Skip to main content

Open Access 10.08.2023 | Konzepte - Stellungnahmen - Perspektiven

Ein neues Rettungskonzept für Schwerstverletzte in militärischen und zivilen Großschadenslagen: DRONEVAC

verfasst von: W. Schmidbauer, C. Jänig, E. Vits, T. Gruebl, S. Sauer, N. Weller, K. Kehe, F. Holzapfel, T. Lüth, K. G. Kanz, E. Rittinghaus, Univ.-Prof. Dr. med. P. Biberthaler

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Zusammenfassung

Sowohl zivile Großschadenslagen wie z. B. die Starkregenkatastrophe 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen als auch der Angriffskrieg in der Ukraine machen deutlich, dass in der zivilen wie in der militärischen Notfall- und Rettungsmedizin immer wieder die Herausforderung bestehen wird, eine größere Anzahl an Opfern lokalisieren, stabilisieren, evakuieren und möglichst schnell in Behandlungseinrichtungen transportieren zu müssen. Dabei ist neben einer nichtausreichenden Transportkapazität häufig auch ein Mangel an Fachpersonal zu kompensieren. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, neue Entwicklungen und Technologien auf ihr Potenzial zu überprüfen, zukünftig das Management und die Bewältigung von Großschadenslagen zu verbessern.
Der Einsatz von Drohnen, also unbemannten (Luft‑)Fahrzeugen, bietet für diese Szenarien multiple Möglichkeiten, von der Aufklärung über logistischen Support bis hin zum Patiententransport mit telemedizinischer Behandlungssteuerung und -überwachung während des Transports.
Das DRONEVAC-Konzept beruht auf dem Einsatz von unbemannten (Luft‑)Fahrzeugen (DROhNen), die mit medizinischer Ausrüstung und telemedizinischer Anbindung ausgestattet sind, um Patienten schneller, personalsparend und sicher zu finden und zu evakuieren (EVACuation).
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Das Prinzip

In der Notfallmedizin hat es immer wieder durch die Einführung disruptiver Technologien innovative Entwicklungen gegeben, die mit einer sprunghaften Änderung der Prognose von schwerstverletzten und -erkrankten Patienten einhergegangen ist. Durch die Nutzung neuer Technologien hat sich auch das (notfall-)medizinische Konzept immer wieder neu angepasst, um das bestmögliche Ergebnis für Betroffene zu erreichen. Ganz besondere Bedeutung hat dies für Schwerstverletzte, die im Rahmen besonderer Gefahrenlagen oder kriegerischen Auseinandersetzungen verwundet werden. So hat die Entwicklung von leistungsfähigen Luftfahrzeugen das Überleben von Verletzten bzw. Soldaten signifikant verbessert [1]. Während erste luftgestützte Patiententransporte militärisch bereits 1870 mittels Heißluftballons erfolgten, erlebte die (militärische) Luftrettung ihre eigentliche Geburtsstunde im Koreakrieg und nachfolgend im Vietnamkrieg. Aufgrund der in beiden Ländern schwierigen geografischen Verhältnisse sorgten die neu entwickelten Hubschrauber durch die Fähigkeit, schnell in unwegsames Gelände zu gelangen und dort Patienten aufnehmen zu können, für eine deutliche Verkürzung der prähospitalen Versorgungszeit [1, 2]. Der pathophysiologische Wirkmechanismus war hier die Reduktion des therapiefreien Intervalls durch den ungleich schnelleren Transport nach präklinischer Stabilisierung. Hintergrund ist, dass bei allen Fortschritten der präklinischen Notfallmedizin viele Verletzungen nur im stationären Bereich effektiv behandelt werden können (z. B. chirurgisches Stoppen einer intraabdominellen Blutung im OP). Dies war und ist die Grundlage für die erfolgreiche Etablierung eines militärischen Luftrettungsdienstes, dessen Erfolg dazu führte, dass dieses Konzept in die zivile Notfallversorgung übertragen wurde.
Nach initialer Diagnose und Stabilisierung erfolgt der rasche Transport zur kausalen stationären Therapie. Ähnlich wie bei der traumatologischen Blutung steht auch bei zahlreichen akuten Erkrankungen nur ein enges Zeitfester zur Verfügung, innerhalb dessen eine kausale Therapie noch effektiv ist (https://​www.​awmf.​org/​) (Tab. 1).
Tab. 1
Darstellung von Notfällen mit engen Zeitvorgaben für die präklinische Versorgung. (Nach Fischer et al. [29])
Krankheit/Verletzung
Zeitvorgabe nach Leitlinie
Schweres Schädel-Hirn-Trauma
Max. 60 min bis Übergabe in geeignetem Krankenhaus
Max. 90 min bis Operationsbeginn
Schwerverletzte/Polytrauma
Max. 60 min bis Übergabe in geeignetem Krankenhaus
Max. 90 min bis Operationsbeginn
Schlaganfall
Max. 60 min bis Übergabe in geeignetes Krankenaus
Max. 90 min bis Therapieentscheidung
Sepsis
Max. 60 min bis Übergabe in geeignetem Krankenhaus
Max. 90 min bis Probenentnahme/Antibiotikatherapie
ST-Hebungsinfarkt
Max. 60–90 min bis Beginn der Akut-PCI
Reanimation bei plötzlichem Herz-Kreislauf-Stillstand
Max. 60 min bis Übergabe in geeignetem Krankenhaus
Aktuell gibt es die nächste bahnbrechende Weiterentwicklung in der Luftfahrt: das autonome Fliegen. Damit eng verbunden ist die Frage, ob und wie autonomes Fliegen die bestehenden Luftrettungssysteme ergänzen und möglichicherweise verändern kann. Vorteile eines Einsatzes von Drohnen können sich durch die Reduktion des erforderlichen Fachpersonals, durch schnelleres Erreichen schwer zugänglicher Einsatzstellen, durch eine erhöhte Kapazität an Luftrettungsmitteln und durch flexiblen, modularen Einsatz (Aufklärung, Transport von Fachpersonal sowie Material an die Einsatzstelle, Rettungseinsatz mit Patiententransport, Windenrettung, Abb. 1) ergeben.
DRONEVAC wird zukünftig die prähospitale Versorgung verändern, muss dazu aber in das etablierte und bewährte System der Notfallversorgung integriert werden. Das DRONEVAC-Konzept beruht auf dem Einsatz von unbemannten (Luft‑)Fahrzeugen (DROhNen), die mit medizinischer Ausrüstung und telemedizinischer Anbindung ausgestattet sind, um Patienten schneller, personalsparend und sicher zu finden und zu evakuieren (EVACuation). Stabilisierende Erstversorgung erfolgt parallel zur Aktivierung eines Rettungsdrohnensystems, welches in kurzer Zeit an nahezu jedem Ort landen kann. Die anschließende, unbegleitete Drohnentransportphase erfordert eine kontinuierliche telemedizinische Überwachung des Patienten und sollte zusätzlich Möglichkeiten enthalten, bei akuter Verschlechterung des Patienten zielgenau reagieren zu können (z. B. durch Robotik). Sicherer Transport, zuverlässige Überwachung und zielgerichtete Notfallintervention müssen einerseits gewährleistet sein, sorgen aber auch dafür, dass Versorgungs- und Transportphase enger miteinander verknüpft werden und damit Zeit eingespart wird. Nur damit wird perspektivisch die Qualität eines begleiteten Transportes erreicht. Dieses Konzept wurde als DRONEVAC entwickelt, um zukünftig Notfallpatienten unter Einsparung von personellen Ressourcen, in größerer Anzahl und unter schwierigen Bedingungen schnell auffinden, transportieren, überwachen und behandeln zu können. In der derzeitigen Entwicklungsphase sieht das Konzept vor, dass entsprechend der TCCC die lebensrettenden Maßnahmen vor Ort von entsprechend geschulten Providern, wie z. B. Sanitätspersonal, Einsatz-Ersthelfern etc., durchgeführt werden. Klar ist in diesem Zusammenhang, dass das vorgestellte Konzept es durch den autonomen Transport ermöglicht, wertvolles Fachpersonal von potenziellen Gefahrenzonen fernzuhalten.

Die Machbarkeit

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass DRONEVAC aufgrund seiner Merkmale zunächst für den militärischen Einsatz und im Katastrophenfall besonders in MANV-Lagen geeignet ist, bestehende Konzepte sinnvoll zu ergänzen.
Die technischen Grundlagen sind bereits jetzt geschaffen. Pickell et al. [3] führen in ihrem key paper, knapp zusammengefasst und mit gut basierter Literatur, die Entwicklung von „unmanned aircraft systems/unmanned aerial vehicles“ (UAS/UAV) als logische Folge der militärmedizinischen Rettungskette aus und erbringen anhand einer Machbarkeitsstudie den „proof of principle“ für ein medizinisches Drohnenkonzept. Untermauert wird dies durch die Ergebnisse von Balchard, der in seiner Masterarbeit „UAVs and patient movement“ [4] sehr detailliert die Entwicklungen von unbemannten Rettungsdrohnen in der US-Armee darlegt und deren Entwicklung als logische Konsequenz aus den bestehenden Luftrettungssystemen belegt. Darüber hinaus verdeutlicht er auch klar, dass diese Systeme bestehende hubschrauberbasierte Rettungssysteme nicht ersetzen, sondern ergänzen werden. Gerade die militärischen Konflikte der jüngeren Vergangenheit in Europa haben gezeigt, dass bei hoher Gefechtsintensität täglich mit mehreren Hundert Verwundeten zu rechnen ist. Dabei können neben Soldaten auch Zivilisten betroffen sein. Weiter ist aus den oben genannten Arbeiten klar ersichtlich, dass im militärischen Bereich intensiv und mit Hochdruck an der Entwicklung solcher Systeme gearbeitet wird. So hat die Science and Technology Organization des Nordatlantikpakts (North Atlantic Treaty Organization, NATO) bereits 2010 in ihrem Forschungsbericht [5] die Entwicklung von „unmanned aircraft systems for casuality evacuation“ als logische Weiterentwicklung der luftgebundenen Rettungssysteme identifiziert. Hieraus hat z. B. das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten (Department of Defence, DoD) ein intensives Forschungsprogram aufgelegt, um solche UAV zu entwickeln. Somit ist das hiesige Konzept übereinstimmend mit den Zukunftskonzepten wesentlicher Vordenker und Thinktanks sowie künftiger westlicher militärischer Strategien. Es ist gegenwärtig davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten Jahre erste einsatzfähige Drohnen vorliegen. Aktuell läuft eine Ausschreibung des European Defence Fund (EDF), mit der explizit die Entwicklung einer europäischen Rettungsdrohne gefördert wird. Mit der Verfügbarkeit erster Prototypen werden dann im Rahmen weiterer Studien wichtige Frage geklärt werden können, wie z. B. der Patient gelagert wird (z. B. Trage, Schleifkorb, Bergesack). Da aber für die Entwicklung von Prototypen ein grundlegendes Einsatzkonzept erforderlich ist und vom EDF auch gefordert wird, war die Definition von DRONEVAC zu diesem frühen Zeitpunkt zwingend erforderlich. Dieses Konzept ist dabei bewusst so aufgestellt, dass technische Fortschritte jederzeit integriert werden können. So ist davon auszugehen, dass die überbrückbaren Entfernungen mit zunehmender Akkuleistung größer werden und damit das Konzept erweitert werden kann.
Das DRONEVAC-Konzept wurde nach einer Bedarfsanalyse durch eine Forschungsgruppe der TU München in Kooperation mit der Bundeswehr entwickelt und befindet sich aktuell in einer Pilotphase, deren detaillierte Bestandteile momentan nicht veröffentlicht werden können. Mittlerweile konnte das EDF-Projekt von einem internationalen Konsortium gewonnen werden, dem alle Autoren angehören. Damit ist gewährleistet, dass die Realisierung eines Prototyps innerhalb der nächsten 3 Jahre erfolgen wird (Abb. 2). Eine detaillierte Beschreibung der technischen Spezifikationen ist aus Geheimhaltungsgründen leider nicht möglich.

Aktuelle Nutzung von Drohnen im medizinischen Kontext

Der routinemäßige Einsatz von Drohnen hat u. a. in Landwirtschaft, Umweltüberwachung, öffentlicher Sicherheit und Lieferungen im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen. Auch im Bereich des Gesundheitswesens und des Krisenmanagements sind Drohnen mittlerweile nicht mehr wegzudenken und haben bereits mehrfach dazu beigetragen, Menschenleben zu retten.
Drohnen können insbesondere bei Such- und Rettungsmaßnahmen in unwegsamen Geländen oder auf See zur Aufklärung beitragen und beispielsweise mit Wärmebild- oder Multispektralkameras dabei helfen, Verletzte, Verschüttete oder im Wasser Treibende schneller aufzuspüren und damit das behandlungsfreie Intervall deutlich zu reduzieren [6]. So wurden bei Naturkatastrophen wie den Erdbeben 2010 und 2016 auf den Philippinen und nach dem Taifun Haiyan 2013 Drohnen eingesetzt [7].
Der Aufbau eines Kommunikationsnetzwerkes bei fehlender oder zerstörter Infrastruktur kann durch Drohnen erfolgen. Als „Auge am Himmel“ ermöglichen Drohnen in komplexen oder gefährlichen Lagen, wie einem Massenanfall von Verwundeten oder einer CBRN-Kontamination, den Überblick zu behalten und ggf. eine AI-gestützte Triage [8] (AI: „artificial intelligence“, deutsch KI für künstliche Intelligenz) durchzuführen. Denkbar ist hier auch der Einsatz weiterer Drohnen, die beispielsweise aus sicherer Distanz eine Dekontamination koordinieren, weitere Vitalparameter wie die Atemfrequenz ermitteln [9] oder eine bidirektionale Kommunikation mit den Verwundeten ermöglichen.
Dieser Ansatz der klassischen Telemedizin bietet in naher Zukunft sicherlich noch viele weitere Einsatzgebiete.
Neben diesen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sind Drohnen optimale Transportmittel und wurden bereits im Rahmen von COVID-19 genutzt, um aus sicherer Entfernung persönliche Schutzausrüstung wie Masken, Impfungen und Medikamente in entlegene und potenziell infektiöse Gebiete zu transportieren, ohne weiteres Hilfspersonal zu gefährden [10]. Drohnen können durch Verwendung von Geoinfosystemen, Radar, weiterer Sensorik und AI vollständig (Level 5 nach European Cockpit Association) automatisiert werden und sind nahezu unabhängig von Landschaft und Infrastruktur, Verkehrsnetzen und Verkehrsaufkommen, Witterung und Sichtverhältnissen jederzeit einsetzbar. Der entscheidende Vorteil von Transportdrohnen gegenüber anderen Transportmitteln ist jedoch zweifelsfrei deren enorme Transportgeschwindigkeit. So bieten Transportdrohnen insbesondere bei zeitkritischen Lieferungen von Notfallmedikamenten (z. B. Naloxon, Antiepileptika, Epinephrin, Insulin), Blutprodukten, Organen zur Transplantation [11] und Schwimmhilfen in unzugänglichen Küstenregionen [12] einen signifikanten Vorteil [13], der im Rahmen von Notfällen auch über Leben und Tod entscheiden kann. Als bekannteste Erfolgsgeschichte ist hier sicherlich der autonome Transport von AED zu nennen, der es in die Medien schaffte, als er am 09.12.2021 dabei half, einem 71-jährigen Schweden das Leben zu retten [14].
Durch die stetige technische Weiterentwicklung nehmen auch die möglichen Transportlasten und Transportwege kontinuierlich zu. Dabei sind Drohnen durch den elektrischen Betrieb weitaus klimafreundlicher und erzeugen wesentlich weniger Lärm als andere Transportmittel. Während in den oben genannten Beispielen meist Drohnen verwendet wurden, die nur geringe Lasten tragen können, ist es mittlerweile problemlos möglich, auch Ladungen weit oberhalb von 500 kg über mehrere Hundert Kilometer zu transportieren.
Längst wurde das Potenzial von Multicoptern, die ein senkrechtes Starten und Landen („vertical take-off and landing“, VTOL) ermöglichen, auch für den Personentransport erkannt und in den Medien als „Flugtaxis“ verbreitet [15]. Sie sollen als urbane Mobilität der dritten Dimension zu einer deutlichen Zeitersparnis gegenüber alternativen Verkehrsmitteln führen [16].

Nutzung von Telematik und Telemedizin in der Präklinik

Die Telemedizin hat sich in den letzten Jahren in Deutschland deutlich weiterentwickelt [17] und kommt mit verbesserten technischen und klinischen Möglichkeiten auch der präklinischen Patientenversorgung zugute. So können dank Telematik (Verbindung von Telekommunikation mit Informatik) Vitalparameter von verschiedenen Sensoren und Geräten wie Beatmungsgerät, EKG-Gerät oder Perfusor zusammengeführt werden und im Bedarfsfall mit weiteren Informationen wie beispielsweise Personendaten, EKG, Ultraschallbildern oder Fotos von der Unfallstelle ohne Informationsverluste bereits vor Erreichen der Zielklinik den weiterbehandelnden Ärzten zur Verfügung gestellt werden. Einen Schritt weiter geht das Konzept des Telenotarztes: Aufgrund wachsender Einsatzzahlen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel kam es in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Mangel an Notärzten, was im schlimmsten Fall zu einer inadäquaten oder verzögerten Notfallbehandlung führte. Um diese Defiziente zu überwinden, hat die Stadt Aachen ein Telenotarztsystem entwickelt, bei dem speziell ausgebildete Telenotärzte konsultiert werden können. Hierbei kann der Telenotarzt auf die Vitalzeichen der Patienten sowie eine Kamera im Inneren des Rettungswagens zugreifen und im Rahmen der Teledelegation behandeln [18]. Da es sich bei den Patienten um kritisch kranke Patienten handelt, ist auch während des Fluges eine kontinuierliche Überwachung zu gewährleisten. Eine bidirektionalen Kommunikationsmöglichkeit beispielsweise in Form einer VR-Brille sowie ein risikoadaptiertes Monitoring [19] mit Echtzeitübertragung und i.v.-Zugang bilden hier die Basis.
Für Monitoring, Diagnostik und Therapie werden zunächst etablierte Medizinprodukte aus der Rettung genutzt, die im Verlauf jedoch durch weitere zukunftsweisende und platzsparende Verfahren wie „wearables/smart textiles“ ersetzt werden können. Neben der Überwachung von Beatmung [20] und Perfusoren, die sich problemlos auch aus der Ferne steuern lassen und damit beispielsweise den Transport von narkotisierten Patienten zulassen, sind in den kommenden Jahren auch weitere therapeutische Verfahren, wie die Anlage von Tourniquets [21], s.c.- [22] oder i.m.-Injektionen bzw. das Etablieren von Gefäßzugängen [23] bis hin zur Intubation [24] denkbar.

Das DRONEVAC-Konzept

Das Konzept nimmt die dargestellten, bereits bestehenden technischen Möglichkeiten auf und integriert sie in bestehende Versorgungskonzepte, um diese besser und schlagkräftiger zu machen. Im Folgenden wird der Einsatz von DRONEVAC im militärischen Einsatz bei der Versorgung Verwundeter exemplarisch dargestellt und kurz dargelegt, welche Vorteile damit verbunden sein können. Der klassische Weg des Verwundeten wird damit zum digitalen Weg des Verwundeten transformiert.

Auffinden der Verwundeten

Durch Einsatz von entsprechenden Erkundungsdrohnen können Verwundete rascher aufgefunden werden. In Zukunft werden möglicherweise neben dem genauen Fundort bereits erste Vitalwerte übermittelt und für eine erste Triage herangezogen werden können.

Rettung aus dem Gefahrenbereich

Wenn Drohnen zukünftig auch mit Winden ausgestattet sind, kann dies dazu genutzt werden, Verwundete aus unzugänglichen Lagen schneller zu retten.

Präklinische Versorgung: Tactical Combat Casualty Care

Das Konzept der taktischen Verwundetenversorgung wurde etabliert, um die Sterblichkeit auf dem Gefechtsfeld dadurch zu senken, potenziell vermeidbare Todesfälle durch geeignete Basismaßnahmen zu verhindern [28].
Die häufigsten Todesursachen von Patienten, die bereits prähospital auf dem Gefechtsfeld versterben, sind mit 91 % Blutungen, gefolgt von Atemwegsverlegungen in 8 % und in 1 % Spannungspneumothoraces [25]. Aufgrund der direkten und primären Beeinträchtigung des lebensnotwendigen Sauerstofftransports entlang des Herz-Kreislauf-Systems durch diese Verletzungen bzw. Komplikationen ist klar, dass deren Therapie in höchstem Maße zeitkritisch ist. Das heisst, je früher sie therapiert werden, umso höher ist die Überlebenswahrscheinlichkeit der Verletzten.
Zur Adressierung der oben genannten potenziell überlebbaren Verletzungen wurden unter dem Akronym MARCH [28] folgende Maßnahmenkategorien zusammengefasst:
  • M – „massive bleeding“,
  • A – „airway“,
  • R – „respiration“,
  • C – „circulation“,
  • H – „hypothermia/head injury“.
Im Vordergrund stehen bei den zugeordneten Maßnahmen daher die aggressive Blutungskontrolle mittels direkter Kompression, die Anwendung von Tourniquets, Nutzung von Hämostyptika und Druckverbänden, die passagere Atemwegssicherung mittels nasopharyngealem Tubus, die Entlastung von Spannungspneumothoraces mittels Nadeldekompression, die Kreislaufstabilisierung durch restriktiven Einsatz von kristalloiden und kolloidalen Infusionslösungen mit permissiver Hypotonie sowie die Hypothermievermeidung bzw. -behandlung z. B. mittels Rettungsdecken sowie die Berücksichtigung von Schädel-Hirn-Traumen im Rahmen der Kreislauftherapie. Die pathophysiologische Grundlage findet sich u. a. in einer zwar schon etwas älteren, aber dennoch viel beachteten Arbeit aus dem New England Journal of Medicine. Bickell et al. [26] zeigen in ihrer Arbeit aus dem Jahr 1994, dass i.v.-Flüssigkeitssubstitution in Patienten nach penetrierendem Trauma zu einem signifikant schlechteren Outcome führt. Spezifiziert man die retrospektive Analyse auf die 309 Patienten nach penetrierendem Thoraxtrauma und instabilem Kreislauf (81 ± 29 mm Hg), erhört sich die Wahrscheinlichkeit zu sterben um das 3Fache bei einer Verzögerung der Notfalloperation um 10 min bei einer Gesamtmortalität von 27 % [27].
Die Vorstellung des TCCC-Konzepts erfolgte nach einer kurzen Entwicklungsphase im Jahr 1996 als Reaktion auf eine sehr hohe Sterberate unter den Soldaten, die 1993 während der Operation Gothic Serpent (bekannt durch den Film Black Hawk Down) in Somalia auf dem Gefechtsfeld verwundet worden sind [28]. Das Konzept beinhaltet bedrohungsangepasst nur diejenigen Maßnahmen, die tatsächlichen Einfluss auf potenziell vermeidbare Todesursachen und damit das Überleben in der präklinischen Phase, der „golden hour“, haben. Die Vermittlung weniger, aber effektiver Fertigkeiten hat den Vorteil, dass sie mit geringem Aufwand von jedem Soldaten erlernbar und im Rahmen der Selbst- bzw. Kameradenhilfe anwendbar sind. So bilden beispielsweise die U.S.-Streitkräfte ihre Soldaten in einem 6‑h-Kurs (TCCC All Service Member Course) aus, speziell diese wenigen, aber tatsächlich lebensrettenden Maßnahmen anzuwenden.
Die Effektivität dieses Konzepts geht aus einer kürzlich veröffentlichen Metaanalyse [28] hervor, die anhand von 62 Arbeiten, welche insgesamt 62.352 Fälle aufgearbeitet hat, belegt, dass die Maßnahmen sicher durchgeführt werden können. Somit lassen die Daten zur Frage der Dauer des Intervalls zwischen Verletzung und chirurgischer Versorgung einen hochsignifikanten und klaren Schluss zu: Je rascher der Verletzte in eine geeignete Versorgungseinrichtung verbracht wird, umso besser. Vorgeschaltet können einige wenige Maßnahmen entsprechend dem TCCC werden, welche einen tatsächlichen Einfluss auf das Überleben haben.
Durch den Einsatz vieler Drohnen, die schnell sowohl die Verwundeten als auch im Verlauf das Krankenhaus erreichen, kann wertvolle Zeit eingespart werden.

Schneller Transport

Gerade nach penetrierenden Verletzungen hat sich gezeigt, dass die frühe chirurgische Versorgung der Blutung die zentrale Säule der Therapie darstellt. Daher besteht das notfallmedizinische Prinzip bis zu dieser chirurgischen Versorgung darin, zum einen weitere Schäden zu vermeiden und zum anderen in einer möglichen Verkürzung des prähospitalen Intervalls. Dies wurde in einer jüngsten Veröffentlichung der Harvard-Universität anhand von 43.467 Patienten nach penetrierendem Trauma eindrucksvoll belegt. So steigt die Wahrscheinlichkeit zu versterben um 2 % für jede Minute verlängerte Anfahrtszeit des Rettungsdienstes und um 1 % für jede Minute, die vor Ort versorgt wird, mit einem p < 0,0001 bzw. p < 0,001. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass für die spezielle Verletzungsform des penetrierenden Traumas „scoop and run“ die Herangehensweise mit der höchsten Überlebenswahrscheinlichkeit ist [29]. Unter der Berücksichtigung einer evidenzbasierten Medizin ist diese Studie die größte und eindeutigste zu diesem Thema. Untermauert werden diese Daten durch eine retrospektive Untersuchung anhand 103.209 Patienten nach penetrierendem Trauma (Schuss/Stich) zur Frage der Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom gewählten Transportmittel (Rettungsdienst vs. privaten Transport). Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll mit 9,3 % vs. 4,5 %, dass die medizinische Strategie der Stabilisierung durch den Rettungsdienst für dieses spezifische Kollektiv mit einer um das 2Fache erhöhten Mortalität einhergeht.

Hohe Transportkapazität

Drohnen werden vermutlich in höherer Stückzahl als Hubschrauber verfügbar sein und damit die Transportkapazität erhöhen und die individuelle Versorgungszeit des einzelnen Verwundeten reduzieren.

Patientensicherheit, Monitoring und Therapie im Rahmen eines digitalisierten Drohnentransports

Die Patientensicherheit ist das höchste Gut und kann anhand des vorgestellten Konzepts durch 2 wesentliche Faktoren gesichert bzw. gegenüber aktuellen Systemen gesteigert werden: die Versorgung vor und während des Transports sowie die optimale Koordination des Einsatzes.

Überwachung

Eine lückenlose telemedizinische Versorgung der Verwundeten muss gesichert sein. Dazu werden im besten Fall sog. Wearables genutzt. Das sind Sensoren, die entweder bereits in die Unform integriert sind oder körpernah getragen werden („smart watches“) und kabellos mit dem telemedizinischen System der Drohne verknüpft werden. Damit ist sehr früh die Übertragung von Vitalwerten in Echtzeit möglich. Darüber hinaus kann nicht nur der den Transport überwachende Operator den Verlauf verfolgen, sondern auch die aufnehmende Klinik. Die Transportdaten können zu jeder Zeit automatisch zu einem „medical report“ zusammengefasst und an die aufnehmende Klinik verschickt werden. Zusätzlich können Wearables mit einer persönlichen Codierung hinterlegt sein, sodass darüber ein Verwundeten-Tracking möglich ist.

Sicherstellung der Kommunikation

Über Funk muss eine Sprachverbindung zwischen Verwundeten und Operator möglich sein.

Intervention

Eine Verschlechterung des Patientenzustandes muss während des Transports nicht nur erkannt, sondern nach Möglichkeit behandelt werden können. Dazu muss die Möglichkeit bestehen, dass bestimmte Maßnahmen durch den Bediener ferngesteuert ausgelöst werden, z. B. Medikamentengabe. Zukünftig sind auch komplette Closed-Loop-Systeme vorstellbar, innerhalb derer(patho-)physiologische Veränderungen automatisierte Therapien auslösen, z. B. indem durch Blutdetektoren in den Rettungsdecken Blutungen frühzeitig erkannt werden und ein vorher locker angebrachtes Tourniquet mechanisch gestrafft wird.

Einsatzsteuerung

Darüber hinaus ermöglicht es die digitale Anbindung der Drohne an das Online-Verteilungssystem der Einsatzleitzentrale, die optimale Steuerung in diejenige Einrichtung, welche zum aktuellen Zeitpunkt die Versorgung des Verwundeten am besten übernehmen kann. Daraus ergibt sich eine verbesserte Steuerungs- und Koordinierungsmöglichkeit, welche das Behandlungsergebnis des Patienten substanziell beeinflussen könnte.

Zusammenfassung

DRONEVAC ist ein Konzept mit dem durch die Nutzung von Drohnen Verletzte bzw. Erkrankte schneller aufgefunden und nach kurzer präklinischer Stabilisierung rasch in die Klinik transportiert werden können. Wesentliches Merkmal ist der damit einhergehende hohe Grad an Digitalisierung einschließlich einer Echtzeitüberwachung und automatischer Interventionsmöglichkeiten.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

W. Schmidbauer, C. Jänig, E. Vits, T. Gruebl, S. Sauer, N. Weller, K. Kehe, F. Holzapfel, T. Lüth, K.G. Kanz, E. Rittinghaus und P. Biberthaler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Notfall + Rettungsmedizin

Print-Titel

• Praxisorientierte Leitthemen für die optimale Behandlung von Notfallpatienten

• Interdisziplinäre Ansätze und Konzepte

• Praxisnahe Übersichten, Fallberichte, Leitlinien und Empfehlungen

Springer Pflege Klinik – unser Angebot für die Pflegefachpersonen Ihrer Klinik

Mit dem Angebot Springer Pflege Klinik erhält Ihre Einrichtung Zugang zu allen Zeitschrifteninhalten und Zugriff auf über 50 zertifizierte Fortbildungsmodule.

Literatur
3.
Zurück zum Zitat Pickell W, Kopeikin A, Bristow et al (2019) Feasibility Study for a MEDEVAC Electric UAS Capability. 2019 International Conference on Unmanned Aircraft Systems (ICUAS), S 630–635 Pickell W, Kopeikin A, Bristow et al (2019) Feasibility Study for a MEDEVAC Electric UAS Capability. 2019 International Conference on Unmanned Aircraft Systems (ICUAS), S 630–635
12.
Zurück zum Zitat Ajgaonkar K, Khanolkar S, Rodrigues J et al (2020) Development of a Lifeguard assist Drone for coastal search and rescue. Global Oceans 2020. IEEE, Singapore—U.S. Gulf CoastCrossRef Ajgaonkar K, Khanolkar S, Rodrigues J et al (2020) Development of a Lifeguard assist Drone for coastal search and rescue. Global Oceans 2020. IEEE, Singapore—U.S. Gulf CoastCrossRef
16.
Zurück zum Zitat Reuter F, Etezadzadeh C (2020) Interview: Urbane Mobilität in der dritten Dimension. In: Etezadzadeh C (Hrsg) Smart City – Made in Germany. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 571–577CrossRef Reuter F, Etezadzadeh C (2020) Interview: Urbane Mobilität in der dritten Dimension. In: Etezadzadeh C (Hrsg) Smart City – Made in Germany. Springer Vieweg, Wiesbaden, S 571–577CrossRef
22.
25.
Zurück zum Zitat Eastridge BJ, Mabry LR, Seguin P et al (2012) Death on the battlefield (2001–2011): implications for the future of combat casualty care. J Trauma Acute Care Surg 73:431–437CrossRef Eastridge BJ, Mabry LR, Seguin P et al (2012) Death on the battlefield (2001–2011): implications for the future of combat casualty care. J Trauma Acute Care Surg 73:431–437CrossRef
26.
Zurück zum Zitat Bickell WH, Wall MJ, Pepe PE et al (1994) Immediate versus delayed fluid resuscitation for hypotensive patients with penetrating torso injuries. N Engl J Med 331:1105–1109CrossRefPubMed Bickell WH, Wall MJ, Pepe PE et al (1994) Immediate versus delayed fluid resuscitation for hypotensive patients with penetrating torso injuries. N Engl J Med 331:1105–1109CrossRefPubMed
27.
Zurück zum Zitat Meizoso JP, Ray JJ, Karcutskie CA et al (2016) Effect of time to operation on mortality for hypotensive patients with gunshot wounds to the torso: The golden 10 minutes. J Trauma Acute Care Surg 81:685–691CrossRefPubMed Meizoso JP, Ray JJ, Karcutskie CA et al (2016) Effect of time to operation on mortality for hypotensive patients with gunshot wounds to the torso: The golden 10 minutes. J Trauma Acute Care Surg 81:685–691CrossRefPubMed
28.
Zurück zum Zitat Butler FK (2017) Two decades of saving lives on the battlefield: tactical combat casualty care turns 20. Mil Med 182:e1563–e1568CrossRefPubMed Butler FK (2017) Two decades of saving lives on the battlefield: tactical combat casualty care turns 20. Mil Med 182:e1563–e1568CrossRefPubMed
30.
Zurück zum Zitat Bardes JM et al (2018) The contemporary timing of trauma deaths. J Trauma Acute Care Surg 84:893–899CrossRefPubMed Bardes JM et al (2018) The contemporary timing of trauma deaths. J Trauma Acute Care Surg 84:893–899CrossRefPubMed
32.
Zurück zum Zitat Howard JT, Kotwal RS, Santos-Lazada AR et al (2018) Reexamination of a battlefield trauma golden hour policy. J Trauma Acute Care Surg 84(1):11–18CrossRefPubMed Howard JT, Kotwal RS, Santos-Lazada AR et al (2018) Reexamination of a battlefield trauma golden hour policy. J Trauma Acute Care Surg 84(1):11–18CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Ein neues Rettungskonzept für Schwerstverletzte in militärischen und zivilen Großschadenslagen: DRONEVAC
verfasst von
W. Schmidbauer
C. Jänig
E. Vits
T. Gruebl
S. Sauer
N. Weller
K. Kehe
F. Holzapfel
T. Lüth
K. G. Kanz
E. Rittinghaus
Univ.-Prof. Dr. med. P. Biberthaler
Publikationsdatum
10.08.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-023-01190-5