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Erschienen in: Pflegezeitschrift 12/2023

01.12.2023 | Pflege Management

Im Test: Vier-Tage-Woche für Pflegekräfte

verfasst von: Timo Jost, Henrik van Gellekom

Erschienen in: Pflegezeitschrift | Ausgabe 12/2023

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Zusammenfassung

Erste Erfahrungen zeigen, dass die Vier-Tage-Woche für einen Teil der Pflegekräfte zu einer Verbesserung der Work-Life-Balance durch zusätzliche freie Tage führt. Aufgrund der verlängerten Schichten auf neun Stunden findet die Vier-Tage-Woche jedoch nicht bei allen Kollegen eine positive Rückmeldung. Hier wird eine starke Belastung gesehen, die durch die zusätzlichen freien Tage nicht ausgeglichen wird. Die qualitative pflegerische Versorgung hat besonders durch die verlängerten Überlappungszeiten der einzelnen Schichten nach ersten Auswertungen zugenommen. Hier führt die erhöhte Personalstärke zu Verbesserung von hochaufwendigen Pflegetätigkeiten, Dokumentation, Anleitung und Ausbildung.
Klinikum Bielefeld startet Pilotprojekt Auf zwei Stationen des Klinikums Bielefeld wird die Vier-Tage-Arbeitswoche in der Pflege erprobt. Dabei bleibt die wöchentliche tarifliche (TVöD) Vollarbeitszeit von 38,5 Stunden erhalten und die Dauer der einzelnen Schicht wird auf neun Stunden verlängert. Ziel ist es, die pflegerische Versorgung der Patienten zu verbessern.
Am 1. Juli 2023 wurde ein Pilotprojekt gestartet, das Modellcharakter für die gesamte Pflege am Klinikum haben soll: Vollzeit-Pflegekräfte einer Station für Innere Medizin (Geriatrie - eher längere Liegezeiten) sowie eine Chirurgische Station (eher kurze Liegezeiten/hochfrequent/operativ) absolvieren ihren Dienst im Rahmen einer Vier-Tage-Woche. Ziel des Projektes ist es, die pflegerische Versorgung der Patienten im Klinikum zu verbessern. Dies geschieht über zwei Ansatzpunkte: Zum einen geht das Klinikum Bielefeld in der Personalpolitik neue Wege und setzt sich für eine bessere Work-Life-Balance der Mitarbeitenden in der Pflege ein. Zum anderen soll es durch eine deutlich verlängerte Überlappungszeit der Schichten ermöglicht werden, die qualitative Versorgung der Patienten zu steigern.

Aufbau des Pilotprojektes

Die Dienstzeiten wurden verlängert: Im Rahmen des Pilotprojektes wurden die Früh-, Spät- und Nachtschicht auf eine Dauer von neun Stunden angepasst, wodurch die Mitarbeitenden auf eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden kommen - dies entspricht der tariflichen Arbeitszeit einer Vollzeitstelle im TVöD-P (Entgeltordnung für Beschäftigte im kommunalen Bereich Pflegedienst). Die Schichten gehen jetzt: 6.00-15.30 Uhr, 13.00-22.30 Uhr und 21.30-7.00 Uhr. Die Besetzung der Dienste auf Station wird durch die Anpassung der Schichten nicht negativ beeinflusst. Die längeren Überlappungen der Dienste sind ausdrücklich gewollt. Die rechnerisch fehlenden 1,2 Dienste werden durch Fortbildungen, Springerdienste, Stundenabbau oder andere Modelle aufgefangen. Im Monatsdienstplan bedeutet die Umstellung auf das Vier-Tage-Arbeitswochenmodell für den Einzelnen, dass auf jeweils ein bis sechs Dienste ein bis sechs freie Tage folgen. Der Dienstplan gestaltet sich so, dass jedes zweite Wochenende wie gewohnt frei und jedes erste Wochenende Dienst ist. Von diesen Wochenenden aus gestalten sich dann die weiteren Dienste. Ein Beispiel:
  • Freitag, Samstag, Sonntag, Montag: Dienst
  • Dienstag, Mittwoch: Frei
  • Donnerstag, Freitag: Dienst
  • Samstag, Sonntag, Montag: Frei
Daraus ergeben sich in den beschriebenen 14 Tagen acht Dienste, das übliche Modell sieht hier elf Dienste vor. Dies liest sich nicht nur dynamisch, sondern ist auch für die Mitarbeitenden eine Veränderung in der Kontinuität ihrer Lebensgestaltung. Das herkömmliche Modell erscheint auf den ersten Blick strukturierter: elf Tage Dienst und dann drei Tage frei.
In der Planung der Dienste ist die Stationsleitung frei. Es ist auch möglich, die Dienste aneinander zu reihen. Es dürfen jedoch laut Arbeitsrecht in einer Doppelwoche nie mehr als zehn Dienste platziert werden. Die Wechsel von Spätdienst auf Frühdienst sind mit den Neun-Stunden-Diensten wie beschrieben auch nicht möglich. Hier ist also Kreativität oder Anpassungswille gefragt. Sollte ein solcher "kurzer Wechsel" planerisch möglich sein, müssten die neun Stunden anders gelegt werden. In diesen Fällen könnte der Spätdienst bereits um 11.30 Uhr beginnen. Es zeigt sich also, dass die Planung der Vier-Tage-Arbeitswoche von vornherein etwas aufwendiger ist. Zudem gilt: je größer das Team und je ähnlicher die Stellenanteile, desto einfacher ist die Planung.

Vorteile und Herausforderungen des Arbeitszeitmodells

Die Vorteile, die sich das Klinikum Bielefeld vom Pilotprojekt der Vier-Tage-Woche für die Pflegekräfte verspricht, sind zum einen eine Verdoppelung der freien Tage und die Möglichkeit für Teilzeit-Mitarbeitende mit einem Stellenanteil von 50-75 %, ihre Arbeitszeit zu erhöhen, ohne mehr Tage in der Woche arbeiten zu müssen - somit haben sie höhere Verdienstmöglichkeiten. Die Reduzierung auf 50-75 % Stellenanteil erfolgt meist aus familiären Gründen, wie zum Beispiel die Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen oder Kindern. Häufig ist die Betreuung während der Arbeitstage im familiären Setting geklärt oder alternativ organisiert. Neben den Neueinstellungen für das Vier-Tage-Arbeitswochenmodell sind auch diese Arbeitszeiterhöhungen ein wichtiger Baustein in der Personalgewinnung.
Auch für den Arbeitsablauf auf der Station bringt das Modell eine deutliche Verbesserung: Durch verlängerte Dienstzeiten und die damit entstehende doppelte Personalstärke beim Wechsel vom Frühdienst auf den Spätdienst sowie im Wechsel vom Spätdienst auf den Nachtdienst werden personalintensive, planbare Tätigkeiten wie die schwierige Lagerungen von Patienten, aufwändige Körperpflege, das Wechseln von Kathetern oder die Anleitung von Auszubildenden und neuen Pflegekräften erleichtert. Auch haben die Mitarbeitenden für Aufgaben, die sie innerhalb ihres Dienstes erledigen müssen, durch die längere Dauer der Schicht mehr Zeit.
Für eine dauerhafte Etablierung der Vier-Tage-Woche in der Pflege müssen jedoch auch noch einige Herausforderungen gemeistert werden (z.B. die Integration der Teilzeitkräfte in die veränderten Tagesabläufe und Prozesse). Auch die Umstellung auf einen Neun-Stunden-Dienst ist, wenn das ganze bisherige Berufsleben in 7,33 Stunden Dienste geteilt war, nicht einfach und bedarf einer Anpassungszeit.

Erfahrungswerte nach den ersten drei Monaten

Es bestätigen sich bereits erste erhoffte Vorteile des Projektes: Die pflegerische Versorgungsqualität hat zugenommen. Die erhoffte Entlastung durch eine doppelte Personalstärke in der Überlappungszeit ist eingetreten. Erste Rückmeldungen zeigen, dass die Zeit genutzt wird, um besonders personalintensive und aufwendige Interventionen zu planen und umzusetzen. Dem Klinikum Bielefeld war es wichtig, den Stationen in der Pilotphase möglichst großen Gestaltungsspielraum lassen, um neuen Ideen einen Raum zu geben. Insgesamt ist eine Verbesserung der Dokumentation zu beobachten, auch, weil nach der Übergabe eine Zeitreserve vorhanden ist, in der ohne Störungen dokumentiert werden kann. Die Anleitung für Auszubildende und die Einarbeitung neuer Kollegen wird optimiert. Es kommt nicht zu einer Erhöhung der Produktivität im Sinne von einer Steigerung der Patienten- oder Mitarbeiterzahlen. Die Stationsgröße hat sich nicht verändert. Wenn der Produktivitätsbegriff allerdings die Versorgungsqualität, die Dokumentation und zum Beispiel auch die Ausbildungsqualität erfasst, ist eine deutliche Steigerung wahrnehmbar. Ein weiterer Effekt ist der deutliche Rückgang von Mehrarbeit aufgrund von verlängerten Schichten. Hier ist festzustellen, dass ein pünktliches Beenden der Schicht deutlich zugenommen hat. Betrachtet man die Entwicklung der Work-Life-Balance der Mitarbeitenden in der Vier-Tage-Arbeitswoche, gibt es geteilte Rückmeldungen. Die Verlängerung der Schichten auf neun Stunden ist für einen Teil der Kollegen eine Mehrbelastung, die auch durch eine erhöhte Anzahl von freien Tagen nicht aufgefangen wird. Dem gegenüber steht die positive Rückmeldung besonders der jüngeren Kollegen über den Zugewinn von freien Tagen. Auch, dass sich die Arbeit innerhalb der Schicht entzerrt hat und dadurch als weniger belastend empfunden wird. Zudem ist die freie Zeit besser planbar wird, weil es seltener zu Mehrarbeit kommt, wird als Vorteil wahrgenommen.
Das Pilotprojekt hat Modellcharakter für die gesamte Pflege am Klinikum Bielefeld und soll in Zukunft weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften inspirieren. Das Klinikum ist überzeugt, dass die Testung der Vier-Tage-Arbeitswoche ein wichtiger Schritt in Richtung einer besseren Arbeitsplatzgestaltung und damit auch einer besseren Patientenversorgung ist.

Fazit

Durch die Vier-Tage-Woche zeigt sich eine positive Entwicklung hinsichtlich der Pflegequalität am Patienten und die Entlastung für die Pflegekräfte innerhalb der Schichten.
Durch die Veränderungen der Arbeitszeiten werden Prozesse hinterfragt und angepasst, dies führt zu einer eigenen Dynamik.
Nicht alle Mitarbeitenden sehen das Arbeitszeitmodell als Vorteil an. Die Mehrbelastung durch einen längeren Arbeitstag ist eine Herausforderung.

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Metadaten
Titel
Im Test: Vier-Tage-Woche für Pflegekräfte
verfasst von
Timo Jost
Henrik van Gellekom
Publikationsdatum
01.12.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Pflegezeitschrift / Ausgabe 12/2023
Print ISSN: 0945-1129
Elektronische ISSN: 2520-1816
DOI
https://doi.org/10.1007/s41906-023-2206-3

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