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26.04.2024 | Demenz | Nachrichten

Demenzkranke durch Antipsychotika vielfach gefährdet

verfasst von: Dr. Beate Schumacher

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Wenn Demenzkranke aufgrund von Symptomen wie Agitation oder Aggressivität mit Antipsychotika behandelt werden, sind damit offenbar noch mehr Risiken verbunden als bislang angenommen.

Der Einsatz von Antipsychotika gegen psychische und Verhaltenssymptome in Zusammenhang mit Demenzerkrankungen erfordert eine sorgfältige Nutzen-Risiken-Abwägung: Unter atypischen Antipsychotika treten bekanntlich vermehrt zerebrovaskuläre Ereignisse auf, unter typischen und atypischen Substanzen ist die Mortalität erhöht. Neuen Erkenntnissen zufolge sind auf der Risikoseite aber noch mehr schwerwiegende Ereignisse zu berücksichtigen. Laut einer Studie aus England sind Demenzkranke unter Antipsychotika u. a. zusätzlich gefährdet, eine Pneumonie, ein akutes Nierenversagen oder eine venöse Thromboembolie (VTE) zu entwickeln.  

35.000 Patienten mit Antipsychotikaverordnungen

Von fast 174.000 Personen, die nach Daten des Clinical Practice Research Datalink zwischen 1998 und 2018 eine Demenzdiagnose erhalten hatten, hatten rund 35.300 (63% Frauen) im Studienzeitraum mindestens einmal ein Antipsychotikum verordnet bekommen. Ihnen wurden jeweils bis zu 15 Personen gegenübergestellt, bei denen zur selben Zeit eine Demenz festgestellt worden war, die aber nie ein Antipsychotikum verschrieben bekommen hatten. Um Unterschiede zwischen Anwendern und Nichtanwendern zu nivellieren, wurde für jeden Einzelnen die Wahrscheinlichkeit einer Antipsychotikaverordnung berechnet und die Ergebnisse wurden entsprechend der Wahrscheinlichkeit gewichtet. Verglichen wurden die Inzidenzen von Schlaganfall, VTE, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Kammerarrhythmie, Frakturen, Pneumonie und akutem Nierenversagen.

Pneumonierisiko in Woche 1 verzehnfacht

Das Ergebnis: Mit Ausnahme der ventrikulären Arrhythmien traten alle geprüften Ereignisse in der Gruppe mit Antipsychotikaverordnungen häufiger auf als in der Kontrollgruppe. Am stärksten erhöht war das Risiko für Pneumonien (+103%), am wenigsten das für Herzinsuffizienz (+16%). Besonders gefährlich waren die ersten sieben Tage nach Beginn einer antipsychotischen Behandlung, das Risiko einer Pneumonie war dann sogar fast verzehnfacht. Bei laufender Therapie, d. h. maximal 90 Tage zurückliegender Verschreibung, wurden die größten Risikozuwächse für Pneumonie (+119%), akutes Nierenversagen (+72%), VTE (+62%) und Schlaganfall (+61%) ermittelt. Diese vier Ereignisse traten ebenso wie Frakturen auch noch in den sechs Monaten nach Beenden der Therapie gehäuft auf, danach blieb nur die Pneumonierate erhöht. Bei fortgesetzter Behandlung blieb das Risiko für die meisten Ereignisse auch im zweiten Behandlungsjahr noch höher als in den Kontrollgruppen. Die Number Needed to Harm für eine Pneumonie in den ersten 180 Tagen nach Therapiebeginn betrug gerade einmal neun, d. h. pro neun Behandelte trat eine Pneumonie mehr auf als ohne Antipsychotika.

Unterschiede zwischen typischen und atypischen Wirkstoffen

Eine Zunahme aller untersuchten Endpunkte mit Ausnahme der Kammerarrhythmien zeigte sich unabhängig davon, ob eine laufende Therapie mit einem typischen oder einem atypischen Antipsychotikum erfolgte. Unter typischen Antipsychotika war das Risiko für Schlaganfälle, Herzinsuffizienz, Frakturen, Pneumonie und Nierenversagen jedoch stärker erhöht als unter atypischen.

„Die Behandlung von Demenzkranken mit Antipsychotika ist mit einem breiten Spektrum von schwerwiegenden Komplikationen assoziiert“, lautet das Fazit der Publikation. Vor dem Hintergrund des „bestenfalls mittelmäßigen Nutzens von Antipsychotika bei psychischen und Verhaltenssymptomen einer Demenz“, so die Forschungsgruppe um Pearl Mok von der University of Manchester, müsse jedes einzelne Risiko sorgfältig gegen den potenziellen Nutzen abgewogen werden. Falls die Entscheidung zugunsten einer antipsychotischen Therapie ausfällt, sollte sie so kurz wie möglich dauern und ihre Notwendigkeit regelmäßig überprüft werden.

Quelle: Springer Medizin

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Literatur

Mok PLH et al. Multiple adverse outcomes associated with antipsychotic use in people with dementia: population based matched cohort study. BMJ 2024;385:e076268. http://dx.doi.org/10.1136/bmj‑2023‑076268

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