Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) im bayerischen Rettungsdienst: aktuelle Erkenntnisse aus dem Projekt Rettungseinsatzfahrzeug (REF)
verfasst von:
Kalina Witt, Christopher Pommerenke, Nicolas Alix, Markus Werkmann, Daniel Weitzer, Michael Städtler, Josef Pemmerl, Sebastian Lange, Gökhan Katipoglu, Stephan Prückner, Sebastian Carnarius, Johannes Gruber, Dominik von Stillfried, Michael Bayeff-Filloff
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund
Die steigende Inanspruchnahme des Rettungsdienstes stellt eine große Herausforderung für die Notfallstrukturen dar und trägt zu einer Überlastung der Notaufnahmen bei [1, 2]. In Reaktion darauf hat der Bundesgesundheitsminister Mitte Januar 2024 Eckpunkte zu einer Reform der Notfallversorgung vorgelegt [3]. Rettungsdienstpatient:innen mit weniger dringlichen Beschwerden sollen demnach vor Ort versorgt oder in die vertragsärztliche Versorgung weitergeleitet werden [4].
Durch die Einführung eines qualifizierten Rettungsmittels, welches eine medizinische Versorgung und eine Ersteinschätzung vor Ort vornehmen kann, könnten die Notfallstrukturen und das Rettungssystem entlastet werden. Hierfür wurde in Regensburg ein Rettungseinsatzfahrzeug (REF) pilotiert und evaluiert. Das REF soll in erster Linie die Einsätze übernehmen, bei denen nach strukturierter Notrufabfrage durch die Integrierte Leitstelle (ILS) kein Transport zu erwarten ist. Das Fahrzeug ist mit einem/einer erfahrenen und speziell geschulten Notfallsanitäter:in besetzt. Im Anschluss an eine standardisierte Notfalluntersuchung zum Ausschluss einer lebensbedrohlichen Situation und Fortführen eines Rettungsdiensteinsatzes nehmen die Notfallsanitäter:innen am Einsatzort, zur Ermittlung der adäquaten Weiterversorgung, seit dem 01.05.2023 eine Einschätzung, mit Unterstützung durch die Software Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED), vor. SmED ist ein Medizinprodukt der Klasse IIb MDR und findet in der telefonischen Ersteinschätzung der 116117 regelhaft Anwendung (vgl. https://smed.ziapp.de/). Mit dem Einsatz von SmED durch den Rettungsdienst soll die Handlungssicherheit im Umgang mit Patient:innen verbessert und die Vermeidung unnötiger Rettungsdiensttransporte und Krankenhauseinweisungen unterstützt werden. SmED bietet den Rettungsdienstmitarbeiter:innen eine standardisierte Entscheidungshilfe zur Dringlichkeit und zu den erforderlichen Ressourcen bzw. zur Versorgungsebene. Die Konfiguration SmED Kontakt+ für den Einsatz in ZNA wird derzeit in einer Patient:innensicherheitsstudie evaluiert [5]. In Verbindung mit der zeitgerechten digitalen Anmeldung über die Software IVENA eHealth durch die ILS in einer Praxis wird für Patient:innen eine zielgerichtete ambulante Versorgung ermöglicht.
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Methodik
Die vorliegenden Sekundärdaten wurden aus Tagesberichten seitens der Durchführenden zusammengefasst. Die Auswertung erfolgte deskriptiv mit R (Version 4.2.2 Foundation for Statistical Computing, Wien, Österreich).
Ergebnisse
Im Zeitraum vom 01.05.2023 bis 31.12.2023 wurden durch die REF’s insgesamt 1350 Einsätze gefahren (Abb. 1). Darunter befanden sich 1020 Einsätze zu medizinischen und nichtmedizinischen Hilfeleistungen (75,5 %), 167 Einsätze als First Responder (12,4 %) und 163 Gebietsabsicherungen (12,1 %).
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Bei den Fällen zur Hilfeleistung wurden bei 150 Einsätzen keine Patient:innen angetroffen. In weiteren 23 Fällen war keine der Ergebniskategorien zutreffend (z.B. Einsatz des REF für Transport medizinischer Materialien/Produkte). In den verbleibenden 847 Fällen mit Patient:innenkontakt wurde im Ergebnis in 44,4 % der Fälle eine Weiterversorgung im Krankenhaus durchgeführt (N = 376). In insgesamt 54,3 % der Fälle erfolgte vor Ort eine ambulante Hilfeleistung durch die Notfallsanitäter:innen vom REF (N = 310; 36,6 %) oder es wurde eine ambulante Weiterversorgung vermittelt (N = 150; 17,7 %). In 11 Fällen wurde eine Versorgung durch die Patient:innen verweigert (1,3 %).
In 426 Fällen (50,2 %) wurde SmED zur Einschätzung der Patient:innen herangezogen (Tab. 1).
Tab. 1
Anzahl SmED-Assessments nach Versorgungszeitpunkt und -ebene bei REF-Hilfeleistungen
Versorgungsebene
Notaufnahme
Vertragsarzt
Telekonsultation
Versorgungszeitpunkt
Notfall (unverzügliche Versorgung)
36
0
0
Schnellstmöglich (innerhalb von 2 h)
161
26
0
Innerhalb von 24 h
0
135
3
Nicht innerhalb von 24 h
0
40
25
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Bei der SmED-Empfehlung zur Versorgungsebene „Notaufnahme“ wurde in 36 Fällen der „Notfall“ als Versorgungszeitpunkt ausgegeben und in 161 Fällen eine „schnellstmögliche“ ärztliche Versorgung. Die Versorgungsebene „Vertragsarzt“ wurde in 26 Fällen dem Versorgungszeitpunkt „schnellstmöglich“, in 135 Fällen „innerhalb von 24 h“ und in 40 Fällen „nicht innerhalb von 24 h“ zugewiesen. „(Vertragsärztliche) Telekonsultation“ wurde in 3 Fällen „innerhalb von 24 h“ und in 25 Fällen „nicht innerhalb von 24 h“ empfohlen.
Schlussfolgerung
Die Anwendung einer standardisierten Ersteinschätzung im Rettungsdienst ist zentral für eine sichere Patient:innensteuerung. Hierbei wird durch eine strukturierte Abfrage die Dringlichkeit und die Zuweisung in die richtige Versorgungsebene geprüft, um für den Beschwerdeanlass die richtige Einrichtung sicher auswählen zu können [6]. SmED unterstützt mit Warnhinweisen potenziell gefährlicher Verläufe („red flags“) zu erkennen. Aufgrund der Einschätzung vor Ort gibt SmED unter anderem Informationen, ob eine Versorgung im Krankenhaus erforderlich oder eine vertragsärztliche Behandlung möglich ist. Bei der Versorgung der Patient:innen wird automatisch eine Dokumentation bzgl. der ausgeschlossenen Warnhinweise erstellt [7]. Auf Basis der Erfahrung im REF haben sich die Projektbeteiligten auf eine Machbarkeitsstudie zur Steuerung von Patient:innen aus dem Rettungsdienst mit nicht dringlichem Versorgungsbedarf (RTWAkut) in zwei Rettungsdienstbereichen in Bayern verständigt. Darin werden Machbarkeit und Akzeptanz einer Weiterleitung ambulant behandelbarer Patient:innen in die vertragsärztliche Versorgung mittels IVENA eHealth bzw. eTerminservice der Servicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung untersucht.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Werkmann, D. Weitzer, M. Städtler, J. Pemmerl, S. Lange, S. Prückner, J. Gruber und M. Bayeff-Filloff geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Das Zi stellt im Rahmen seines Satzungsauftrags die Software zur Verfügung. Im Rahmen des Projekts zum Rettungseinsatzfahrzeug (REF) erfolgte eine unentgeltliche Bereitstellung von SmED. Die Schulungen der Notfallsanitäter:innen wurden von der KV Bayerns und dem Zi aus jeweils eigenen Mitteln durchgeführt. K.Witt, C. Pommerenke, N. Alix, S. Carnarius und D. von Stillfried sind beim Zi tätig. G. Katipoglu ist bei der KV Bayerns tätig.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Kalina Witt Christopher Pommerenke Nicolas Alix Markus Werkmann Daniel Weitzer Michael Städtler Josef Pemmerl Sebastian Lange Gökhan Katipoglu Stephan Prückner Sebastian Carnarius Johannes Gruber Dominik von Stillfried Michael Bayeff-Filloff