Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit in der Ausbildung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe
- Open Access
- 26.06.2025
Zusammenfassung
Hintergrund
Interprofessionelle Arbeit erlangt im Rahmen der Gesundheitsversorgung eine immer größere Relevanz, um eine qualitativ hochwertige, patientenorientierte Versorgung auch zukünftig zu gewährleisten. Für das Gelingen dieser komplexen Aufgabe ist eine Verzahnung der unterschiedlichen Professionen von großer Bedeutung (Lützenkirchen 2005). Der demografische Wandel, das veränderte Krankheitsspektrum und die sich wandelnden Bedürfnisse der Patienten erfordern ein effektives Schnittstellenmanagement und eine verstärkte Kooperation der Gesundheitsfachberufe. Gemeinsame Absprachen und Übergänge zwischen den Versorgungssektoren sind dabei noch nicht genügend entwickelt (Walkenhorst 2018). In der Praxis wird somit vermehrt deutlich, dass Kommunikationsbarrieren die Zusammenarbeit der unterschiedlichen therapeutischen Professionen wie Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie behindern. Viele Auszubildende in den Gesundheitsfachberufen sind derzeit nicht genügend vorbereitet, um anschließend adäquat interprofessionell im Gesundheitssystem zu agieren (Wissenschaftsrat 2023; Frenk et al. 2010).
Die steigenden Anforderungen an die Patientenversorgung und Gesundheitsförderung verlangen eine Anpassung der Kompetenzprofile der Gesundheitsfachberufe (Pundt und Kälble 2023; Robert Bosch Stiftung 2011). Hierbei spielen sowohl fachlich-methodische Kompetenzen als auch erweiterte personale und soziale Fertigkeiten eine wichtige Rolle (Babitsch et al. 2018). Neben interprofessionellen Lehrveranstaltungen gewinnt die grundlegende Qualifizierung von Therapeuten in den Gesundheitsfachberufen hinsichtlich interprofessioneller Kommunikation sowie einer interprofessionellen Fachsprache daher an Bedeutung (Pundt und Kälble 2023; Robert Bosch Stiftung 2011).
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Im Rahmen des Forschungsprojekts von Babitsch et al. (2018) ergab die curriculare Analyse der Gesundheitsberufe zu Kompetenzanforderungen im Rahmen multi-/interprofessioneller Kooperation, dass interprofessionelle Kooperation in den Curricula der gesundheitswissenschaftlichen Therapieberufe kaum berücksichtigt wird und die Kompetenzen im Bereich Kommunikation unzureichend vermittelt werden (Babitsch et al. 2018; Behrend et al. 2020). Eine mögliche Grundlage interprofessioneller Kompetenz ist die Fähigkeit, einander berufsgruppenübergreifend zu verstehen. Die Anwendung einer gemeinsamen Sprache scheint entsprechend elementarer Bestandteil der Kommunikation im interprofessionellen Team zu sein (Weichert et al. 2020; Giacomini 2004). Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der World Health Organization (2005) bietet eine Grundlage für eine gemeinsame Sprache und Vorgehensweise im Gesundheitswesen und gibt damit einen Rahmen für eine klientenzentrierte, interprofessionelle Kommunikation und Patientenversorgung (Brandes et al. 2022; Allan et al. 2006; World Health Organization 2005). Nur wenn die unterschiedlichen Professionen einander verstehen und dabei Fachterminologie adäquat angewandt und verstanden wird, kann eine hochwertige Patientenversorgung resultieren. Transparenz, Vergleichbarkeit und Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen werden durch die Anwendung der ICF im klinischen Kontext verstärkt (Posenau und Handgraaf 2021; Bickenbach 2009; World Health Organization 2005).
Die ICF leistet daher ein wichtiges Grundgerüst in der Anpassung der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen und der anschließenden interprofessionellen Kooperation (Geertzen et al. 2011). Für die therapeutischen Gesundheitsberufe stellt die Nutzung der ICF und die damit verbundene interprofessionelle Kompetenz eine Chance dar, die Behandlungsstruktur und die Kooperation mit Ärzten weiterzuentwickeln und somit ein gleichberechtigtes Arbeiten zu ermöglichen. Die Weiterentwicklung der Interprofessionalität erfordert eine wissenschaftliche Bearbeitung auf der Basis von Forschung. Der Aufbau interprofessioneller Kompetenz und damit die Kompetenzforschung gelten als ein wichtiger Forschungsstrang im Rahmen der Betrachtung von Interprofessionalität im Gesundheitswesen (Walkenhorst 2016; World Health Organization 2013).
Im Rahmen der Untersuchung wurde sich aufgrund der inhaltlichen Nähe und ähnlichen Ausbildungsstrukturen auf die drei therapeutischen Gesundheitsfachberufe Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie spezialisiert, welche im interdisziplinären Team der therapeutischen Patientenversorgung sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting im engen Austausch miteinander stehen.
Die Ausbildungen in der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie werden über die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen zunächst bundeseinheitlich geregelt (ErgThG 1976; LogopG 1980; MPhG 1994). Die inhaltliche Ausgestaltung jedoch obliegt den einzelnen Bundesländern bzw. den individuellen Schulen, welche sowohl in staatlicher als auch in privater Trägerschaft stehen können. Entsprechend liegen neben den schulinternen Curricula unterschiedliche Vorgaben der Bundesländer vor. Der Großteil der Bundesländer hat keine einheitlichen Ausbildungsrichtlinien bzw. Rahmenlehrpläne in allen drei Fachbereichen. Sofern Rahmenlehrpläne zur Verfügung stehen, sind diese in einigen Bundesländern als empfehlende Richtlinien zu sehen, in anderen Bundesländern dagegen als verpflichtende Richtlinien, die durch die Schulen umgesetzt werden müssen.
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In der Ergotherapie haben zum Zeitpunkt der Erhebung die Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg- Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein keine Ausbildungsrichtlinien. Empfohlene Ausbildungsrichtlinien sind in Nordrhein-Westfalen und Thüringen gegeben. Verpflichtende Ausbildungsrichtlinien in der Ergotherapie sind in den Bundesländern Bayern, Berlin, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt vorhanden (Tab. 1).
Tab. 1
Gruppierung der Bundesländer in Kategorien für den Fachbereich Ergotherapie
Bundesland-Gruppe 1: keine Richtlinien | Bundesland-Gruppe 2: empfehlende Richtlinien | Bundesland-Gruppe 3: verpflichtende Richtlinien |
---|---|---|
Baden-Württemberg Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein | Nordrhein-Westfalen Thüringen | Bayern Berlin Niedersachen Sachsen Sachsen-Anhalt |
Für die Logopädie stellen zum Zeitpunkt der Erhebung die Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein keine Ausbildungsrichtlinien zur Verfügung. Empfohlene Ausbildungsrichtlinien liegen lediglich in Nordrhein-Westfalen vor. Verpflichtende Ausbildungsrichtlinien für die Logopädie gibt es in Bayern, Sachsen und Thüringen (Tab. 2).
Tab. 2
Gruppierung der Bundesländer in Kategorien für den Fachbereich Logopädie
Bundesland-Gruppe 1: keine Richtlinien | Bundesland-Gruppe 2: empfehlende Richtlinien | Bundesland-Gruppe 3: verpflichtende Richtlinien |
---|---|---|
Baden-Württemberg Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein | Nordrhein-Westfalen | Bayern Sachsen Thüringen |
Für den Fachbereich Physiotherapie liegen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Saarland, Thüringen und Berlin keine Ausbildungsrichtlinien vor. Empfohlene Ausbildungsrichtlinien gibt es in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Verpflichtende Ausbildungsrichtlinien in der Physiotherapie finden sich in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wieder (Tab. 3).
Tab. 3
Gruppierung der Bundesländer in Kategorien für den Fachbereich Physiotherapie
Bundesland-Gruppe 1 keine Richtlinien | Bundesland-Gruppe 2 empfehlende Richtlinien | Bundesland-Gruppe 3 verpflichtende Richtlinien |
---|---|---|
Baden-Württemberg | Niedersachen Nordrhein-Westfalen Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen | Bayern Mecklenburg-Vorpommern |
Brandenburg | ||
Bremen | ||
Hamburg | ||
Hessen | ||
Saarland | ||
Thüringen | ||
Berlin | ||
Rheinland-Pfalz | ||
Schleswig-Holstein |
Anhand der oben beschriebenen Zuordnungen der Bundesländer zu den Richtlinien ergeben sich in den einzelnen Fachbereichen drei Bundesländergruppen, welche zur Analyse der Ergebnisse genutzt wurden: Bundeslandgruppe 1: keine Richtlinien, Bundeslandgruppe 2: empfehlende Richtlinien, Bundeslandgruppe 3: verpflichtende Richtlinien.
Forschungsfragen
Als Forschungsfrage stellt sich, ob Auszubildende und Studierende der Gesundheitsfachberufe Kompetenzen, bezogen auf die ICF als Fachsprache, im Rahmen ihrer Ausbildung/Studiums erlangen können. Es wird der Kenntnisstand der ICF ermittelt, um eine Aussage über die Grundlage interprofessioneller Kompetenzen und Fähigkeiten von Absolventen der Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie treffen zu können. Ziel ist es, den Status quo der Implementierung der ICF in diesen drei Gesundheitsfachberufen anhand einer empirischen Studie zu erheben und weiterführend zu erörtern. Ferner wird neben der Betrachtung der Curricula durch eine Fallvignette der Kompetenzstatus der Auszubildenden/Studierenden, bezogen auf die ICF als Fachsprache, ermittelt und somit ein Bezug zur Fähigkeit der interprofessionellen Kommunikation dargestellt. Spezifisch stellen sich entsprechend folgende Forschungsfragen für die vorliegende Erhebung:
1.
Ist eine Kompetenzvermittlung der ICF in der Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie Bestandteil der Richtlinien zu Ausbildung/Studium?
2.
Erwerben Auszubildende und Studierende im Rahmen ihrer Ausbildung/ihres Studiums laut Curriculum Kenntnisse zur Anwendung der ICF?
3.
Besteht ein Unterschied im Kenntnisstand der ICF zwischen Auszubildenden/Studierenden der Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie?
4.
Besteht ein Unterschied im Kenntnisstand der ICF zwischen Auszubildenden und Studierenden?
5.
Besteht ein Unterschied in der Kompetenzvermittlung der ICF zwischen keinen, verbindlichen und empfohlenen Ausbildungsrichtlinien in der Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie?
Methode
Im Rahmen der Erhebung eines Status quo bezüglich der Kenntnisse der ICF-Fachbegriffe in der Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie wird eine Mixed-Methods-Querschnittstudie durchgeführt. Die Erhebung erstreckte sich auf den Zeitraum von Oktober 2021 bis Juni 2022.
Die Untersuchung umfasst dabei die Ermittlung der Unterrichtsinhalte, bezogen auf die ICF innerhalb der Fachschulen, Hochschulen und bundeslandspezifischen Ausbildungsrichtlinien, sowie den Kenntnisstand von Auszubildenden und Studierenden der drei Fachbereiche hinsichtlich der Fähigkeit, die ICF-Fachbegriffe im fachlichen Kontext richtig zu nutzen, um somit Rückschlüsse auf die interdisziplinäre Kommunikationsfähigkeit ziehen zu können. Die Untersuchung wurde im Bundesgebiet Deutschland durchgeführt, in welchem aufgrund des Föderalismus unterschiedliche Rahmenpläne oder Ausbildungsrichtlinien hinsichtlich der Ausbildungsinhalte in den einzelnen Bundesländern vorgegeben bzw. empfohlen werden.
Im Rahmen der Erhebung wurde eine möglichst große Teilnehmerzahl sowohl im Bereich der Fachschulen als auch im Bereich der Hochschulen/Berufsakademien angestrebt. Hierzu wurde versucht, alle Fachschulen und Hochschulen der Fachbereiche Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie deutschlandweit anzuschreiben. Die Ansprache der Auszubildenden und Studierenden erfolgte ausschließlich über die Einrichtungen und nicht persönlich, sodass abschließend nicht eindeutig definiert werden kann, wie viele Auszubildende und Studierende Zugang zu dem Fragebogen erhielten. Die fachschulischen und hochschulischen Ausbildungseinrichtungen wurden zwischen Oktober 2021 und Juni 2022 per E‑Mail oder postalisch kontaktiert. Die Berufsfachschulen, Berufsakademien und Hochschulen erhielten hierbei Informationen zu Titel, Hintergrund, Studiendesign und Ablauf der Untersuchung. In dieser Mail wurde der Link zur Online-Befragung der SchülerInnen und StudentInnen bereitgestellt, mit der Bitte, diesen innerhalb der Bildungseinrichtung der vorgegebenen Kohorte zur Verfügung zu stellen und um Teilnahme zu bitten. Die Verbreitung des Links erfolgte durch die Einrichtung im Rahmen der Versendung per Mail, über Campusplattformen und/oder über Aushänge am schwarzen Brett. Ebenso wurden die Fachschulen und hochschulischen Einrichtungen in Rahmen der Anschreiben um die Informationen, bezogen auf die Curricula und die Inhalte der ICF, gebeten. Insgesamt wurden Kontakte von 367 Schulen und Hochschulen/Berufsakademien deutschlandweit angeschrieben. Hierunter fallen 123 Bildungseinrichtungen der Ergotherapie, 174 Bildungseinrichtungen der Physiotherapie und 70 Bildungseinrichtungen der Logopädie. Weiterhin wurden der Verteiler des VDP sowie der Verteiler des VDES genutzt, um die Reichweite des Fragebogens zu vergrößern. Die unterschiedliche Verteilung der Anzahl der angeschriebenen Schulen/Hochschulen/Berufsakademien auf die Fachbereiche Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie entspricht der deutschlandweiten Verteilung, wonach aktuell laut dem Deutschen Verband der Ergotherapeuten e. V (2019b) 188 Ausbildungseinrichtungen in der Ergotherapie, laut dem Deutschen Verband für Physiotherapie ZVK (2021) 255 Ausbildungseinrichtungen in der Physiotherapie und laut dbl e. V (2024) 75 Ausbildungseinrichtungen in der Logopädie in Deutschland zur Verfügung stehen (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e. V., 2019b; ZVK 2021; dbl e. V. 2024).
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In der ersten Erhebungsrunde wurde der Wissensstand der Auszubildenden und Studierenden hinsichtlich der ICF-Fachbegriffe zum Ende des Theorieteils der Ausbildung untersucht (4. oder 6. Semester). Hierzu wurde die Fallvignette von Allan et al. (2006) mit Genehmigung der Autoren ins Deutsche übersetzt und zunächst in einem dreistufigen Validationsprozess inhaltlich validiert. Die Fallvignette umfasst ein Patientenbeispiel, in welchem 25 Items den entsprechenden ICF-Fachbegriffen (Körperfunktionen und Körperstrukturen, Gesundheitsproblem, Aktivität, Teilhabe, Umwelt, personenbezogene Faktoren) zugeordnet werden müssen. Die Vignette und ihre deklarierte Items erfassen alle wesentlichen Kriterien der ICF. Zum einen wird durch die Items der Kategorie „Körperfunktionen und -strukturen“ sowie „Aktivität und Partizipation (Teilhabe)“ der Bereich Funktionsfähigkeit und Behinderung abgedeckt, zum anderen wird durch die Items der Kategorien „Umweltfaktoren“ und „personenbezogene Faktoren“ der Bereich Kontextfaktoren inkludiert (World Health Organization 2005). Somit wird eine umfassende Darstellung der ICF-Fachbegriffe innerhalb der Fallvignette gewährleistet. Im Rahmen der Auswertung des Fragebogens werden die Antworten der Befragten als entweder „richtig“ oder „falsch“ bewertet. Aufgrund der Einfachzuordnung ist entsprechend nur eine richtige Antwort möglich. Insgesamt konnten 25 Punkte erzielt werden.
Die Daten aus den Online-Umfragebogen (Fallvignetten) wurden zunächst als Rohdaten in Microsoft Excel 2011 übertragen. Dabei wurden die Antworten der Multiple-Choice-Fragen in eine nummerische Codierung transkribiert. Die Auswertung erfolgte anschließend mit der Statistik Software SPSS (IBM, Statistical Package for the Social Sciences, USA, Version 28.0).
In Bezug auf die Befragung der Teilnehmenden an der Online-Befragung wurden zunächst in der deskriptiven Auswertung sowohl Häufigkeiten, Mittelwerte als auch Standardabweichungen ermittelt. Es erfolgte anschließend eine Berechnung von Zusammenhängen und Unterschieden zwischen den Variablen. Diese waren nominal oder ordinal skaliert.
Die Auswertung erfolgte auch bei fehlender Normalverteilung wegen Robustheit der Varianzanalyse und der relativ großen Stichprobe mit parametrischen Testverfahren. Hierbei war die Zielvariable jeweils der Prozentsatz der richtigen Antworten in der untersuchten Gruppe. Anschließend wurde der Einfluss unabhängiger Variablen (Fachbereich, Ausbildungsform, Bundesland) auf die jeweilige Zielvariable mithilfe von Varianzanalysen (ANOVA) überprüft. Zur Überprüfung der paarweisen Vergleiche erfolgten der Games-Howell- und der Bonferroni-korrigierte Post-hoc-Test (Leonhart 2022; Johnson und Christensen 2008). Das Signifikanzniveau wurde bei p < 0,05 festgelegt.
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In der zweiten Erhebungsrunde erfolgte eine systematische Erfassung der Vermittlung der Inhalte der ICF als interdisziplinäre Arbeits- und Kommunikationsgrundlage in den Ausbildungsrichtlinien bzw. den Curricula und Modulhandbüchern der Ausbildungs- und Studieneinrichtungen. Diese wurden hinsichtlich des Stundenumfangs der Unterrichtsinhalte zum Thema ICF (Nennung und Stundenzahl in den Curricula) als auch hinsichtlich der inhaltlichen Einordnung in den interdisziplinären Kontext betrachtet. Da nicht für alle Curricula einheitliche Analysemöglichkeiten gegeben waren, erfolgte keine statistische Auswertung.
Ergebnisse
Ergebnisse der Fallvignette
Bis Ende Juni 2022 wurden 401 Fragebogen vollständig beantwortet und konnten in die Stichprobe mitaufgenommen werden (n = 401). Die 401 zur Auswertung genutzten Fragebogen sind auf die drei Fachbereiche Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie aufgeteilt. Hierbei nehmen die Ergotherapieauszubildenden und -studierenden mit 188 Fragebogen (47 %) den größten Anteil, die Physiotherapieauszubildenden und -studierenden mit 148 Fragebogen (37 %) den zweitgrößten Anteil und die Logopädieauszubildenden und -studierenden mit 65 Fragebogen (16 %) den geringsten Anteil ein. Die Fragebogen verteilen sich auf drei unterschiedliche Ausbildungsformen: die Fachschulausbildung, die ausbildungsintegrierten Studiengänge und die primärqualifizierenden Studiengänge. Insgesamt befinden sich 292 Teilnehmende (72,8 %) aktuell in einer Fachschulausbildung, 104 Teilnehmende (25,9 %) absolvieren ein ausbildungsintegriertes Studium und lediglich 5 Teilnehmende (1,3 %) absolvieren ein primärqualifizierendes Studium (Tab. 4).
Tab. 4
Verteilung der Stichprobe (n = 401) auf die Fachbereiche und Ausbildungsformen
Fachbereich | Fachschulausbildung | Ausbildungsintegriertes Studium | Primärqualifizierendes Studium | Gesamt, Fachbereiche |
---|---|---|---|---|
Ergotherapie | 150 | 34 | 4 | 188 |
Physiotherapie | 101 | 46 | 1 | 148 |
Logopädie | 41 | 24 | 0 | 65 |
Gesamt, Ausbildungsform | 292 | 104 | 5 | 401 |
Im Rahmen der Geschlechterverteilung ist ein deutlicher Unterschied zwischen männlich und weiblich zu beobachten. Dies entspricht der allgemeinen prozentualen Verteilung innerhalb der Gesundheitsfachberufe, wobei ca. 93 % der Logopäden, 86 % der Ergotherapeuten und 75 % der Physiotherapeuten weiblich sind (Optica 2021). So sind in der vorliegenden Stichprobe 348 Teilnehmerinnen weiblich (86,8 %), 52 Teilnehmer männlich (13 %) und 1 Teilnehmende:r divers (0,2 %).
Innerhalb der Stichprobe von 401 Teilnehmenden sind 74 Teilnehmende 20 Jahre oder jünger (18,5 %), 292 Teilnehmende zwischen 21 und 30 Jahre alt (72,8 %), 23 Teilnehmende zwischen 31 und 40 Jahre alt (5,7 %) und 12 Teilnehmende 41 Jahre oder älter (3 %).
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Insgesamt haben Teilnehmende aus 14 Bundesländern an der Befragung teilgenommen. Es absolvierten 60 Teilnehmende ihre Ausbildung/Studium in Baden-Württemberg, 25 in Bayern, 47 in Berlin, 4 in Brandenburg, 7 in Bremen, 5 in Hamburg, 27 in Hessen, 7 in Mecklenburg-Vorpommern, 48 in Niedersachsen, 81 in Nordrhein-Westfalen, 46 in Rheinland-Pfalz, 12 im Saarland, 9 in Sachsen und 29 in Schleswig-Holstein.
Zur Hypothesenüberprüfung wurde zunächst ausgewertet, ob Unterschiede zwischen den Ausbildungsarten Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie erkennbar sind. Ebenso wurde betrachtet, ob es Unterschiede zwischen den jeweiligen Ausbildungsformen innerhalb der Ausbildungsarten gibt.
Es wurden die gesamten richtigen Antworten zwischen den Ausbildungsarten und -formen untersucht. Aufgrund der Vermischung mit den anderen Formen und der geringen Stichprobengröße der Teilnehmenden des primärqualifizierenden Studiums (n = 5) wurden die Ergebnisse dieser Personen nicht in die Gesamtauswertung einbezogen, was zu einer Stichprobengröße von n = 396 führte. Eine Betrachtung des Effekts der Ausbildungsart in der Gesamtstichprobe (n = 401) zeigte, verglichen mit der folgenden Analyse, keine Unterschiede.
Fachbereiche (Forschungsfrage 3)
Die Ergebnisse der Auswertung der Fragebogen der Fallvignette ergaben, dass die Ergotherapie bessere Ergebnisse erzielte als die Physiotherapie (MWDiff = 3,64, p < 0,001) und die Logopädie (MWDiff = 2,60, p < 0,001). Im weiteren Vergleich konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Fachbereichen evaluiert werden (Tab. 5).
Tab. 5
Deskriptive Statistiken: richtige Antworten, getrennt nach Fachbereich und Ausbildungsform
Form | Art | Mittelwert | Standardabweichung | n |
---|---|---|---|---|
Ausbildung | ET | 18,78 | ±4,06 | 150 |
LP | 18,32 | ±3,13 | 41 | |
PT | 15,76 | ±4,69 | 101 | |
Studium | ET | 21,76 | ±4,33 | 34 |
LP | 17,04 | ±3,13 | 24 | |
PT | 17,52 | ±4,35 | 46 |
Ausbildungsart (Forschungsfrage 4)
Insgesamt gaben Studierende signifikant mehr richtige Antworten als Auszubildende (MWDiff = 1,15, p = 0,024).
Im Vergleich zwischen Ausbildung und Studium in den einzelnen Fachbereichen schnitten Studierende der Ergotherapie besser ab als Auszubildende der Ergotherapie (MWDiff = 2,97, p < 0,001). Ebenso schnitten Studierende der Physiotherapie besser ab als Auszubildende der Physiotherapie (MWDiff = 1,76, p = 0,018). Innerhalb der Ausbildung schnitten Auszubildende der Ergotherapie (MWDiff = 3,03, p < 0,001) sowie der Logopädie (MWDiff = 2,56, p = 0,003) besser ab als Auszubildende der Physiotherapie.
Im Rahmen des Studiums erzielten Ergotherapeuten bessere Ergebnisse als Physiotherapeuten (MWDiff = 4,24, p < 0,001) und Logopäden (MWDiff = 4,72, p < 0,001; Tab. 5).
Richtliniengruppen der einzelnen Bundesländer (Forschungsfrage 5)
In der Betrachtung der Richtliniengruppen konnten keine Unterschiede innerhalb der Ergotherapie und innerhalb der Logopädie festgestellt werden. In der Physiotherapie schnitten Bundesländer mit keinen Ausbildungsrichtlinien besser ab als Bundesländer mit verbindlichen Ausbildungsrichtlinien (MWDiff = 5,80, p < 0,001). Ebenso schnitten in der Physiotherapie Bundesländer mit empfehlenden Ausbildungsrichtlinien besser ab als Bundesländer mit verbindlichen Richtlinien (MWDiff = 4,43, p = 0,002).
In der Bundesländergruppe mit keinen Ausbildungsrichtlinien erzielte die Ergotherapie bessere Ergebnisse als die Physiotherapie (MWDiff = 2,25, p = 0,003) und die Logopädie (MWDiff = 2,25, p = 0,003). In der Bundesländergruppe mit empfehlenden Ausbildungsrichtlinien erzielte die Ergotherapie ebenfalls bessere Ergebnisse als die Physiotherapie (MWDiff = 3,143, p = 0,002). In der Bundesländergruppe mit verpflichtenden Ausbildungsrichtlinien erzielten sowohl die Ergotherapie (MWDiff = 7,74, p < 0,001) als auch die Logopädie (MWDiff = 8,57, p < 0,001) bessere Ergebnisse als die Physiotherapie (Tab. 6).
Tab. 6
Deskriptive Statistiken, getrennt nach Ausbildungsrichtlinien und Fachbereichen
Richtlinien | Art | Mittelwert | Standardabweichung | n |
---|---|---|---|---|
Keine | ET | 19,84 | ±4,72 | 82 |
LP | 17,59 | ±3,11 | 51 | |
PT | 17,23 | ±3,69 | 78 | |
Empfohlene | ET | 19,00 | ±3,99 | 45 |
LP | 17,88 | ±3,40 | 8 | |
PT | 15,86 | ±5,53 | 63 | |
Verbindliche | ET | 19,16 | ±3,81 | 61 |
LP | 20,00 | ±2,97 | 6 | |
PT | 11,43 | ±2,22 | 7 |
Itemkategorien der ICF
Zusätzlich wurde ermittelt, ob und inwiefern Unterschiede innerhalb der verschiedenen Itemkategorien der ICF zu ermitteln sind. Innerhalb der Itemkategorie „personenbezogene Faktoren“ konnten keine Unterschiede festgestellt werden.
In der Itemkategorie „Umweltfaktoren“ konnte die Ergotherapie bessere Ergebnisse als die Physiotherapie (MWDiff = 1,36, p < 0,001) erzielen. Innerhalb der Ausbildung sind die Ergotherapie und die Logopädie besser als die Physiotherapie, innerhalb des Studiums die Ergotherapie besser als die Physiotherapie und die Logopädie. Generell schneiden Ergotherapiestudierende besser ab als Ergotherapieauszubildende.
Die Kategorie „Körperstrukturen und Körperfunktionen“ zeigt ebenfalls Unterschiede zwischen den Ausbildungsarten. Hierbei schnitten Ergotherapeuten besser ab als Physiotherapeuten (MWDiff = 1,33, p < 0,001) und Logopäden (MWDiff = 0,087, p = 0,002). In den Itemkategorien „Aktivität“ (MWDiff = 0,56, p < 0,001) und „Teilhabe“ (MWDiff = 0,35, p = 0,027) schnitt die Ergotherapie besser als die Physiotherapie ab.
In der Kategorie „Gesundheitsproblem“ schnitten ebenfalls die Ergotherapeuten besser ab als die Logopäden (Odds Ratio von 0,201, p < 0,001). Zusätzlich schnitten in dieser Kategorie auch die Physiotherapeuten besser ab als die Logopäden (Odds Ratio von 0,199, p < 0,001).
Ergebnisse der Betrachtung der Curricula und Ausbildungsrichtlinien
In der Analyse der Curricula und Rahmenlehrpläne wurde betrachtet, ob und inwiefern die ICF in den Ausbildungsstrukturen verankert ist. Hierzu wurde spezifisch nach dem Begriff ICF und den dazugehörigen Fachbegriffen gesucht, wobei analysiert wurde, in welchen Fächern die ICF in den Curricula zum Tragen kommt. Innerhalb der Rahmenlehrpläne wurde die Anzahl der Nennungen der ICF analysiert.
Insgesamt wurden 53 Curricula und 18 Ausbildungsrichtlinien in die Analyse einbezogen.
In der Ergotherapie wurden insgesamt 16 Curricula, in der Physiotherapie 22 Curricula und in der Logopädie 15 Curricula analysiert. Darüber hinaus wurden insgesamt 7 Ausbildungsrichtlinien in der Ergotherapie, 7 Ausbildungsrichtlinien in der Physiotherapie sowie 4 Ausbildungsrichtlinien in der Logopädie im Hinblick auf die Implementierung der ICF betrachtet.
Im Rahmen der Betrachtung der Curricula der Ergotherapie wurden 10 Fachschulcurricula und 6 Hochschulcurricula betrachtet. Innerhalb der Betrachtung der Curricula der Physiotherapie wurden 14 Fachschulcurricula und 8 Hochschulcurricula analysiert. In der Betrachtung der Curricula der Logopädie wurden 9 Fachschulcurricula sowie 6 Hochschulcurricula analysiert.
Ausbildungsrichtlinien (Forschungsfrage 1)
In der Betrachtung der Ausbildungsrichtlinien konnte ermittelt werden, dass die Implementierung in den Richtlinien professions- und bundeslandabhängig ist. In der Ergotherapie ist eine Kompetenzvermittlung der ICF-Inhalte in die empfehlenden Ausbildungsrichtlinien in Nordrhein-Westfalen und Thüringen implementiert. Ebenso sind die ICF-Inhalte in den verpflichtenden Richtlinien der Bundesländer Berlin und Niedersachsen wiederzufinden. In den Bundesländern Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die ICF kein Inhalt der Ausbildungsrichtlinien. In der Logopädie ist die ICF inhaltlich in die empfehlenden Ausbildungsrichtlinien Nordrhein-Westfalens integriert. In den verpflichtenden Ausbildungsrichtlinien ist die ICF in der Logopädie in keinem der weiteren Bundesländer (Bayern, Sachsen und Thüringen) implementiert. Innerhalb der Physiotherapie ist die ICF in den empfehlenden Ausbildungsrichtlinien in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen implementiert, nicht jedoch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Während Mecklenburg-Vorpommern in seinen Ausbildungsrichtlinien keine ICF-Inhalte aufweist, ist in Bayern die ICF Bestandteil der verpflichtenden Ausbildungsrichtlinien (Tab. 7).
Tab. 7
Analyse der Ausbildungsrichtlinien der Bundesländer (Anzahl der Nennungen)
Anzahl der Nennungen | |
---|---|
Ergotherapie, empfehlende Richtlinien | |
Nordrhein-Westfalen | 8 |
Thüringen | 15 |
Ergotherapie, verpflichtende Richtlinien | |
Bayern | 0 |
Berlin | 10 |
Niedersachen | 3 |
Sachsen | 0 |
Sachsen-Anhalt | 0 |
Logopädie, empfehlende Richtlinien | |
Nordrhein-Westfalen | 3 |
Logopädie, verpflichtende Richtlinien | |
Bayern | 0 |
Sachsen | 0 |
Thüringen | 0 |
Physiotherapie, empfehlende Richtlinien | |
Niedersachsen | 1 |
Nordrhein-Westfalen | 2 |
Sachsen | 0 |
Sachsen-Anhalt | 0 |
Thüringen | 0 |
Physiotherapie, verpflichtende Richtlinien | |
Bayern | 7 |
Mecklenburg-Vorpommern | 0 |
Curricula (Forschungsfrage 2)
Die Auswertung der Curricula zeigt, dass in der Ergotherapie die ICF in allen 16 betrachteten Curricula der Fachschulen und Hochschulen verankert ist. Innerhalb der Physiotherapie konnte die ICF als Inhalt ebenfalls in allen 22 betrachteten Curricula wiedergefunden werden. In der Logopädie ist die ICF in 13 der 15 betrachteten Curricula verankert. Ausmaß, Intensität und inhaltliche Einbettung sind in allen drei Fachbereichen stark heterogen (Tab. 8).
Tab. 8
Analyse der Curricula der Ausbildungseinrichtungen
Fachbereich | Curricula mit ICF/Curricula, Gesamt | Fachliche Einbettung | Anzahl der Curricula |
---|---|---|---|
Ergotherapie | 16/16 | ET-Grundlagen | 11 |
Befunderhebung | 6 | ||
Dokumentation | 3 | ||
Anatomie | 1 | ||
Prävention und Rehabilitation | 1 | ||
Fachsprache | 2 | ||
Fallkonstruktionen | 12 | ||
Physiotherapie | 22/22 | Befunderhebung | 13 |
Therapieplanung | 12 | ||
„Clinical reasoning“ | 6 | ||
Einsatz in der Praxis | 4 | ||
Berufskunde | 1 | ||
Prävention und Rehabilitation | 1 | ||
Sprache und Schrifttum | 1 | ||
Psychologie | 1 | ||
Dokumentation | 3 | ||
Kommunikation | 1 | ||
Interdisziplinäre Projekte | 1 | ||
Logopädie | 13/15 | Therapieplanung | 7 |
Befund | 4 | ||
Praxisausbildung | 4 | ||
Modelle | 5 | ||
Soziologie | 2 | ||
Interprofessionelles Arbeiten | 1 | ||
Fachsprache | 1 | ||
Clinical reasoning | 1 |
Diskussion
Die vorliegenden Daten werden für eine Tendenzanalyse genutzt; diese soll Hinweise darauf geben, welche Maßnahmen zukünftig notwendig sein könnten, um dem Anspruch an die interprofessionellen Kompetenzen der therapeutischen Gesundheitsfachberufe gerecht zu werden. Aufgrund der Limitationen und der Datenmenge kann jedoch nicht von Kausalzusammenhängen ausgegangen werden.
Richtlinien und Curricula
Die Inhalte der Ausbildungen richten sich nach den entsprechenden Berufsgesetzen der einzelnen Fachbereiche: Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten (Ergotherapeutengesetz, ErgThG) aus 1976, Gesetz über den Beruf des Logopäden (Logopädengesetz, LogopG) aus 1980 und Gesetz über die Berufe der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz, MPhG) aus 1994. Diese und die dazugehörigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen stellen die einzige verbindliche Vorgabe, welche für alle Bundesländer gleichermaßen gültig ist, dar (Konrad et al. 2015). Die Inhalte der Berufsgesetze beschränken sich auf die Darstellung der zu unterrichtenden Fächer, stellen jedoch keinesfalls eine detaillierte Aufstellung der Inhalte der Ausbildungen dar, sodass ein großer Gestaltungsspielraum der einzelnen Schulen gegeben ist. Entsprechend ist von einer starken Heterogenität in der Ausbildungslandschaft der Gesundheitsfachberufe auszugehen.
Zukunftsweisend ist festzuhalten, dass die stark reduzierten und veralteten gesetzlichen Vorgaben berufspolitisch innerhalb der Novellierung der Berufsgesetze tendenziell angepasst werden sollten. Dieser Prozess ist für alle Gesundheitsfachberufe durch das Bundesgesundheitsministerium bereits in Planung und wird von den jeweiligen Berufsverbänden inhaltlich unterstützt (Bundesgesundheitsministerium 2020). Für den Fachbereich Physiotherapie liegt hierzu seit 2024 ein erster Referentenentwurf zum neuen Berufsgesetz vor; welcher weiterhin im Rahmen der Verbände und Bundesregierung diskutiert wird. Hierbei sollte neben der Kompetenzorientierung der interprofessionellen Versorgung und Kommunikation ein hoher Stellenwert zugeschrieben werden. Eine Vereinheitlichung sowie eine interprofessionelle Betrachtung der Curricula sind notwendig, um das reale Berufsprofil abzubilden. Hierzu könnte die ICF als gemeinsame Kommunikationsgrundlage einen Teil der Grundlage zur interprofessionellen Zusammenarbeit abbilden und so ihren Beitrag zu einer Weiterentwicklung von Kooperation und Austausch von Fachleuten aus verschiedenen Gesundheitsberufen leisten.
Fachbereiche
Betrachtet man die Definitionen der Berufsverbände der einzelnen Fachbereiche, kann aufgezeigt werden, dass die Ergotherapie im Vergleich zu den anderen Fachbereichen die Fachbegriffe und die Grundsätze der ICF bereits durch ihren ganzheitlichen und betätigungsorientierten Ansatz mit Einbezug der Umwelt in ihren Grundlagen enthält. Es ist daher möglich, dass die Teilnehmenden der Ergotherapie auch ohne spezifische ICF-Kenntnisse die Items den Begriffen der ICF zuordnen konnten, da diese Teil der ergotherapeutischen Grundannahmen und Fachsprache sind.
Ausbildungsform
Wenn davon auszugehen ist, dass die Studierenden tendenziell insgesamt, wie in den Ergebnissen der vorliegenden Studie beschrieben, eine höhere Kompetenz hinsichtlich der Nutzung der ICF-Fachbegriffe aufweisen, könnte dies im Hinblick auf die Vermittlung interprofessioneller Kompetenzen für die Ausbildungsberufe nicht nur eine dahingehende Aktualisierung der Richtlinien erfordern, sondern auch einen Fokus auf eine großflächigere Akademisierung und/oder Umstrukturierung und Anpassung der Ausbildungsstrukturen bedeuten.
Im Rahmen der Diskussion zur Akademisierung der Gesundheitsfachberufe spielen daher auch die Themen der interprofessionellen Versorgung und Lehre eine zentrale Rolle. So kann über die Akademisierung die interprofessionelle Zusammenarbeit und damit eine Verbesserung der Versorgungsqualität angestrebt werden. Innerhalb des hochschulisch ausgearbeiteten Kompetenzprofils wird den Themen der Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit im Rahmen interprofessionellen Handelns eine hohe Bedeutung zugeschrieben (Walkenhorst 2022; Hochschulrektorenkonferenz 2021).
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse dieser Arbeit spiegeln zum einen die Heterogenität der Bildungslandschaft der Gesundheitsfachberufe in Deutschland wider. Zum anderen machen sie deutlich, dass die seit mittlerweile Jahrzehnten bestehende und weiterhin andauernde Diskussion hinsichtlich der Novellierung der Berufsgesetze und Akademisierung der Gesundheitsfachberufe einer zeitnahen, klaren, richtungweisenden Struktur, welche neben einer Vereinheitlichung v. a. den interprofessionellen Fokus beinhalten sollte, bedarf. Die ICF als fächerübergreifender Leitfaden vermittelt die Bedeutung und praktischen Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen interprofessioneller Kommunikation in den Gesundheitsfachberufen und macht den Ansatz der ICF für die interdisziplinäre Zusammenarbeit deutlich. Es zeigen sich im Rahmen dessen auch der Fokus auf eine akademische Ausrichtung in den Gesundheitsfachberufen und eine Notwendigkeit der Steigerung der Akademisierungsquote zur Sicherstellung einer optimalen Patientenversorgung, wofür ein interprofessionelles Arbeiten unabdinglich ist.
Limitationen
Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Querschnittstudie, wodurch keine Aussagen über mögliche Kausalbeziehungen getroffen werden können. Um eine Aussage bezüglich eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs treffen zu können, bedarf es zusätzlicher empirischer Arbeiten mit einem zumindest längsschnittlichen Untersuchungsdesign. Dadurch könnte auch eine höhere Aussagekraft bezüglich der Anwendung der ICF erzielt werden.
Eine weitere Limitation der vorliegenden Untersuchung besteht in der Stichprobengröße und einer nichtmöglichen Berechnung der genauen Rücklaufquote, da aus Datenschutzgründen nicht ermittelt werden konnte, wie viele Auszubildende und Studierende in den jeweiligen Ausbildungseinrichtungen gemeldet sind und an wie viele Auszubildende und Studierende der Link zur Befragung tatsächlich weitergeleitet wurde. Dennoch liegt die Anzahl der zurückgesendeten Fragebogen mit n = 413 durchaus in einem positiven Bereich, sodass auf jeden Fall valide Aussagen in Bezug auf die Ergebnisse erlaubt sind. Trotzdem erscheint die Übertragbarkeit der Ergebnisse nicht zuletzt aufgrund der Stichprobengröße sowie der Heterogenität der föderalistischen Richtlinien als eingeschränkt. Auch dies gilt es, bei der Betrachtung sowie der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen. Ebenso ist eine größere Stichprobe hinsichtlich der betrachteten Curricula für eine höhere Aussagekraft der Ergebnisse von großer Bedeutung, wobei der „social-desirability bias“ weiterhin als wichtiger Störfaktor betrachtet werden muss. Auf den Bias der sozialen Erwünschtheit könnte zurückzuführen sein, dass Schulen und Hochschulen, die die ICF in ihre Curricula integriert haben, tendenziell eher ihre Curricula zur Verfügung gestellt haben. Dies lässt sich ebenso auf die Teilnahme der Auszubildenden und Studierenden, welche die ICF an ihrer Fachschule oder Hochschule gelehrt bekommen haben, übertragen.
Interessenkonflikt
F. Thöny und S. Fleßa geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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