Frage: Inwieweit ist nach einem Diebstahl geringwertiger Sachen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt?
Antwort von Martina Weber, Volljuristin (Ass. jur.): In den Medien wird immer wieder von Fällen berichtet, in denen Arbeitgeber scheinbar kleine und sogar nur angebliche Verfehlungen ihrer Mitarbeiter zum Anlass für eine fristlose Kündigung nehmen.
Besonders hohe Wellen schlug der Fall einer Berliner Kassiererin, die verdächtigt wurde, zwei von Kunden verlorene Leergutbons im Wert von 1,30 Euro an sich genommen und eingelöst zu haben. Die Kassiererin wurde fristlos gekündigt und verlor ihre Kündigungsschutzklage in erster und zweiter Instanz. Erst in dritter Instanz beim Bundesarbeitsgericht wurde ihre Kündigung für unwirksam erklärt (Emmily-Fall, Urteil vom 10. Juni 2010, Az: 2 AZR 541/09).
Das BAG begründete seine Entscheidung damit, dass die Wegnahme der Leergutbons zwar an sich als Grund für eine fristlose Kündigung nach § 626 BGB geeignet sei. In einem zweiten Prüfungsschritt sei jedoch immer eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Wegen der langen Dauer von über 30 Jahren, in der das Arbeitsverhältnis unbeanstandet bestanden habe, ging im Emmily-Fall die Interessenabwägung zu Gunsten der Kassiererin aus.
In einem Fall aus dem Jahr 2015 wurde eine Hamburger Pflegerin, die in der Zentralen Notaufnahme eines Krankenhauses arbeitete, fristlos gekündigt, weil sie für ihre Schicht und sich aus einem Kühlschrank im Pausenraum acht belegte Brötchenhälften genommen hatte, die für externe Rettungssanitäter gedacht waren.
Mit ihrer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Hamburg hatte die Pflegerin Erfolg (Urteil vom 01. Juli 2015, Az.: 27 Ca 87/15). Die Wegnahme der Brötchenhälften stellt, so das Gericht, an sich einen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Die Interessenabwägung fiel jedoch auch in diesem Fall zu Gunsten der Arbeitnehmerin aus. Folgende Gründe sprachen für sie: Lange Dauer eines beanstandungsfreien Arbeitsverhältnisses (23 Jahre), Unterhaltspflichten gegenüber zwei Kindern als alleinerziehende Mutter, sofortiges Zugeben des Fehlers, kein heimliches Handeln, kein ausschließlich eigennütziges Handeln wegen der Weitergabe der Brötchen an die Schicht sowie fehlende Wiederholungsgefahr.
Martina Weber
Volljuristin (Ass. jur.)