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Open Access 19.02.2024 | Originalien

Evaluation geländegängiger Einsatzmittel im medizinischen Katastrophenschutz

Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Medizinischen Task Forces

verfasst von: PD Dr. Maximilian Kippnich, Maren Dieckmann, Chris Speicher, Uwe Kippnich, Harald Erhard, Patrick Meybohm, Thomas Wurmb

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung

Die Medizinischen Task Forces sind ein wichtiger Bestandteil des medizinischen Katastrophen- und Zivilschutzes in Deutschland. Aufgrund sich verändernder klimatischer Bedingungen und damit einhergehender Naturkatastrophen rückt der Einsatz bei zerstörter Infrastruktur und in unwegsamen Geländen zunehmend in den Fokus. Für diese Begebenheiten könnten konventionelle Einsatzmittel nicht ausreichen. Zur Verbesserung der Einsatzfähigkeit von Medizinischen Task Forces könnten geländegängige Fahrzeuge beitragen. Mit der vorliegenden Studie sollen diese bezüglich Geländetauglichkeit, Schulungs- und Wartungsaufwand, Sicherheit und Einsatzwert strukturiert evaluiert werden.

Material und Methoden

Mittels webbasierter Umfrage wurden alle ehrenamtlichen Helfer des Bayerischen Roten Kreuzes in Unterfranken (Bereitschaften, Wasserwacht, Bergwacht) kontaktiert. Neben verschiedenen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer betreffenden Charakteristika wurden diverse Aspekte zu Einsätzen in unwegsamen Geländen und bei zerstörter Infrastruktur abgefragt. Zur Evaluation wurden die Spezialeinsatzmittel E‑Bike, ATV/Quad, hochgeländegängiges Fahrzeug, Unimog und Geländemotorrad ausgewählt.

Ergebnisse

Insgesamt haben 455 Helferinnen und Helfer an der Umfrage teilgenommen. 155 (34 %) der Befragten waren zum Zeitpunkt der Befragung länger als 20 Jahre im Katastrophenschutz tätig. 256 (56 %) gaben mind. Rettungssanitäter als höchste medizinische Qualifikation an, 266 (58 %) besaßen eine erweiterte Führungsausbildung (mind. Gruppenführer). Die Bedeutung von Ausbildung und Ausstattung für Einsätze in unwegsamen Geländen und bei zerstörter Infrastruktur wurde auf der Rating-Skala (0 „sehr gering“, 10 „sehr hoch“) mit 9 (Median; IQR: 8–10) bewertet, die vorhandene Schutzausrüstung mit 3 (Median; IQR: 2–5), die aktuelle Ausbildung mit 4 (Median; IQR: 3–5) und die Eignung und Ausstattung der vorhandenen Fahrzeuge mit 4 (Median; IQR: 2–5). Die evaluierten Einsatzmittel unterschieden sich im Hinblick auf die jeweiligen Bewertungskriterien z. T. deutlich.

Diskussion

Der Einsatz von Einheiten des medizinischen Katastrophenschutzes in unwegsamen Geländen und bei zerstörter kritischer Infrastruktur stellt ein hochrelevantes Thema dar. Durch die strukturierte Einbindung von modernen Spezialfahrzeugen könnte die Einsatzfähigkeit von Medizinischen Task Forces erhöht werden.

Graphic abstract

Hinweise
Die Rechte der verwendeten Bilder liegen bei den Autoren.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die Medizinischen Task Forces (MTF) stellen einen wichtigen Bestandteil des medizinischen Katastrophenschutzes und Zivilschutzes in Deutschland dar [1]. Im ganzen Bundesgebiet verteilt werden insgesamt 61 MTF vorgehalten. Ihr Einsatzschwerpunkt im Katastrophenfall ist neben der medizinischen Versorgung und dem Patiententransport die Dekontamination von Verletzten. Eine MTF wird aus 26 Fahrzeugen (u. a. Mannschaftstransportwagen, Gerätewagen, Krankentransportwagen) und 138 Helfern gebildet und wird im Einsatzfall von einem „Abteilungsführer Medizinische Task Force“ sowie einem „Medizinischen Leiter der Medizinischen Task Force“ geleitet [2]. Die Helferinnen und Helfer der MTF generieren sich aus dem Ehrenamt der verschiedenen Hilfsorganisationen (u. a. Deutsches Rotes Kreuz bzw. Bayerisches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Johanniter Unfallhilfe und Arbeiter Samariter Bund).
Einer der größten Einsätze seit Gründung der MTF war die Hochwasserkatastrophe 2021 im Ahrtal, bei der mehrere MTF aus ganz Deutschland (z. B. MTF 47, Unterfranken, Bayern) über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Einsatzabschnitten eingesetzt waren [3]. Aus verschiedenen Perspektiven ist bereits eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Katastrophenbewältigung erfolgt [37].
Neben der Unvorhersehbarkeit des Ereignisses, dem gewaltigen Ausmaß des Schadens sowie der hohen Anzahl an Toten, Verletzten und Betroffenen waren die Zerstörung der kritischen Infrastruktur sowie das Abarbeiten von Einsatzaufträgen in unwegsamen Geländen die größten Herausforderungen. Die Zerstörung von kritischer Infrastruktur sowie der sanitäts- und betreuungsdienstliche Einsatz in unwegsamen Geländen könnten auch bei zukünftigen Katastropheneinsätzen (z. B. Unwetterlagen oder Waldbrände) Risikofaktoren für die erfolgreiche Bewältigung von Einsatzaufträgen darstellen (Abb. 1).
Durch die Integrierung von modernen, geländegängigen Fahrzeugen als obligater Bestandteil von MTF könnte dieser Problematik entgegnet werden. Mit der vorliegenden Studie sollen solche Einsatzmittel im Hinblick auf Geländetauglichkeit, Schulungs- und Wartungsaufwand, Sicherheit und Einsatzwert im Rahmen einer interdisziplinären und interprofessionellen Umfrage evaluiert werden.
Aus den Erkenntnissen dieser Studie könnten Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von MTF aufgezeigt werden.

Methodik

Studiendesign und Teilnehmer

Die geplante Untersuchung wurde der Ethik-Kommission der Universität Würzburg zur Prüfung vorgelegt. Es bestanden keine ethischen oder rechtlichen Bedenken (Referenznummer 20220802 01).
Über den Dienstweg wurden alle ehrenamtlichen Helfer des Bayerischen Roten Kreuzes in Unterfranken über die Umfrage informiert. Eingeschlossen wurden die Helferinnen und Helfer aller Gemeinschaften, welche unmittelbar an Katastropheneinsätzen beteiligt sind (Bereitschaften, Wasserwacht, Bergwacht). Hierbei ist zu beachten, dass eine Vielzahl der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (vorwiegend aus dem Rettungsdienst) sich auch ehrenamtlich im Bayerischen Roten Kreuz engagieren und dementsprechend an der Umfrage teilgenommen haben. Mit einer Beantwortungsfrist von vier Wochen wurde am 01.11.2022 der Fragebogen versandt und am 14.11.2022 erneut auf die Umfrage aufmerksam gemacht. Im Zuge dessen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kenntnis gesetzt, dass die Teilnahme freiwillig und anonym ist und eine wissenschaftliche Auswertung der Ergebnisse erfolgen wird. Bei der Durchführung der Umfrage wurden alle geltenden Vorschriften und Datenschutzbestimmungen beachtet.

Fragebogen

Die Umfrage wurde webbasiert mit der Software „LamaPoll“ durchgeführt (Lamano GmbH & Co. KG, Berlin). Neben verschiedenen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer betreffenden Charakteristika (jeweils Einfachauswahl) wurden diverse Aspekte zu Einsätzen in unwegsamen Geländen und bei zerstörter Infrastruktur abgefragt. Darüber hinaus sollten ausgewählte Einsatzmittel hinsichtlich Geländegängigkeit, Schulungs- und Wartungsaufwand, Sicherheit und Einsatzwert bewertet werden. Die Bewertungsfragen konnten jeweils mittels Rating-Skala (0 = „sehr gering“ bis 10 = „sehr hoch“) in Form eines Schiebereglers beantwortet werden. Es steht hierbei explizit die Perspektive der einzelnen Einsatzkraft zu den o. g. Items im Vordergrund.
Die Rohdaten wurden in eine Excel-Tabelle (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) übertragen und statistisch ausgewertet.

Einsatzmittel

In einer interdisziplinären und multiprofessionellen Expertengruppe, bestehend aus Leitungs- und Führungskräften des Bayerischen Roten Kreuzes sowie wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Würzburg, wurden Spezialfahrzeuge für die Untersuchung ausgewählt, welche bereits im Bayerischen Roten Kreuz in Einsatzeinheiten integriert sind, z. B. hochgeländegängiges Fahrzeug „ARGO“ (Ontario Drive & Gear, New Hamburg, Kanada) in der Schnell-Einsatz-Gruppe „Gelände, Infrastruktur, Logistik, Transport“ (Abb. 2; [3]).
Bei den untersuchten Spezialfahrzeugen ist dementsprechend davon auszugehen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage diese Spezialfahrzeuge aus eigener Erfahrung unter Realbedingungen aus Einsätzen, Sanitätswachdiensten und Übungen kennen. Ca. ein Drittel der Befragten war während der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 im Einsatz. Für das hochgeländegängige Fahrzeug, welches nicht in jedem Kreisverband zur Verfügung steht, wurden jährlich überregionale Schulungen angeboten. Tab. 1 fasst die untersuchten Spezialfahrzeuge zusammen und nennt jeweils exemplarische Einsatzzwecke.
Tab. 1
Untersuchte Spezialfahrzeuge mit jeweiligem Einsatzzweck (Beispiel)
Spezialfahrzeug
Einsatzzweck (Beispiel)
E‑Bike (Mountainbike-Variante)
Lageerkundung in schwer zugänglichen Gebieten (kleinere Gebiete, Naherkundung)
All-Terrain Vehicle (ATV)/Quad
Notfallmedizinische Erstversorgung, Materialtransport
Hochgeländegängiges Fahrzeug
Notfallmedizinische Erstversorgung, Material- und Patiententransport
Unimog
Transport von Helfern und Material (Logistik)
Sport Utility Vehicle (SUV)
Führungsfahrzeug und mobile Kommandozentrale inkl. Drohnenbasis
Geländemotorrad
Lageerkundung in schwer zugänglichen Gebieten (große Gebiete, Fernerkundung)

Ergebnisse

Insgesamt haben 455 Helferinnen und Helfer des Bayerischen Roten Kreuzes in Unterfranken an der Befragung teilgenommen (vollständiges Ausfüllen des Fragebogens). Zum Zeitpunkt der Befragung bestanden im Bayerischen Roten Kreuz in Unterfranken ehrenamtliche 17.325 Mitgliedschaften. Diese Zahl generiert sich nicht nur aus den Einsatzeinheiten, sondern aus allen Gemeinschaften (z. B. auch Wohlfahrt und Soziales), sodass die Bestimmung einer Rücklaufquote nicht adäquat erfolgen kann.
Das Alter der Teilnehmenden betrug im Median 39 Jahre (IQR: 28–51). Der jüngste Teilnehmer war zum Zeitpunkt der Befragung 16, der Älteste 77 Jahre alt. 373 (82 %) Teilnehmer waren männlich, 78 (17 %) weiblich und 4 (1 %) divers. In Tab. 2 sind deren hauptsächliches Betätigungsfeld sowie deren Dauer der Tätigkeit im Katastrophenschutz dargestellt.
Tab. 2
Hauptsächliches Betätigungsfeld und Dauer der Tätigkeit im Katastrophenschutz der befragten Helferinnen und Helfer
Hauptsächliches Betätigungsfeld
n (%)
Sanitätswachdienst/Katastrophenschutz
223 (49)
Landrettungsdienst
140 (31)
Wasserrettungsdienst
64 (14)
Bergrettungsdienst
26 (6)
Luftrettungsdienst
2 (< 1)
Dauer der Tätigkeit im Katastrophenschutz
n (%)
< 5 Jahre
81 (18)
5–10 Jahre
106 (23)
11–15 Jahre
70 (15)
16–20 Jahre
43 (10)
> 20 Jahre
155 (34)
43 % der Befragten haben eine medizinische Grundausbildung, 57 % der Befragten eine weiterführende medizinische Ausbildung angegeben. Darüber hinaus wiesen 72 % der Helferinnen und Helfer mindestens die Qualifikation „Truppführer“ oder eine darauf aufbauende Führungsausbildung vor, 28 % der Helferinnern und Helfer besaßen zum Zeitpunkt der Befragung keine Führungsqualifikation. Tab. 3 zeigt detailliert die Umfrageergebnisse zu den Fragen „höchste medizinische Ausbildung“ und „höchste Führungsausbildung“.
Tab. 3
Höchste medizinische Ausbildung und höchste Führungsausbildung der befragten Helferinnen und Helfer (aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird in der Tabelle nur die männliche Form verwendet)
Höchste medizinische Ausbildung
n (%)
Ersthelfer
12 (3)
Sanitäter
187 (41)
Rettungssanitäter
132 (29)
Notfallsanitäter/Rettungsassistent
92 (20)
Arzt
8 (2)
Notarzt
24 (5)
Höchste Führungsausbildung
n (%)
Keine
126 (28)
Truppführer
63 (14)
Gruppenführer
117 (26)
Zugführer
73 (16)
Verbandführer
23 (5)
Organisatorischer Leitera
24 (5)
Leitender Notarzta
14 (3)
Örtlicher Einsatzleiterb
15 (3)
aDer Organisatorische Leiter (OrgL) und der Leitende Notarzt (LNA) bilden in Bayern die Sanitätseinsatzleitung (SanEL) und führen operativ und taktisch den rettungsdienstlichen, sanitätsdienstlichen und betreuungsdienstlichen Einsatz
bDer Örtliche Einsatzleiter (ÖEL) übernimmt in Bayern im Katastrophenfall oder bei Ereignissen mit erhöhtem Koordinierungsbedarf unterhalb der Katastrophenschwelle die operativ-taktische Gesamteinsatzleitung (und ist somit u. a. der SanEL und der Einsatzleitung der Feuerwehr überstellt)
Die Bedeutung von Ausbildung, Ausstattung und speziellen Fahrzeugen für Einsätze im unwegsamen Gelände sowie bei zerstörter Infrastruktur wurde von den Befragten auf der Rating-Skala mit 9 (Median 4; IQR 8–10) als sehr hoch bewertet. Im Gegensatz dazu wurden für solche Einsatzlagen die Schutzausrüstung (Median 3; IQR 2–5), die Ausbildung (Median 4; IQR 3–5), die Eignung von Fahrzeugen und Ausstattung (Median 4; IQR 2–5) sowie die Einbindung moderner Einsatzmittel und Techniken (Median 4; IQR 1–6) tendenziell niedrig bewertet. Das Gefühl der Sicherheit für derartige Einsatzlagen wurde im Median bei 4 (Median; IQR 3–6) angegeben.
Die Evaluation der ausgewählten Spezialfahrzeuge (E-Bike, ATV/Quad, hochgeländegängiges Fahrzeug, Unimog, SUV und Geländemotorrad) im Hinblick auf Einsatzwert, Geländetauglichkeit, Sicherheit, Schulungs- und Wartungsaufwand ist in Abb. 3 zusammengefasst.

Diskussion

Die Großschadensereignisse und (Natur‑)Katastrophen der jüngeren Vergangenheit haben national und international das Erfordernis und die Bedeutung eines leistungsfähigen medizinischen Katastrophenschutzes hervorgehoben. Insbesondere bei überregionalen Einsätzen spielen in Deutschland die MTF eine entscheidende Rolle. Durch die vom Bund geförderten Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände ist es bereits zum jetzigen Zeitpunkt möglich, flächendeckend eine Vielzahl von Patienten medizinisch zu versorgen, zu transportieren und Bedarf in geringerem Umfang zu dekontaminieren.
Die vorliegende Studie ist mit dem Ziel entstanden, neue geländegängige Einsatzmittel zu evaluieren, um diese zukünftig in die MTF zu integrieren und dadurch möglicherweise deren Einsatzfähigkeit zu erhöhen. Der Fokus lag hierbei auf Einsatzlagen in unwegsamen Geländen und bei zerstörter kritischer Infrastruktur. Durch die Befragung von über 450 Helferinnen und Helfern der Katastrophenschutzeinheiten des Bayerischen Roten Kreuzes in Unterfranken konnten verschiedene Spezialfahrzeuge hinsichtlich Einsatzwert, Sicherheit, Geländetauglichkeit sowie Schulungs- und Wartungsaufwand strukturiert bewertet werden. Dadurch konnte eine wissenschaftliche Grundlage zur Erweiterung und Anpassung von MTF geschaffen werden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass das befragte Kollektiv einen Querschnitt durch die Helferlandschaft von MTF darstellt. Bemerkenswert ist neben der durchschnittlich langen Tätigkeit im Katastrophenschutz (34 % > 20 Jahre) der große Anteil von Helferinnen und Helfern mit weiterführender medizinischer Qualifikation und Führungsausbildung. Knapp ein Drittel der Befragten war zudem hauptberuflich im Landrettungsdienst und zeitgleich ehrenamtlich im Katastrophenschutz tätig.
Umweltkatastrophen wie Stürme, Sturzfluten oder Hochwasser können zu einer weitreichenden Zerstörung der kritischen Infrastruktur führen. Ein vergleichbares Schadensausmaß ist auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen denkbar. Die wesentlichen Herausforderungen in der Initialphase derartiger Katastrophen beziehen sich auf „search and rescue“, d. h. das Auffinden und die Rettung von Verletzten, aber auch von Menschen mit besonderen Bedürfnissen (u. a. [Klein-]Kinder, ambulant beatmete Patienten). Im Verlauf liegt dann ein weiterer Fokus neben der Sicherstellung einer (notfall-)medizinischen Erstversorgung auf der Betreuung von Betroffenen, beispielsweise durch das Errichten von Notunterkünften.
Um dieses breite Aufgabenspektrum bewältigen zu können, sind insbesondere bei zerstörter kritischer Infrastruktur (z. B. bei zerstörten Straßen und Brücken) Spezialfähigkeiten und Spezialfahrzeuge erforderlich [8]. So konnte sowohl für All-terrain Vehicles (ATV) und für Utility Terrain Vehicles (UTV; vergleichbar mit dem o. g. hochgeländegängigen Fahrzeug) als auch für Geländemotorräder, E‑Bikes und Allrad-SUV gezeigt werden, dass im Vergleich zu konventionellen Einsatzfahrzeugen eine schnellere, sicherere und effektivere notfallmedizinische Erstversorgung und Patientenrettung erfolgen kann. Die Untersuchungen erfolgten im Land‑, Berg- und Sanitätsdienst sowie bei Katastropheneinsätzen (u. a. „Superstorm Sandy“, atlantische Hurrikansaison 2012; [911]). Darüber hinaus ist in derartigen Einsatzlagen die Bewegung zu Fuß durch Spezialkräfte (z. B. Bergwacht) essenziell, um, abhängig von der jeweiligen Einsatzlage, schnell und sicher Verletzte und Betroffene zu erreichen. Hierbei muss bedacht werden, dass Patienten- und Materialtransport dann z. B. durch Luftrettung (Windenrettung) oder durch Rettungsroboter unterstützt werden muss.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie geben erste Hinweise darauf, dass die Aufgaben bei Einsätzen im „schweren Gelände“ a.e. mit ATV/Quad, hochgeländegängigem Fahrzeug, Unimog und SUV abgearbeitet werden könnten. Bei diesen Einsatzmitteln besteht auch das höchste Gefühl der Sicherheit bei den Einsatzkräften. Dem gegenüber stehen der verhältnismäßig hohe Schulungs- und Wartungsaufwand sowie die Anschaffungs- und Instandhaltungskosten. Dem E‑Bike und dem Geländemotorrad werden in der vorliegenden Studie ein niedrigerer Einsatzwert und ein eher niedriges Gefühl der Sicherheit zugeschrieben. Der finanzielle Aufwand dürfte aber deutlich geringer sein. Laut Ansicht der Autoren sollten aus den genannten Gründen ATV/Quad, hochgeländegängiges Fahrzeug und Unimog Spezialeinheiten vorenthalten sein, wohingegen E‑Bike, Geländemotorrad und SUV breitflächig im medizinischen Katastrophenschutz eingeführt werden sollten. Der „Allrounder“ für Einsatzlagen in unwegsamen Geländen und bei zerstörter kritischer Infrastruktur dürfte der Unimog sein. Zukünftig sollte ein Weg gefunden werden, dass jeder Medizinischen Task Force mindestens zwei Unimogs mit Spezialaufbauten (Winde, Kran, Wechselcontainer etc.) im Übungs- und Einsatzfall zur Verfügung stehen.
Nach Ansicht der Autoren sollten bei der Weiterentwicklung im medizinischen Katastrophenschutz unweigerlich Drohnen als weiteres Spezialeinsatzmittel bzw. als weitere Spezialfähigkeit mit einbezogen werden. Dabei ist das Einsatzspektrum dieser weit mehr als die „klassische“ Vermisstensuche. Mit der Errichtung von Funknetzen durch den Flug mit Repeatern, dem Abwurf von medizinischen Erstversorgungsmaterialien, Medikamenten und Schwimmwesten bis hin zur Erstellung von komplexen, augmentierten Lagebildern konnten verschiedenste Vorteile für den medizinischen Katastrophenschutz herausgearbeitet werden [1216]. So existiert bereits eine erste randomisiert-kontrollierte Studie, welche zeigen konnte, dass der Einsatz von Drohnen im unwegsamen Gelände das therapiefreie Intervall signifikant verkürzen kann [17]. Drohnen werden in der Fachliteratur mittlerweile als „neue Glieder der Rettungskette“ eingeordnet [18].
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich aus der dargestellten Literatur erste Hinweise ergeben, dass die Integration neuer Einsatzmittel (Spezialfahrzeuge und -fluggeräte mit Spezialfähigkeiten) in einen leistungsfähigen Katastrophenschutz zu einer Verkürzung des therapiefreien Intervalls bzw. letztendlich zur Rettung von Menschenleben beitragen kann. Diese neuen Einsatzmittel müssen vor Einführung in den Realeinsatz strukturiert evaluiert und zu einem vordefinierten Einsatzzweck eingesetzt werden. Die vorliegende Studie bietet durch die strukturierte Evaluation moderner Einsatzmittel für den Einsatz in unwegsamen Geländen und bei zerstörter kritischer Infrastruktur ein Beispiel, wie eine wissenschaftliche Grundlage zur Einführung derartiger Einsatzmittel geschaffen werden kann und dadurch eine zielgerichtete Verbesserung von Katastrophenschutzeinheiten erfolgen könnte.
Die Sicherheit für Helferinnen und Helfer sowie für Patientinnen und Patienten sollte hierbei an oberster Stelle stehen. Diese Sicherheit kann nur durch eine fundierte Ausbildung sowie durch regelmäßiges Training erreicht werden.
Die vorliegende Studie basiert auf den Erfahrungswerten von 455 Helferinnen und Helfern aus Katastrophenschutzeinheiten einer Hilfsorganisation in einem Regierungsbezirk (Unterfranken). Diese Erfahrungen sind immer auch mit dem Hintergrund der individuellen Erlebnisse im Ahrtal 2021 zu betrachten. Darüber hinaus zielt die strategische Ausrichtung der MTF 47 seit über einem Jahrzehnt auf Einsätze in unwegsamen Geländen und bei zerstörter kritischer Infrastruktur ab (Etablierung der Schnell-Einsatz-Gruppe „Gelände, Infrastruktur, Logistik, Transport“ [SEG G.I.L.T.]), sodass von einer überdurchschnittlich hohen Erfahrung und Einsatzpraxis auf diesem Gebiet auszugehen ist. Da nur organisationseigene Fahrzeuge in die Untersuchung eingeschlossen wurden, ist entsprechend keine komplette Marktübersicht möglich. Aufgrund dieser Tatsachen ist ein „Organisationsbias“ nicht auszuschließen.

Fazit

Der Einsatz von Einheiten des medizinischen Katastrophenschutzes in unwegsamen Geländen und bei zerstörter kritischer Infrastruktur stellt auf Basis jüngster Unwetterlagen ein hochrelevantes Thema dar. Durch die Einbindung moderner Einsatzmittel (E-Bike, hochgeländegängiges Fahrzeug, SUV, Unimog, Geländemotorrad, ATV/Quad) könnte das therapiefreie Intervall verkürzt werden. Die vorliegende Studie bildet eine erste wissenschaftliche Grundlage zur strukturierten Einführung derartiger Einsatzmittel.

Förderung

Diese Publikation wurde vom Open-Access-Publikationsfonds der Universität Würzburg unterstützt.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Kippnich, M. Dieckmann, U. Kippnich, H. Erhard und T. Wurmb begleiten verschiedene Leitungs- und Führungsfunktionen im Bayerischen Roten Kreuz. C. Speicher und P. Meybohm geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-024-01293-7