Die Studie gewährt Einblicke, wie die befragten Älteren die Coronapandemie und die Auswirkungen auf ihren Lebensalltag erleben und damit umgehen. Ausgehend von den subjektiven Wirklichkeiten wird sichtbar, dass die Befragten i. Allg. zwar besorgt sind, Erleben und Umgang insgesamt aber durch ein moderates Ausmaß unmittelbarer persönlicher Betroffenheit sowie durch ein hohes Maß an Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit geprägt sind. Erleben und Bewältigung sind vor dem Hintergrund der Lebenssituation und Biografie zu betrachten. Kritische Lebensereignisse und Krisen überstanden zu haben bzw. sich täglich mit gesundheitlichen Beschwerden und Selbstständigkeitsverlusten auseinanderzusetzen, sind Erfahrungen, die nun als Vergleichsparameter herangezogen und als Ressourcen wirksam werden. Eine an die gesundheitlich bedingten Einschränkungen angepasste Lebensweise sowie das nahende Lebensende lassen das Erkrankungsrisiko gering und kaum bedeutsam erscheinen. Damit steht das vermittelte und objektiv bekannte Risiko einer subjektiv als gering empfundenen Gefährdung gegenüber. Inwieweit diese Gelassenheit durch eigene oder gesellschaftliche Altersbilder beeinflusst wurde, kann lediglich vermutet werden. Gehört es zum eigenen Altersbild, sich als genügsam, zurückhaltend und in Anbetracht der Lebenserfahrung als resistent und anpassungsfähig zu beschreiben? Aufschlussreich wären weiterführende Studien, die sich mit altersbedingten Rollenbildern im Kontext der Pandemie beschäftigen. Sorgen i. Allg. und konkret um andere, z. B. um Angehörige, scheinen oft größer als die Sorge um sich selbst, was sich auch in anderen Studien andeutet [
3,
10,
12]. Vielleicht bleibt das Bedrohungserleben auch deshalb abstrakt, weil Infektionen im nahen Umfeld kaum bekannt sind [
10,
12]. Unabhängig von der eigenen Gefährdung wird die Pandemie aber grundsätzlich als bedrohlich erlebt und aus einer übergreifenden Perspektive betrachtet. Ängste und Unsicherheiten beziehen sich auf das direkte Pandemiegeschehen und gesellschaftliche Folgen. Im Vergleich zu Jüngeren und in prekären Verhältnissen lebenden Gruppen fühlen sich die Älteren selbst von den Folgen der Krise weniger betroffen und schätzen ihren eigenen Unterstützungsbedarf durch die Politik als gering ein. Der Informationsstand wird als gut und die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens werden grundsätzlich als angemessen beurteilt. Die Befragten akzeptieren die Schutzmaßnahmen größtenteils und sind skeptisch gegenüber geplanten Lockerungen, die ihrer Ansicht nach eine Verschlechterung der Lage begünstigen. Sie begegnen dieser Sorge mit Zurückhaltung und freiwilligen Einschränkungen. Ein guter Informationsstand sowie eine mehrheitliche Zustimmung zu den Schutzvorkehrungen ist bekannt [
10,
12]. Anschlussfähig sind auch die Befunde zu den geringen Veränderungen des Alltagslebens [
12]. Auswirkungen auf tägliche Routinen sind überschaubar, und gleichzeitig wird an Gewohnheiten festgehalten, die Stabilität vermitteln. Die Befragten fühlen sich, mit Ausnahme des sozialen Lebens, in ihrer Lebensführung kaum eingeschränkt, was auf den Gesundheitszustand und den daran angepassten Lebensstil zurückzuführen ist. Konkret begründet wird dies mit bekannten Phänomenen, wie der zunehmenden Konzentration auf das Zuhause und dem Rückgang sozialer Netzwerke [
4,
8]. Das eigene Zuhause ist sicherer und freiwilliger Rückzugsort und fungiert auch in Coronazeiten als Schutzraum, wobei sich die eigene Wohnung über alle Altersgruppen hinweg als primärer Sicherheitsraum erweist [
3]. Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem und Inanspruchnahmeverhalten sind stellenweise tangiert, die Einschränkungen fallen aber insgesamt moderat aus, was vorangegangenen Befragungen entspricht [
10,
12]. Die Familie spielt eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung der alltäglichen Versorgung, indem die Angehörigen neben emotionaler Unterstützung eine Vielzahl praktischer Hilfeleistungen erbringen. Auch Röhr et al. [
10] verweisen auf das hohe familiäre Unterstützungspotenzial. Weitere Studien zur Perspektive pflegender Angehöriger, die Aufschluss über Kompensationsleistungen, Belastungen und Folgen geben, sind wünschenswert. Wahrgenommene Einschränkungen und Ängste konzentrieren sich auf den sozialen Lebensbereich, und sichtbar wird hier die ambivalente Haltung gegenüber empfohlenen Schutzvorkehrungen. Prioritäten der Befragten bestehen darin, tägliche Herausforderungen zu meistern und die verbleibende Lebenszeit sinnvoll und lebenswert zu gestalten. In diesem Kontext spielen familiäre Beziehungen eine zentrale Rolle, die sie durch die Pandemie und präventive Maßnahmen in Gefahr sehen. Nicht zuletzt deshalb treffen viele die Entscheidung, der persönlichen Nähe den Vorrang zu geben. Die würdevolle Gestaltung des Lebensendes ist ein zentrales Thema, das die Befragten unmittelbar berührt, und die Vorstellung, alleine sterben zu müssen, erleben sie als greifbare Bedrohung.
Die Erkenntnisse schließen an vorliegende Befunde an und tragen aufgrund des qualitativen Ansatzes zu einem umfassenderen Verständnis bei. Die Auseinandersetzung mit den Lebenswirklichkeiten lenkt den Blick auf interne und externe Ressourcen sowie auf Kompetenzen im Umgang mit der Krise. Die Befragten sehen sich aufgrund ihres Lebensalters weder in einer herausragenden gesellschaftlichen Stellung noch als besonders betroffen, schwach oder schutzbedürftig an. Sie stellen sich selbst nicht in den Mittelpunkt, setzen sich auf einer gesellschaftlichen Ebene kritisch mit dem Pandemiegeschehen auseinander und heben ihre Fähigkeiten hervor, sich selbst schützen und sich eigenverantwortlich, selbstbestimmt und geduldig an die Gegebenheiten anpassen zu können. Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit sind sowohl der empfundenen Machtlosigkeit geschuldet als auch biografisch begründet, gab es doch auch schwere Krisen in der Vergangenheit und fordert sie aktuell die Bewältigung von Krankheiten und Autonomieverlusten. Der stellenweise fast schon souverän anmutende Umgang wird dann erschüttert, wenn sie die wenigen Prioritäten und verbleibenden Lebensziele, wie die Nähe zur Familie und ein würdiges Lebensende, in Gefahr sehen. Einsamkeit ist demnach eine größere Bedrohung als Corona.
Ältere Menschen sind keine homogene Gruppe, und so sind auch die Ergebnisse nur bedingt auf ältere Menschen i. Allg. übertragbar. Betrachtet wurde eine spezifische Gruppe, die durch gesundheitliche Beeinträchtigungen, Hilfe- und Pflegebedürftigkeit gekennzeichnet ist und damit im Rahmen der Coronapandemie als besonders gefährdet gilt. Weder während der Durchführung der Interviews noch bei der Analyse des Datenmaterials gab es Hinweise darauf, dass eine zurückliegende oder ggf. noch bestehende kognitive Beeinträchtigung eine entscheidende Rolle spielte. Während innerhalb der Stichprobe eine Kontrastierung hinsichtlich subjektiver Gesundheit, Grad der Selbstständigkeit, Alter, Geschlecht und Lebenssituation erreicht wurde, sind die Ergebnisse z. B. durch die Unterrepräsentanz von Männern und die Sample-Größe limitiert. Mit Blick auf die individuelle Teilnahmebereitschaft sind Selektionseffekte nicht ausgeschlossen, und es ist davon auszugehen, dass vorwiegend diejenigen erreicht wurden, die aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht in eine schwere persönliche Krise geraten sind.