5.1 Einleitung
5.2 Belastungen und Arbeitsbedingungen bei Pflegeberufen im Spiegel der Arbeitsunfähigkeitsstatistik
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Wie auffällig sind Pflegeberufe in Bezug auf das Fehlzeitengeschehen im Vergleich zu allen Berufen? Was sind die Ursachen für Auffälligkeiten?
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Hat das Pandemiejahr 2020 nochmal zu einer Verstärkung der Belastungssituation geführt, die sich in den Arbeitsunfähigkeitsdaten widerspiegelt?
Tätigkeitsschlüssel (nach der Klassifikation der Berufe 2010) | Berufsbezeichnung |
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8210 | Berufe in der Altenpflege (ohne Spezialisierung) |
8218 | Berufe in der Altenpflege (sonstige spezifische Tätigkeitsangabe) |
8219 | Führungskräfte – Altenpflege |
8139 | Aufsichts-/Führungskr. Gesundheits-/Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe |
8130 | Berufe in der Gesundheits- & Krankenpflege (ohne Spezialisierung) |
8131 | Berufe in der Fachkrankenpflege |
8132 | Berufe in der Fachkinderkrankenpflege |
8133 | Berufe in der operations-/medizintechnischen Assistenz |
8134 | Berufe im Rettungsdienst |
8135 | Berufe in der Geburtshilfe & Entbindungspflege |
8138 | Berufe in der Gesundheits- & Krankenpflege |
Schlüssel nach der Wirtschaftszweigklassifikation 2008
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Bezeichnung
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881 | Soziale Betreuung älterer Menschen und Behinderter |
873 | Altenheime, Alten- und Behindertenwohnheime |
871 | Pflegeheime |
861 | Krankenhäuser |
5.3 Bedarfsorientierte Instrumentenanpassung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement vor und nach dem Pandemieausbruch
5.3.1 Gesetzliche Regelungen und BGM-Erfahrungen in der Pflege als Ausgangsbasis
5.3.2 Pflegespezifische BGF-Bedarfserhebung und Instrumentenentwicklung im AOK-System
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Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt „Care4Care“: Im Fokus steht hier die Entwicklung eines hybriden Angebots zur Gesundheitsförderung in der beruflichen Pflege, das Pflegekräfte und deren Führungskräfte dabei unterstützt, Arbeit gesundheitsförderlich zu gestalten und die individuellen gesundheitlichen Ressourcen zu stärken. Angesprochen werden alle Pflegeteilbranchen. Im Kern werden wissenschaftlich erprobte, verhaltens- und verhältnispräventive Tools pflegebranchenspezifisch angepasst, aber auch neu entwickelt (Ducki et al. 2019; Lehr und Boß 2019). Die Module teilen sich in die Bereiche Care4Care vor Ort und Care4Care digital auf. Sie sind inhaltlich, konzeptionell und zeitlich aufeinander abgestimmt. Im Mittelpunkt von Care4Care vor Ort steht das erprobte Konzept „Health Oriented Leadership“ (HoL), das ebenfalls pflegebranchenspezifisch angepasst wird (Felfe et al. 2018; Elprana et al. 2015).
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Der vom BGF-Institut der AOK Rheinland-Hamburg bereits erprobte Workshop „Haus der wertschätzenden Pflege“, der in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern als Auftakt für BGF-Projekte genutzt werden kann und sich konzeptionell am „Haus der Arbeitsfähigkeit“ von Ilmarinen (Ilmarinen 2011) orientiert.
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Das vom BGF-Institut der AOK Rheinland-Hamburg als Präsenzveranstaltung erprobte Modul „Fit für die Pflegeschicht“: Hierbei handelt es sich um ein zunächst in der ambulanten Altenpflege erprobtes ganztägiges Seminar mit pflegebranchenspezifischen Schwerpunktthemen wie Stress, Schlaf, Entspannung, körperliche Aktivität/Heben-Tragen.
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Eine um BGF-Bausteine für die drei Pflegeteilbranchen erweiterte digitale Lernplattform „Pflegemediathek“. Sie vereint erstmals Inhalte der Bewohnerprävention (SGB XI) mit spezifischen Pflegethemen wie Expertenstandards z. B. zur Wundbehandlung und mit BGF-Angeboten. Im Rahmen von Micro-Learnings sollen Lerninhalte so gezielt und ressourcenschonend an die Mitarbeitenden adressiert werden. Um eine hohe Attraktivität zu erreichen, besteht die Möglichkeit, Fortbildungspunkte für die „Registrierung beruflich Pflegender“ zu erhalten. Die Bausteine wurden in Zusammenarbeit mit Pflege- und Gesundheitswissenschaftlern entwickelt und werden regelmäßig thematisch aktualisiert und erweitert (www.aok-verlag.pflegemediathek.de). Das Online-Angebot ist mit einer digitalen Lernplattform verknüpft, die die Entwicklung von Selbstlernformaten und die Gestaltung einrichtungsspezifischer E-Learnings erlaubt. Aktuell nutzen bereits ca. 15 % der bundesdeutschen Pflegeeinrichtungen die AOK-Pflegemediathek (Quelle: eigene Berechnungen 2021).
5.3.3 Arbeitsorganisatorische Anpassungen und ergänzende BGF-Angebote infolge der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020
Pflegebranche | n | In % |
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Stationäre Altenpflege | 26 | 51 |
Ambulante Altenpflege | 11 | 21 |
Krankenhaus | 10 | 20 |
Verbandsvertreter*innen | 3 | 6 |
Vertreter*in der Wissenschaft | 1 | 2 |
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Stressbewältigung/Resilienz/Entspannung und
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psychosoziale Unterstützung/Supervision/EAP3
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gesunde Führung
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kollegialer Austausch
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Kommunikation mit Mitarbeitenden und Angehörigen sowie
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Maßnahmen zur Förderung der Teamarbeit.
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Verstärkt hybride Formen der psychosozialen Entlastung zu entwickeln. Neben Programmen zur Stressbewältigung und Stärkung der Resilienz kommt hier insbesondere Unterstützung bei der Installation von Supervision und EAP-Programmen in Betracht. Erste ermutigende Erfahrungen dazu liegen in einzelnen Landes-AOKen bereits vor. Hybride Angebote, wie das wissenschaftlich im Rahmen von Care4Care erprobte Online-Programm „RESIST“, verbinden virtuelles Training mit analogem Coaching und unterstützen so den Transfer in den Alltag;
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Die Führungskräfte in diesen schwierigen Zeiten stärker in den Fokus zu nehmen und eigene Programme vorzuhalten. Ein gelungenes Beispiel dafür ist das Online-Training zum gesunden Führen www.aok-gesundfuehren.de. Das Programm wurde um einen Blended-Learning-Ansatz erweitert. Drei Workshops begleiten das Programm, helfen das Thema im Betrieb zu integrieren und unterstützen Austausch und Reflexion des Führungshandelns (Lück und Fenn 2020);
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Es nicht bei der Bereitstellung digitaler/hybrider Angebote für die Pflege zu belassen, sondern schon bei der Entwicklung Pflegekräfte zu beteiligen, deren Technikkompetenz zu fördern und die Bereitstellung von Hardware zu unterstützen. Einzelne Landes-AOKen haben deshalb in Pflegeeinrichtungen beispielsweise leihweise Tablets für Fachkräfte zur Verfügung gestellt.
5.3.4 Veränderungen, Belastungssituation und Anpassungen der BGF-Angebote in der zweiten Pandemiewelle ab November 2020
5.4 Fazit und Ausblick
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Die Fehlzeiten in der beruflichen Pflege sind seit vielen Jahren konstant überdurchschnittlich hoch. Die Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten zeigt, dass Pflegekräfte prinzipiell stärker gefährdet sind, selbst auch an COVID-19 zu erkranken. Erste Studien deuten darauf hin, dass in der zweiten Erkrankungswelle der COVID-19-Pandemie die (subjektive) Arbeitsbelastung gestiegen ist. Es ist anzunehmen, dass sich die Stressbelastung mittel- und langfristig auf die Gesundheit der Pflegekräfte auswirken wird. Offen bleibt, wie groß der Anteil der Präsentismusfälle bei den Pflegekräften im Jahr 2020 war, also trotz Krankheit der Arbeit nachzugehen, was durch die besondere Stressbelastung bei gleichzeitig knapper Personaldecke durchaus ein relevanter Faktor sein kann. Hierzu bedarf es weiterer wissenschaftlicher Forschung unter Berücksichtigung der Datenlage und empirischer Erhebungen im Jahr 2021 und darüber hinaus.
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In einer Pandemie und damit einer Krisensituation, die Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser in besonderer Weise betrifft, hat die Umsetzung von Pandemieplänen und Arbeitsschutzmaßnahmen absolute Priorität. Laufende BGF-Projekte werden nachvollziehbar zurückgestellt. Als hilfreich betrachtet und von Seiten der Einrichtungen gewünscht und genutzt werden indessen Maßnahmen zur unmittelbaren Unterstützung der Pflege- und Führungskräfte, Trainings und Coaching zur Resilienzstärkung und psychosozialen Entlastung (Hower und Winter 2021).
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Die Pandemieerfahrung hat die digitalen Defizite bei den Pflegeeinrichtungen offengelegt. Es mangelt in den Einrichtungen immer noch vielfach an der erforderlichen Hard- und Software (Kuhlmey et al. 2019). Die Pandemie hat insoweit auch den Pflegeeinrichtungen einen „Digitalisierungsschub“ (KPMG 2020) gegeben, dessen Nutzungsmöglichkeiten nach Einschätzung der Autoren dieses Beitrages aber längst noch nicht ausgeschöpft sind. Das gilt für entlastende technische Hilfsmittel in der Pflege über die Qualitätssicherung und Dokumentation bis hin zum Einsatz von Robotik.