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Erschienen in: Pflegezeitschrift 9/2023

01.09.2023 | Nachhaltigkeit | Pflege Management

Hand in Hand für eine grüne Zukunft

verfasst von: Simone Rathey, Kilian Berger

Erschienen in: Pflegezeitschrift | Ausgabe 9/2023

Klinikum Stuttgart: Nachhaltigkeit als Unternehmensziel Die Planung neuer Krankenhäuser wird heute stärker denn je von Aspekten der Nachhaltigkeit geprägt. Während die wirtschaftliche Nachhaltigkeit schon lange ein Thema ist, wächst die Relevanz von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit kontinuierlich. Die Einbeziehung von Pflegepersonal spielt eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung dieser Nachhaltigkeitsziele.
Das Pflegepersonal im Klinikum Stuttgart ist nicht nur die größte Berufsgruppe, sondern zählt auch zu den intensivsten Nutzer*innen der Infrastruktur. In besonderem Maße spürt das Pflegepersonal daher die Folgen baulicher Fehlplanungen unmittelbar, mit massiven Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und die Versorgungsqualität von Patient*innen. Ihre Interessen und Anliegen sollten deshalb bei der Planung von (Neu-)Bauprojekten von Anfang an einbezogen werden.
Das Klinikum Stuttgart, größtes Krankenhaus in Baden-Württemberg, hat mit 8.000 Mitarbeitenden und über 2.200 Betten in den vergangenen Jahren die Zahl der Pflegekräfte deutlich auf über 3.000 erhöht (Kasten). Das Katharinenhospital des Klinikums wird derzeit für 810 Millionen Euro neu gebaut. Dabei wird die zukünftige Entwicklung der Gesundheitsversorgung schon berücksichtigt und digitale Versorgungskonzepte umgesetzt. Zu guten Arbeitsbedingungen trägt eine moderne Infrastruktur maßgeblich bei. Ein großes Ziel ist, die Vernetzung zwischen den einzelnen Disziplinen weiter voran zu treiben: Kurze Wege, zentrale Anlaufstellen und eine moderne Infrastruktur. Die neuen Stationen, allen voran die neue Intensivstation, sind baulich auf die Bedürfnisse des Pflegepersonals ausgerichtet.

Der Pflegedirektion kommt eine besondere Rolle zu

Um sicherzustellen, dass die angestrebten und entwickelten Pflegekonzepte vor und während der Bauphase in der späteren Praxis funktionieren, ist das Pflegepersonal frühzeitig in die Planung einzubinden. Eine besondere Rolle kommt dabei der Pflegedirektion im Schnittstellenmanagement zu. Beim Austausch zwischen der Pflege und Bauabteilung geht es darum, alle relevanten Anforderungen für die zukünftige Gestaltung der Pflege zu berücksichtigen wie die Einführung der vollumfänglichen digitalen Akte / Pflegedokumentation und die Einbeziehung aktueller pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse. Kernprozesse beispielsweise die Medikamentenversorgung spielen eine wichtige Rolle. Stichworte sind hier die interne Umsetzung von Projekten wie Closed Loop und Unit dose im Sinne der automatisierten Medikamentenbestellung und -verabreichung anhand der digitalen Akte.
Des Weiteren trägt das Pflegepersonal im Bauprojekt zur Gestaltung der Arbeitsplätze und zur Berücksichtigung neuer Rollen im Rahmen der Akademisierung bei, insbesondere im Hinblick auf den qualifikationsbezogenen Personaleinsatz. Dazu zählen Pflegefachpersonen in der Erweiterten Klinischen Pflegepraxis (EKPs) und Advanced Practice Nursing (APNs).

Krankenhausneubauten - Anpassung an verändernde Pflegeanforderungen

Die Professionalisierung und Akademisierung der Pflege hat in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Im Klinikum Stuttgart spielt insbesondere die Schaffung entsprechender Stellenprofile eine große Rolle - es gilt, digitale Dokumentation, mobiles Arbeiten sowie Aspekte wie Desk-Sharing und Home-Office von Anfang an mitzudenken. Im kürzlich eröffneten Neubau wurden durch den Einbezug von pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen und den daraus entwickelten Pflegekonzepten bereits Akzente gesetzt. So unterstützt eine Delir- und demenzsensible Architektur beispielsweise auf der Intensivstation die Arbeit des Delirpräventionsteams und unterstreicht den Anspruch des Klinikums, ein demenz- und delirsensibles Krankenhaus zu sein, indem es Orientierungshilfen integriert wie Uhren, Kalender und Fotos. Ein weiteres Beispiel ist das Fallwagenkonzept, das bei der Vorbereitung des patientenbezogenen Sterilguts im Zentralen OP Anwendung findet.
Krankenhausneubauten müssen auch mit den sich verändernden Krankheitsbildern sowie den stetig entwickelnden Behandlungsmethoden Schritt halten und diese antizipieren. Damit einher gehen erhebliche neue pflegerische Maßnahmen auf Prozessebene, beispielsweise im Umgang mit Stammzelltransplantationen und der damit zusammenhängenden Umkehrisolation, nuklearmedizinischen Patient*innen und dem Umgang mit Verstorbenen.
Der Trend hin zu mehr ambulanter und weniger stationärer Patient*innenversorgung ist bereits teilweise umgesetzt, jedoch häufig noch in nicht dafür ausgelegten Strukturen. Dies wirkt sich auf die Prozesse und veränderte Arbeitszeitmodelle in der Pflege aus. Baulich bedeutet dies zentrale Anmeldungen für die Patient*innen, weniger klassische Patientenzimmer und mehr Eingriffs- sowie Behandlungsräume. Für die professionelle Pflege ergibt sich hieraus ein Wandel der Aufgaben hin zu verstärkter Anleitung und Edukation der Patient*innen. Hierfür sind auch die räumlichen Gegebenheiten entsprechend zu berücksichtigen und anzupassen. Werden die Belange der Pflege in Bezug auf diese Vielzahl von Themen nicht ausreichend berücksichtigt, ist die spätere medizinische Leistungsfähigkeit des Krankenhauses bedroht.

Pilotierungen sind am Klinikum Standardprozesse

Projekte oder Prozesse werden zunächst im kleinen Rahmen getestet und mit Vertreter*innen unterschiedlicher Stationen bewertet. Erst danach werden diese in der Breite ausgerollt und Konzepte für die bauliche Umsetzung erarbeitet. Solche Praxiserprobungen haben sich auch in der Umstellung von Subprozessen bewährt. Im Gesamtkonzept der Medikamentenversorgung wurde das Bestellwesen beispielsweise so umgestellt, dass Medikamente anhand definierter Kriterien per Strichcode-Scan bestellt werden, was zu Standardisierung und Zeitersparnis in der Pflege führt.
Mit Blick in die Zukunft findet auch das Thema Servicerobotik Berücksichtigung. Strukturelle und räumliche Gegebenheiten, wie die Netzwerkanbindung, müssen entsprechend geplant und umgesetzt werden, um den späteren Einsatz gewährleisten zu können.

Kritische Fragen und effektive Raumgestaltung

Bei allen Maßnahmen stellen sich immer wieder kritische Fragen, ob bestehende Prozesse weiterhin im Neubau sinnvoll und entsprechend neu gedacht und geplant werden müssen, beispielsweise nach einer Neubeurteilung der Aufgabenverteilung im Krankenhaus (z.B. Speisenversorgung). Das Klinikum hat aus vergangenen Bauprojekten gelernt und berücksichtigt dies bei der räumlichen Anordnung, einschließlich der Einsicht in Gänge und Zimmer. Eine enge räumliche Anbindung von Fachbereichen wie der Notaufnahme, ist besonders wichtig aufgrund der häufig notwendigen Weiterversorgung. Durch die generierte Zeitersparnis und die Wegreduktion wird es ermöglicht, dass sich die professionelle Pflege verstärkt den primären pflegerischen Aufgaben widmen kann.
Ein Beispiel für die optimale Umsetzung von Anforderungen der Pflege an die Bauplanung ist die neue interdisziplinäre Intensivstation. Durch die Zusammenlegung von drei Intensivstationen unterschiedlicher Fachbereiche entstand eine interdisziplinäre Einheit. Die zentral gelegenen Pflegestützpunkte ermöglichen eine schnelle Abstimmung zwischen den Kolleg*innen aus den unterschiedlichen Bereichen. Gut lokalisierte Sichtfenster zwischen den Patient*innenzimmern gewähren eine kontinuierliche Überwachung der Intensivpatient*innen und erleichtern die nonverbale Kommunikation zwischen den Pflegenden und Patient*innen und vermitteln dadurch Sicherheit. Große Zimmer erlauben die gemeinsame Versorgung durch Pflege und ärztliches Personal. Zudem sichern sinnvoll geplante Nischen für Hilfsmittel einen freien Flur, wodurch der Patient*innentransport erleichtert wird.

Nachhaltigkeit als zentrales Unternehmensziel

Das Klinikum Stuttgart hat im Sommer 2022 als eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland einen Nachhaltigkeitsbericht gemäß Deutschem Nachhaltigkeitskodex veröffentlicht, der sich an den Standards der Global Reporting Initiative (GRI) orientiert. Nachhaltigkeit ist eines der zentralen Unternehmensziele, welches sich nur mit einer engen Einbindung der Mitarbeitenden und einer modernen Infrastruktur umsetzen lässt. Der Nachhaltigkeitsstrategie des Klinikums liegt eine Wesentlichkeitsanalyse zur Identifizierung der relevanten Handlungsfelder zugrunde. Diese Handlungsfelder werden durch Zielvorgaben und Kennzahlen operationalisiert. Zur Koordination des Nachhaltigkeitsmanagements hat das Klinikum eine Stabstelle mit direkter Berichtslinie an den Vorstand eingerichtet.
Im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit werden die Neubauten genutzt, um starke Akzente zu setzen und Investitionen nachhaltig zu gestalten. Das Klinikum nutzt seit Anfang 2022 eine Bettenaufbereitungsanlage, die mit deutlich weniger Wasser und Chemikalien auskommt, dank Wasserdampf aber höchsten Hygienevorgaben entspricht. Mit der Errichtung von Plusenergiegebäuden (z.B. KITA und Personalwohnanlagen) und einem forcierten Ausbau regenerativer Energien, insbesondere Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) und Wärmerückgewinnung, hat das Thema in den Neubauprojekten massiv an Fahrt gewonnen. Bei der Speiseversorgung wird auf den Einkauf von regionalen und Bio-Produkten geachtet. Sowohl in der Pathologie als auch in der Anästhesie gibt es Fortschritte bei der Vermeidung und dem Recycling von klimaschädlichen Stoffen. Das intensivierte Abfallmanagement prüft Recyclingpotenziale in unterschiedlichsten Prozessen und setzt diese beispielsweise beim OP-Besteck um. Projekte zur Förderung der Biodiversität, etwa in Form naturnaher Flächengestaltung zur Brutunterstützung von Mauerseglern, runden die Bandbreite ab.
Die soziale Nachhaltigkeit zeigt sich etwa bei der Förderung der Integration von Beschäftigten mit Migrationshintergrund, der starken Einbindung der Schwerbehindertenvertretung und des Gleichstellungsbeauftragten oder der Förderung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Auch nach außen zeigt das Klinikum, dass die soziale Nachhaltigkeit ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensziele ist. Davon zeugen die unterzeichnete Deklaration #positivarbeiten sowie die Charta der Vielfalt.
Bestandteil der ökonomischen Nachhaltigkeit ist eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Korruption und Wettbewerbsverstößen, die von einem entsprechenden Compliance-Managementsystem überwacht wird. Ergänzend findet eine Überprüfung der Lieferketten auf Menschenrechts- und Umweltverstöße im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltsgesetzes statt. Auch die Schaffung tausender sicherer Arbeits- und Ausbildungsplätze in der Region ist in diesem Zusammenhang zu nennen.
Der Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit nimmt beim Neubau von Klinikgebäuden eine besondere und wachsende Stellung ein. Im Klinikum beginnt dies bei der Umsetzung erhöhter Energiestandards zur maximalen Einsparung von CO2, so etwa der Ausbau von PV-Anlagen auf Neubauten und bei Renovierung, der Einsatz nachhaltiger Baumaterialien wie Bodenbelägen und Kabelführungen und die sukzessive Umstellung aller Leuchtmittel auf LEDs.

Nachhaltigkeit: Nur mit den Mitarbeitenden umsetzbar

Genau wie beim Thema Bauen kann die Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie nicht an den Mitarbeitenden vorbei erfolgen. Einerseits gilt es, ihr vorhandenes Engagement zu nutzen, um neue und kreative Wege auf dem Weg zu einem nachhaltigen Krankenhaus gehen zu können. Andererseits lassen sich Maßnahmen, die neue Prozesse, ungewohnte Abläufe und die Umstellung von Arbeitsschritten zur Folge haben, leichter etablieren, wenn sie von den Mitarbeitenden verstanden werden. Hierzu zählen Sensibilisierungsmaßnahmen auf unterschiedlichsten Kommunikationskanälen wie Nachhaltigkeitsnewsletter, Intranetmeldungen, Social Media Beiträge und zukünftig auch Podcasts und kurze Videos. Das Klinikum nutzt zudem ein etabliertes Ideenmanagement, um Mitarbeitende aktiv im Bereich Nachhaltigkeit einzubinden. Durch die Querschnittsfunktion der Stabstelle und das damit zusammenhängende interne Netzwerk werden sämtliche Anliegen der Mitarbeitenden an der richtigen Stelle platziert. Verbunden mit Wettbewerbselementen gelingt es, Mitarbeitende für das Thema zu begeistern. Mitarbeitende und Fachbereiche machen sich eigene Gedanken über Verbesserungsmöglichkeiten in ihrem direkten Arbeitsumfeld und tragen so zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele bei.
Auch hier kommt dem Pflegepersonal eine besondere Bedeutung zu. Es ist in viele Arbeitsprozesse eingebunden, arbeitet örtlich aber meist in relativ abgegrenzten Bereichen und kann deshalb nicht nur Defizite besonders gut erkennen, sondern auch für unterschiedliche Verbesserungsmöglichkeiten die Folgen am besten abschätzen. Deshalb ist das Pflegepersonal Bestandteil von interdisziplinären Teams, die sich Herausforderungen im Klinikum annehmen. In einer jüngst ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe zur Reduzierung von Nahrungsmittelabfällen (Save Food Waste) hat das Pflegepersonal den besten Einblick in den Bestellvorgang und Prozesse bei der Patient*innenenverpflegung. Gemeinsam mit der Stabstelle Nachhaltigkeit und der Großküche arbeiteten die Pflegenden an einem Konzept, Angebot und Nachfrage im Bereich Speiseversorgung besser aufeinander abzustimmen.
Die Multiplikatorrolle der Pflege in Richtung der Patient*innen ist ebenso wichtig. Durch vorbildliches Handeln, Aufklärung und Ermutigung können sie von nachhaltigem Handeln überzeugt werden und damit die Nachhaltigkeitsziele bis auf die Ebene der Patient*innenversorgung getragen werden.

Das Klinikum stuttgart

Gegenüber dem Niveau vor der Pandemie hat sich die Anzahl der examinierten Pflegekräfte im Klinikum Stuttgart um etwa 7 % gesteigert; die Ausbildungskapazität wurde auf über 1.000 Plätze erhöht. Gemessen am Pflegepersonalquotienten liegt das Klinikum bezüglich der Pflegepersonalausstattung im besten Viertel aller Krankenhäuser in Deutschland. Zur Personalgewinnung bietet das Klinikum zudem: Kitaplätze, neue Personalapartments mit Diensträdern und kostenlose Deutschlandtickets, Fortbildungen und Karriereoptionen, die ein Höchstmaß an sozialer Sicherheit bieten.

Fazit

Obwohl nicht alle Bedürfnisse der Pflege an die Bauplanung immer umgesetzt werden können, hat das Klinikum Stuttgart erkannt, dass die Benennung zentraler Ansprechpartner*innen in der Pflege und im Bau vorteilhaft ist, um eine hochwertige pflegerische Versorgung sicherzustellen. Dadurch wird eine frühzeitige Einbindung der zukünftigen Anwender*innen und eine transparente Kommunikation mit der Pflegeberufsgruppe erreicht.
Die Integration und die Gestaltungsmöglichkeiten stärken die Motivation und fördern die Arbeitszufriedenheit des Pflegepersonals. Zudem tragen derartige Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit bei, die nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte umfasst.

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Metadaten
Titel
Hand in Hand für eine grüne Zukunft
verfasst von
Simone Rathey
Kilian Berger
Publikationsdatum
01.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Nachhaltigkeit
Erschienen in
Pflegezeitschrift / Ausgabe 9/2023
Print ISSN: 0945-1129
Elektronische ISSN: 2520-1816
DOI
https://doi.org/10.1007/s41906-023-2141-3

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