Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anamnese
Nach Ankündigung eines Suizids wurde die Patientin von einer Freundin in der Wohnung angetroffen. Nach anfänglichem Gespräch mit der Freundin ging sie unter Beobachtung bewusstlos zu Boden. Die Freundin setzte den Notruf ab.
Einsatzalarmierung: unklare Bewusstlosigkeit, 47 Jahre, weiblich, Wohnung 1. OG
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Der RTW (Rettungswagen) traf um 0:40 Uhr ein. Im Wohnzimmer des ersten Obergeschosses lag die Patientin auf dem Boden. Die RTW-Besatzung legte die bewusstlose Patientin aus der Bauchlage in die stabile Seitenlage und verabreichte ihr hoch dosiert Sauerstoff. Bei Eintreffen des NEF (Notarzteinsatzfahrzeug) ca. 6 min später hatte die Patientin bereits einen intravenösen Zugang. Darüber hinaus hatte die Besatzung des RTW einen systolischen Blutdruck von 70 mm Hg gemessen und bereits eine Ampulle Akrinor® vorbereitet, die nach Eintreffen des Notarztes appliziert wurde.
Bei weiterer Inspektion der Wohnung wurden im Badezimmer zwei leere Blister Fluoxetin und Quetiapin gefunden, auf der Küchenablage befanden sich die dazugehörigen Tablettenschachteln.
Untersuchung
Ersteindruck nach ABCDE-Schema(Tab. 1): kritisch kranke Patientin, marmorierte Haut, kaltschweißig, nicht kontaktierbar, kein Muskeltonus, keine Reaktion auf Schmerzreiz. Es gab keinen Hinweis auf ein Trauma im Sinne eines Sturzereignisses. Die Arme wiesen Narben auf, a.e. bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Das Körpergewicht (KG) der Patientin wurde auf 80 kg geschätzt.
Tab. 1
Erste erhobene Vitalwerte aus Rettungsdienstprotokoll
AF Atemfrequenz, SpO2 peripher gemessene Sauerstoffsättigung, RKZ Rekapillarisierungszeit, HF Herzfrequenz, BZ Blutzucker, Temp. Temperatur, GCS Glasgow Coma Scale, sys. systolisch
Therapie und Verlauf
Durch die bereits frühe Akrinor®-Gabe und die Gabe einer weiteren Ampulle stellte sich ein Blutdruck von 93/55 (68) mm Hg ein (Abb. 1).
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Bei anhaltender Bewusstlosigkeit wurde im Team die Entscheidung zur „rapid sequence induction“ (RSI) getroffen und im Rahmen eines Team-Time-out die Aufgaben verteilt. Um bessere Bedingungen zu schaffen, wurde die Patientin für die Maßnahmen in den RTW verbracht.
In der Vorbereitungszeit der Narkose wurde ein zweiter venöser Zugang gelegt sowie ein arterieller Zugang der A. radialis via Punktionskanüle BD® Insyte-W™ 20 G (Becton Dickinson Company, Franklin Lakes, NJ, USA) etabliert. Das Drucksystem (TrueWave, Edwards Lifesciences Services GmbH, Irvine, CA, USA) war bereits vorbereitet und wurde angeschlossen. Die RSI erfolgte unter invasiver Blutdruckmessung (Corpuls C3), (GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple GmbH, Kaufering, Deutschland) mit 20 µg Sufentanil, 8 mg Midazolam und 100 mg Rocuronium. Die videolaryngoskopische Intubation (McGrath®, Aircraft Medical Ltd., Edinburgh, UK) erfolgte bei Cormack-1-Atemwegssituation problemlos im ersten Versuch.
Aufgrund der ausgeprägten Hypotension erhielt die Patientin im Rahmen der RSI insgesamt 13 Bolusgaben an Noradrenalin à 10 µg sowie 500 ml Vollelektrolytlösung (siehe Monitordaten von Corpuls C3). Bei weiterhin bestehender Hypotension wurde eine kontinuierliche Noradrenalingabe via Spritzenpumpe durchgeführt. Die Noradrenalindosierung wurde im Verlauf des Transports von 0,05 µg/kgKG/min (Anfangsdosis) auf 0,2 µg/kgKG/min in zwei Schritten gesteigert. Die Narkoseaufrechterhaltung erfolgte mit 7 mg Midazolam. Um 1:45 Uhr, eine Stunde und fünf Minuten nach Eintreffen an der Einsatzstelle, wurde die Patientin hämodynamisch stabil dem Schockraumteam in der Notaufnahme übergeben. Bei Übergabe lag die Herzfrequenz bei 86/min und der Blutdruck bei 130/80 mm Hg.
Die initiale Blutgasanalyse im Schockraum zeigte bis auf einen Laktatspiegel von 2,6 mmol/l und einen Base Excess von −2,4 keine weiteren Auffälligkeiten. EKG: HF 86/min, Sinusrhythmus, Steiltyp, PQ 180 ms, QRS 90 ms, QT 370 ms, relative QT-Zeit 120 %, regelrechte R‑Progression, R/S-Umschlag in V3/V4 vollzogen, keine Ischämiezeichen.
Im Rahmen der Schockraumversorgung wurde eine kraniale Computertomographie durchgeführt, welche keine pathologischen Befunde aufwies. Toxikologisch zeigten sich eine Quetiapinintoxikation mit 1,1 mg/l (toxischer Bereich ab 1,0 mg/l), ein Alkoholspiegel von 2,6 Promille im Blut sowie der Nachweis von Quetiapin, Diphenhydramin, MCP, Midazolam und Ethanol im Urin. Bei im Verlauf zunehmender Kreislaufdepression unter Katecholamintherapie wurde Letztere gesteigert und die Patientin auf die Intensivstation aufgenommen. Unter rückläufiger Katecholamintherapie konnte die Patientin nach 24 h bei hämodynamisch und respiratorisch stabiler Situation extubiert werden. Drei Tage nach Aufnahme wurde die Patientin auf eine psychiatrische Akutstation verlegt.
Diskussion
Die ausgeprägte Hypotonie konnte am ehesten auf die Intoxikation mit dem Psychopharmakon Quetiapin zurückgeführt werden. Die Intoxikation kann mit schweren Hypotonien, Tachykardien und QTc-Zeit-Verlängerungen einhergehen [2].
Die Anlage einer invasiven Blutdruckmessung (IBP) ist ein im Rettungsdienst nicht etabliertes Verfahren, obgleich die IBP das Monitoring bei bestimmten Patienten deutlich verbessern könnte. In randomisierten, kontrollierten klinischen Studien ist die IBP der nichtinvasiven Blutdruckmessung (NIBP) während der Narkoseeinleitung überlegen. Bei IBP-Patienten wurde häufiger ein mittlerer arterieller Blutdruck (MAP) < 65 mm Hg detektiert (Odds Ratio [OR] 1,78; Confidence Intervall [CI] 0,95, 1,18–2,70; [7]) und die Zeiten mit MAP < 65 bzw. 60, 50 und 40 mm Hg waren deutlich kürzer [6].
Jedoch gilt zu beachten, dass ein flächendeckender Einsatz der präklinischen IBP in Deutschland aufgrund der Qualifikation des Rettungsteams und vor allem der sehr divergenten klinischen Tätigkeitschwerpunkte der Notärzte zum aktuellen Zeitpunkt nicht gewährleistet werden kann. Der Notarztstandort aus dem gezeigten Fall wird ausschließlich von klinisch tätigen Anästhesisten besetzt, die die IBP-Anlage regelmäßig durchführen und in ihre Arbeitsroutine integriert haben. Das Rettungsdienstpersonal wurde durch eine einstündige Schulung in den Umgang mit den Geräten und dem Material eingewiesen. Darüber hinaus wurde eine für den Rettungsdienstbereich gültige Verfahrensanweisung etabliert, in der die Vorgehensweise beschrieben wird [1].
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Eine Schulung von Notärzten, die klinisch nicht in Kontakt mit der IBP-Anlage kommen, ist schwierig. Eine sonographisch gesteuerte Gefäßpunktion als Alternative für Anwendende mit weniger Routine ist denkbar. Im Konsensuspapier zur prähospitalen Notfallsonographie ist die sonographische Gefäßpunktion ein geforderter Kursanteil und sollte zukünftig in die Ausbildung der Notärzte integriert werden [5].
Bei der Durchführung der arteriellen Gefäßpunktion hat sich der RTW als häufigster Anlageort bewährt. Hier sind die Lichtverhältnisse optimiert und die Extension des Handgelenks auf der Trage ist häufig möglich. Die Extension des Handgelenks kann mittels einer runden Desinfektionsflasche als Wiederlager und der Fixation mittels Pflaster erleichtert werden. Falls dies nicht ausreicht, kann eine weitere Person bei der Punktion durch manuelles Überstrecken des Handgelenks unterstützen.
Im Rahmen der nichttraumatologischen Schockraumversorgung ist die IBP ein etabliertes Verfahren und wird in 40–70 % [4, 9] der Fälle im Schockraum durchgeführt. Eine frühere Anlage bei instabilen Patienten könnte eine zielgerichtetere Katecholamintherapie mit sich bringen. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, wie Herz-Kreislauf-Stillstand, Hypoxie oder Hypotension, im Rahmen der Narkoseeinleitung sind am häufigsten mit vorbestehender hämodynamischer Instabilität assoziiert [3]. Die Zeit des Vorbereitens der Intubationsnarkose kann als möglicher Zeitraum zur präklinischen Anlage der arteriellen Kanüle genutzt werden. Im gezeigten Fall konnten die freien Ressourcen optimal genutzt werden und die Narkoseeinleitung unter kontinuierlicher invasiver Blutdruckkontrolle erfolgen. Die IBP-Anlage darf in keinem Fall zeitkritische Maßnahmen verzögern. Dies setzt voraus, dass eine gute Teamperformance vorliegt.
Die Entscheidung zur RSI erfolgte aufgrund der Vigilanzminderung (GCS 3) und wurde mit 20 µg Sufentanil, 8 mg Midazolam und 100 mg Rocuronium durchgeführt. Aufgrund der hämodynamischen Instabilität hätte eine Narkoseeinleitung alternativ z. B. mit Esketamin erfolgen können oder mit einer geringeren Dosis von Sufentanil und Midazolam. Initial war dem Team die kritische hämodynamische Situation nicht ausreichend bewusst. Im Rahmen der RSI stellte sich die therapierefraktäre Hypotonie durch die vorhandene kontinuierliche Blutdruckableitung heraus.
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Die technischen Gegebenheiten für eine präklinische IBP-Anlage sind je nach Monitor des NEF/RTH gegeben. Eine präklinische Machbarkeitsstudie aus Graz, Österreich, konnte bereits zeigen, dass eine Arterienanlage den zügigen Transport der Patienten nicht verzögert. Die Zeit für die Vorbereitung des Drucksystems und des Materials lag im Median bei 3 min und die Anlagezeit bei einem Median von 2 min [10]. Die Rettungsdienststrukturen in Graz sind vergleichbar mit den Rettungsdienstgegebenheiten in Deutschland. Die Notärzte in der Grazer Studie waren zu 50 % Anästhesisten, 25 % Chirurgen und 25 % Internisten und zum größten Teil mit der Technik der IBP-Anlage vertraut. In unserem Fall konnte durch das Vorbereiten des arteriellen Drucksystems bei Dienstbeginn die Vorbereitungszeit noch einmal deutlich verringert werden.
Eine Limitation der präklinischen arteriellen Kanülierung ist der Patientenzustand. Arteriosklerotische Gefäße, ausgeprägte Hypotonie oder laufende Reanimation verringern die Erfolgsrate der IBP-Anlage. In der Studie aus Graz lag die präklinische Erfolgsrate bei maximal zwei Punktionsversuchen bei 84 % (115 von 137 Patienten; [10]). In einer weiteren präklinischen IBP-Machbarkeitsstudie aus Frankreich lag die Erfolgsrate bei 86 % [8]. Bei der zuletzt genannten Studie wurde die IBP zusätzlich zur NIBP-Messung angelegt. Es zeigte sich eine Diskrepanz zwischen IBP und NIBP, sodass sich bei über 40 % der Patienten die Blutdruckwerte um mehr als 20 mm Hg unterschieden. Bei 62 % der Patienten führte nur die IBP-Messung zu einer oder mehreren Änderungen der Katecholamintherapie.
Auch wenn die Erfolgsraten bei einem nicht etablierten Verfahren und wechselnden Teams wahrscheinlich geringer sind, profitiert der einzelne Patient davon, wenn die IBP-Anlage erfolgreich war. Bei maximal zwei Punktionsversuchen hätte ein Patient mit frustraner präklinischer Anlage keinen relevanten Zeitverzug. Aus unserer Sicht sollte daher darüber nachgedacht werden, ob im Einzelfall bei guter Teamperformance und vorhandenen technischen Möglichkeiten ggf. die IBP-Anlage auch präklinisch erfolgen kann.
Fazit für die Praxis
Präklinisches arterielles Blutdruckmonitoring ist bei ausgewählten Patienten ohne relevanten Zeitverzug machbar.
Blutdruckwerte unter MAP von < 65 mm Hg können bei IBP sicher und kontinuierlich detektiert werden.
Hämodynamisch instabile Patienten können durch die präklinische IBP profitieren, da eine zielgerichtete Katecholamintherapie erfolgen kann.
Die Einbindung der IBP in den Einsatzablauf ist mit einem geringen Schulungsaufwand möglich.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Ule, J. Thiel, U. Berwanger und B. Merscher geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Der Fallbericht ist im Rahmen einer Studie entstanden. Die Studie untersucht den Schockindex bei Krankenhausaufnahme und die 72 h-Sterblichkeit von Patienten mit und ohne präklinische invasive Blutdruckmessung. Ein Unbedenklichkeitsvotum der saarländischen Ethikkommission und die DRKS-Registrierung liegen vor (Ethikvotum 158-22).
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