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08.09.2023 | Eltern + Kind | Online-Artikel

Überarbeitete Leitlinie

Elf Maßnahmen, um einen plötzlichen Kindstod zu verhindern

"Wir wissen viel besser als früher, was wir tun können, um das Risiko zu minimieren"

verfasst von: Dr. Nicola Zink

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In der überarbeiteten Leitlinie wurden elf Ratschläge zusammengetragen, mit dem sich das Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) verhindern lassen kann. Eine rauchfreie Umgebung und Schlafen in Rückenlage sind dabei wesentlich. Wir haben Prof. Christian Poets aus Tübingen zu den Empfehlungen befragt.

Prof. Dr. med. Christian Poets
Leitung der Abteilung für Neonatologie und des pädiatrischen Schlaflabors Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Tübingen

„Es gibt keine Risikofaktoren, die so spezifisch wären, dass sie Präventionsmaßnahmen für spezielle Risikogruppen rechtfertigen würden - alle Tipps zur Prävention, die hier gegeben werden, gelten daher für alle Säuglinge“.

Herr Prof. Poets, wie häufig tritt der plötzliche Kindstod ("sudden infant death syndrome", SIDS) heutzutage auf?

Prof. Dr. Christian Poets: Die Häufigkeit ist von 1,5 auf 0,1 auf 1.000 Lebendgeborene zurückgegangen.

Gibt es besondere Risikogruppen?

Poets: Grundsätzlich haben Kinder rauchender Mütter und Frühgeborene ein erhöhtes Risiko, es gibt aber keine Risikofaktoren, die so relevant sind, dass sie spezielle Präventionsmaßnahmen für einzelne Risikogruppen rechtfertigen würden.

Welche Empfehlungen zur Risikominimierung sind wissenschaftlich gesichert und können Eltern mitgegeben werden?

Poets: Das ist genau das Thema der Leitlinie, die dazu folgende Empfehlungen gibt:

  1. Das Kind zum Schlafen auf den Rücken legen und dabei eine feste und waagerechte Unterlage benutzen.
  2. Den Säugling tagsüber, solange er wach ist, regelmäßig für kurze Zeit auch auf den Bauch legen.
  3. Überwärmung sollte vermieden werden: Während der Nacht ist eine Raumtemperatur von 18 °C optimal, anstelle einer Bettdecke empfiehlt sich die Verwendung eines Baby-Schlafsacks in altersentsprechender Größe.
  4. Falls die Eltern keinen Schlafsack verwenden möchten, sollte darauf geachtet werden, dass das Kind nicht mit dem Kopf unter die Bettdecke rutschen kann, indem es so ins Bett gelegt wird, dass es mit den Füßen am Fußende anstößt.
  5. Auf Kopfkissen, Fellunterlagen, "Nestchen", gepolsterte Bettumrandungen und größere Kuscheltiere, mit denen sich das Kind überdecken könnte, sollte verzichtet werden.
  6. Es wird davon abgeraten, das Kind zum Schlafen fest einzuwickeln.
  7. Das Kind sollte im elterlichen Schlafzimmer, jedoch im eigenen Kinderbett schlafen.
  8. Es sollte auf eine rauchfreie Umgebung, auch schon während der gesamten Schwangerschaft geachtet werden.
  9. Im ersten Lebensjahr sollte möglichst für mindestens vier bis sechs Monate gestillt werden.
  10. Zum Schlafengehen wird dazu geraten, dem Kind einen Schnuller anzubieten.

In der aktuellen Leitlinie wird auch auf die "tummy time" hingewiesen, sprich: Zeit, die ein Säugling in Bauchlage verbringen soll. Wie sollte diese aussehen?

Poets: Eine gewisse Zeit in Bauchlage ist zur Kräftigung der Rückenmuskulatur durchaus sinnvoll, dann sollte das Kind aber unter Beobachtung sein, damit es nicht plötzlich unbemerkt einschläft.

Empfohlen wird unter anderem auch, dem Kind nachts einen Schnuller zu geben. Warum? Und was tun, wenn die Kinder den Schnuller ablehnen?

Poets: Nach sicherer Etablierung des Stillens ist ein Schnuller bezüglich des Stillens völlig unbedenklich. Gleichzeitig senkt seine Verwendung aber relevant das Kindstodrisiko, weswegen wir seine Verwendung empfehlen, sobald mit dem Stillen alles gut klappt. Der Schnuller ist aber nicht so wichtig, dass das Kind dazu gezwungen werden sollte, ihn zu nehmen. Schlafen ohne Schnuller ist also auch o.k., nur sollte er grundsätzlich zum Schlafen angeboten werden.

Die Leitlinie behandelt auch den plötzlichen Säuglingstod unmittelbar nach der Geburt. Was ist dabei wichtig?

Poets: Das umfasst unsere Empfehlung Nummer 11: Dass Fälle von plötzlichem Säuglingstod bereits unmittelbar nach Geburt auftreten können, ist eine relativ neue Erkenntnis. In dieser Situation kommen häufig mehrere Risikofaktoren zusammen, die wir sonst konsequent vermeiden: Das Kind liegt in Bauchlage auf der Brust der Mutter, diese ist von der Geburt noch erschöpft, außerdem kann das Kind, zugedeckt auf dem warmen Bauch der Mutter liegend, leicht überwärmt werden. Diese Fälle kommen offenbar vor allem durch eine Verlegung der Atemwege, zum Beispiel an der mütterlichen Brust, zustande. Daher sind Eltern darauf hinzuweisen, stets auf freie Atemwege bei ihrem Kind zu achten.

Welche "alten" Tipps, die jungen Eltern vielleicht gegeben werden, sind mittlerweile widerlegt und sollten vermieden werden? Wie steht es etwa mit dem "Pucken", also dem festen Einwickeln des Kindes in ein Tuch?

Poets: Kinder brauchen auch im Schlaf Bewegungsfreiheit, sie sollten daher nicht eng eingewickelt werden. Sonst wüsste ich keine Ratschläge, bei denen man durch Aufklärung gegenhalten muss.

Wie sinnvoll sind Schlafüberwachungssysteme?

Poets: Es wurde nie gezeigt, dass derartige Geräte in der Lage sind, den plötzlichen Säuglingstod zu vermeiden. Im Gegenteil, es gibt eher Hinweise, dass sie mit einem höheren Kindstodrisiko assoziiert sind, möglicherweise, weil die Aufmerksamkeit der Eltern damit auf das Gerät gelenkt wird und nicht auf das Kind. Außerdem kann es durch häufige Fehlalarme zu Schlafstörungen kommen. Wir raten von diesen Geräten daher ausdrücklich ab.

Gibt es neue Erkenntnisse dazu, wieso es zum plötzlichen Kindstod kommt?

Poets: Das ist leider nach wie vor das große ungelöste Rätsel. Möglicherweise ist überwiegend ein Ersticken im Schlaf hierfür verantwortlich. Die Frage ist aber dann, warum sich das Kind nicht durch Aufwachen aus der erstickenden Situation befreien kann. Das Gute ist jedenfalls, dass wir viel besser als früher wissen, was wir tun können, um das Risiko zu minimieren, nämlich durch Befolgung der oben genannten Maßnahmen.

Das Interview führte Dr. Nicola Zink.

Dieser Beitrag erschien in der Pädiatrie 3/2023.

S1-Leitlinie: Prävention des plötzlichen Säuglingstods

AWMF-Register-Nr.: 063-002
Federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM)
Stand: 11/2022; gültig bis: 11/2027

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