Skip to main content

Open Access 21.08.2023 | Teamwork + Education

Neue Chancen zur Optimierung von Schockraumbehandlungen

Pilotierung und Evaluation einer Video-live-Übertragung aus dem Schockraum in einen separaten Beobachtungsraum

verfasst von: Eva-Maria Spohr, Volker Burst, Patrick Dormann, Stefan Reimers

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Hintergrund/Problembeschreibung

Die Uniklinik Köln (UKK) verfügt in der zentralen Notaufnahme (ZNA) über mehrere Schockräume mit einer Grundfläche von jeweils ca. 40m2, welche für unterschiedliche Versorgungen genutzt werden. Für die grundsätzliche Mindestbesetzung z. B. bei der Polytraumaversorgung werden in der Regel acht Kollegen benötigt. Bei besonders komplexen Krankheitsbildern oder Unfallmechanismen werden ggf. noch zusätzliche Fachkräfte hinzugezogen.
Aufgrund ihres Status als Maximalversorger und dem hohen Grad an Akademisierung ist die UKK zudem zu einem Lehrauftrag verpflichtet. Täglich befinden sich ärztliche und pflegerische Kollegen sowie Auszubildende, Studenten und Praktikanten zur Einarbeitung und zu schulischen Zwecken in der ZNA. Eine aktive Mitwirkung an der Behandlung erfolgt jedoch erst ab einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der praktischen Ausbildung/Weiterbildung des Studiums, sodass ein gewisser Anteil der anwesenden Personen ausschließlich beobachtet. Dies führte in der Vergangenheit während diverser Behandlungen dazu, dass die räumlichen Kapazitäten der Schockräume teilweise deutlich überschritten wurden. Dieser Aspekt ist auch in Verbindung mit der S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerstverletzten-Behandlung“ zu bewerten, da sich hieraus Vorgaben hinsichtlich der maximalen Anzahl an Personen in klimatisierten Arbeitsräumen ergeben [1]. Bezogen auf die Raumgröße und unter Berücksichtigung des im Raum befindlichen Mobiliars und weiterer Ausrüstungsgegenstände ist es oft nicht möglich gewesen, die Vorgaben durchgehend einzuhalten.
Aus der Problematik heraus ist die Idee entstanden, eine Video-live-Übertragung (VLÜ) aus dem Schockraum in einen separaten Beobachtungsraum zu etablieren.

Vorgehensweise

Die systematische Einführung der VLÜ beinhaltete:
1.
Gespräche mit ärztlicher und pflegerischer Leitung, der Stabsstelle Recht und dem Datenschutzbeauftragten sowie dem klinikinternen Skills-lab-Team zur Detektion von Verbesserungen und zu berücksichtigender Randbedingungen
 
2.
Literaturrecherche über bereits vorhandene Umsetzungen einer VLÜ sowie Vor- und Nachteile dieser didaktischen Methodik
 
3.
Durchführung von strukturierten Online-Mitarbeiterbefragungen vor Implementierung unter Berücksichtigung folgender Berufsgruppen:
a.
Gesundheits- und Krankenpflege
 
b.
Fach-Gesundheits- und Krankenpflege für Intensivmedizin, Anästhesie oder Notfallpflege
 
c.
Fachärztlicher Dienst (Chef‑, Ober- und Fachärzte)
 
d.
Ärztlicher Dienst (alle weiteren Ärzte)
 
e.
Auszubildende/​Weiterbildungsteilnehmende/​Studierende (Bereich Pflege)
 
f.
Weiterbildungsteilnehmende/Studierende im praktischen Jahr (Bereich ärztlicher Dienst)
 
 
4.
Dokumentation und Auswertung der tatsächlichen Auslastung der Schockräume hinsichtlich der Anzahl anwesender Personen während der Behandlungen über einen Zeitraum von fünf Wochen vor Installation der VLÜ
 
5.
Durchführung einer sechswöchigen Pilotierung der VLÜ (18.05.–29.06.2022)
 
6.
Zweite Mitarbeiterbefragung nach Einführung der VLÜ unter gleichen Rahmenbedingungen
 

Ergebnisse der Expertengespräche

Die Expertengespräche erfolgten anhand eines vorgefertigten Gesprächsleitfadens mit insgesamt drei Fragestellungen/Themenfeldern:
  • Bewertung der Idee einer VLÜ sowie mögliche Verbesserungen
  • Besondere zu berücksichtigende Randbedingungen
  • Weitere Nutzungsmöglichkeiten
Aus Sicht der Experten sind dabei vor allem die folgenden Aspekte genannt worden:
  • Bewertung aus ärztlicher und pflegerischer Sicht:
    • Positive Bewertung der Idee
    • Auslagerung der Beobachter führt zur Reduktion des Lärmpegels
    • Steigerung der Professionalität der Behandlung möglich
    • Skepsis bzgl. einer Aufzeichnung/Speicherung – ausschließliche Befürwortung einer Live-Übertragung
  • Wichtige rechtliche und datenschutzrechtliche Randbedingungen:
    • Keine Einschränkungen bei einer Live-Übertragung ohne Aufzeichnung
    • Nutzung des Systems ausschließlich durch medizinisches Personal
    • Gleichwertig oder potenziell vorteilhaft für den Patienten
  • Hinweise des Skills-lab-Teams zu möglichen pädagogischen Lehransätzen:
    • Verbesserung der aktuellen Lern- und Beobachtungssituation ist zu erwarten
    • Ggf. Feedback an das Behandlungsteam möglich

Ergebnisse der Literaturrecherche

Im Rahmen der Literaturrecherche über Google Scholar sowie PubMed unter der Nutzung der Suchbegriffe Trauma Video Review, Video Streaming System, Lernmethoden und Didaktik konnten fünf Hauptquellen detektiert werden, die folgende Informationen zur VLÜ bieten:
  • In einer zusammenfassenden Untersuchung [3] wurden verschiedene Studien über mögliche Einsatzszenarien von Videosystemen und deren Nutzen untersucht. Alle relevanten Studien zeigten eine Verbesserung der Behandlungsqualität sowie der Ausbildung der Teilnehmer.
  • In einer weiteren Studie [4] wurden die Vorteile einer Aufzeichnung zur (Selbst‑)Bewertung des Behandlungsteams untersucht. Auch hier wurden zahlreiche Vorteile für die Patientenversorgung sowie die Bildungsmöglichkeiten ermittelt. Wichtig seien hierfür aber klar definierte Prozesse und Randbedingungen und die Notwendigkeit, initiale Hürden bei der Implementierung (u. a. Datenschutz, Kosten) zu überwinden.
  • Eine zusätzliche zusammenfassende Studie [5] befragte zahlreiche Traumazentren in den USA über deren Nutzung von Videosystemen. Die Nutzung solcher Systeme hat über den Untersuchungszeitraum stetig zugenommen und bei einem Großteil der Traumazentren zu positiven Ergebnissen geführt.
  • In der UKK selbst wird eine Videoübertragung sowie auch Videoaufzeichnung u. a. häufig und vielseitig im Bereich der Lehre eingesetzt (z. B. im „skills lab“, in kardiologischen und HNO (Hals-Nasen-Ohren) Op.-Sälen sowie im Herzkatheterlabor).
  • VLÜ als eine besondere Form von Lernmethoden
  • Für neue oder ungewohnte Fähigkeiten ist das Lernen durch Beobachtung eine bei Menschen häufig genutzte Methode, auch bekannt als „soziales Lernen“ [6].
  • Durch die Auslagerung der Beobachter in einen separaten Raum werden die Vorteile der Vor-Ort-Beobachtung im Schockraum nicht minimiert, sondern zusätzlich um die Möglichkeit einer strukturierten und kommentierten Begleitung der Situation ergänzt [7].
Zusammenfassend zeigen diese Informationen, dass in vergleichbaren Anwendungsszenarien Verbesserungen sowohl in der Patientenversorgung als auch in der Lehre beobachtet und festgestellt werden konnten.

Auswertung der Schockraumauslastung vor Inbetriebnahme der VLÜ

  • Untersuchungszeitraum über fünf Wochen
  • Dokumentation von 37 Schockraumbehandlungen mit unterschiedlichen Verletzungen und Erkrankungen
  • Durchschnittlich 8,0 (ohne Rettungsdienst) bzw. 11,3 (inkl. Rettungsdienst) Personen anwesend
  • Die maximale Personenanzahl betrug 20.
  • Bei 49 % der Schockraumbehandlungen (ohne Rettungsdienst) bzw. 92 % (mit Rettungsdienst) wurde die zulässige Personenanzahl gem. S3-Leitlinie überschritten.
  • Eine Auswertung der Auslastung mit VLÜ wurde im Rahmen des Projekts nicht durchgeführt, ist aber für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen.
Durch Expertengespräche, Literaturrecherche und Auswertung der Schockraumbelastung konnten folgende potenzielle Vorteile detektiert werden:
  • Steigerung der Behandlungsqualität:
    • Reduktion der Personenanzahl führt zur Reduktion externer Störeffekte
    • Erhöhte Konzentration des Behandlungspersonals
    • Optimierung der Zusammenarbeit im Schockraum
    • Möglichkeit zur Verbesserung der Patientensicherheit [2]
    • Möglichkeit der schnellen Aktivierung weiterer Behandlungsressourcen (Kommunikation mit den Beobachtern über Mikrofon)
  • Verbesserung der Lehre:
    • Ruhige und übersichtliche Umgebung für die Beobachter
    • Verschiedene Beobachtungsperspektiven möglich
    • Möglichkeit der Begleitung und Kommentierung durch erfahrene Mitarbeiter
    • Etablierung von neuen Lern- und Beobachtungskonzepten
  • Weitere positive Aspekte:
    • Einhaltung der Vorgaben der o. g. S3-Leitlinie
    • Reduktion möglicher negativer Auswirkungen auf die Gesundheit des Personals

Implementierung und geplante Nutzung der VLÜ

Zur VLÜ wurde ein modulares System der Fa. Rein Medical GmbH aus Mönchengladbach eingesetzt, welches aus den folgenden Komponenten besteht:
  • Im Schockraum:
    • Eine 360°-Kamera, montiert auf einem Schrank in einer Ecke des Schockraums (vgl. Abb. 1a, rote Kreismarkierung), von wo aus sowohl ein direkter Blick auf die Patiententrage gegeben ist als auch ein Überblick über den gesamten Schockraum ermöglicht wird
    • Ein Mikrofon, welches an der Decke oberhalb der Patiententrage angebracht wurde (grüne Kreismarkierung)
    • Ein Steuerungsmonitor auf der Schrankablage im hinteren Bereich des Schockraums inklusive On-air-Leuchte zur Signalisierung der Aktivität des Systems aufgebaut (blaue Kreismarkierung, Detailansicht s. Abb. 1c)
  • Im Beobachtungsraum:
    • Eine mobile Beobachtungseinheit auf einem fahrbaren Gestell bestehend aus einem 27-Zoll-Monitor mit Touch-Funktion, einem ausreichend dimensionierten Lautsprecher und den notwendigen Kabeln zur Herstellung der Netzwerkverbindung und Stromversorgung (vgl. Abb. 1b).

Prozessablauf

Sobald ein Schockraumpatient angemeldet wurde, wurde die mobile Beobachtungseinheit in einen verfügbaren und mittels organisatorischer Maßnahmen zugangsbeschränkten Raum transportiert und angeschlossen. Alle an der Schockraumversorgung beteiligten Disziplinen und Berufsgruppen wurden vor dem Start des Projekts detailliert über die Inhalte und die Durchführung informiert, das Einverständnis der unmittelbar an der Behandlung des Patienten beteiligten Personen wurde vor Start der Übertragung im Rahmen des „sign-in“ erneut mündlich eingeholt. Im Anschluss wurde die Übertragung über den Steuerungsmonitor im Schockraum erteilt (vgl. Abb. 1c). Im Schockraum selbst wurde die aktive Übertragung mittels der rot aufleuchtenden On-air-Leuchte signalisiert. Eine sofortige Beendigung auf Wunsch der im Schockraum Tätigen war zu jeder Zeit möglich. Zu keinem Zeitpunkt war eine Aufzeichnung möglich. Zur Durchführung der Pilotierung und der Mitarbeiterbefragungen wurden schriftliche Genehmigungen der zuständigen Personalräte sowie des Datenschutzbeauftragten eingeholt.

Mitarbeiterbefragungen vor und nach der Implementierung im Vergleich

Die erste Mitarbeiterbefragung diente der Ermittlung des Ist-Zustands über die Behandlungs- und Lehrsituation im Schockraum vor der VLÜ und bestand aus elf Fragen. Die zweite Mitarbeiterbefragung diente der Evaluation nach Abschluss der Pilotierung und untersuchte die Erfahrungen mit der VLÜ und bestand aus 16 Fragen. An der ersten Befragung haben insgesamt 64 Personen teilgenommen, an der zweiten Befragung 391.
Zur Evaluation des Nutzens und der Wirksamkeit der VLÜ wurden die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung inhaltlich analysiert und geclustert, wobei jeweils zwei Fragestellungen identisch waren und somit unter Anwendung des exakten Fisher-Tests (Software: R: R Core Team, Version 4.2.0, 2022) miteinander verglichen werden konnten:
  • Hinsichtlich der Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit der Schockraumbehandlung ist eine deutliche Verbesserung in allen untersuchten Aspekten festzustellen (vgl. Abb. 2). Vor allem zeigt sich dies bei den Aspekten Lehrsituation und Geräuschpegel im Schockraum. Lag der Anteil der Zufriedenheit (Merkmale „sehr zufrieden“ und „teilweise zufrieden“) aller befragten Teilnehmer vor der VLÜ nahezu in allen untersuchten Domänen bei unter oder um 50 %, so zeigten sich nach Implementierung der VLÜ signifikant (p < 0,05) höhere Werte, durchgehend > 80 %.
  • In einer zweiten zu vergleichenden Fragestellung wurde untersucht, ob eine VLÜ als hilfreich empfunden werden würde bzw. ob sie als hilfreich empfunden wurde. Vor Einführung beantworteten ca. 66 % der befragten dies mit „sehr hilfreich“ oder „etwas hilfreich“, nach der Testphase betrug der Anteil 82 % (vgl. Abb. 3, p < 0,05).
Weitere Fragestellungen der Mitarbeiterbefragungen untersuchten die Einschätzungen der Befragten hinsichtlich ihrer positiven und negativen Erfahrungen nach der Pilotierung:
  • Nach ihrer Wahrnehmung hinsichtlich des personellen „crowding“ im Schockraum befragt, gaben 79 % an, dass sie den Eindruck hatten, dass sich während der Behandlung weniger Personen im Schockraum aufgehalten haben und die Situation damit entspannter wurde.
  • Weiterhin wurde untersucht, welche Chancen und positiven Aspekte sich aus der Nutzung der VLÜ ergeben könnten (Befragung vor der Pilotierung) bzw. sich ergeben haben (Befragung nach der Pilotierung). Die erfassten Antworten wurden zur Auswertung in verschiedene inhaltliche Themenbereiche eingeteilt (vgl. Abb. 4). Einige der Aspekte wurden sowohl in der ersten als auch in der zweiten Befragung häufig genannt (z. B. der bessere Lerneffekt sowie die Verbesserung der Prozesse und Abläufe), andere Aspekte wiederum differierten stark hinsichtlich der Nennung in den beiden Befragungen (u. a. Verbesserung der Behandlungsqualität sowie die Möglichkeit zur Nachbesprechung/Feedback). Insgesamt zeigt sich jedoch, dass die im Vorhinein antizipierten Vorteile einer VLÜ auch tatsächlich eingetreten sind.
  • Hinsichtlich möglicher Herausforderungen, Risiken oder negativer Aspekte bei der Nutzung einer VLÜ zeigt sich ein deutlich verändertes Wahrnehmungsbild vor und nach der Pilotierung (vgl. Abb. 5). Waren vor der Pilotierung die beiden Aspekte „Bedenken bzgl. Datenschutz“ sowie „Gefahr der Diffamierung oder Bloßstellung“ sehr ausgeprägt, so haben beide Faktoren nach der Pilotierung deutlich an Bedeutung verloren. Vielmehr überwiegen nun positive Kommentare. Die Zunahme beim „negativen Einfluss auf das Behandlungsteam“ ist auf statistische Gründe zurückzuführen. Da bei der zweiten Befragung weniger Personen teilgenommen haben, hat der (in absoluten Zahlen gleichbleibende) Anteil an Antworten (jeweils 5) einen prozentual größeren Einfluss auf das Ergebnis. Nichtsdestotrotz sollte dieser Aspekt weiter untersucht werden.

Beobachtungen während der Nutzung der VLÜ

Es konnten während der Nutzung der VLÜ die folgenden Aspekte beobachtet werden:
  • Anhand der Rückmeldungen der Mitarbeitenden kann auf eine subjektive Reduktion der Personenanzahl im Schockraum rückgeschlossen werden.
  • Die Anwesenheit von Oberärzten und supervidierenden Fachärzten während der initialen Schockraumbehandlung im Beobachtungsraum entspannte die Situation im Schockraum.
  • Trotz der Auslagerung des Fachpersonals konnte die Behandlungsqualität durch die Anwesenheit eines Oberarztes sichergestellt werden.
  • Durch die Tonübertragung war eine schnelle Anforderung weiterer Pflegekräfte oder Ärzte möglich.

Limitation

Das beschriebene Pilotprojekt wurde im Rahmen einer Abschlussarbeit zur Weiterbildung Notfallpflege umgesetzt, aufgrund der Begrenzung des zeitlichen Rahmens sowie der notwendigen innerklinischen Prozessabläufe war es verschiedenen Limitationen ausgesetzt.
Die Teilnahme an den Befragungen erfolgte auf freiwilliger und anonymer Basis, sodass sich die abweichenden Teilnehmerzahlen der ersten und zweiten Befragung aufgrund unbekannter Umstände ergeben. Mögliche Gründe sind die beginnende Urlaubszeit während der zweiten Befragung (Juni 2022) sowie der parallel laufende Streik zum TV‑E. Trotz des vorliegenden Bias innerhalb beider Befragungen wird von einer Aussagekraft der Ergebnisse ausgegangen, da die Ergebnisse der Befragungen deutliche Tendenzen zeigen und zudem eine statistische Signifikanz festgestellt wurde.
Im Rahmen dieses Pilotprojekts wurde noch keine strukturierte Funktion eines Kommentators implementiert. Trotzdem zeigte sich bereits kurz nach Start des Projekts, dass nicht an der Behandlung beteiligte Ärzte und erfahrene Pflegekräfte auch ohne vorher festgelegte Rollenverteilung die Funktion des Kommentators übernahmen. Dies erfolgte jedoch ohne vorherige Absprache und definierten Umfang. Ein umfassendes Konzept zur Kommentierung und Begleitung wird nach Umsetzung der geplanten Festinstallation des Systems erarbeitet, umgesetzt und evaluiert.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Etablierung einer VLÜ aus dem Schockraum in einen separaten Beobachtungsraum ist auf Basis der ausführlichen Informationssammlung sowie der Überprüfung im Rahmen einer Pilotierung abschließend als sinnvoll und zweckmäßig zu bewerten. Das System wird als sehr hilfreich empfunden und bietet zahlreiche positive Aspekte für die Beobachter, die Mitarbeitenden im Schockraum und auch für die Patienten. Nach Auswertung aller Ergebnisse und einer innerklinischen Diskussion wird eine Installation des Systems in einem der Schockräume der UKK im Laufe des Jahres 2023 geplant. Der Umfang und die Ausgestaltung der Nutzung sind dazu unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Aspekte vorzunehmen sowie an einen stetigen Entwicklungsprozess anzupassen. So ist anhand der gesammelten und hier vorgestellten Informationen festzustellen, dass ein Videosystem viele Nutzungsmöglichkeiten bieten kann. Über den bisherigen Nutzungsumfang hinaus wäre es z. B. denkbar, das System um eine Videoaufzeichnung zu erweitern, um bestehende Prozesse zu verbessern oder um Lehrvideos aus den Schockraumbehandlungen zu gewinnen. Diese könnten dann mittels entsprechender Technologien – ähnlich wie in Anwendungsfällen in den USA oder Kanada – anonymisiert aufgezeichnet werden, um den Datenschutz des Patienten als auch der Mitarbeitenden zu gewährleisten [8]. Ein weiteres Verbesserungspotenzial besteht in der Ausarbeitung eines Konzepts zur fachlichen Begleitung und Kommentierung im Beobachtungsraum durch einen erfahrenen und entsprechend ausgebildeten ärztlichen und/oder pflegerischen Moderator. Mögliche Anwendungen sind beispielweise die Nutzung von Beobachtungsprotokollen und Checklisten zur Einhaltung verschiedener Algorithmen sowie die Möglichkeit, diese Dokumente in die Nachbesprechung des Schockraums einzubeziehen. Dadurch wird eine kontinuierliche Steigerung der Behandlungsqualität im Schockraum angestrebt und den Beobachtern die Möglichkeit gegeben, standardisierte Behandlungsprozesse nachzuvollziehen. Innerhalb der Kernarbeitszeiten ist den Personen im Beobachtungsraum, welche von der Übertragung im Sinne der Lehre profitieren sollen, eine Bezugsperson zugewiesen (durch überlappende Schichten entsprechende Fachärzte für Studenten sowie Praxisanleiter mit Weiterbildung Notfallpflege für Pflegende und Praktikanten), sodass von der Möglichkeit einer kontinuierlichen Kommentierung auszugehen ist.
Weitere statistische Erhebungen in Bezug auf die tatsächliche Reduktion der Anwesenden im Schockraum, die unterschiedlichen Möglichkeiten der Lehre mit der VLÜ und die Möglichkeit einer dauerhaften Kommentierung während der Übertragung über die Kernarbeitszeiten hinaus sind geplant.

Fazit für die Praxis

1.
VLÜ bietet das Potenzial, die Anzahl der anwesenden Personen im Schockraum, die nicht an der Behandlung beteiligt sind, zu reduzieren.
 
2.
Optimierung der Arbeitsqualität im Schockraum (u. a. Steigerung der Behandlungsqualität, verbesserte Kommunikation und Reduktion des Lärmpegels) wurde nachgewiesen.
 
3.
VLÜ eröffnet neue Möglichkeiten zur Verbesserung der Lehre, ohne dass die Lernenden im Behandlungsraum anwesend sein müssen.
 
4.
Machbarkeit und Umsetzung der VLÜ wurden prinzipiell nachgewiesen, weitere Nutzungskonzepte können anwendungsspezifisch umgesetzt werden (z. B. Ausweitung der Nutzung mit einer zusätzlichen fachlichen Begleitung, Prüfung der Möglichkeit von anonymisierten Aufzeichnungen sowie Erarbeitung von Konzepten zum Debriefing).
 

Danksagung

Ein besonderer Dank gilt Philippe Valentin, Clara Monaca und Thomas Einheuser für die umfangreiche Unterstützung während der gesamten Projektphase.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

E.-M. Spohr, V. Burst, P. Dormann und S. Reimers geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Notfall + Rettungsmedizin

Print-Titel

• Praxisorientierte Leitthemen für die optimale Behandlung von Notfallpatienten

• Interdisziplinäre Ansätze und Konzepte

• Praxisnahe Übersichten, Fallberichte, Leitlinien und Empfehlungen

Springer Pflege Klinik – unser Angebot für die Pflegefachpersonen Ihrer Klinik

Mit dem Angebot Springer Pflege Klinik erhält Ihre Einrichtung Zugang zu allen Zeitschrifteninhalten und Zugriff auf über 50 zertifizierte Fortbildungsmodule.

Fußnoten
1
Hinweis: Nicht jede Fragestellung wurde von allen Befragten beantwortet, sodass sich bei den im Folgenden beschriebenen Auswertungen unterschiedliche Stichprobenmengen n ergeben.
 
Literatur
3.
Zurück zum Zitat Quirion A, Nikouline A et al (2021) Contemporary uses of trauma video review: a scoping review. Can J Emerg Med 23:787–796CrossRef Quirion A, Nikouline A et al (2021) Contemporary uses of trauma video review: a scoping review. Can J Emerg Med 23:787–796CrossRef
6.
Zurück zum Zitat Rumjaun A, Narod F (2020) Theorie des sozialen Lernens – Albert Bandura. In: Akpan B, Kennedy TJ (Hrsg) Science Education in Theory and Practice. Springer-Texte in der Bildung. Springer, Cham Rumjaun A, Narod F (2020) Theorie des sozialen Lernens – Albert Bandura. In: Akpan B, Kennedy TJ (Hrsg) Science Education in Theory and Practice. Springer-Texte in der Bildung. Springer, Cham
7.
Zurück zum Zitat Wolf KD (2015) Video-Tutorials und Erklärvideos als Gegenstand, Methode und Ziel der Medien-und Filmbildung. Filmbildung Im Wandel 2:121–131 Wolf KD (2015) Video-Tutorials und Erklärvideos als Gegenstand, Methode und Ziel der Medien-und Filmbildung. Filmbildung Im Wandel 2:121–131
8.
Zurück zum Zitat Ren Z, Yang Y et al (2022) Demo: a multi-perspective video streaming system with privacy preservation in trauma room. IEEE/ACM 7th Symposium on Edge Computing (SEC), Seattle, USA Ren Z, Yang Y et al (2022) Demo: a multi-perspective video streaming system with privacy preservation in trauma room. IEEE/ACM 7th Symposium on Edge Computing (SEC), Seattle, USA
Metadaten
Titel
Neue Chancen zur Optimierung von Schockraumbehandlungen
Pilotierung und Evaluation einer Video-live-Übertragung aus dem Schockraum in einen separaten Beobachtungsraum
verfasst von
Eva-Maria Spohr
Volker Burst
Patrick Dormann
Stefan Reimers
Publikationsdatum
21.08.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-023-01185-2