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Erschienen in: Hebammen Wissen 1/2024

01.01.2024 | Hebammen Beruf

Praxisanleitung: Qualifikation akademisieren

verfasst von: Marie-Jeannine Riefert, Prof. Dr. Harald Abele, Dr. phil. Joachim Graf

Erschienen in: Hebammen Wissen | Ausgabe 1/2024

Steigenden Anforderungen gerecht werden Aufgrund der Akademisierung der Hebammenausbildung muss auch die Praxisanleitung im Rahmen des Studiums neu ausgerichtet werden. Nur so können weiterhin qualitativ hochwertige praktische Lernerfahrungen geschaffen werden. In hohem Maße ist dies auch vom Qualifikationsprofil und den erworbenen Kompetenzen der Praxisanleitenden abhängig.
Seit das neue Hebammengesetz (HebG) im Januar 2020 in Kraft getreten ist, kann der Beruf der Hebamme nur noch nach Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung angestrebt werden. Der praktische Teil des dualen Studiums findet in einem Umfang von 2.200 Stunden im klinischen und außerklinischen Bereich statt. Das neue Gesetz fordert dabei eine verbindliche Praxisanleitung im Umfang von mindestens 25 % der praktischen Ausbildung (§ 32 Abs. 1 (3) HebG). Bis 2030 gelten noch Übergangsregelungen, die einen Anteil von mindestens 15 % vorschreiben (§ 13 Abs. 2 HebG). Steigende Anforderungen an die anleitenden Personen in diesem Bereich spiegeln die Herausforderungen von hochkomplexen Betreuungssituationen und die Entwicklung der akademischen Ausbildung wider (Agel 2020). Dabei geht das Konzept der Praxisanleitung weit über das dem Zufall überlassene Lernen unter Begleitung einer praxisanleitenden Fachperson hinaus. Es ermöglicht unter anderem, Lerninhalte in der Praxis in standardisierten Lernumgebungen strukturiert auszuarbeiten und zu vermitteln, zum Beispiel in einer Simulation, Kleingruppenarbeiten, Skill Labs oder für spezifische Fähigkeiten. Damit wird eine verbindliche Lernerfahrung für alle Studierenden geschaffen, die nicht der zufälligen klinischen Situation unterliegt. Die Akademisierung der Berufsausbildung als duales Studium hat den Prozess der Praxisausbildung an Hochschulen beispielhaft in den Mittelpunkt gestellt und wirft die Frage auf, wie in der Praxisanleitung tätige Hebammen weiterqualifiziert werden können.

Weiterbildung bereitet auf neue Herausforderungen vor

Neben den Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) regelt das HebG die Praxisanleitung der berufspraktischen Hebammenausbildung im Studium (§ 17 HebG). Diese soll durch eine praxisanleitende Person erfolgen, die die Studierenden schrittweise an die Aufgaben im Hebammenberuf heranführt und den Lernprozess im Praxiseinsatz begleitet (§ 14 HebG). Die Qualifikation von Praxisanleitenden ist in der Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV) beschrieben. Demnach müssen sie nicht nur die Berufsbezeichnung „Hebamme“ nach neuem oder altem Gesetz führen, sondern benötigen auch Berufserfahrung im jeweiligen Bereich von mindestens zwei Jahren und eine berufspädagogische Zusatzqualifikation von mindestens 300 Stunden. Zukünftig ist auch eine berufspädagogische Fortbildung von 24 Stunden pro Jahr Pflicht (§ 10 HebStPrV). Möchte die praxisanleitende Person in die staatliche Prüfung eingebunden werden, so ist mindestens der von der zu prüfenden Person angestrebte akademische Grad (B.Sc.) erforderlich (§ 15 (2) HebStPrV). Somit wurden bereits im HebG Anpassungen vorgenommen, um durch einen erhöhten Umfang der Weiterbildung von 200 auf 300 Stunden Praxisanleitende auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten.
Hebammen, die noch nach altem Gesetz eine Weiterbildung zur praxisanleitenden Person absolviert haben, dürfen weiterhin vollumfänglich als Praxisanleitende tätig sein und Studierende im Rahmen der praktischen Ausbildung anleiten, sofern sie die kontinuierliche Fortbildung von 24 Stunden pro Jahr wahrnehmen. Die angepassten Rechtsvorgaben richten sich also an Personen, welche noch nicht über die Qualifikation zur praxisanleitenden Person verfügen, diese aber zukünftig erwerben möchten.
Bereits 2014 forderten Them und Mitarbeitende für anleitende Pflegepersonen in erster Linie eine wissenschaftliche Qualifikation. In ihrer Studie wurden anhand von Experteninterviews Aufgaben und Tätigkeiten sowie die benötigten Kompetenzen von Praxisanleitenden in der praktischen Ausbildung von Pflegestudierenden in primärqualifizierenden Studiengängen identifiziert. Die Resultate bezogen sich unter anderem auf deren sozialberufliche Rolle und ihr Kompetenzprofil. Darüber hinaus wurde gezeigt, welche Strukturen und Prozesse die anleitungsspezifischen Aktivitäten von Praxisanleitenden und dadurch die Qualität der praktischen Ausbildung beeinflussen (Them et al. 2014). Die Ergebnisse der Studie machten deutlich, dass das Qualifikationsprofil der Praxisanleitenden geschärft werden muss, um die praktische Ausbildung von Studierenden an die curriculare Hochschulausbildung anzupassen.

Hohes Kompetenzniveau für komplexe Aufgaben

Studierende der Hebammenwissenschaft und Hebammenkunde erlangen in Ihrem Bachelorstudium Kompetenzen auf Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR). Dieses beschreibt Kompetenzen zur Planung, Bearbeitung und Auswertung von umfassenden fachlichen Aufgaben- und Problemstellungen sowie zur eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen in Teilbereichen eines wissenschaftlichen Faches oder eines beruflichen Tätigkeitsfelds. Die Anforderungsstruktur ist durch Komplexität und häufige Veränderungen gekennzeichnet (Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF] et al. o. J.; Graf et al. 2020; Schönhardt et al. 2020). Praxisanleitende in den Studiengängen der Gesundheitsfachberufe und insbesondere in der Hebammenausbildung müssen daher zukünftig mindestens auf Kompetenzniveau 6 des DQR ausgebildet werden - im Speziellen und auch im Hinblick auf Ihre Kompetenzen in der Hochschuldidaktik.
Um die Praxisanleitung für werdende Hebammen weiterzuentwickeln und Studierende sowie Praxisanleitende durch komplexe Aufgabenstellungen begleiten zu können, bedarf es dagegen der Kompetenzen auf DQR Niveau 7. Dazu gehört, eigenverantwortlich Prozesse zu steuern und neue Ideen und Verfahren entwickeln und anwenden zu können, um die Qualität der berufspraktischen Ausbildung von Studierenden zu steigern. Diese Kompetenzen erlernen erst Masterstudierende im Rahmen ihres Studiums (BMBF et al. o. J.). Tabelle 1 (e-only) zeigt, wie die von der DKG für die Praxisanleitung als wichtig erachteten Inhalte im Studiengang Hebammenwissenschaft und Frauengesundheit der Universität Tübingen aufgegriffen werden. Neben bestimmten Kompetenzschwerpunkten schließt der Studiengang die Qualifikation zur/zum Praxisanleitenden als Wahlmodul in das Curriculum mit ein.

Sieben CanMEDS-Rollen als Orientierungsgrundlage

Mit der Gesetzesreform ändern sich die Kompetenzanforderungen an künftige Praxisanleitende im Bereich der Hebammentätigkeit (Agel 2020). Um den komplexen Anforderungen in diesem Bereich gewachsen zu sein und die vielschichtigen Aufgaben auch in Bezug auf die Weiterentwicklung der akademischen Ausbildung der Hebammen bewältigen zu können, müssen Praxisanleitende zukünftig ihr Kompetenzprofil erweitern.
Die Entwicklung eines Kompetenzprofils nach dem Rollenkonzept der „Canadian Medical Education Directives for Specialists“ (CanMEDS) ist in der Humanmedizin weit verbreitet und in vielen anderen akademisierten Gesundheitsfachberufen übernommen worden. Man kann daher sagen, dass sich die medizinische Aus- und Weiterbildung seit 2000 zunehmend an den CanMEDS orientiert (Frank 2005). Kernprinzip ist, unterschiedliche Kompetenzen zu beschreiben, die insgesamt als konstituierend für das professionelle Handeln erachtet werden (Flaiz et al. 2016). Das CanMEDS-Rollenkonzept besteht aus sieben Rollen:
  • Fachexpertin oder -experte,
  • Lehrende/-r
  • Teamworker/-in
  • Führungskraft
  • Kommunikator/-in
  • Gesundheitsberater/-in
  • Professionsangehörige/-r
Die Rollen inkludieren die von den Praxisanleitenden für die berufspraktische, schulische Ausbildung geforderten Aufgaben (z. B. einarbeiten, koordinieren, bewerten, Konzepte erstellen) und setzen diese in ein erweitertes Rollenmodell. Die Rolle des Fachexperten stellt die Schnittmenge dieser sieben Rollen dar. Das CanMEDS-Rollenkonzept bietet daher eine Orientierungsgrundlage, für die systematische Entwicklung eines Kompetenzprofils für Praxisanleitende im Bereich der Hebammentätigkeit. Demnach wird bei einer Qualifikation auf Masterniveau, bei dem die unterschiedlichen Rollen und deren Kompetenzen erlernt werden, ein Kompetenzprofil nach einem strukturierten Prozess entwickelt.
Im Masterstudiengang Hebammenwissenschaft und Frauengesundheit der Universität Tübingen mit den vier Schwerpunktbereichen „Management & Führung“, „Frauengesundheit“, „Vertiefte Hebammenkompetenz“ und „Vertiefte Forschungskompetenz“ erlernen die Studierenden die Kompetenzen der einzelnen Rollen für jeden Studienbereich und können diese noch vertiefen. Wer sich entscheidet, im Rahmen des Studiums die Qualifikation zur Praxisanleitung zu erwerben, wird daher nicht nur als Expertin oder Experte im Bereich der Hebammentätigkeit und Frauengesundheit ausgebildet. Sie oder er erlernt zudem, wie die Rollen im Rahmen der Praxisanleitung im klinischen und außerklinischen Tätigkeitsbereich der Hebammenarbeit umgesetzt werden können (Abb. 1).
Die zu erwerbenden Kompetenzen erlernen die Studierenden nach einem strukturierten Lernprozess anhand einer Lernzieltaxonomie (Abb. 2, e-only). Hierbei werden die Lernziele nach dem Anspruchsniveau geordnet. Am Anfang wird den Studierenden allgemeines Wissen zu den jeweiligen Kompetenzen im Studienbereich vermittelt. Im Laufe ihres Studiums sollen die Studierenden das Erlernte dann nicht nur verstehen und anwenden können, sondern auch analysieren und bewerten. Als Expertinnen und Experten sind sie dann in der Lage, das Erlernte weiterzuentwickeln und Neues zu schaffen.

Strukturiert und prozessorientiert arbeiten

Die im Studium erworbenen Kompetenzen können die Studierenden im Rahmen der vorgeschriebenen Hospitation einsetzen, in der eine Praxisanleitung selbstständig durchgeführt wird. Die Ausarbeitung der Praxisanleitung verfolgt das ständige Ziel, Elemente der Praxisanleitung weiterzuentwickeln (Lernzieltaxonomie). Eine Praxisanleitung sollte strukturiert ablaufen. Daher erfordert sie neben didaktischen Kenntnissen auch eine strukturierte Herangehensweise (Agel 2020). Hierbei gilt es, die Praxisanleitung als einen Prozess zu sehen, bei dem es viel zu berücksichtigen und vorzubereiten gibt und dessen Grundlage somit eine strukturierte und prozessorientierte Arbeitsweise bildet. Eine Methode mit einem qualitätsverbessernden Aspekt ist der Plan-Do-Check-Act-Zyklus von W. E. Deming:
  • Plan: Planung einer Praxisanleitung
  • Do: Durchführung einer Praxisanleitung
  • Check: Lernzielkontrolle der Praxisanleitung
  • Act: Reflexion und Überarbeitung der Anleitungsplanung
Innerhalb der einzelnen Planungsschritte steht es den Anleitenden frei, eine geeignete Methode für die Durchführung der Praxisanleitung zu definieren. Schmal (2017) fasst unter der klassischen praktischen Anleitung folgende Methoden zusammen: 4-Schritt-Methode, Metalog®-Trainingsmethode, problembasierte Praxisanleitung, „cognitive apprenticeship“ und Lernaufgaben. Einen geeigneten didaktischen Ansatz auszuwählen, unterstützt die Zielsetzung der Theorie-Praxis-Vernetzung maßgeblich und befasst sich mit der theoretischen Struktur zur Gestaltung von Anleitungssituationen (Agel 2020). Zukünftige Praxisanleitende sollten daher in ihrer Weiterqualifikation methodische, fachliche und pädagogische Kompetenzen erlernen, um Studierenden die vorgeschriebenen Kompetenzen nach der HebStPrV vermitteln zu können. Letztlich finden sich in der Planung einer Praxisanleitung die einzelnen Kompetenzbereiche des CanMEDS-Rollenkonzept wieder.
Management: In der Rolle als Manager/-in plant die praxisanleitende Person die Praxisanleitung selbst. Sie berücksichtigt dabei die Anforderungen, die sich aus dem neuen HebG ergeben, sowie vorgegebene Lernziele der Hochschule.
Lernen und Lehren: Als Lernende sind Praxisanleitende verpflichtet, sich auf dem aktuellen Stand der hebammenwissenschaftlichen Erkenntnisse zu halten und diese in die Praxisanleitung einfließen zu lassen. Dies schließt gerade das lebenslange Lernen mit ein. In der Funktion als Lehrende sind Praxisanleitende dafür verantwortlich, den Studierenden die vorgegebenen Kompetenzen auf Niveau DQR 6 in der Anleitungssituation zu vermitteln.
Kommunikation: In der Rolle als Kommunikator/-in schafft die praxisanleitende Person durch wertschätzende Kommunikation mit den Studierenden eine positive Lernatmosphäre. Mittels unterschiedlicher Kommunikationsformen (z.B. verbal und nonverbal) kann sie die Studierenden während einer Anleitung begleiten. Sie nimmt Einfluss auf die Kommunikation zwischen den Studierenden und anderen Fachkräften und zu den von ihr in der Praxis betreuten Personen.
Zusammenarbeit: Praxisanleitende arbeiten mit unterschiedlichen Teams zusammen. Sie bilden die Brücke zwischen Hochschule und Praxiseinrichtung und gewährleisten somit einen effizienten Theorie-Praxis-Transfer.
Vertretung der Auszubildenden/Studierenden: Praxisanleitende haben auch die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Studierenden weder über- noch unterfordert sind. Sie erkennen emotional belastende Situationen für Studierende und können darauf eingehen.
Professionalität: Als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Berufsgruppe richten sich Praxisanleitende in ihrem Handeln an den ethischen Grundsätzen des Berufsfelds der Hebammentätigkeit aus. Sie tragen dazu bei, das Qualitätsniveau in der Ausbildung auf einem hohen Stand zu halten und nach außen hin sichtbar zu machen. Als Expertinnen und Experten sind Praxisanleitende durch ihr Fachwissen und ihre Kompetenzen auf DQR Niveau 7 in der Lage, eine Praxisanleitung strukturiert zu planen sowie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxisanleitung zu nutzen und diese an Lernende zu vermitteln. Ebenso sollten sie eine positive Lernatmosphäre schaffen, einen guten Theorie-Praxis-Transfer gewährleisten und den Anforderungen an die Lernenden (DQR 6) gerecht werden. Nicht zuletzt müssen sie das Qualitätsniveau der praktischen Ausbildung auf einem hohen Niveau halten, indem sie die Praxisanleitung kritisch reflektieren und anhand der Erkenntnisse weiterentwickeln.

Erforderliche Skills für Praxisanleitende

Grundlagen anwenden: Lernen, theoriegeleitet pflegen, Anleitungsprozesse planen und gestalten, Qualitätsmanagement
Professionell handeln: Ihre Rolle bewusst wahrnehmen, anleiten, beurteilen und bewerten
Persönliche Weiterentwicklung fördern: In ihrer Rolle Beziehungen gestalten, Handlungskompetenz in der Praxis fördern, mit kultureller Vielfalt professionell umgehen

Fazit

Die Entwicklungen im Bereich der Hebammenwissenschaft in Deutschland stellen Praxisanleitende vor neue Herausforderungen. Dazu gehören insbesondere Betreuungssituationen und die Akademisierung des Ausbildungsberufs, die einer Weiterentwicklung von zusätzlichen Kompetenzen bedürfen.
Aktuell werden die in der Weiterbildung erworbenen Kompetenzen den Ansprüchen der Studierenden nicht vollumfänglich gerecht. Dies wurde bereits bei den angepassten Empfehlungen der DKG berücksichtigt. Es sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass ein Großteil der Fachpersonen in Pflegeberufen schulisch ausgebildet werden wird.
Die Kompetenzentwicklung auf Masterniveau zu erlangen und damit das Berufsbild der Praxisanleitung zu akademisieren, könnte ein guter Ansatz sein, die praktische Ausbildung von Hebammen an die Hochschulinhalte anzupassen. So werden Studierende gezielt auf ihre verantwortungsvollen Aufgaben in Theorie und Praxis vorbereitet.
Metadaten
Titel
Praxisanleitung: Qualifikation akademisieren
verfasst von
Marie-Jeannine Riefert
Prof. Dr. Harald Abele
Dr. phil. Joachim Graf
Publikationsdatum
01.01.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Hebammen Wissen / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 2730-7247
Elektronische ISSN: 2730-7255
DOI
https://doi.org/10.1007/s43877-023-0846-6

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