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Erschienen in: Hebammen Wissen 5/2023

01.09.2023 | Hebammen Praxis

Nachgefragt ...... bei PD Dr. Frank Jochum

Erschienen in: Hebammen Wissen | Ausgabe 5/2023

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Muttermilch ist das Beste für den Säugling. Doch nicht immer können oder wollen Mütter vollumfänglich stillen. Für diesen Fall steht eine Vielzahl unterschiedlicher Flaschen- und Saugersysteme zur Verfügung. Der Pädiater mit Schwerpunkt Neonatologie gibt Tipps, worauf zu achten ist - wobei das Füttern mehr als nur Nahrungsaufnahme ist.
Herr Dr. Jochum, die erste Frage vieler Eltern bezieht sich auf das Flaschenmaterial - Plastik oder Glas: Was empfehlen Sie?
Jochum: Egal ob man sich nun für Glas oder Kunststoff entscheidet, Bedenken wegen materialbedingter Verunreinigungen muss man nicht haben. Die verwendeten Materialen sind - in Europa - so gut kontrolliert, dass gesundheitsgefährdende Stoffe wie Bisphenol A kein Thema sind. Phthalate, die in der Vergangenheit durchaus ein Problem darstellten, dürfen heute in den Kunststoffen der Flaschensysteme nicht mehr enthalten sein. Die in neuen Glasflaschen zu findenden geringen Mengen Aluminiumstaub sind ebenfalls zu vernachlässigen. Da aber Glas starrer ist als Kunststoff, muss das Kind stärker saugen, um Milch aus der Flasche zu bekommen. Dieser "Nachteil" kann durch die Wahl des richtigen Saugersystems wettgemacht werden.
Einige Sauger sind ergonomisch dem Gaumen des Babys angepasst oder anatomisch der Mutterbrust nachempfunden. Haben solche speziellen Formen Vorteile?
Jochum: Form, Größe und Widerstand des Materials sind entscheidend für die Funktionalität eines Saugersystems. Entsprechend werben die Hersteller mit ergonomisch geformten und damit auf die Bedürfnisse des Kindes optimal zugeschnittenen Produkten. Doch leider hält die Werbung nicht immer, was sie verspricht. Grundsätzlich aber sind ergonomisch angepasste Systeme wünschenswert.
Welche Eigenschaften zeichnen einen "guten" Sauger aus?
Jochum: Er sollte zu einem ähnlichen Trinkverhalten führen, wie man es bei Kindern beobachtet, die gestillt werden. Der Widerstand des Flaschensaugersystems sollte so konzipiert sein, dass eine ähnliche Kraft beim Saugen aufgebracht werden muss wie an der Brust. Die Form sollte zu einer ähnlichen Zungenbewegung wie beim Stillen führen. Durch die Öffnung des Saugers sollte bei jedem Schluckvorgang eine ähnliche Milchmenge gesaugt werden können.
Bei einem "guten" Sauger ist der Schaft bezüglich der Elastizität der Oberfläche und der Form möglichst der Brust angepasst. Dadurch wird auch eine zu weite Mundöffnung beim Saugen vermieden. Das Material darf nicht zu weich sein, und der Sauger sollte analog der Brustanatomie nicht abgeschrägt sein. Ob latexhaltig oder latexfrei macht in Bezug auf die Physiologie keinen Unterschied, für das allergene Potenzial hingegen schon.
Worauf ist zu achten, wenn Mütter zwar vorwiegend stillen, aber zwischendurch auch mit der Flasche füttern möchten? Wie groß ist das Risiko einer "Saugverwirrung"?
Jochum: Bekannt ist, dass das Nutzen von Saugertrinksystemen den Trinkvorgang im Vergleich zum Trinken an der Brust etwas modifiziert. Der ideale Sauger wurde bislang noch nicht entwickelt. Die gute Nachricht dabei: Kinder sind offenbar anpassungsfähig. Untersuchungen ergaben, dass gestillte und mit der Flasche gefütterte Kinder eine Mischung aus beiden Trinkverläufen ausbilden. Das, was als Saugverwirrung beschrieben wird, war in Studien nicht zu beobachten. Für die Eltern heißt das: Brust und Flasche können kombiniert werden, ohne eine Saugverwirrung zu riskieren. Das Trinken an der Flasche hat aber unbestritten Nachteile: Der Körperkontakt ist bei Flaschenfütterung deutlich geringer als beim Stillen, das erschwert die direkte Interaktion von Mutter und Kind.
Welche besonderen Ansprüche stellen Frühgeborene an Saugersysteme und wie können sie an die Brust herangeführt werden?
Jochum: Sauger für Frühgeborene müssen anders konfiguriert sein als für reifgeborene Kinder. Besonders bei den sehr unreifen Frühgeborenen ist die Brust nicht das optimale Vorbild; denn diesen Kindern fehlt oft noch die nötige Kraft. Daher müssen die Saugerflaschensysteme für Frühgeborene leichter zu entleeren sein. Trinksauger können dabei einen hervorragenden Trainingseffekt haben. Deshalb wird Frühgeborenen mittlerweile - oft zunächst zum "Training" neben dem Nuckeln an der Brust - ein Sauger angeboten. Mit Fortschreiten der körperlichen Entwicklung wird dann mehr und mehr der Trinkmenge aus der Flasche getrunken und im weiteren Verlauf immer wieder die Brust angeboten, bis eine Flaschenfütterung nicht mehr notwendig ist, weil die Kraft für die komplette Nahrungsaufnahme aus der Brust ausreicht und dann voll gestillt werden kann.
Das Interview führte Dr. Dagmar Kraus
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Metadaten
Titel
Nachgefragt ...... bei PD Dr. Frank Jochum
Publikationsdatum
01.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Hebammen Wissen / Ausgabe 5/2023
Print ISSN: 2730-7247
Elektronische ISSN: 2730-7255
DOI
https://doi.org/10.1007/s43877-022-0729-2

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