, Einfluss auf die Mortalität zu haben. Unter den wichtigsten klinikbezogenen Merkmalen, die in der Regel mit einer Erhöhung der Mortalität assoziiert werden, sind mangelnde interne Leitlinien und „standard operating procedure“ (SOP) zur Regelung der Abläufe, Nichtverfügbarkeit von medizinischem Personal und die fehlende operative Kapazität zu erwähnen. Die direkten Folgen solcher Defizite sind Verzögerungen des Operationszeitpunktes und eine Verlängerung der Zeitspanne zwischen Aufnahme und Operation [
13,
22]. So konnten Sund et al. [
24] zeigen, dass die strukturell klinikbezogenen organisatorischen Defizite eine klare Assoziation mit der Verzögerung der Operation und Mortalität aufwiesen.
Griffiths et al. [
13] greifen das allgegenwärtige Problem des „Personalmangels“ auf. Die Autoren konnten belegen, dass eine geringere Personalausstattung an examinierten Krankenpflegern und eine höhere Anzahl von Aufnahmen pro Krankenpfleger mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden waren.
Die operative Kapazität wurde in der Arbeit von Ruffing et al. [
22] untersucht. Hier wurde in 13,3 % der HF mit einer Verzögerung der operativen Versorgung > 48 h eine logistische Ursache im Sinne von u. a. einer fehlenden OP-Kapazität gefunden. Die Analyse der Daten des strukturierten Dialogs der externen Qualitätssicherung belegten des Weiteren, dass diese Verzögerungen in Rheinland-Pfalz mit 40 % die Kliniken der Regelversorgung und nur mit 15 % die Maximalversorger betrafen [
22].
Patientenbezogene Parameter
Der Altersmittelwert im Kollektiv der operierten Patienten lag ähnlich zu Daten aus der Literatur bei 83 Jahren [
20]. In der Querschnittsuntersuchung von Padrón-Monedero et al. [
20] wurde der Einfluss von Alter auf die Klinikmortalität bei 31.884 Patienten (Altersmittelwert 83,8 Jahre) mit einer HF analysiert. Hier zeigte sich eine Erhöhung der Klinikmortalität bei Patienten > 85 Jahre (OR 4,14; 95%-KI [3,21–5,34];
p < 0,001) sowie bei Patienten 75 bis 84 Jahre (OR 2,08; 95%-KI [1,60–2,70];
p < 0,001) gegenüber Patienten < 75 Jahre. Diese Ergebnisse zeigen sich höher als die Ergebnisse der vorliegenden Studie.
Die weibliche Dominanz des Patientenkollektivs sowie das in der vorliegenden Studie beobachtete höhere Mortalitätsrisiko bei dem männlichen Geschlecht können auch in vergleichbaren Studien beobachtet werden [
18]. Von Friesendorff et al. [
26] untersuchten diesen Zusammenhang in einem Maximalversorger (Bettenzahl 1750) bei 1013 Patienten mit einer HF und beschrieben eine Erhöhung der Mortalität bei männlichem Geschlecht um das 1,5-Fache.
Bergeron et al. [
6] untersuchten in einer Studie von 2006 den Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Operation bei 977 Patienten mit HF in einer Klinik der Maximalversorgung (Bettenzahl 571). Hier zeigte sich keine signifikante Erhöhung. In der vorliegenden Studie zeigt sich eine Erhöhung des Mortalitätsrisikos bei der Versorgung > 24 h bzw. 48 h nach Aufnahme, allerdings ohne statistische Signifikanz.
Das postoperative Delir repräsentierte die fünfthäufigste Komplikation im untersuchten Patientenkollektiv mit 6 % (8/142). Wie die Literatur eindeutig belegt, gelten eine präoperativ eingeschränkte kognitive Funktion und fortgeschrittenes Alter als die 2 wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung eines postoperativen Delirs [
7]. Unterstützt wird dies durch die Charakteristika des Patientenkollektivs der vorliegenden Studie, in der der Altersmittelwert bei 83 Jahren und der Anteil an Patienten mit einer präoperativ bekannten vordiagnostizierten kognitiven Funktionsstörung (hier konkret einer Demenz) bei 19 % (64/335) lag. Demgegenüber lag die Rate an postoperativ dokumentierten Deliren lediglich bei 6 % und ist höchstwahrscheinlich unterrepräsentiert. Dies kann entweder 1. in einer unvollständigen Dokumentation oder 2. einem unzureichenden ärztlichen/pflegerischen Bewusstsein in der Diagnosestellung begründet sein. Während Punkt 1 aufgrund der Erlösrelevanz aus Autorensicht eher zu vernachlässigen ist, spiegelt Punkt 2 die Notwendigkeit einer orthopädisch/unfallchirurgisch-geriatrischen Zusammenarbeit wider.
Die steigende Mortalität bei höherem CCI und Multimorbidität korreliert mit den Ergebnissen ähnlicher Studien in der Literatur. Padrón-Monedero et al. [
20] belegten bei Patienten mit ≥ 3 Vorerkrankungen ein 2,6-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko (OR 2,62; 95%-KI [2,38–2,90]); deutlich niedriger als die Ergebnisse dieser Studie.
Diese Ergebnisse sind die Grundlage dafür, dass bereits in vielen Kliniken eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgen und Geriatern etabliert wurde. Die „AltersTraumaZentren“ sollen durch die interdisziplinäre Herangehensweise die entsprechenden Bedürfnisse, die diese Patienten benötigen, adressieren. Dies umfasst die Mitbehandlung von der Aufnahme über die präoperative Vorbereitung bis hin zur postoperativen Optimierung [
21]. Bei Eignung und Erfüllung der logistischen und patientenspezifischen Voraussetzungen kann auch im Rahmen dieser Zusammenarbeit eine geriatrische Frührehabilitation bzw. geriatrische Komplexbehandlung (GKB) eingeleitet werden, um eine Rekonditionierung zu gewährleisten, bis die Rehabilitationsfähigkeit gegeben ist [
1]. In der Literatur konnte der positive Effekt solcher Rehabilitationsprogramme nach HF nicht nur auf die Selbstständigkeit, sondern auch auf den gesamten soziofunktionellen Zustand bereits belegt werden [
3]. Bestätigend ist eine Beobachtungsstudie von Rapp et al. [
21] mit 58.000 Patienten aus 828 Krankenhäusern, die den statistisch signifikanten positiven Effekt eines unfallchirurgisch-geriatrischen Komanagements auf die Mortalität zeigt.
Auch in Ermangelung eines präoperativen Funktionsassessments ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl der Patienten auch in unserem Patientenkollektiv bereits vor der Verletzung unter einer eingeschränkten kognitiven Funktion und einem geringen Aktivitätsniveau im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) gelitten hat. Diese Punkte zählen zu den prognostischen Faktoren für ein schlechtes Outcome bei HF [
9,
10] und werden in der Regel im Rahmen des geriatrischen Screenings systematisch erfasst. Fukui et al. [
11] konnten zeigen, dass das präoperative ADL und Komorbiditäten, inkl. kognitiv-einschränkende Krankheiten, eine entscheidende Rolle für das funktionelle Outcome 6 und 12 Monate nach der operativen Versorgung einer HF spielen.
In der vorliegenden Studie zeigte sich eine Erhöhung des Mortalitäts- und Komplikationsrisikos bei den Patienten, die unter Einnahme von Antikoagulanzien operiert wurden. Die erhöhte Rate an allgemeinen Komplikationen nach HF wurde in der Arbeit von Hoerlyck et al. [
14] von 2019 ebenfalls festgestellt. Taranu et al. [
25] zeigten eine Korrelation zwischen der Verschiebung der Operation und der Einnahme von Antikoagulanzien und in der Folge einer höheren Mortalität. In diesem Kontext könnte ein einheitlicher Algorithmus zum Umgang mit Antikoagulanzien wesentlich dazu beitragen, die Komplikations- und Mortalitätsrate zu reduzieren.
Eine Korrelation zwischen der Gabe von Erythrozytenkonzentraten und der Mortalität konnte in der vorliegenden Arbeit nicht festgestellt werden. Jedoch wurde ein statistisch relevanter Einfluss auf das Auftreten von allgemeinen Komplikationen beobachtet. Diese Korrelation entspricht den Ergebnissen der Arbeit von Arshi et al. [
2] von 2020.
In der vorliegenden Arbeit zeigte sich eine Erhöhung des Mortalitäts- und Komplikationsrisikos bei den Patienten, die eine postoperative intensivmedizinische Behandlung benötigten. Dies korreliert mit den Ergebnissen von Gibson et al. [
12]. Muhm et al. [
17] stellten ebenfalls fest, dass ein verlängertes präoperatives Zeitintervall bis zur Operation sowie die höhere Anzahl an Nebenerkrankungen häufiger eine Intensivtherapie bedingen. Jedoch wurde eine direkte Korrelation zwischen Mortalität und Intensivtherapie nicht festgestellt.
In der Literatur ist keine Arbeit zu finden, die den Zusammenhang zwischen Einnahme von Antikoagulanzien oder der Notwendigkeit einer postoperativen intensivmedizinischen Behandlung und Mortalität untersucht.
Eine Zusammenfassung der Vergleiche der Klinikmortalität anhand der aktuellen Literatur ist im Zusatzmaterial online zu finden.
Limitationen
Eine der Einschränkungen dieser Arbeit ist die retrospektive Datenerhebung. Dies verringert die Verlässlichkeit der erhobenen Daten und schränkt insbesondere den Beobachtungszeitraum, der hier auf den stationären Aufenthalt beschränkt bleibt, gegenüber prospektiven Studien ein. Der Vergleich mit den Daten der externen Qualitätssicherung und den Routinedaten der Krankenkassen sollte hier zurate gezogen werden.
Eine andere Limitation der Arbeit sind die teilweise fehlenden Korrelationen zwischen den klinikbezogenen Parametern in der untersuchten Klinik in der vorliegenden Studie und den in Maximalversorgungseinrichtungen, da der primäre Fokus dieser Studie nicht auf dem Vergleich der infrastrukturellen bzw. prozessbedingten Faktoren der unterschiedlichen Versorgungsstufen beruht.