3.3.1 Finanzierung der Krankenhäuser durch ein Budget
Das „einfachste“ Modell der Finanzierung von Krankenhäusern ist ihre Finanzierung durch ein Budget. Dies ist eine naheliegende Finanzierungsform zum Beispiel staatlicher Krankenhäuser in nationalen Gesundheitsdiensten, in denen das Gesundheitsministerium „seine“ Krankenhäuser finanziert. Aber auch in Krankenversicherungssystemen findet sich der Mechanismus, wobei bei Systemen mit mehreren Kostenträgern ein Mechanismus zur Verteilung des Budgets auf die einzelnen Finanzierer zu definieren ist. Budgets können sich auf die Gesamtheit der Ausgaben eines Krankenhauses oder nur auf einzelne Bereiche beziehen. So sind oftmals die Investitionskosten ausgenommen (für die dann eigene Spielregeln gelten), sodass sich das Budget dann nur auf die laufenden „Benutzerkosten“ bezieht. In Belgien bestand für während des Krankenhausaufenthaltes eingesetzte Arzneimittel ein Budget (Gerkens und Merkur
2010), in Deutschland wird ab 2020 ein eigenständiges Budget für die Kosten des Pflegepersonals eingerichtet.
Zumeist werden Budgets prospektiv – für einen künftigen Zeitraum – festgesetzt (Cylus und Irwin
2010). Dies gilt etwa auch für das seit 1984 in Deutschland praktizierte Budget für die Benutzerkosten (Tuschen
1984), das im Vorhinein zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen vereinbart wird. Beim prospektiven Budget
bestehen ceteris paribus für das Krankenhäuser Anreize, die Leistungen möglichst kostengünstig zu erbringen, denn überschreiten seine Kosten das Budget, muss es die Differenz tragen, umgekehrt kann es c. p. positive Deckungsbeiträge erzielen. Zu den Instrumenten des Krankenhauses, unter Budget Leistungen einzelwirtschaftlich kostengünstig zu erbringen, gehören allerdings auch Selektion von Patienten und Qualitätsminderung (Simon und Kühn
1999) – es bedarf daher entsprechender Qualitätssicherungsinstrumente.
Auch die Budgets der psychiatrischen Krankenhäuser sind prospektiv ausgerichtet. Dagegen ist das ab 2020 in Deutschland geltende Budget für die Pflegekosten retrospektiv und wird auf Basis der Ist-Ausgaben der Krankenhäuser für diesen Bereich bestimmt (vgl. den Beitrag von Leber und Vogt, Kap.
7 in diesem Band). Bei einem derart an den Selbstkosten orientierten retrospektiven Budget bestehen nur geringe Anreize zur Wirtschaftlichkeit; umgekehrt sind allerdings die Anreize, Ressourcen zu knapp einzusetzen, ebenfalls gering ausgeprägt und in Bezug auf die Pflegeintensität bestehen keine Anreize zur Risikoselektion.
Zu den Vorzügen des Budgets gehört seine gute Planbarkeit für Krankenhäuser und Finanzierer. Es drohen kurzfristig weder Einnahmeneinbrüche des Krankenhauses noch Ausgabenanstiege der Finanzierer. Zu den Nachteilen gehört, dass von ihm zumindest kurzfristig keine Anreize zu intensiver Leistungserbringung ausgehen. Daher wird das Budget teilweise nur zur Grundfinanzierung eingesetzt und durch andere Mechanismen ergänzt. So erhalten etwa die norwegischen Krankenhäuser ein Budget in Höhe von ca. 60 % der Ausgaben, 40 % werden nach erbrachten Leistungen vergütet (Cylus und Irwin
2010; Ringard et al.
2013).
Ceteris paribus hat ein Krankenhaus unter prospektivem Budget auch keine Anreize zu „guter Medizin“. Allerdings ist die damit verbundene Annahme, dass auch eine deutlich rückläufige Leistungsmenge in dynamischer Perspektive keine Effekte auf die Budgethöhe hat, weil einweisende Ärzte und Patienten das „schlechte“ Krankenhaus meiden, nicht besonders realistisch. Daher hängt die Wirkung auch von den realen Wettbewerbsverhältnissen ab (Herder-Dorneich und Wasem
1986).
Der Link zwischen Leistungsmenge und Budgethöhe kann auch direkt in den Findungsprozess des Budgets einbezogen werden, etwa indem dieses auch für die kurze Periode nicht starr, sondern flexibel ausgestaltet wird und mit der Leistungsmenge variiert. So ist das Budget in Deutschland seit 1984 (mit der Ausnahme von 1993 bis 1996, wo die Krankenhausbudgets jeweils fix waren) flexibel – seine Höhe verändert sich retrospektiv, wenn die realisierte Leistungsmenge von der bei der Festsetzung zugrunde gelegten Leistungsmenge abweicht. Auch das Budget
für die psychiatrischen Einrichtungen wird prospektiv vereinbart, dann aber retrospektiv an die erbrachte Leistungsmenge angepasst (Klever-Deichert et al.
2017).
Soweit historische Budgets fortgeschrieben werden, stellt sich die Frage der Leistungsgerechtigkeit im Vergleich der Krankenhäuser. Die Beurteilbarkeit hängt von der Transparenz über die Leistungen ab, die von den einzelnen Krankenhäusern unter dem Budgetdeckel erbracht werden. Erst mit Einführung des DRG-Systems hatte sich vor 15 Jahren in Deutschland gezeigt, dass Krankenhäuser mit in etwa gleich großen Budgets sehr unterschiedliche Leistungsintensitäten aufwiesen. In Systemen mit mehreren Kostenträgern ist die Ermittlung der von diesen jeweils zu leistenden Budgetanteilen zu regeln – so wurde das Budget in Deutschland bis 2003/2004 im Kern nach Anteilen an den Pflegetagen des Krankenhauses aufgeteilt, seitdem wird es nach Anteilen der Krankenversicherer an seinem Case Mix auf die Kostenträger verteilt.
3.3.3 Vergütung nach Anzahl und Art der erbrachten Leistungen
In der Krankenhausbetriebslehre gibt es eine lange und intensive Diskussion, welche Leistungen ein Krankenhaus eigentlich erbringt – mögliche Definitionen reichen von kleinteiligen einzelnen Handgriffen über Aggregate mittlerer Größenordnung (häufig werden diese Aggregate „Zwischenprodukte“ genannt, z. B. Pflegetage, Operationen, Fälle) bis zur Heilung des Patienten als letztlich erstrebtem Ziel der Krankenhausbehandlung (Eichhorn
1987). Die Vergütung erbrachter Leistungen der Krankenhäuser findet in weitem Umfang in Gesundheitssystemen statt, – teilweise als alleiniges Instrument, teilweise in Verbindung mit anderen Mechanismen. Im Folgenden werden drei Varianten unterschieden.
Werden hingegen die Pflegesätze krankenhausindividuell auf der Basis von Selbstkosten festgesetzt – so etwa „in Reinkultur“ im Rahmen der Bundespflegesatzverordnung von 1973 bis zum Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz von 1981 (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
1983) – ist der Anreiz zur wirtschaftlichen Erbringung eines Pflegetages deutlich abgeschwächt.
Von der Vergütung für Krankenhäuser über Pflegetage gehen Anreize aus, möglichst viele Pflegetage zu erbringen – was sowohl über eine Ausdehnung der Verweildauer der Patienten als auch über die Generierung von Krankenhausfällen erreicht werden kann. Anreize zur Verweildauerausdehnung werden insbesondere deswegen diskutiert, weil die Pflegesätze meist unabhängig von der Verweildauer sind, die täglichen Kosten eines Krankenhausaufenthaltes jedoch sinken, nachdem die Hauptleistung (z. B. Operation) erbracht worden ist (Neubauer
1984). In der Literatur wurden deswegen schon lange „degressive“ Pflegesätze diskutiert, die mit der Verweildauer sinken und so die Anreize zur Verlängerung der Aufenthalte abschwächen (GEBERA und Deutsches Krankenhausinstitut
1984). Mit dem PEPP-System ist ein solcher Ansatz seit wenigen Jahren nunmehr für den Bereich der psychiatrischen Krankenhausversorgung auch implementiert (Wasem et al.
2012).
Unterscheidet sich die Höhe der Pflegesätze zwischen den an der Versorgung teilnehmenden Krankenhäusern, entspricht dies dann dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit
, wenn die unterschiedlichen Ressourcenaufwände notwendig sind, insbesondere weil der durchschnittliche Schweregrad der Patientenkollektive sich entsprechend unterscheidet. Unter dieser Voraussetzung würden einheitliche Pflegesätze dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit widersprechen. Inwieweit sich die Patientenkollektive zwischen den Krankenhäusern unterscheiden, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn über Betriebsvergleiche Transparenz herstellt wird, indem entsprechende Messinstrument zum Einsatz kommen – wie dies etwa mit den Krankenhausvergleichen für die psychiatrischen Einrichtungen nach dem PsychVVG intendiert ist (Cuntz et al.
2017).
Prospektiv vereinbarte Pflegesätze lösen Anreize aus, überdurchschnittlich kostenintensive Patienten nicht zu behandeln – was dem Ziel einer bedarfsgerechten Versorgung widerspricht. Dies ist umso stärker ausgeprägt, je weniger sich – auch in dynamischer Perspektive – krankenhausindividuelle Charakteristika der Patientenstruktur in den Pflegesätzen niederschlagen können.
In einigen Gesundheitssystemen (z. B. den USA) verhandeln die Kostenträger mit den Krankenhäusern individuelle Pflegesätze
. Diese spiegeln dann auch die Marktmacht der verschiedenen Krankenversicherer wider (Barros und Olivella
2011). Daraus entstehen Anreize für die Krankenhäuser, Unterdeckungen bei Patienten marktstarker Kostenträger bei den Pflegesätzen kleinerer Versicherer wieder einzuspielen.
Nicht selten wird die Vergütung nach Pflegetagen auch in Verbindung mit Budgets eingesetzt. So können tagesbezogene Pflegesätze auch zur Ablastung eines Budgets auf unterschiedliche Kostenträger eingesetzt werden – so etwa in Deutschland zwischen dem Krankenhausneuordnungsgesetz von 1984 und dem Übergang zum DRG-System ab 2003/2004. In dieser Konstellation ist das Krankenhaus einer komplexen Anreizstruktur ausgesetzt, die nicht zuletzt von den Details der Kombination beider Instrumente geprägt ist.
So sind etwa Belegarztsysteme
, wie sie z. B. in den USA verbreitet sind, aber auch in anderen Ländern einschließlich Deutschland existieren (Walendzik et al.
2019), dadurch gekennzeichnet, dass die (beleg)ärztliche Leistung aus der allgemeinen Krankenhausvergütung herausgelöst und über Einzelleistungen vergütet wird. Dies bezieht sich primär auf Operationen, aber auch konservative Leistungen können belegärztlich erbracht werden. Für die Belegärzte bestehen Anreize, ihre Leistungsmenge auszudehnen. Die Anreize für die Krankenhäuser hängen hingegen von der organisatorischen und finanziellen Ausgestaltung der Schnittstelle zwischen belegärztlichen Leistungen und den an den Belegpatienten erbrachten übrigen Krankenhausleistungen ab. So stellt sich für das Krankenhaus die Frage, ob es ökonomisch attraktiver ist, anstelle belegärztlich erbrachter Operationen medizinische Interventionen durch eigenes Personal zu erbringen.
Auch die Vergütung privatärztlicher Leistungen durch die Chefärzte bzw. Krankenhäuser in Deutschland stellt eine gesonderte Finanzierung therapeutischer Interventionen dar. Hier handelt es sich um eine ungedeckelte Einzelleistungsvergütung
mit entsprechenden Anreizen zur Leistungsausweitung, die auch in Überversorgung münden kann (Jörg
2015).
Ein in verschiedenen Ländern praktizierter anderer Ansatz ist, den Krankenhäusern besonders aufwändige Patientengruppen oder Indikationen oder Leistungen außerhalb des im Übrigen praktizierten Finanzierungssystems gesondert zu vergüten (vgl. den Beitrag von Stephani et al., Kap.
4 in diesem Band). Dies ist im Kontext der Vergütung der Krankenhausleistungen, die durch Fallpauschalen und Elemente von prospektiven Budgets gekennzeichnet ist, zu sehen. Sie sollen insbesondere verhindern, dass den diesen Finanzierungsmechanismen immanenten Anreizen zu Risikoselektion und Unterversorgung bei diesen Patientengruppen oder Indikationen gefolgt wird. In Deutschland geschieht dies etwa durch das Konstrukt der Zusatzentgelte.
Ähnlich ist die Motivation für die gesonderte Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Hierdurch soll insbesondere verhindert werden, dass die vom Fallpauschalen- und Budget-System ausgehenden Anreize zu einem unerwünscht geringen Einsatz medizinisch-technischer Innovationen führen.
Bei einer Vergütung nach Fallpauschalen
entsteht – ähnlich der Vergütung nach Pflegetagen – ein Anreiz, die Leistungsmenge auszudehnen: Während der Anreiz dort auf die Vermehrung der Zahl der Pflegetage gerichtet war, ist es hier rational, die Zahl der Fälle auszudehnen. Der Anreiz auf die Verweildauer ist umgekehrt zu der bei den Pflegetagen. Denn es ist nicht nur deswegen rational, Patienten unter Fallpauschalenvergütung möglichst rasch zu entlassen, weil einer längeren Verweildauer zwar mehr (verweildauerbedingte) Kosten, aber keine zusätzlichen Erlöse entgegenstehen, sondern auch, weil durch rasche Entlassung freie Kapazitäten für zusätzliche Fälle geschaffen werden. Die dadurch entstehenden Risiken mit Blick auf eine verfrühte Entlassung (Mihailovic et al.
2016) können durch vergütungssystemimmanente Feinsteuerung abgeschwächt und müssen im Übrigen durch Instrumente der Qualitätssicherung kontrolliert werden.
Eine Fallpauschale zieht – ähnlich der Anknüpfung der Vergütung an Pflegetage – grundsätzlich Anreize zur Patientenselektion
und zur Unterversorgung
nach sich. Wie stark der Anreiz wirksam wird, hängt insbesondere davon ab, wie detailliert der Differenzierungsgrad des Klassifikationssystems zur Schweregradmessung besteht. Hierbei besteht ein Spannungsverhältnis zur ökonomischen Effizienz. So kann der Anreiz zur Unterversorgung gesenkt werden, wenn das Klassifikationssystem nicht nur nach Art der Diagnose, sondern auch nach den Prozeduren differenziert. Unter Umständen ist es dann jedoch für ein Krankenhaus rational, zwar eine gegebene Maßnahme möglichst effizient zu erbringen (technische Effizienz), jedoch eine aufwändigere Prozedur als erforderlich zu wählen, wenn damit höhere Deckungsbeiträge erzielt werden können. Dieser Anreiz, die Fallschwere zu erhöhen, gilt umso stärker, je mehr damit zusätzliche Einnahmen und weniger zusätzliche Ressourcenverbräuche verbunden sind. Daher ist „Upcoding
“, also die Kodierung in einer höheren als sachgerechten Fallpauschalengruppe, bei möglichst unverändertem Ressourceneinsatz für Krankenhäuser attraktiv und ein Dauerthema für Schweregrad-differenzierende Finanzierungssysteme (Wasem et al.
2007).
Die Anreize, Fallzahl und Fallschwere auszuweiten, werden teilweise dadurch abgeschwächt, dass das Fallpauschalensystem nicht für sich allein steht, sondern in eine komplexere Finanzarchitektur eingebunden wird. So kann es mit retrospektiven Elementen (z. B. in Österreich; Bachner et al.
2019) verbunden werden. In Deutschland ist das Fallpauschalensystem in das bereits genannte System flexibler Budgets eingebunden: Ex ante geplante Mengenausweitungen werden nur mit einem Abschlag vergütet, ex post realisierte Abweichungen der realisierten von der vereinbarten Menge werden teilweise ausgeglichen.