Unser Alltag wird zunehmend digital, ob beruflich oder privat – die aktuelle Coronapandemie hat dies noch einmal verdeutlicht. Doch wie sieht die digitale Transformation in den Haushalten der Personen ab 65 Jahren aus, und wie hat sich dort die Nutzung seit 2009 verändert? Diese Kernfragen waren leitend für die hier näher vorzustellende Vergleichsanalyse auf Grundlage von 3 Bevölkerungsbefragungen aus den Jahren 2009, 2014 und 2019.
Hintergrund und Fragestellung
Gerade in der aktuellen COVID-19-Pandemie zeigte sich die Digitalisierung unseres Alltags noch einmal deutlich, im Sinne einer zunehmenden digitalen Kommunikation (z. B. durch Homeoffice). Diese zunehmende digitale Transformation zeigt sich u. a. auch im Nutzungsanstieg moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie dem Internet oder dem Smartphone. Dennoch ist aus der gerontologischen Forschung bekannt, dass auch heute noch Formen der digitalen Spaltung zwischen jüngeren (unter 65 Jahre) und älteren Altersgruppen (über 65 Jahre) bestehen [
1,
3]. So zeigen Studien aus Europa, dass z. B. nur 53 % der Personen ab 50 Jahren das Internet nutzen [
5].
Jüngere Menschen leben heute ganz selbstverständlich in einer digitalisierten Lebenswelt. Anders ist dies bei älteren Personen, die mit diesen Technologien nicht groß geworden sind und somit weniger Berührungspunkte damit haben [
12]. Auch wenn moderne Technologien wie z. B. eine Erinnerungshilfe auf dem Smartphone eine Hilfe im Alter darstellen können [
7], zeigen Studien auch, dass älteren Menschen z. T. die nötigen Technikkompetenzen fehlen oder dass sie keinen direkten Vorteil in der Nutzung sehen, da sie bisher von den „klassischen Wege“ wie z. B. direkten Kontakten oder dem Gang zum Bahnschalter im Alltag Gebrauch machen [
16‐
18]. Im Alter kann sich zudem die körperliche und kognitive Funktionsfähigkeit verändern. Zudem können soziale oder finanzielle Ressourcen eingeschränkt sein oder Ängste gegenüber der Nutzung von Technik bestehen, was den Zugang zu dieser wiederum erschwert [
2]. Die aktuelle COVID-19-Pandemie hat den digitalen Graben zwischen Jung und Alt noch einmal deutlicher gemacht, da Personen ohne technische Kompetenzen und Mittel fehlende direkte soziale Kontakte nicht durch technische Lösungen kompensieren können [
16].
Unklar bleibt jedoch, wie weit die digitale Transformation dennoch auch in der Bevölkerungsgruppe der ab 65-Jährigen vorangeschritten ist, und inwieweit sich diese digitale Transformation der Alltagsanwendungen auf deren Einstellung zu dieser Technik generell verändert hat, bzw. ob sich auch die begründeten Faktoren einer Internetnutzung über die Jahre verändert haben. Internationale Studien [
1‐
3,
5] liefern erste Hinweise darauf, dass einerseits beeinflussende Faktoren z. B. der Internetnutzung sich über die Jahre angepasst haben. Antworten auf diese Fragen sollen die Nutzungsprofile von Alltagstechnologien wie dem Internet, Smartphone oder Tablet geben. Hierbei soll anhand von deskriptiven Vergleichen bestehender Untersuchungen aus der Schweiz einerseits der zeitliche Wandel in der Techniknutzung, Technikinteresse, Anwendungsvielfalt und möglichen Hürden der Techniknutzung gegenübergestellt werden.
Diese Fragen waren Ausgangspunkt vorliegender Vergleichsstudie. Grundlage des Vergleichs liefern 3 Schweizer Querschnittserhebungen aus den Jahren 2009, 2014 und 2019; welche hier erstmals deskriptiv verglichen werden sollen, um die oben genannten zeitlichen Veränderungen darzustellen. Es soll hierbei eruiert werden: (a) wie sich die Einstellungen zur Technik und zum Internet in der Zeit von 2009 bis 2019 verändert haben, (b) wie sich die Internetnutzung und die Nutzung von Alltagstechnologien (alltägliche technische Geräte im Haushalt z. B. Radio, Mobiltelefon, Tablet) über die Jahre verändert haben, (c) welche Gründe der Nichtnutzung des Internets benannt werden, (d) welche Anwendungen im Internet über die Jahre bevorzugt werden, und (e) welche Einflussfaktoren für die Internetnutzung sich in den jeweiligen Untersuchungen ergeben.
Diskussion
Der Vergleich der 3 Bevölkerungsbefragungen von 2009, 2014 und 2019 zeigt auf, dass die digitale Transformation, die sich im Alltag in einer Zunahme der Anwendung digitaler Technologien widerspiegelt, in allen Haushalten stattfindet – so auch in jenen der mindestens 65-Jährigen. Wurden 2009 oder 2014 nur wenige neue mobile Technologien wie das Smartphone genutzt, so waren es 2019 bereits mehr als die Hälfte, die ein Smartphone nutzten. Auch die Internetnutzung ist seit 2009 deutlich angestiegen und lag 2019 bei 74 %. Die Nutzung erklärte sich auch 2019 durch das Alter, die Bildung, das Einkommen und das Technikinteresse; Faktoren, die bereits 2009 herausgestellt wurden und auch in anderen Studien für Deutschland [
9] und Europa [
6] zu beobachten sind. Ferner ließen sich 2019 ähnliche Gründe für die Nichtnutzung des Internets erkennen, und auch heute werden noch nicht alle gängigen Onlineservices (z. B. Internetbanking, Kauf von Waren oder soziale Netzwerke) genutzt. Hinsichtlich des Technikinteresses und der Einstellung gegenüber dem Internet lässt auch die aktuelle Erhebung erkennen, dass zwar die Einstellungen über die Jahre eher stabil geblieben sind, aber auch jetzt noch diverse Einstellungsgruppen zu finden sind. Neben jenen mit einer positiven Einstellung gibt es auch weiterhin jene mit einer ambivalenten bis negativ geprägten Einstellung zum Internet.
Über alle 3 Befragungen hinweg zeigen sich in der multivariaten Analyse das Alter, die Bildung, das Einkommen und die Einstellung zur Technik als konstante Erklärungsfaktoren für die Internetnutzung. Somit ergeben sich auch Ende 2019 noch Unterschiede zwischen Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren zu Personen ab 80 Jahren; auch sind individuelle Ausstattungen wie das Einkommen oder die Bildung weiterhin Ressourcen für eine Internetnutzung [
6]. Hingegen zeigte sich 2019 kein Effekt beim Geschlecht oder der subjektiven Gesundheit mehr, was andeutet, dass ehemals erklärende Faktoren an Bedeutung verlieren, da heutzutage das Internet von mehr Bevölkerungsgruppen genutzt wird. Dennoch sollten gesundheitliche Aspekte bei der Internetnutzung weiterhin berücksichtigt werden, da z. B. Einschränkungen des Sehens oder Hörens direkten Einfluss auf die vollumgängliche Nutzung vom Internet nehmen können.
Auch wenn Nutzungszuwächse erkennbar sind, zeigt der Jahresvergleich auch, dass sich der digitale Graben nun v. a. innerhalb der älteren Bevölkerungsgruppe zeigt. So sind es insbesondere Personen ab 80 Jahren, die das Internet weniger nutzen und auch seltener ein Smartphone oder Tablet besitzen. Diese Nutzungsunterschiede lassen sich auch in der stationären Alterspflege erkennen, wo die Bewohnerinnen und Bewohner seltener technische Neuerungen nutzen als jüngere Personen [
11,
15]. Insbesondere jene, die weniger bis gar nicht in der heutigen digitalen Welt vertreten sind, könnten sich sozial exkludiert fühlen, wenn klassische Zugänge wie ein „bedienter Postschalter“ aufgrund von z. B. Sparmaßnahmen wegfallen oder wenn – wie jetzt – pandemiebedingte fehlende direkte Kontakte nicht durch digitale Lösungen kompensiert werden können [
16]. Es besteht die Gefahr, dass sich diese älteren Menschen einem „Diktat des Digitalen“ [
8] gegenübergestellt sehen, wenn eine Teilhabe in der heutigen Gesellschaft bedeutet, bestimmte Technologien nutzen zu müssen.
Der Vergleich der 3 Untersuchungen hinsichtlich der Verteilung von „klassischen“ Technologien (z. B. Fernsehen und Radio) zu „modernen“ Technologien (z. B. Smartphone und Tablet) zeigt zwar schon, dass immer mehr auch neuere Informations- und Kommunikationswege genutzt werden, aber dennoch die Nutzung des Fernsehers und des Radios relativ stabil geblieben ist. Somit kann eher vermutet werden, dass die neueren IKT-Geräte nicht unmittelbar „klassische“ Zugänge ersetzen, sondern ergänzen.
Werden die vorliegenden Daten mit anderen internationalen Studien verglichen, zeigen sich ähnliche Trends in der Zunahme der „modernen“ Technologien (z. B. Smartphone, Internet, Tablet), dennoch zeigt der Vergleich mit europäischen Daten [
5,
6] anhand der Internetnutzung, dass die Schweiz im Vergleich z. B. zu Deutschland insgesamt höhere Nutzungszahlen bei den Personen ab 65 Jahren aufweist. Daher sollten länderspezifische Unterschiede in der Nutzung von IKT berücksichtigt werden und die hier vorliegenden Erkenntnisse nicht 1:1 auf andere Länder übertragen werden.
Auch wenn der Zeitvergleich einen eindeutigen Trend zu „mehr Technik“ zeigt, sollte daraus nicht geschlossen werden, dass der digitale Graben in 10 bzw. 20 Jahren komplett verschwindet. Sicherlich wird sich die Nutzung der heute etablierten Alltagstechnologien ähnlich entwickeln wie die des Internets, dennoch ist davon auszugehen, dass in ca. 10 bis 20 Jahren andere Technologien den Alltag mitbestimmen werden (z. B. „virtual“ oder „augmented reality“, künstliche Intelligenz). Daher sollte innerhalb der Gerontologie nicht mehr nur gefragt werden, „wann“ der digitale Graben verschwindet, sondern „wie“ sich dieser Graben in den nächsten Jahren verschieben bzw. neu gestalten wird.
Die Gruppe der Offliner ist in ihren Merkmalen und Einstellungen heterogen, weshalb Maßnahmen immer zielgruppenbezogene oder, noch besser, individuell angepasste Lösungen berücksichtigen sollten [
13]. Das Aufzeigen eines möglichen persönlichen Vorteils bei der Internetnutzung kann als anziehender Faktor dienen. Neben klassischen Schulungsangeboten sollte auch das soziale Umfeld (z. B. Familie, Freunde, Nachbarschaft) als Ressource herangezogen werden – als Impulsgeber und informelle Unterstützung [
4]. Neben der reinen Vermittlung der Mediennutzungskompetenz sollte es aber auch um eine Medienbildung gehen, also die Fähigkeit, moderne Technologien nicht nur zu nutzen, sondern reflektiert zu nutzen (z. B. zu wissen, wo im Internet Gefahren lauern könnten).
Limitationen
Bei den durchgeführten Studien handelt es sich um Querschnittsuntersuchungen; Veränderungen innerhalb einer Person können daher nicht abgebildet werden. Für die weitere Forschung wäre es daher wünschenswert, einerseits individuelle Daten im Längsschnitt zu erheben, anhand derer die intraindividuelle Einstellungs- und Nutzungsveränderung beobachtet werden könnte. Die hier vorgelegten Daten beziehen sich nur auf die Schweiz, daher sind direkte Übertragungen der Ergebnisse auf andere Länder nur für vergleichende Zwecke heranzuziehen; allfällige kulturelle Unterschiede sollten berücksichtigt werden. Zudem wurden in den 3 Befragungen Personen in Privathaushalten berücksichtigt; jedoch fehlt es an Studien zur IKT-Nutzung in den stationären Einrichtungen der Alterspflege.
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