Open Access 29.04.2024 | Schwerpunkt Digitalisierung/Evidenzbasiertes Praxisprojekt
Multisensorische Stimulation und psychische Gesundheit – „Anima Mentis“ ein evidenzbasiertes Praxisprojekt
Erschienen in: HeilberufeScience
Zusammenfassung
Hintergrund
Die psychische Gesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil der allgemeinen Gesundheit, und Präventionsmaßnahmen mit dem Ziel, diese Komponente der Gesundheit zu erhalten und zu fördern, haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. In Europa sind Depressionen der wichtigste Einzelfaktor für psychische Gesundheitsprobleme. Die hohe Prävalenz und die besonders hohe Krankheitslast von Depressionen begründen ein großes Interesse an wirksamen, früh einsetzenden, niedrigschwelligen und individuellen Präventionsmaßnahmen für die Allgemeinbevölkerung.
Ziel
Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über die Entwicklung und Struktur des evidenzbasierten Anwendungsprogramms „Anima Mentis“ zur Förderung der psychischen Gesundheit und Prävention psychischer Erkrankungen zu geben.
Ergebnis
Basierend auf einer narrativen Literaturrecherche zur Identifizierung evidenzbasierter Interventionen wurden Erkenntnisse zu monosensorischen und multisensorischen Stimulationen zur Reduktion depressiver Symptome und zur Förderung des psychischen Wohlbefindens in das Programm „Anima Mentis“ überführt. Dieses modular aufgebaute Programm wird in einem Behandlungszentrum mit verschiedenen Raumkonzepten wie Bewegungsraum, Lichtraum, Virtual Reality (VR)-Raum, Nature-360°-Kino und Sinnesraum umgesetzt.
Schlussfolgerung
Das Praxisprojekt „Anima Mentis“ verfolgt einen personalisierten Ansatz zur Förderung der psychischen Gesundheit. Dieses Konzept bietet das Potenzial, in verschiedene Versorgungseinrichtungen wie z. B. die betriebliche Gesundheitsförderung integriert zu werden. Um die Evidenzlage zur multisensorischen Stimulation zu erweitern und Einblicke in spezifische Nutzergruppen, insbesondere im präventiven Kontext, zu gewinnen, ist zukünftige Forschung notwendig.
Psychische Gesundheitsprobleme stellen eine der größten globalen Krankheitslasten mit weitreichenden negativen Folgen auf individueller, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene dar (World Health Organization (WHO) 2017, 2022; Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD)/European Union 2022).
Psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen und Verhaltensstörungen sind Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit, die häufig durch eine Kombination belastender Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen gekennzeichnet sind. Schätzungen zufolge waren im Jahr 2019 weltweit 970 Mio. Menschen von psychischen Störungen betroffen, was einer Punktprävalenz von 13 % entspricht (WHO 2022).
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In Europa sind Depressionen der wichtigste Einzelfaktor für psychische Gesundheitsprobleme. Jede siebte Person leidet im Laufe ihres Lebens an einer schweren Stimmungsstörung, und jedes Jahr erleiden 25 % der Bevölkerung Depressionen oder Angstzustände unterschiedlicher Schweregrade (WHO 2012). Darüber hinaus wird ein erheblicher Anstieg der Prävalenz und Belastung durch depressive Störungen als Folge der Coronapandemie (COVID-19-Pandemie) erwartet (COVID-19 Mental Disorders Collaborators 2021). Depressionen gelten als multikausales, stressassoziiertes Krankheitsbild, dessen Symptome zu einer starken Beeinträchtigung des körperlichen und psychischen Befindens führen und durch gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit gekennzeichnet sind (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) et al. 2015).
Psychische Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil unserer allgemeinen Gesundheit und unseres Wohlbefindens und ein grundlegendes Menschenrecht (WHO 2022). Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen und einen Beitrag zum Gemeinschaftsleben leisten kann.
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verständnis für die Bedeutung psychischer Gesundheit stark gewandelt. Dies hat dazu geführt, dass präventive Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung dieser Gesundheitskomponente zunehmend in den Vordergrund gerückt sind.
Die hohe Prävalenz und die im Vergleich zu anderen psychischen Störungen besonders hohe Krankheitslast der Depression begründen international ein besonderes Interesse an wirksamen, frühzeitig einsetzenden Präventionsmaßnahmen für die Allgemeinbevölkerung.
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Im Kontext der Multikausalität der Depressionsentstehung kann der Faktor Dysstress einerseits als bedeutsam identifiziert werden, andererseits stellt sich Dysstress aus präventiver Sicht als handhabbar und reduzierbar dar (Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Spitzenverband 2020), und ein niedrigschwelliger und individueller Zugang wird gefordert. In diesem Zusammenhang ist der personenzentrierte Ansatz mit einer Kombination aus Personalisierung, Wahlmöglichkeit und Partizipation der Betroffenen von Bedeutung (European Social Network 2011).
Vor dem Hintergrund dieses Bedarfs an spezifischer Gesundheitsförderung und Prävention haben das Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) und die Anima Mentis Fitness GmbH im Jahr 2018 gemeinsam evidenzbasierte, nichtpharmakologische Anwendungen zur Förderung der psychischen Gesundheit konzipiert und in einem Behandlungszentrum in Wien (A) sowohl technisch als auch räumlich umgesetzt.
Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklung und Ausgestaltung des Anwendungsprogramms „Anima Mentis“ zur Förderung der psychischen Gesundheit und Prävention psychischer Erkrankungen.
Unter Berücksichtigung der Epidemiologie, der individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung depressiver Erkrankungen und ihrer multifaktoriellen Ursachen zielt „Anima Mentis“ vorrangig auf die Prävention dieser Erkrankungen und die Förderung der allgemeinen psychischen Gesundheit.
In der Phase der Programmkonzeption war die Identifizierung bestehender Interventionen zur Depressionsprävention und zur Steigerung psychischen Wohlbefindens und ihrer Evidenz von entscheidender Bedeutung. Dies schließt auch ihre Anpassung an den jeweiligen Kontext und ihre praktische Umsetzbarkeit ein.
Um einen umfassenden Überblick zu erhalten, Interventionen zu identifizieren und die verfügbare Evidenz zu den Anwendungen zu erfassen, wurde zwischen Juni und September 2017 eine umfassende narrative Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed, CINAHL über EBSCOhost und Web of Science durchgeführt. Diese wurde durch eine manuelle Suche nach Referenzen in den relevanten Publikationen ergänzt. Dabei wurden verschiedene Suchbegriffe zu den Themenfeldern Bewegungsraum und soziale Erfahrungen, monosensorische und multisensorische Sinneseindrücke, Reizentzug, psychophysiologische Parameter der Depression, Risiko- und Schutzfaktoren, Prävention, Resilienz, Architekturpsychologie, ökologische Psychologie und Lebenskompetenztraining kombiniert. Damit wurde ein breites Spektrum von Disziplinen wie Psychologie, Pflege, Medizin, Architektur und Umweltwissenschaften abgedeckt.
Die Literaturauswahl erfolgte anhand definierter Ein- und Ausschlusskriterien wie Sprache (deutsch und englisch), Zielgruppe (Erwachsene ab 18 Jahren), Art der Intervention (keine pharmakologischen Maßnahmen) und Studiendesign (qualitativ und quantitativ).
In der sich an die Recherche anschließenden Konzeptionsphase wurden die technische und räumliche Machbarkeit untersucht, die Kombinierbarkeit verschiedener Anwendungen geprüft und die Ergebnisse zu monosensorischen und multisensorischen Stimulationen zur Reduktion depressiver Symptome und Förderung des psychischen Wohlbefindens aggregiert und in das Programm „Anima Mentis“ überführt.
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Im Jahr 2018 wurden die technische und bauliche Planung sowie die Umsetzung des Behandlungszentrums „Anima Mentis“ durchgeführt. In enger Zusammenarbeit mit Expert*innen wurden spezifische Technologien identifiziert und ausgewählt, die zur Erreichung der Programmziele beitragen. Diese Technologien wurden anschließend in die architektonische Gestaltung des Zentrums integriert. Bei der Innenraumgestaltung lag der Schwerpunkt auf der Auswahl von Farben und Materialien sowie der Integration natürlicher Elemente wie Pflanzen. Dies geschah mit dem Ziel, eine physische Umgebung, die eine angenehme und beruhigende Atmosphäre vermittelt, zu schaffen. Das Raumkonzept wurde dem modularen Anwendungskonzept angepasst, um eine bedarfsgerechte und flexible Nutzung zu ermöglichen.
Das Programm „Anima Mentis“ verfolgt einen personalisierten Ansatz zur Förderung der psychischen Gesundheit und zielt auf die Verbesserung des psychischen Wohlbefindens auf der Ebene des Individuums ab. Das Programm ist modular aufgebaut und wird im Behandlungszentrum in den Raumkonzepten Bewegungsraum, Lichtraum, VR-Raum, Nature-360°-Kino und Sinnesraum umgesetzt. In diesen Räumen werden verschiedene evidenzbasierte und kombinierbare Anwendungen angeboten.
Für das Behandlungszentrum wird ein breites Spektrum an Mitarbeiter*innen und Fachdisziplinen wie z. B. Psycholog*innen, Yogatrainer*innen, Snoezelentherapeut*innen, Technologieexpert*innen und Verwaltungspersonal benötigt, um eine ganzheitliche Unterstützung der Anwender*innen sicherzustellen.
Die Auswahl der geeigneten und indizierten Kombinationen verschiedener Anwendungen oder Programmmodule für jede*n Anwender*in basiert auf einem standardisierten Assessmentverfahren, das von Psycholog*innen durchgeführt wird. Ziele dieses Verfahrens sind die Ermittlung der Bedürfnisse und Ziele der einzelnen Person und die Festlegung der geeigneten Interventionen.
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Der daraus resultierende Anwendungsplan umfasst in der Regel zwei verschiedene Anwendungsmodule, die jeweils 2‑mal/Woche durchgeführt werden, wobei die Terminplanung individuell auf die Bedürfnisse des*der Anwender*in abgestimmt wird. Nach einer Behandlungsdauer von jeweils 4 Wochen wird der individuelle Anwendungsplan durch ein erneutes Assessment von den Psycholog*innen im Behandlungszentrum gemeinsam mit dem*der Anwender*in systematisch reflektiert und ggf. angepasst. Dieser Prozess ermöglicht eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Interventionen, um sicherzustellen, dass sie den aktuellen Bedürfnissen und Fortschritten des*der Anwender*in entsprechen.
Im Rahmen der individuellen Betreuung der Anwender*innen ist es notwendig, über deren Gesundheitszustand Bescheid zu wissen und Veränderungen beurteilen zu können. Die zentrale Informationsquelle dafür ist das regelmäßig stattfindende Anwender*innengespräch in Form eines Assessments.
Darüber hinaus dient das Assessment der Feststellung, ob eine Person im Sinne der Prävention zur Zielgruppe von „Anima Mentis“ gehört oder z. B. aufgrund einer klinisch relevanten psychischen Symptomatik einer medizinischen Behandlung bedarf.
Das Assessment ist eine Kombination aus validen standardisierten psychometrischen Selbsteinschätzungsinstrumenten zur Erfassung der psychischen Gesundheit und des psychischen/allgemeinen Wohlbefindens sowie einer Reihe von offen zu beantwortenden Fragen, die im Rahmen eines standardisierten Prozesses gemeinsam mit den Anwender*innen durchgeführt werden.
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Regelhaft im Assessmentprozess implementiert sind das Modul PHQ‑9 zur Erfassung der Ausprägung von Depressivität, das Modul GAD‑7 zur Erfassung der Symptomschwere allgemeiner Ängstlichkeit und das Modul PHQ-Stress zur Identifikation psychosozialer Belastungsfaktoren des „Gesundheitsfragebogens für Patienten“ (PHQ‑D) (Gräfe et al. 2004). Zusätzlich werden negativer Stress mithilfe der Subjective Units of Distress Scale (SUDS) und das subjektive psychische Wohlbefinden mithilfe der 4 Subskalen positives Wohlbefinden, Selbstkontrolle, allgemeine Gesundheit und Vitalität des „Psychological General Well-Being Index“ (PGWBI) erfasst (Chassany et al. 2004; Wolpe 1969).
Das Assessment verfolgt 4 Hauptziele:
Das erste Ziel ist die Feststellung der Eignung potentieller Anwender*innen für das Angebotsspektrum von „Anima Mentis“. Gemäß der Zielgruppendefinition gehören Personen mit klinisch relevanten Depressionen oder Ängsten nicht zur Zielgruppe und sind an geeignetere Stellen zu verweisen Die diesbezügliche Einschätzung erfolgt durch den Einsatz der Instrumente PHQ‑9 und GAD‑7.
Zweites Ziel ist die Sammlung relevanter Informationen für die individuelle Empfehlung von Anwendungen und die Begleitung der Anwender*innen. Zu diesem Zweck werden ein ausführlicher Test des psychischen Wohlbefindens (Instrument PGWBI), der PHQ-Stress, die Erfassung der Motivation, sich an „Anima Mentis“ zu wenden, sowie die Erhebung persönlicher Risiko- und Schutzfaktoren durchgeführt.
Drittes Ziel ist die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Anwender*in und Psycholog*in für eine oder mehrere Anwendungen und die damit verbundene Klärung der Rahmenbedingungen wie Anwendungsinhalt, Dauer und Häufigkeit.
Viertes Ziel ist die gemeinsame Evaluation bereits durchgeführter Anwendungen durch Feedback der Anwender*innen im Rahmen eines regelmäßig alle 4 Wochen stattfindenden Reassessments mit dem Ergebnis der Beibehaltung oder ggf. Anpassung des Anwendungsplans.
Im Folgenden werden die Anwendungen bzw. Raumkonzepte hinsichtlich Gestaltung und exemplarischer Evidenzbasis beschrieben.
Die Gestaltung des Bewegungsraumes ist einer natürlichen Umgebung nachempfunden, mit Grünpflanzen an den Wänden und einer großen Videowand, die verschiedene Naturszenen wie z. B. Waldlandschaften zeigt. Zusätzlich wird der Raum akustisch mit Entspannungsmusik oder Naturgeräuschen untermalt. Inhaltlich finden im Raum die Bewegungsinterventionen Yoga und Ergometer-Cycling sowohl in Einzel- als auch in Gruppensitzungen unter fachlicher Anleitung eines*r Trainer*in statt.
Im Bereich der körperlichen Aktivität steht die Entwicklung der Körper- und Selbstwahrnehmung im Vordergrund, die entscheidend ist, um den physischen und psychischen Zustand zu erfassen und entsprechend auf Bedürfnisse wie Ruhe, Erholung oder Aktivierung zu reagieren. Diese Wahrnehmung ermöglicht es auch, persönliche physische und psychische Grenzen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Werden diese Bedürfnisse bewusst wahrgenommen und erfüllt, trägt dies zur Prävention psychischer Erkrankungen bei und fördert das allgemeine Wohlbefinden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität die Stressresistenz und Resilienz erhöht (Childs und Wit 2014; Morgan 2013; Pozuelo-Carrascosa et al. 2017). Die individuelle Anpassung der Belastungsintensität während einer Cycling-Einheit entsprechend den Bedürfnissen und dem Leistungsniveau der Anwender*innen hat eine bedeutende Auswirkung auf die Stimmung. Eine als moderat empfundene Belastung wirkt sich positiv auf das subjektive Wohlbefinden aus (Wicker und Frick 2015).
Yoga ist wirksam bei der Förderung der psychischen Gesundheit und der Behandlung depressiver Symptome. Es konzentriert sich auf die Schulung des Körperbewusstseins, die Verbesserung der Körperfunktionen und die Herbeiführung von Entspannungszuständen (Louie 2014; Uebelacker et al. 2010). Insbesondere Achtsamkeits- und Meditationselemente haben sich als erfolgreiche Strategien zur Reduktion depressiver Symptome und Ängste erwiesen (de Manincor et al. 2015).
Der Lichtraum ist mit einem elektrisch verstellbaren Relax-Sessel, einem Audiosystem mit Kopfhörern, einem Duftdiffusor und einer LED-Lichtwand mit einer Größe von 2 m × 2 m, die gesteuert werden kann, ausgestattet. Die Anwendungen im Lichtraum sind in zwei grundlegende Anwendungsstränge gegliedert: „Aktivierung“ und „psychophysiologische Entspannung“. Die Anwendung wird durch eine multisensorische Stimulation bestimmt, die einen auditiven, olfaktorischen und visuellen Stimulus gleichzeitig für eine definierte Zeit und Intensität kombiniert. Ziel ist eine Stimmungsmodulation im positiven Bereich.
Der Aktivierungsstrang beinhaltet Brightlight (Farbtemperatur 6400 K, Lichtstärke 10.000 lx am Auge des*der Anwender*in), Duft (Zitrone oder Pfefferminz nasennah alternierend appliziert) und aktivierende Musik (Musikstile Klassik, Jazz oder World in definierten Playlisten).
Der Entspannungsstrang beinhaltet Farblicht (Farbstrahlung im sichtbaren Spektralsegment von 400 nm bis 700 nm in den Farbbereichen gelb/orange und blau), Duft (Lavendel oder Pfefferminze nasennah alternierend appliziert) und entspannende Musik (Musikstile Klassik, Jazz oder World in definierten Playlisten).
Die Ausgestaltung der Anwendungskombination wird im Zuge des Assessments von den Psycholog*innen gemeinsam mit dem*der Anwender*in unter Berücksichtigung persönlicher Vorlieben und Erfahrungen auf Basis des Assessmentergebnisses definiert. Im Lichtraum haben die Anwender*innen die Möglichkeit, die Musiklautstärke und die Feinabstimmung des Farblichts im jeweiligen Farbbereich über ein Bedienungs-Device selbst zu steuern.
Lichttherapeutische Interventionen in Form von Brightlight-Anwendungen führen zu positiven Effekten auf das psychische Wohlbefinden, die Stimmung, die Vitalität und zur Reduktion depressiver Symptome (Al-Karawi und Jubair 2016; Canbeyli 2013; DGPPN et al. 2015; Leppämäki et al. 2002; Smolders und de Kort 2014; Veleva et al. 2018). Auch ein positiver Einfluss von Beleuchtung und Farben auf die Stimmung und das emotionale Befinden ist belegt (Spence et al. 2014). Dabei sind die Qualität der Fotostimulation, die Lichtintensität, das Wellenlängenspektrum, die Beleuchtungsdauer und die individuellen zirkadianen Rhythmen der Anwender*innen wesentliche Faktoren für die Stimmungsmodulation (Maruani und Geoffroy 2019).
Akustische Stimulation durch Musik und gezielte Geräusche kann sich positiv auf die Stimmung auswirken und zur Reduktion depressiver Symptome beitragen. Die Wirkung variiert je nach Musikstil und Tonart, was sich in unterschiedlichen Effektstärken ausdrückt (Bakker und Martin 2015; Canbeyli 2013; Chan et al. 2011; Leubner und Hinterberger 2017).
Gerüche haben eine stark modulierende Wirkung auf Emotionen und Stimmungen, und Menschen mit depressiver Symptomatik zeigen eine verminderte olfaktorische Sensitivität (Canbeyli 2010; Kohli et al. 2016; Lombion-Pouthier et al. 2006). Olfaktorische Stimulation stellt eine therapeutische Perspektive dar, insbesondere die positive Wirkung auf die Stimmung und Stressreduktion durch den Duft von Zitrone, Lavendel und Pfefferminze ist belegt (Canbeyli 2010; Dong und Jacob 2016; Rochet et al. 2018).
Der Sinnesraum folgt in seiner Ausstattung dem multifunktionalen Konzept des Snoezelens (Hulsegge und Verheul 1987), auch bekannt als „multisensory environmental therapy“ (MSET). Der Sinnesraum ist eine speziell gestaltete Umgebung, die eine beruhigende und entspannende Atmosphäre schaffen soll und typische Merkmale wie gedämpfte Beleuchtung mit Farbwechsel, entspannende Musik und Naturgeräusche, taktile Elemente mit unterschiedlichen Texturen, Aromatherapie mit ätherischen Ölen, interaktive Projektionen und Lichtelemente, bequeme Möbel, natürliche Dekorationselemente und eine Vielzahl von Sinneselementen wie z. B. Lichtkugeln, Wasserkugeln, Sandkästen und Matten aufweist. Die flexible Raumgestaltung ermöglicht eine individuelle Anpassung an die Bedürfnisse und Vorlieben der Anwender*innen.
Die Anwendung folgt dem Konzept eines didaktischen Dreiecks, das die interaktive Arbeit und Kommunikation zwischen Anwender*in, geschultem Personal und Raum betont und die Autonomie des*der Anwender*in bei der Auswahl geeigneter sensorischer Stimuli für Entspannung oder Aktivierung fördert. Durch selektive sensorische Reize in einer kontrollierten Umgebung zielt der Raum darauf ab, die Fähigkeit der Anwender*innen zu stärken, gesundheitsfördernde Verhaltensweisen zu entwickeln. Die Interaktion im Raum kann sowohl zur aktiven Stressbewältigung als auch zur Förderung von Entspannungszuständen führen.
Im klinischen Kontext wird das Konzept des Snoezelens seit Langem in der Therapie verschiedener psychischer Störungen eingesetzt, mit positiver Evidenz hinsichtlich Stressreduktion, Emotionsregulation, Entspannungs- und Coping-Strategien (Dimitriou und Tsolaki 2017; Scanlan und Novak 2015; Sutton und Nicholson 2011; Wiglesworth und Farnworth 2016; van Weert et al. 2005). Zielgruppe und Intention des Snoezelens haben sich in den letzten Jahren um die Förderung von Achtsamkeit, Erholung und Entspannung erweitert (Mertens 2017).
Das 360°-Naturkino ist ein kreisrunder Raum mit einer wandfüllenden Leinwand im Sinne eines Multimedia-Dome, in die verschiedene bewegte Naturlandschaften wie z. B. Alm‑, Wald- und Fließgewässerlandschaften projiziert werden. Die Landschaften wurden speziell für diese Anwendung an verschiedenen Orten in Österreich in hochauflösender Qualität aufgenommen. In der Mitte des Raumes befindet sich eine Relax-Liege, welche um die eigene Achse drehbar ist und somit den Anwender*innen einen Panoramablick auf die Naturlandschaft ermöglicht. Ziele der Anwendung sind die Entspannung und der Stressabbau durch die Wahrnehmung des projizierten Naturerlebnisses im Sinne eines Eintauchens in eine andere Welt. Um ein ganzheitliches Naturerlebnis zu gewährleisten, werden neben optischen auch olfaktorische und akustische Sinnesreize einbezogen. Diese Sinnesanregung folgt dem Konzept der „soft fascination“, die durch die Interaktion von Aufmerksamkeitsanstrengung und mentaler Bandweite charakterisiert ist (Basu et al. 2018). Das heißt, die Sinnesreize sind anregend, aber nicht zu spektakulär gestaltet und ermöglichen so eine „mühelose“ Aufmerksamkeit, die Stress reduziert, Anspannung abbaut und die Stimmung aufhellt (Ziesenitz 2009).
Im VR-Raum tauchen die Anwender*innen mittels VR-Brille in eine speziell programmierte, virtuell simulierte ganzheitliche Naturumgebung ein. In dieser können sich die Anwender*innen frei bewegen und durch eigenständiges Handeln die Selbstachtsamkeit fördern. Einfache Übungen wie Äpfel sammeln, Puzzles lösen und Blumen pflanzen werden durch kreative Aktivitäten wie Steinskulpturen bauen und dreidimensionales Malen im virtuellen Raum ergänzt. Die Naturkulisse wird durch akustische Reize wie Wind- und Tiergeräusche ergänzt.
Naturerfahrungen haben positive Effekte auf die Stimmung und das subjektive Wohlbefinden (Bratman et al. 2015; Marselle et al. 2015; Ochiai et al. 2015), und auch VR-Naturerlebnisse wirken sich positiv auf Emotionen und die psychische Gesundheit aus und können die Reduktion negativer Emotionen wie Stress, Angst und Traurigkeit unterstützen (Botella et al. 2012; Serrano et al. 2015). Bei der Nutzung von VR ist neben dem Erleben von Naturszenen das Gefühl der Präsenz ein wichtiger Faktor. Je intensiver das Gefühl der Anwender*innen ist, in der virtuellen Natur präsent zu sein und eine „relativ“ reale Erfahrung zu machen, desto stärker sind die emotionale und die physiologische Reaktion auf die VR-Anwendung. Eine Anreicherung der Naturumgebung mit passenden auditiven Reizen wie Vogelgezwitscher und Wassergeräuschen verstärkt dabei den stressreduzierenden Effekt (Annerstedt et al. 2013; Riva et al. 2007; Serrano et al. 2015).
Die Umsetzung des Programms „Anima Mentis“ spiegelt sich in den positiven Rückmeldungen der Anwender*innen zu den Anwendungen und deren subjektiv wahrgenommener Wirksamkeit wider. Die Anwender*innen berichten von individuellen Fortschritten bei der Bewältigung ihrer persönlichen Herausforderungen und einer Verbesserung ihres psychischen Wohlbefindens. Diese Einschätzungen lassen sich auch im Zuge der 4‑wöchigen Assessmentwiederholungen mittels Vergleich der jeweiligen Summen-Scores der psychometrischen Instrumente objektivieren und gemeinsam mit den Psycholog*innen reflektieren.
In einer internen Pilotuntersuchung wurde mittels einfaktorieller MANOVA (Wilks Lambda) bei einer Stichprobe von Anwender*innen (n = 40) die Veränderung psychometrischer Scores zwischen Erst- und Folgeassessment nach 4‑wöchiger Anwendung des Programms „Anima Mentis“ analysiert. Es zeigten sich signifikante Effekte auf die Reduktion des Depression-Scores PHQ‑9 (p = 0,004; d = 0,49), des Angst-Scores GAD‑7 (p < 0,001; d = 0,64) und des Stress-Scores PHQ-Stress (p = 0,001; d = 0,56), was auf eine Verbesserung in verschiedenen mentalen Bereichen bereits nach kurzer Zeit hinweist.
In den Modulen des Programms „Anima Mentis“ werden multisensorische Stimuli angeboten, wobei die Wirksamkeit der einzelnen Stimuli im Hinblick auf die Verbesserung depressiver Symptome und der psychischen Gesundheit belegt ist. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Kombination mehrerer Stimuli einen positiven Einfluss auf das psychische Wohlbefinden hat, und insbesondere Virtual Reality scheint in diesem Zusammenhang ein besonderes Potenzial zu haben (Aristizabal et al. 2021; Browning et al. 2020; Canbeyli 2013; Dong und Jacob 2016; Montana et al. 2020; Park et al. 2019; Schebella et al. 2020).
Aus den Gestaltprinzipien bestimmter Sinnesmodalitäten geht jedoch hervor, dass sensorische Inputs nicht als Summe einzelner Komponenten, sondern als Ganzes wahrgenommen werden (Lin 2004). Dies bedeutet, dass die Wirkung multisensorischer Reize nicht das Ergebnis einer einfachen Addition der Wirkung unisensorischer Reize ist und sich somit die Frage stellt, welche Faktoren multisensorische Effekte beeinflussen (Schreuder et al. 2016), und weiterer Forschung bedarf.
Der individuelle und personenzentrierte Ansatz bei der Gestaltung des Behandlungsplans im Rahmen des Assessments wird von den Anwender*innen als unterstützend erlebt. Sie bewerten die Zusammenführung der Erkenntnisse aus den subjektiven Selbsteinschätzungsbogen, den Erläuterungen der Psycholog*innen und die Berücksichtigung persönlicher Erfahrungen und Präferenzen bei der Erstellung des Behandlungsplans als förderlich. Die Möglichkeit, die Anwendungen zeitlich individuell zu nutzen und den Behandlungsplan flexibel innerhalb der Öffnungszeiten des Behandlungszentrums abzuarbeiten, kommt den Anwender*innen ebenfalls entgegen. Diese Flexibilität fördert eine gute Integration des Anwendungsprogramms in die persönlichen Lebensumstände und Alltagsverpflichtungen der Anwender*innen.
Als gesundheitsförderlich beschreiben die Anwender*innen auch die Interaktion und Kommunikation mit den im Behandlungszentrum handelnden Mitarbeiter*innen. Dies kann als unspezifischer therapeutischer Wirkfaktor betrachtet werden, der alle Aspekte der zwischenmenschlichen Beziehungsgestaltung im Sinne einer förderlichen zwischenmenschlichen Beziehung umfasst (Grawe 2005). So bestehen auch hohe Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter*innen des Behandlungszentrums. Zum einen im fachlichen Bereich, sei es Psychologie, Snoezelentherapie und Yogatraining im „therapeutischen“ Setting oder auch Systemtechnik und Informationstechnologie im Bedien- und Steuerungssetting, zum anderen im zwischenmenschlichen Bereich.
Es zeigt sich, dass das Programm „Anima Mentis“ vorwiegend von Frauen in Anspruch genommen wird (80 %). Dies wirft die Frage nach der Erreichbarkeit von Männern für psychische Gesundheitsthemen auf. Eine geschlechtsspezifische Diskrepanz zeigt sich beispielsweise auch in Belegen aus der Schweiz, Großbritannien und Kanada, die auf eine geringere Inanspruchnahme von Psychotherapie und professioneller psychologischer Hilfe bei psychischen Gesundheitsproblemen durch Männer hindeuten (Johnson et al. 2012; Riecher-Rössler 2008; Yousaf et al. 2015). Als mögliche Barrieren für die Hilfesuche von Männern wurden z. B. restriktive Emotionalität und Scham identifiziert. Darüber hinaus scheint ein Festhalten an traditionellen, hegemonialen Männlichkeitsnormen – wie die Erwartung, stark und unverwundbar zu sein, keine Emotionen zu zeigen, widerstandsfähig und unabhängig zu sein – ein möglicher Einflussfaktor auf die Inanspruchnahme psychosozialer Angebote durch Männer zu sein (Yousaf et al. 2015).
Psychische Gesundheitsprobleme sind eine der größten globalen Krankheitslasten, und die Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention psychischer Störungen wie Depressionen müssen ein vorrangiges Gesundheitsziel sein. Das in diesem Beitrag vorgestellte Praxisprojekt „Anima Mentis“ verfolgt einen personalisierten Ansatz zur Förderung der psychischen Gesundheit in der Allgemeinbevölkerung und zielt auf die Verbesserung des psychischen Wohlbefindens auf individueller Ebene ab. Das Programm „Anima Mentis“ vereint verschiedene nichtpharmakologische Interventionen, die auf sensorischer Stimulation basieren, in Anwendungsmodulen, die untereinander kombiniert und damit auf die individuellen Bedürfnisse hinsichtlich der Förderung der psychischen Gesundheit von potenziellen Anwender*innen abgestimmt werden können.
Diese modulare Konzeption im Sinne von Anwendungsräumen ermöglicht eine Übertragbarkeit und Integration auf andere Anbieterinstitutionen der psychosozialen Versorgungspraxis. Einzelne Module könnten beispielsweise in Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung räumlich und technisch integriert werden. So empfiehlt das Robert Koch-Institut (2021) zur Prävention depressiver Symptomatik und depressiver Störungen die Weiterentwicklung von Setting-Maßnahmen, die sich an die Allgemeinbevölkerung richten, wobei dieser Zugang insbesondere über das Setting Arbeitswelt realisiert werden kann.
Zukünftige Forschung zum Programm „Anima Mentis“ hinsichtlich multisensorischer Anwendungen und deren Kombination im Sinne von „was wirkt wie“ ist notwendig, um einerseits Evidenz zu generieren und zu erweitern und andererseits Erkenntnisse über spezifische Nutzergruppen, insbesondere im Kontext der Prävention, zu gewinnen.
Eine Einschränkung dieses Beitrags zum Programm „Anima Mentis“ besteht darin, dass die Literaturrecherche für die Konzeption vor 6 Jahren durchgeführt wurde, was bedeutet, dass mögliche neuere Erkenntnisse oder Entwicklungen im betreffenden Forschungs- und Versorgungsfeld nicht in das Praxisprojekt einfließen konnten. Dies hat Auswirkungen auf die Aktualität und Vollständigkeit der verwendeten Literaturbasis und lässt möglicherweise neuere Ansätze oder Methoden unberücksichtigt.
R. Eßl-Maurer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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