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16.01.2024 | Suchterkrankungen | Interview | Online-Artikel

Interview zur Suchtproblematik im Gesundheitswesen

Tabuthema Sucht

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Um Stresssituationen zu entfliehen, greifen Menschen zu Alkohol, Zigaretten oder Medikamenten – Verhaltensweisen, die ein erhöhtes Suchtrisiko bergen. Alina Wiotte, Ansprechpartnerin der Suchtberatung und Suchtprävention für Beschäftigte des Universitätsklinikums Freiburg erläutert, wie wichtig es ist, über das Tabuthema Sucht offen zu sprechen.

Alina Wiotte

Frau Wiotte, sind Menschen im Gesundheitswesen besonders gefährdet oder anfällig für Suchtprobleme?

Wiotte: Der Pflegeberuf geht mit einer hohen Stressbelastung einher, auch auf psychischer und emotionaler Ebene. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, Alkohol in riskanten Mengen zu trinken, um sich nach der Arbeit zu entspannen oder zu belohnen. Zudem besteht ein leichterer Zugang zu Medikamenten, auch zu solchen mit hohem Suchtpotenzial wie opioidhaltigen Schmerzmitteln. Arbeiten unter dem Einfluss von Substanzen kann schwerwiegende Folgen für die Patienten­sicherheit haben. Nicht zuletzt deshalb kommt der betrieblichen Suchtprävention eine besondere Bedeutung zu.

Wie ist die Arbeit der Suchtberatung und -prävention für Beschäftigte am Universitätsklinikum Freiburg organisiert?

Wiotte: Die Arbeit ist eingebunden in die Psychosozialen Fachberatungsdienste, die weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote für Beschäftigte bereithalten. Denn Mitarbeiter*innen können nicht nur von Suchtproblemen betroffen sein. Es ist auch möglich, psychosoziale Beratung oder Unterstützung bei Konflikten sowie Supervisions- und Coachingangebote zu erhalten.

Die betriebliche Suchtberatung und –prävention ist schon seit vielen Jahren fest in der Unternehmensstruktur des Universitätsklinikums Freiburg verankert. Dennoch ist und bleibt es eine wichtige Aufgabe, die Mitarbeiter*innen immer wieder für das Thema zu sensibilisieren und so, zumindest ein Stück weit, zu einer Enttabuisierung beizutragen.

Wie wird das Angebot angenommen?

Wiotte: Gesamtgesellschaftlich ist Sucht leider nach wie vor ein Tabuthema, das noch viel zu häufig mit Stigmatisierung für die Betroffenen und deren Angehörigen verbunden ist. Hier spielt betriebliche Prävention und Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle. Mein Ziel ist es, das Thema Sucht in unserem Unternehmen durch vielfältige Maßnahmen aus der Tabu­zone zu holen. Das reicht von Führungskräfteschulungen über Angebote für Auszubildende bis hin zu Aktionstagen für die gesamte Belegschaft. Diese Veranstaltungen bieten eine Plattform, um zunächst unverbindlich miteinander ins Gespräch zu kommen und Vertrauen aufzubauen. Das senkt die Hemmschwelle, um sich beraten zu lassen. Außerdem werden Führungskräfte durch Schulungen sensibler für Suchtprobleme und legen ihren Mitar­beiter*innen häufiger nahe, die Beratung aufzusuchen.

Seit wann gibt es die Suchtberatung am Universitätsklinikum Freiburg und wie hat sie sich etabliert?

Wiotte: Bereits 1987 wurde die innerbetriebliche Suchtberatungsstelle sowie eine Projektgruppe für „Alkoholprobleme und Sucht" gegründet. In dieser Projektgruppe, die heute unter dem Namen „Arbeitskreis betriebliche Suchtprävention“ tätig ist, kamen Vertreter*innen aus den unterschiedlichen Fachbereichen des Universitätsklinikums zusammen, um sich mit dem Thema „Sucht am Arbeitsplatz“ auseinanderzusetzen und ein gemeinsames Vorgehen im Umgang mit suchtauffälligen Beschäftigten zu entwickeln.

Im Laufe der Zeit wurde ein Gesamtkonzept entwickelt, das den Qualitätsstandards betrieblicher Suchtprävention der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) entspricht und bis heute zentrale Grundlage der Arbeit in der Suchtberatung und Suchtprävention ist. Dazu gehört neben Öffentlichkeitsarbeit, Prävention und Fortbildung auch ein sogenanntes „Handlungskonzept“, ein gemeinsam von Klinikumsvorstand und Mitarbeitervertretung verabschiedeter Handlungsleitfaden für Führungskräfte und Beschäftigte mit suchtbezogenen Problemen. Das Handlungskonzept gibt Orientierung im Umgang mit dem herausfordernden Thema und hat zum Ziel, die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der betroffenen Beschäftigten wiederherzustellen.

Welche Unterstützungsangebote bietet die Beratungsstelle Mitarbeitern, Familienangehörigen und Führungskräften an?

Wiotte: Die Beratungsstelle informiert und berät die Mitarbeiter*innen bei allen Fragen rund um Suchtmittelkonsum und suchtbedingte Verhaltensweisen. Neben der Reflexion des eigenen Konsums bzw. Verhaltens geht es oft darum, gemeinsam mit den Mitarbeiter-*innen weiterführende Schritte zu planen und sie bei der Aufnahme einer Behandlung zu unterstützen. Auch die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einer Therapie oder einer längeren Krankheitsphase ist ein Beratungsanlass. 

Neben Beschäftigten mit suchtbezogenen Problemen bieten wir auch Beratung für Mitarbeiter*innen an, die als Angehörige oder Kolleg*innen von dem Thema betroffen sind. Hier kommen andere Fragen oder Belastungen zur Sprache, vieles dreht sich um Abgrenzung und die realistische Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. 

Nicht zuletzt ist die Beratungsstelle ein wichtiger Anlaufpunkt für Führungskräfte, die suchtbezogene Auffälligkeiten bei Mitarbeiter-*innen bemerken. Die Führungskräfte werden dabei unterstützt, die Auffälligkeiten einzuordnen und ein weiteres Vorgehen im Sinne des klinikeigenen Handlungskonzeptes zu entwickeln. Darüber hinaus gibt es mehrmals im Jahr die Möglichkeit, an Führungskräfteschulungen teilzunehmen, die sich vor allem mit dem Erkennen und Ansprechen von Suchtauffälligkeiten beschäftigen. Dies schafft Sicherheit und stärkt die Handlungskompetenz.

Wie wird mit der Anonymität der Betroffenen umgegangen?

Wiotte: Die Vertraulichkeit über die Beratungsinhalte und alles, was damit zusammenhängt, ist selbstverständlich unerlässlich. Andernfalls kann keine offene und vertrauensvolle Beratungsatmosphäre entstehen. Es ist wichtig, dies allen am Prozess Beteiligten zu vermitteln. Zudem sind die psychosozialen Fachberatungsdienste räumlich etwas außerhalb der Zentralklinik angesiedelt, was im Hinblick auf die Vertraulichkeit ebenfalls von Vorteil ist.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der betrieblichen Suchtprävention?

Wiotte: In meiner Arbeit ist es immer eine Herausforderung, Menschen mit Problemen außerhalb des klassischen Suchtmittelspektrums zu erreichen. Die meisten Menschen verbinden Sucht nach wie vor mit Alkohol, Tabak oder Medikamenten. Dabei gibt es eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die ebenfalls süchtig machen oder einen suchtähnlichen Charakter annehmen können: Zu nennen sind hier beispielsweise der Umgang mit Smartphone und Internet, Computerspielen oder (Online-)Glücksspiel. Um für diese Themen mehr Bewusstsein zu schaffen, wird in Zukunft sicherlich noch mehr Aufklärungsarbeit notwendig sein.

Können Sie Erfolge oder positive Entwicklungen durch die Arbeit Ihrer Beratungsstelle benennen?

Wiotte: Ein wichtiger Erfolg war die Einführung von Führungskräfteschulungen zum Thema „Sucht am Arbeitsplatz“ vor einigen Jahren. Denn Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Suchtprobleme frühzeitig zu erkennen, anzusprechen und den Weg zur Hilfe zu ebnen. Doch nicht nur die Sicherheit im Umgang mit Suchtauffälligkeiten wächst - bei vielen Teilnehmer*innen entsteht auch eine neue Offenheit gegenüber dem Thema, die mit alten Klischees (z.B. „Wer zu viel trinkt, ist doch selbst schuld“) bricht. Dies ist eine positive Entwicklung, die es durch meine Arbeit weiter zu festigen gilt.

Welche Tipps oder Ratschläge haben Sie für…

…Betroffene, die noch keine Hilfe gesucht haben?

Wiotte: Das eigene Verhalten zu überdenken und sich Hilfe zu holen, erfordert Mut. Wagen Sie es und Sie werden sehen: Es lohnt sich! In Deutschland gibt es ein breites Hilfsangebot, ein erster Schritt könnte eine Suchtberatungsstelle oder eine Selbsthilfegruppe sein. Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.dhs.de/service/suchthilfeverzeichnis

…Personen, die bemerken, dass es dem Kollegen/der Kollegin nicht gut geht?

Wiotte: Das Wichtigste: Schauen Sie nicht weg! Sie können z.B. in einer ruhigen Minute Ihre Kollegin bzw. Ihren Kollegen ansprechen, ihr/ihm Ihren Eindruck schildern und fragen, ob sie/er Unterstützung braucht. Wenn Sie selbst nicht ins Gespräch gehen möchten, können Sie auch Ihre Führungskraft darum bitten. Wenn der/die betroffene Kolleg*in durch sein/ihr Verhalten die Arbeitssicherheit gefährdet, sollten Sie auf jeden Fall Ihre Führungskraft informieren! Das hat nichts mit „Petzen“ zu tun, sondern Sie handeln dann zum Schutz aller Beteiligten. Scheuen Sie sich auch nicht, selbst professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen, wenn Sie die Situation sehr belastet, z.B. in einer Suchtberatungsstelle.

…Chef*innen, die ihre Mitarbeiter*innen unterstützen wollen?

Wiotte: Gehen Sie frühzeitig ins Gespräch, wenn Ihnen Veränderungen an Ihren Mitarbeiter*innen auffallen. Machen Sie sich vorher klar, was Sie in dem Gespräch erreichen wollen und können. Spiegeln Sie Ihre Beobachtungen wider und geben Sie dem/der Mitarbeiter*in die Möglichkeit für eine Erklärung. Bieten Sie Ihre Unterstützung und ggf. weiterführende Hilfen an und machen Sie Ihre Erwartungen an den/die Mitarbeiter*in deutlich. Und vor allem: Zeigen Sie ihm/ihr gegenüber Wertschätzung und drücken Sie Ihre Besorgnis aus. Wenn der/die Mitarbeiter*in das Gefühl hat, dass es Ihnen wirklich um sein/ihr Wohlergehen geht, kann er/sie sich viel leichter öffnen.

Das Interview führte Laura Herbst

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