Prüfungssimulation
Fallschilderung
Sie werden als Notärzt:in zu einem 69-jährigen männlichen Patienten mit akuten abdominalen Beschwerden alarmiert. Der Patient präsentiert sich in deutlich reduziertem Allgemeinzustand und hypertensiv entgleist (Herzfrequenz 95/min, rhythmisch, Blutdruck 185/102 mm Hg). Er berichtet über plötzlich eingetretene, stärkste lumbale Flankenschmerzen mit Ausstrahlung in das Abdomen. Hinweise auf ein Trauma bestehen nicht. Anamnestisch sind ein persistierender Nikotinkonsum und eine bisher unbehandelte arterielle Hypertonie zu eruieren.
Prüfungsfragen
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Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie in der oben geschilderten Situation und wie erhärten Sie diese?
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Welchen Zielkorridor für die hämodynamischen Parameter streben Sie bei einer/einem Patient:in mit V. a. ein rupturiertes Bauchaortenaneurysma an und durch welche Maßnahmen und Therapien erreichen Sie dies?
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Beschreiben Sie die Relevanz gerinnungsbeeinflussender Medikamente in dieser Situation
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Welchen Mehrwert kann die präklinische Sonographie bei dieser Patientengruppe bringen?
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Beschreiben Sie den Stellenwert der notfallmäßigen endovaskulären Ballonokklusion der Aorta (REBOA) und die praktische Anwendung in dieser Situation
Antworten
Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie in der oben geschilderten Situation und wie erhärten Sie diese?
Akut auftretende Bauch- und Flankenschmerzen ohne Trauma lassen eine ganze Reihe von Differenzialdiagnosen zu (die folgende Aufzählung ist nicht abschließend):
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Klassische abdominale Erkrankungen:
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Extraperitoneale Ursachen
Im geschilderten Fall muss bei hypertensiver Entgleisung und entsprechenden Risikofaktoren an ein rupturiertes abdominelles Aortenaneurysma gedacht werden:
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Sonographisch kann diese Verdachtsdiagnose bereits in der prähospitalen Situation weiter erhärtet werden (in der Regel durch Darstellung einer deutlich erweiterten Aorta abdominalis, > 3 cm Durchmesser).
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Goldstandard für die (Differenzial‑)Diagnostik ist allerdings die Computertomographie. Der fehlende Nachweis eines abdominellen Aortenaneurysmas in der prähospitalen Sonographie darf daher (beim wenig geübten Anwender:innen) nicht zu einem Ausschluss der Verdachtsdiagnose eines rupturierten Aortenaneurysmas führen.
Klassische Symptomtrias bei rupturiertem Aortenaneurysma:
Als weitere Beschwerden können in der Akutsituation auftreten:
Die Ursache der Ruptur ist in der Regel ein bisher asymptomatisches Aneurysma. Auslösende Faktoren sind z. B. hypertensive Entgleisungen, körperliche Anstrengung oder Pressen. In der unmittelbaren Folge können ein hämorrhagischer Schock bei freier Ruptur oder Ischämien distal der Läsion (z. B. Extremitäten, Rückenmark, Nieren) aufgrund der Dissektion auftreten.
Die Ätiologie der Aortenanurysmata ist vielfältig. Hauptrisikofaktoren sind [
2]:
Weitere Ätiologien sind:
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Erworbene und erblich bedingte Bindegewebsrkrankungen (u. a. Marfan- und Ehlers-Danlos-Syndrom)
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Bakterielle Infekte (z. B. Syphilis, Tuberkulose) sowie Pilzinfektionen
Die Ruptur eines abdominellen Aortenaneurysmas ist weiterhin mit einer hohen Mortalität vergesellschaftet, wobei eine freie Ruptur praktisch immer tödlich endet.
Welchen Zielkorridor für die hämodynamischen Parameter streben Sie bei einer/einem Patient:in mit V. a. ein rupturiertes Bauchaortenaneurysma an und durch welche Maßnahmen und Therapien erreichen Sie dies?
Folgende Behandlungskonzepte sollten beachtet werden:
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Permissive Hypotonie:
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Im Gegensatz zu einer normotensiven Notfallbehandlung wird eine Vermeidung von Thrombusdislokationen und Rezidivblutungen („clot popping“) postuliert [
3].
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Medikamentöse Antiimpulstherapie:
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Der aortale Wandstress setzt sich aus der Geschwindigkeit des Druckanstiegs im linken Ventrikel, der Herzfrequenz und dem Blutdruck zusammen.
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Reduktion der Blutdruckamplitude durch Senkung der Frequenz und Kontraktilität des linken Ventrikels
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Hierdurch kann der Druckanstieg über die Zeit in der Aorta reduziert werden.
Angestrebte Vitalparameter:
Medikamentöse Therapie [
4,
5]:
Weitere Maßnahmen:
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Blutdruckspitzen vermeiden
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Patient:innen sollen nicht mehr selbstständig aufstehen und stattdessen durch das Rettungsteam schonend umgelagert und transportiert werden („wie ein rohes Ei“).
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Agitierte Patient:innen können vorsichtig mit Benzodiazepinen sediert werden.
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Eine adäquate analgetische Therapie mit Opioiden ist zur weiteren Stressreduktion zu etablieren.
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Keine präklinische Intubation
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Tonusverlust der Bauchmuskulatur im Rahmen der Muskelrelaxation, was zu einem ungehemmten retroperitonealen Blutaustritt führen kann (aus einem bis zu diesem Zeitpunkt gedeckt perforierten Aneurysma).
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Hohes Risiko einer Blutdruckentgleisung während der Laryngoskopie
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Stattdessen erfolgt die Narkoseeinleitung erst im Operationssaal in unmittelbarer Operationsbereitschaft.
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Rascher, aber insbesondere auch schonender Transport in eine geeignete Klinik
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Etablierung mehrerer großlumiger peripherer Venenzugänge
Beschreiben Sie die Relevanz gerinnungsbeeinflussender Medikamente in dieser Situation
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Ein relevanter Anteil der betreffenden Patientengruppe leidet unter Begleiterkrankungen, die eine Thrombozytenaggregationshemmung oder eine Antikoagulation indizieren (u. a. koronare Herzkrankheit, periphere und zerebrovaskuläre arterielle Verschlusskrankheit).
Präklinisch ergeben sich hieraus folgende Konsequenzen:
Es liegt weiterhin keine klare Evidenz zum klinischen Nutzen von Antifibrinolytika bei diesen Patient:innen vor. Die beschriebenen Vorteile durch die Anwendung von Tranexamsäure (TXA) bei Traumapatient:innen lassen sich wohl nicht direkt auf Patient:innen mit einem rupturierten Aortenaneurysma übertragen:
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Klinischer Nutzen der TXA-Gabe bei Traumapatient:innen ist nur bei früher Gabe (innerhalb der ersten 3 h) nachgewiesen
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Bei Ruptur eines Aortenaneurysmas kann der Beginn der Blutung jedoch nicht als sicher bezeichnet werden und tritt möglicherweise bereits lange vor dem Symptombeginn auf.
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Demgegenüber kommt es möglicherweise zu einer Aktivierung der Gerinnungskaskade durch die Thrombenbildung im Aneurysmasack, was zu einem erhöhten Risiko für thrombotische Komplikationen (wie venöse Thromboembolien und Myokardinfarkt) führen kann.
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Dieses Risiko könnte durch die möglichen prothrombotischen Wirkungen von TXA noch erhöht werden.
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Entsprechend ist die prophylaktische Gabe von TXA in der Präklinik (ohne rotationsthrombelastometrische Kontrolle) bei V. a. gedeckt rupturiertes Bauchaortenaneurysma nicht empfohlen [
6,
7].
Welchen Mehrwert kann die präklinische Sonographie bei dieser Patientengruppe bringen?
Die in den letzten Jahren immer weiter verbreitete präklinische Sonographie stellt ein valides Instrument zur Verifikation der Verdachtsdiagnose „rupturiertes Bauchaortenaneurysma“ dar. Bereits vor einigen Jahren konnte in einer Metaanalyse die Praktikabilität der Point-of-Care-Sonographie zur Diagnosestellung in der Notaufnahme bestätigt werden, wobei sich folgende Schlussfolgerungen ergaben:
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Hervorragende Sensitivität (99 %) und Spezifität (98 %) zur Detektion eines Bauchaortenaneurysmas bei symptomatischen Patient:innen [
8]
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Darstellung auch für ungeübte Anwender einfach möglich [
9]
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Durch die Ultraschalluntersuchung sollte es keinesfalls zu Verzögerungen des Transportbeginns kommen. Sie sollte parallel zu den Transportvorbereitungen bzw. zur Klinikanmeldung erfolgen. Eine abdominelle Ultraschalluntersuchung ist auch gut während der Fahrt bzw. während des Flugs möglich.
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Neben der direkten bildgebenden Darstellung des – möglicherweise dissezierten oder rupturierten – Aneurysmas gelingt auch die Darstellung freier intraabdominaler Flüssigkeit mithilfe der standardisierten Schnittebenen im Rahmen des üblichen Untersuchungsgangs gemäß dem sog. „focused assessment with sonography for trauma“ (FAST) meist zuverlässig.
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Zudem können – in einem eingespielten Setting – bei eindeutigem präklinischem Befund die weiterführenden innerklinischen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen möglicherweise beschleunigt werden.
Beschreiben Sie den Stellenwert der notfallmäßigen endovaskulären Ballonokklusion der Aorta (REBOA) und die praktische Anwendung in dieser Situation
Der Verschluss der Aorta durch einen endovaskulären Ballon ist während der operativen Versorgung eines rupturierten Bauchaortenaneurysmas eine gefäßchirurgisch etablierte Methode zur Blutungskontrolle. Entsprechend könnte man postulieren, dass die „resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta“ (REBOA) eine Option zur temporären Stabilisierung in der Notfallsituation wäre. Hierfür liegt aber aktuell keinerlei Evidenz vor, selbst in Bezug auf die innerklinische Anwendung nicht [
10]. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass sich die korrekte Einlage des Katheters ohne Durchleuchtung in der Präklinik extrem schwierig gestalten wird und es dadurch zu einer erheblichen Verzögerung des Transports an ein geeignetes Zielkrankenhaus kommen kann.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor:innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient:innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertreter:innen eine schriftliche Einwilligung vor.
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