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06.04.2017 | Demenz | Nachrichten

Psychopharmaka im Heim oft Dauermedikation

verfasst von: Anno Fricke

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Heimbewohnern werden zu viele Psychopharmaka verordnet, stellt der AOK-Pflegereport fest. Nichtmedikamentöse Betreuung und mehr Arztkontakt könnten Gegenstrategien sein.

© Arno Burgi / ZB / picture-alliance / dpa

800.000 Menschen in Deutschland leben in Pflegeheimen, mehr als die Hälfte ist älter als 85 Jahre. Ein bis zwei Drittel von ihnen gelten als von einer Demenz betroffen. Auf genaue Zahlen konnten sich die Wissenschaftler bislang nicht festlegen.

Die Gesundheitsweise Professor Petra Thürmann ist sich jedoch sicher, dass die Medikation der Menschen in Altenheimen verbesserungswürdig sei. So erhielten 43 Prozent der Menschen mit einer Demenz in Heimen Neuroleptika verschrieben, oft über Jahre, aber nur 24 Prozent Antidementiva. "Der breite und dauerhafte Einsatz von Neuroleptika bei Pflegeheimbewohnern verstößt gegen die Leitlinien, sagte die Pharmakologin Thürmann, die dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen angehört, bei der Vorstellung des AOK-Pflege-Reports 2017 am Mittwoch in Berlin.

Neuroleptika: nicht zur Dauerbehandlung bei Demenz

Menschen, die an einer Demenz leiden, seien unruhig, verbal und sogar physisch aggressiv, sagte Thürmann. Diese Auffälligkeiten ließen sich durch Neuroleptika dämpfen. Tatsächlich entspreche das aber nicht dem Zulassungsstatut. Neuroleptika seien als Medikamente zur Behandlung von krankhaften Wahnvorstellungen bei eher jüngeren Patienten entwickelt. In Ausnahmefällen können laut Thürmann Neuroleptika auch bei Psychosen von an einer Demenz erkrankten Menschen eingesetzt werden. Empfohlen sei die Gabe dann aber lediglich für Zeiträume unterhalb von sechs Wochen.

In der Versorgungsrealität in den Heimen scheint es zu Medikationen von einem Jahr und länger zu kommen. Das bestätigen die 2500 Pflegekräfte, die das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) für den Pflege-Report dazu befragt hat. 64 Prozent der Bewohner erhielten demnach für länger als ein Jahr Psychopharmaka. Vier von fünf Pflegekräften hielten diesen Verordnungsumfang für angemessen. Noch mehr lobten die leichte Erreichbarkeit von Ärzten, wohl auch, um schnell auf die Verordnung von Psychopharmaka hinwirken zu können. "Das Problembewusstsein der Pflegekräfte muss hier offensichtlich geschärft werden", sagte Dr. Antje Schwinger vom WIdO. Zudem sollten Pflegekräfte besser darauf geschult werden, einsetzende Nebenwirkungen von Medikamenten zu erkennen.

Ursache Personalmangel?

Die Verantwortlichkeiten aus Sicht der AOK sind klar. "Die Verantwortung für die Verordnung liegt beim Arzt. Punkt!", so Martin Litsch. Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands wollte keine Korrelation zwischen Personalmangel und Umfang der Medikation herstellen. Die sei nicht belegbar. Es dürfe nicht sein, dass Ärzte über Quartale die Patienten nicht sähen, sondern nur Rezepte ausstellten.

Petra Thürmann ergänzte, dass die Psychopharmaka in der Regel von Neurologen, Psychiatern und Gerontologen verordnet würden, weniger von den Hausärzten. Wegen fehlender Abstimmung der Ärzte untereinander seien die Patienten oft der Wirkung regelrechter Psychopharmaka-Cocktails ausgesetzt, sagte Thürmann. Geboten sei ein enger Kontakt von Heimen mit wenigen Ärzten, die dafür mehr Bewohner betreuten. Dann werde die Versorgung übersichtlicher und für den einzelnen Arzt lohne sich öfterer Besuch im Heim.

Nichtmedikamentöse Betreuung ist den meisten Pflegekräften bekannt. Zu mehr als 80 Prozent sind sie auch von deren positiver Wirkung überzeugt. Aufgrund von Arbeitsverdichtung und Zeitmangel werde auf nichtmedikamentöse Interventionen zumindest teilweise auch verzichtet, berichtet mehr als die Hälfte der Pflegekräfte.

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