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Open Access 29.11.2023 | Originalien

Analyse zum Umgang mit digitalen Übersetzungsprogrammen

Nutzen wir diese und sollten wir diese nutzen?

verfasst von: Dr. Philipp Zehnder, Jörg Heberer, Markus Schwarz, Frederik Greve, Peter Biberthaler, Chlodwig Kirchhoff, Michael Zyskowski

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin

Zusammenfassung

Hintergrund

Durch Zunahme der Globalisierung und verstärkte globale Migrationstendenzen kommt es zu einer Zunahme von Mehrsprachigkeit. Dies hat Verständigungsprobleme zwischen Ärzt*innen und Patient*innen zur Folge. Digitale Übersetzungsprogramme können hier eine kostengünstige und zeitsparende Alternative sein. Anwendungshäufigkeit, Risiken und die juristischen Rahmenbedingungen gilt es zu beleuchten.

Methoden

Das TraumaNetzwerk der DGU umfasst deutschlandweit 478 Notaufnahmen. Diese wurden angeschrieben und gebeten, mittels Fragebogen ihren Umgang mit digitalen Übersetzungsprogrammen darzulegen. Die Ergebnisse wurden statistisch ausgewertet und mit der gegenwärtigen Rechtsprechung korreliert.

Ergebnisse

Von 478 Kliniken haben 103 (21,5 %) teilgenommen. Digitale Übersetzungsprogramme werden im klinischen Alltag bereits von mehr als 70 % der befragten Kolleg*innen genutzt. Etwa 50 % haben digitale Übersetzungsprogramme bereits zur Aufklärung für eine nichtlebensbedrohliche Operation genutzt. Die Mehrheit der befragten Kolleg*innen (87,4 %) sieht sich bei der Aufklärung einer nicht Deutsch sprechenden Patient*in rechtlich nicht ausreichend abgesichert.

Schlussfolgerung

Bei zunehmend knappen personellen Ressourcen hat die Nutzung digitaler Übersetzungsprogramme im klinischen Alltag zur Kommunikation mit fremdsprachigen Patienten*innen Einzug gehalten. Die Vorteile dieser Übersetzungsprogramme sind durch ihre niederschwellige und tageszeitunabhängige Verfügbarkeit evident. Klare gesetzliche Rahmenbedingungen für die Nutzung sind jedoch bis dato nicht existent. Aufgrund der möglichen Fehleranfälligkeit bezüglich der medizinischen Nomenklatur dieser Übersetzungsprogramme und nicht bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen ist deren Verwendung im klinischen Alltag risikobehaftet und kann derzeit nicht empfohlen werden.
Hinweise
Der Fragebogen, der der Studie zugrunde liegt, ist auf Anfrage beim Korrespondenzautor erhältlich.
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Im Rahmen der Zunahme an Globalisierung steigt auch der Anteil der nicht Deutsch sprechenden Patient*innen. Verständigungsprobleme aufgrund einer Sprachbarriere gehören längst zum Alltag in unseren Notaufnahmen. Digitale Übersetzungsprogramme können hier schnelle, kostengünstige Abhilfe leisten. Ob wir diese nutzen und ob wir diese nutzen sollten, haben wir analysiert.

Einleitung

„Du har en covid infektion. Gå venligst i karantæne“ (dänisch). „Ai o infecție cu covidă. Vă rugăm să intrați în carantină“ (rumänisch). „У ваc Covid-інфекція. Ідіть, будь лаcка, на карантин“ (ukrainisch). – „Sie haben eine Covid-Infektion. Bitte gehen Sie in Quarantäne“ (deutsch). Dieser Satz wurde mithilfe von Übersetzungsprogrammen wie DeepL (DeepL SE, Maarweg 165, 50825 Köln, Deutschland) oder Google.translate (Google Ireland, Gordon House Barrow Street Dublin 4, Irland) innerhalb von Sekunden in die jeweilige Sprache übersetzt [4, 11].
In der letzten Dekade (2011–2020) hat sich, als Konsequenz der wachsenden Globalisierung und anhaltender globaler Migrationsbewegungen, der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Deutschland von 7,9 % auf 12,7 % um mehr als 60 % erhöht [2]. Dadurch hat sich auch der Anteil der nicht Deutsch sprechenden Bevölkerung erhöht. Sprachbarrieren können zu Problemen in der Kommunikation zwischen der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt und der Patientin/dem Patienten führen und im schlimmsten Fall in einer Fehlbehandlung resultieren [6]. Aus einem formal rechtlichen Blickwinkel gesehen, muss eine medizinische Aufklärung durch die behandelnden Mediziner für die jeweiligen Patient*innen verständlich sein, und im Zweifel muss ein Übersetzer hinzugezogen werden [1]. Es ist ständige Rechtsprechung, dass bei der Behandlung fremdsprachiger Patient*innen die Ärztin/der Arzt eine sprachkundige Person hinzuziehen muss, sollte zu befürchten sein, dass der Patient/die Patientin der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist bzw. die Aufklärung der Ärztin/des Arztes nicht richtig versteht [9].
Während ungeplanter Behandlungen in der Notaufnahme stellt dies eine logistische Herausforderung dar, sodass digitale Übersetzungsprogramme eine kostengünstige und zeitsparende Alternative zur Übersetzung durch dritte Personen sein können. Eine gültige Rechtsgrundlage bezüglich der Nutzung dieser Programme existiert derzeit jedoch nicht.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, zunächst herauszufinden, wie verbreitet die Nutzung digitaler Übersetzungsprogramme bereits in deutschen Kliniken ist und welche alternativen Übersetzungsmöglichkeiten im klinischen Alltag in deutschen Notaufnahmen zur Anwendung kommen. Außerdem stellt sich die Frage, ob der Umgang mit Sprachbarrieren eher eine Herausforderung des urbanen oder des ländlichen Raums ist. Zuletzt beleuchtet diese Arbeit die juristischen Hintergründe der Nutzung von digitalen Übersetzungsprogrammen.

Methoden

Das TraumaNetzwerk (TNW) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) umfasst 680 Kliniken [12]. Diese Kliniken sind über die Website der DGU [12] öffentlich einsehbar. In einer Sichtung der am TNW teilnehmenden deutschen Kliniken konnten die E‑Mail-Adressen über die jeweilige Homepage der einzelnen Klinik von 478 Notaufnahmeleiter*innen beziehungsweise die allgemeine E‑Mail-Adresse der jeweiligen Notaufnahme detektiert werden. An diese E‑Mail-Adressen wurde ein mittels der Umfragesoftware „evasys“ (evasys GmbH, Konrad-Zuse-Allee 13, 21337 Lüneburg, Deutschland; [5]) erstellter Fragebogen verschickt. Die kontaktierten Kolleginnen und Kollegen hatten insgesamt zwei Monate Zeit (von Mitte Januar bis Mitte März 2022), den digitalen Fragebogen auszufüllen. Innerhalb dieses Zeitraums wurden zwei Erinnerungsbenachrichtigungen versandt.
Der Fragebogen beinhaltet neben allgemeinen Kennzahlen (Geschlecht des Teilnehmers, Größe des Traumazentrums etc.) je einen Absatz zur Dokumentation und zur Kommunikation in der Notaufnahme. Hierbei wird insbesondere der Umgang mit Patient*innen mit einer Sprachbarriere abgefragt.
Bei dieser Studie handelt sich um eine deskriptive Forschungsarbeit ohne Adjustierung des alpha-Niveaus. Das Konfidenzintervall wurde mit 95 % berechnet. Die statistischen Analysen wurden mit SPSS Version 27 (IBM Corp. Released 2020. IBM SPSS Statistics for Macintosh Version 27.0. Armonk, NY, USA) durchgeführt. Zur Beurteilung der Normalverteilung wurde der Kolmogorow-Smirnow-Test verwendet. Sofern eine Normalverteilung vorlag, wurde der t‑Test benutzt. Lag keine Normalverteilung vor, wurde der Mann-Whitney-U-Test durchgeführt. Kategoriale Variablen wurden mithilfe des exakten Fisher-Tests und des Chi-Quadrat-Tests (Pearson-Chi-Quadrat) verglichen. Die teilnehmenden Kliniken wurden mit dem Ziel, Unterschiede zwischen urbanem und ländlichem Raum zu zeigen, in zwei Gruppen unterteilt. In Gruppe 1 sind die Antworten aus Orten mit weniger als 150.000 Einwohnern eingeflossen, Gruppe 2 bildeten Antworten aus Kliniken mit mehr als 150.000 Einwohnern.
Eine Datenschutzabschätzung wurde durch die Stabsstelle Datenschutz – Treuhandstelle des Klinikums rechts der Isar (Ismaninger Str. 22, 81675 München) durchgeführt, nach Rücksprache mit der Ethikkommission war ein Ethikvotum bei einer Befragung von ärztlichen Kolleg*innen nicht notwendig.

Ergebnisse

Population/teilnehmende Kliniken

Von 478 kontaktierten Kliniken haben 103 Klinikverantwortliche den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Die Teilnahmequote umfasste damit 21,5 %. Die Teilnehmerzahl betrug in Gruppe 1 (Orte mit < 150 Tsd. Einwohnern) n = 62 und in Gruppe 2 (Orte mit > 150 Tsd. Einwohnern) n = 41.
Die für ihre Notaufnahme antwortenden Personen waren in beiden Gruppen zu etwas mehr als 30 % weiblich (s. Tab. 1).
Tab. 1
Demografischer Vergleich zwischen Gruppe 1 (< 150 Tsd. E.) und Gruppe 2 (> 150 Tsd. E)
 
< 150 Tsd. E.
> 150 Tsd. E.
p-Wert
Rückmeldungen gesamt
62
41
k. A.
Weiblich (%)
30,6
34,1
0,83
Lokales Traumazentrum (Anteil, %)
43,5
9,8
0,01
Überregionales Traumazentrum (Anteil, %)
21
56,1
0,01
Behandelte Patient*innen/Tag
70,9 ± 30
98,2 ± 42
0,01
Bettenkapazität des Krankenhauses < 500 Betten (Anteil in %)
74,2
34,1
0,01
k. A. keine Angabe
Bezüglich der Klinikgröße konnten nach Kriterien der DGU in Gruppe 1 43,5 % (n = 27) der Notaufnahmen als lokales Traumazentrum, 35,5 % (n = 22) als regionales und 21 % (n = 13) als überregionales Traumazentrum eingestuft werden. In Gruppe 2 waren 9,8 % (n = 4) als lokales, 34,1 % (n = 14) als regionales und 56,1 % (n = 23) als überregionales Traumazentrum eingestuft (s. Tab. 1).
Kliniken der Gruppe 1 haben, befragt nach der Zahl der täglich in der zentralen Notaufnahme behandelten Patient*innen, im Mittel 71 (±30) Patient*innenkontakte pro Tag angegeben. In Kliniken der Gruppe 2 zeigte sich diesbezüglich ein höheres Aufkommen an Patient*innen mit 98 (±42) Patient*innen am Tag (p = 0,01). Die Bettenkapazität der Kliniken teilte sich wie folgt auf: 74,2 % (n = 46) der Kliniken aus Gruppe 1 gaben an, weniger als 500 Betten zu haben. In Gruppe 2 waren die Häuser mit weniger als 500 Betten mit 34,1 % (n = 14) signifikant weniger (p = 0,01).

Umgang mit Verständigungsproblemen

Zunächst stellten wir die Frage „Wie managen Sie Verständigungsprobleme mit Patient*innen aufgrund von fehlenden Sprachkenntnissen?“.
In Gruppe 1 gaben 100 % (62/62) der Kolleg*innen an, unter anderem auf fremdsprachenkundiges Klinikpersonal zurückzugreifen, in Gruppe 2 gaben dies 95,1 % (39/41) an. Am zweithäufigsten wurde in beiden Gruppen, Gruppe 1 85,1 % (53/62) und in Gruppe 2 85,5 % (35/41), die Begleitperson als Übersetzer genannt. Digitale Übersetzungsprogramme belegten Platz drei, wobei 69,4 % (43/62) in Gruppe 1 und 73,2 % (30/41) der Kliniken aus Gruppe 2 angegeben haben, diese zu nutzen.
Auch bei der Frage zum Umgang mit Sprachbarrieren im Rahmen der Aufklärung zu einer nichtlebensbedrohlichen Operation zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Teilnehmenden gaben in Gruppe 1 zu 93,5 % (58/62) an, auf fremdsprachenkundiges Klinikpersonal zurückzugreifen, in Gruppe 2 gaben dies 90,2 % (37/41) an. Etwas häufiger gaben die Teilnehmenden bei der Frage zu elektiven Eingriffen an, auf die Hilfe von Begleitpersonen für die Übersetzung zurückzugreifen. In Gruppe 1 gaben ebenfalls 93,5 % (58/62) an, diese zu nutzen, und in Gruppe 2 sogar 95,1 % (39/41). Im elektiven Rahmen gaben 62,9 % (39/62) in Gruppe 1 und 48,8 % (20/41) in Gruppe 2 (vgl. Tab. 2) an, digitale Übersetzungsprogramme für die Operationsaufklärung zu nutzen.
Tab. 2
Antworten der Umfrage – Gruppe 1 und 2 im Vergleich
 
< 150 Tsd. E.
> 150 Tsd. E.
p-Wert
Wie managen Sie Verständigungsprobleme mit Patient*innen aufgrund von fehlenden Sprachkenntnissen (Mehrfachnennung möglich)?
Mitarbeiter (Anteil, %)
100
95,1
0,8
Begleitperson (Anteil, %)
85,5
85,4
0,99
Digitales Übersetzungsprogramm (Anteil, %)
69,4
73,2
0,68
Telefonische Übersetzer (Anteil, %)
46,8
41,5
0,6
Wie managen Sie eine OP-Aufklärung bei einem nicht lebensbedrohlichen Eingriff bei Patient*innen mit einer Sprachbarriere (Mehrfachnennung möglich)?
Mitarbeiter (Anteil, %)
93,5
90,2
0,54
Begleitperson (Anteil, %)
93,5
95,1
0,74
Digitales Übersetzungsprogramm (Anteil, %)
62,9
48,8
0,156
Telefonische Übersetzer (Anteil, %)
45,2
48,8
0,72
Wo wird vermerkt, wie die Übersetzung erfolgte?
Direkt auf der Aufklärung
66,1
63,4
Im Arztbrief
6,5
4,9
In der Patientenakte
9,7
17,1
Es wird nicht vermerkt
11,3
9,8
Enthaltung
6,5
4,9
0,851
Könnten Sie sich vorstellen, dass es aufgrund von Übersetzungsschwierigkeiten zu Behandlungsfehlern in Ihrer Abteilung gekommen sein könnte?
Ja
45,9
63,4
0,177
Gibt es ein durch die Krankenhausleitung festgesetztes Protokoll zum Umgang mit Patient*innen mit Sprachbarrieren?
Nein
82,3
68,3
0,244
Wie fühlen Sie sich, wenn Sie über die Patient*innen mit einer Sprachbarriere im Kontext einer Aufklärung nachdenken?
Rechtlich abgesichert
12,9
12,2
0,916
Unsicher bezüglich der rechtlichen Situation
46,7
48,8
0,842
Alleingelassen von der Klinikleitung
16,1
12,2
0,777
Ich habe das Gefühl, den Patienten nicht immer perfekt informiert zu haben
69,4
58,5
0,26
Enthaltung
4,8
17,1
0,084
Fragte man die Teilnehmer*innen der Studie zu möglichen übersetzungsbedingten Behandlungsfehlern, so gaben 45,9 % (28/62) in Gruppe 1 und 63,4 % (26/42) in Gruppe 2 an, dass es in der Vergangenheit in ihrer Klinik aufgrund von Übersetzungsfehlern zu Behandlungsfehlern gekommen sein könnte.
Ob es ein durch die Krankenhausleitung festgelegtes Protokoll zum Umgang mit Sprachbarrieren gibt, beantworteten 83,9 % (52/62) in Gruppe 1 und 68,3 % (28/41) in Gruppe 2 mit Nein.
Zum Ende fragten wir die Kolleg*innen: „Wie fühlen Sie sich in Bezug auf Ihre Rechtssicherheit im Umgang mit Patienten mit einer Sprachbarriere?“ 12,9 % (8/62) in Gruppe 1 und 12,2 % (5/41) in Gruppe 2 gaben an, sich rechtlich abgesichert zu fühlen.
Die Mehrheit der befragten Kolleg*innen haben das Gefühl, ihre Patient*innen mit Sprachbarriere nicht in derselben Qualität über den weiteren Behandlungsverlauf informieren zu können wie deutschsprachige Patient*innen (Gruppe 1 69,4 %, 43/62; Gruppe 2 58,5 %, 24/41).
Dementsprechend hoch schätzten die Befragten in beiden Gruppen die Wichtigkeit von digitalen Übersetzungsprogrammen ein. In Gruppe 1 gaben 80,6 % (50/62) und in Gruppe 2 80,5 % (33/41) an, dass ihnen eine digitale Unterstützung bei Übersetzungsproblemen in der Notaufnahme wichtig bis extrem wichtig sei (Abb. 1).

Diskussion

Diese Studie ist die bislang erste Umfrage zum Nutzungsverhalten von digitalen Übersetzungsprogrammen im klinischen Alltag in deutschen Notaufnahmen. Wir konnten zeigen, dass digitale Übersetzungssoftware in deutschen Krankenhäusern längst Einzug gehalten haben. Unabhängig davon, ob im urbanen Raum oder in eher ländlichen Regionen, zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Anwendung dieser Programme. In beiden Gruppen konnte gezeigt werden, dass sowohl in der Kommunikation im Sinne einer Anamnese, Beratung u. Ä. der Patient*innen als auch in der Aufklärung der Patient*innen für weiterführende Behandlungen (Operationen u. Ä.) digitale Übersetzungsprogramme genutzt werden (s. Tab. 2). Dies ist nachvollziehbar, da die Programme größtenteils kostenlos im Internet erhältlich sind und ohne Zeitverzögerung eine Übersetzung durchführen. Gerade einmal etwas mehr als 12 % der an der Studie teilnehmenden Kliniken sehen sich bei der Nutzung der Übersetzungsprogramme im Hinblick auf den Umgang mit Patient*innen mit einer Sprachbarriere rechtlich abgesichert. Eine Rechtsprechung zum Einsatz von Übersetzungssoftware im Rahmen der ärztlichen Aufklärung und Behandlung existiert noch nicht, sodass eine abschließend gesicherte Rechtsauskunft hierzu nicht vorliegt, weshalb auch für deren Einsatz ein rechtliches Risiko besteht. Auch wenn in der Praxis mangels Anwesenheit einer sprachkundigen Person der Einsatz von Übersetzungssoftware, wie z. B. iTranslate (iTranslate GmbH, Gadollaplatz 1, 8010 Graz, Österreich), durchaus schnelle Abhilfe zur Überwindung von Sprachbarrieren schaffen kann, besteht aus juristischer Sicht eine gewisse Gefahrgeneigtheit bezüglich der Wirksamkeit der Aufklärung und damit der Einwilligung. Denn es bleibt auch hier dabei, dass die Verantwortung für die Verständlichkeit und die Ordnungsgemäßheit der Aufklärung letztendlich die Ärztin/der Arzt trägt [1]. Diese haben ebenso die entsprechenden Prüf- und Feststellungspflichten wie beim Einsatz von sprachkundigen Personen als Dolmetscher*in. Daher müssen sich Ärzt*Innen beim Einsatz von Übersetzungssoftware zum einen stets davon überzeugen, dass sowohl die Erkennung der Spracheingabe als auch in der Folge das Übersetzungsergebnis inhaltlich richtig und vollständig ist.
Vor allem im anglosächsischen Sprachraum wird die Nutzung von Übersetzungsprogrammen und im Speziellen die Qualität der Übersetzungsergebnisse bereits klinisch untersucht [3, 7, 8, 10]. So konnten Taira et al. zeigen, dass die Qualität des Übersetzungsergebnisses von Google.translate (Google Ireland, Gordon House Barrow Street Dublin 4, Irland) bei der Verwendung in einem Entlassgespräch stark von der Zielsprache abhängt. Die Studie zeigte fast perfekte Ergebnisse bei der Übersetzung vom Englischen ins Spanische mit einer Genauigkeit von 94 %, wohingegen die Genauigkeit vom Englischen ins Armenische mit 55 % mangelhaft erschien [10]. Khoong et al. untersuchten in ihrer 2019 erschienen Studie potenzielle Gesundheitsrisiken aufgrund mangelnder Qualität der Übersetzung. Speziell wurden in dieser Studie Übersetzungen vom Englischen ins Spanische und Chinesische untersucht. Hierbei zeigten sich 2 % der vom Englischen ins Spanische übersetzten Sätze und 8 % der vom Englischen ins Chinesische übersetzten Sätze als für die Patient*innen potenziell gesundheitsgefährdend [7]. Die unterschiedlichen Ergebnisse der Studien unterstreichen, wie schwierig sich hier eine entsprechende Validierung darstellt. Zum einen scheint eine Übersetzung durch die Software durchaus möglich, auch wenn diese zum Teil fehlerbehaftet ist. Zum anderen erscheint es jedoch unmöglich, den Nachweis für sämtliche Sprachen zu erbringen. In Deutschland gibt es zum jetzigen Stand hierzu keinerlei Studien. Denkbar wäre zwar, dass man als Englisch sprechende Person die Sätze aus dem Englischen bspw. ins Chinesische übersetzen lässt. Allerdings ist vorstellbar, dass die doppelte Übersetzung zu erneuten Fehlern führen kann. Auch wenn der (alleinige) Einsatz von Übersetzungssoftware oder sonstiger digitaler Übersetzungsanwendungen im klinischen Alltag hilfreich sein kann, aus rechtlicher Sicht stellt dieser dennoch eine nicht ganz unerhebliche Risikoquelle dar. Dies gilt zumindest so lange, wie es keine gefestigte Rechtsprechung zum rechtskonformen Einsatz dieser Anwendungen im Rahmen der ärztlichen Aufklärung und Behandlung gibt. Denkt man an die Dynamik, mit der die Digitalisierung fortschreitet, gilt es für den medizinischen und juristischen Sektor, klare Richtlinien/Gesetze für den Gebrauch zu verfassen und so eine rechtssichere Nutzung zu ermöglichen.
Sollte man dennoch auf die Nutzung von Übersetzungssoftware zurückgreifen, so empfehlen wir die Dokumentation kritisch zu hinterfragen. Im Rahmen des Arztbriefs in der Notaufnahme empfehlen wir, in der Anamnese einen Vermerk zu machen und auf die Nutzung hinzuweisen. Sollte ein zeitkritischer Eingriff mithilfe von Übersetzungssoftware aufgeklärt werden, so muss dem Aufklärenden bewusst sein, dass die Übersetzungssoftware hier nicht rechtssicher ist. Die Indikation zur Durchführung des Eingriffs muss daher unabhängig von der Übersetzung mittels Software gestellt werden. Die Zuhilfenahme der Software kann bspw. auf dem Aufklärungsbogen dokumentiert werden, empfehlen können wir dies derzeit jedoch nicht.
Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung im Sektor der „künstlichen Intelligenz“ (KI) mit besonderem Augenmerk auf KI-basierende Programme, wie ChatGPT (GPT‑4, OpenAI, Pioneer Building 3180, 18th Street, San Francisco, CA, USA), sollte in Analogie zum Umgang mit digitalen Übersetzungsprogrammen eine rechtlich bindende Handhabe vom Gesetzgeber angedacht werden.
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass eine medizinische Validierung der Übersetzungsprogramme von der deutschen Sprache in die gängigsten Zielsprachen aufgrund des großen Aufwands und der Fehleranfälligkeit zwar möglich erscheint, jedoch eine momentan sehr große logistische und technische Hürde darstellt. Rechtlich gesehen birgt die Verwendung der Übersetzungsprogramme daher eine nicht unerhebliche Risikoquelle. Die Sprachbarrieren im medizinischen Alltag nehmen allerdings zu. Wie wir zeigen konnten, nutzen bereits bis zu 70 % der Teilnehmer*innen digitale Übersetzungsprogramme. Die Vorteile einer solchen Nutzung sind bei knappen personellen Ressourcen evident. Folglich wäre die einzige Lösung die Schaffung rechtlich klarer Vorgaben, sei es durch gesetzliche Anpassung oder eine Richtungsentscheidung der Rechtsprechung zur Verwendung digitaler Übersetzungsprogramme. Bis dahin empfiehlt sich aus gegenwärtiger Sicht, die Programme nur unter größtem Vorbehalt und im Wissen um die fehlende gefestigte Rechtsprechung zu nutzen.

Limitationen

  • Eingeschränkte Validität, da es sich um eine Umfrage handelt
  • Überschaubare Rückläuferquote
  • Befragung lediglich von Notaufnahmeleiter*innen; ggf. etwas fernab vom klinischen Alltag
  • Geringe Studienlage zum Thema in Deutschland

Fazit für die Praxis

  • Digitale Übersetzungsprogramme werden bereits flächendeckend benutzt.
  • Es kann zu Übersetzungsfehlern und dadurch zu Behandlungsfehlern kommen.
  • Eine Validierung der Übersetzungsprogramme erscheint sehr zeitaufwendig und nicht möglich.
  • Eine gefestigte Rechtsprechung fehlt und unter gegenwärtiger Sicht empfiehlt sich die Verwendung der Programme nur unter großem Vorbehalt.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

P. Zehnder, J. Heberer, M. Schwarz, F. Greve, P. Biberthaler, C. Kirchhoff und M. Zyskowski geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

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Literatur
9.
Zurück zum Zitat Ring D, Quintero J, Jupiter JB (2002) Open reduction and internal fixation of fractures of the radial head. J Bone Joint Surg Am 1(0):1811–1815CrossRef Ring D, Quintero J, Jupiter JB (2002) Open reduction and internal fixation of fractures of the radial head. J Bone Joint Surg Am 1(0):1811–1815CrossRef
Metadaten
Titel
Analyse zum Umgang mit digitalen Übersetzungsprogrammen
Nutzen wir diese und sollten wir diese nutzen?
verfasst von
Dr. Philipp Zehnder
Jörg Heberer
Markus Schwarz
Frederik Greve
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Chlodwig Kirchhoff
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Publikationsdatum
29.11.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-023-01253-7