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Erschienen in: Heilberufe 9/2023

01.09.2023 | Pflege Alltag Zur Zeit gratis

Zu Besuch bei der Königin von Schweden

verfasst von: Sonja Meyers

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 9/2023

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Queen Silvia Nursing Award Sonja Meyers, Pflegefachkraft im Katharina-von-Bora-Betagtenhaus in Lübeck, wurde im vergangenen Jahr zur deutschen Gewinnerin des QSNA gekürt. Im Frühjahr reiste sie zur Preisverleihung nach Stockholm. Für HEILBERUFE berichtet sie von ihren Erlebnissen in Stockholm.
Bei 200 Stundenkilometern versinke ich im bequemen Sessel des Arlanda Expresses. Weicher Teppich steht still unter meinen Schuhsohlen, während sich die Landschaft sich um mich herum im Sekundentakt ändert. Mein Blick gleitet über große holzmarmorierte Fenster ins Grüne, vorbei an Seen, prunkvollen Bauten und einfachen roten Holzhäusern. Ich bin vor wenigen Minuten in Schweden gelandet. Morgen findet das zehnte Jubiläum des Queen Silvia Nursing Awards statt. Und am Donnerstag wird mir Queen Silvia von Schweden persönlich meine Urkunde überreichen.
Ich reibe mir die Augen, lausche den Durchsagen im Zug und den schwedisch sprechenden Passagieren - glauben kann ich diesen Sprung vom Pflegealltag zu dieser Ehre noch nicht. Gestern war ich noch in der Nachtschicht, schlief auf dem Weg zum Flughafen und inhalierte am Gate mit wenigen Schlucken ein koffeinhaltiges Getränk. Ich sollte besser auf meine Ernährung achten, nachts acht Stunden schlafen und empfehle genau diese Maßnahmen regelmäßig den Bewohnern im Pflegeheim: "Essen Sie weniger Süßes! Denken Sie bitte an Ihren Diabetes mellitus Herr Mustermann. Frau Mustermann, es ist 21:00 Uhr - Gehen Sie ins Bett. Es ist Nachtruhe. Ich mache das Licht aus."
Ich bin müde, als ich aus dem Arlanda Express aussteige und nach einem kurzen Spaziergang mit Julian Dieter, Projektkoordinator beim Queen Silvia Nursing Award, und Marie Luise Bertels, Gründerin Zerhusen & Blömer Demenzakademie, am Hotel ankomme. Trotzdem probe ich im Hotelzimmer meine Rede. Ich bin schon jetzt sehr aufgeregt. Dann geht auch bei mir das Licht aus.

Königliche Etikette

Am nächsten Morgen frühstücke ich bei selbstgemachter Marmelade und knackig frischen Brötchen. Im Hintergrund plätschert ein kleines Wasserspiel, eine Wand aus Pflanzen erstreckt sich neben mir über drei Stockwerke, daneben kleine Balkone auf denen Manager wild ihre Tastaturen bedienen. Ich befinde mich in einem schönen Sterne-Hotel, trage statt Kasack Blazer und Stoffhose. Nach kurzer Besprechung mit Julian und Marie-Luise fahren wir zum zehnjährigen Jubiläum des QSNA. Nach der Platzsuche achten wir auf die Verhaltensregeln: bei Eintritt von Queen Silvia stehen wir auf. Als sie den Raum betritt, ist alles ruhig. Sie lächelt die Menschen im Raum an, während sie zu ihrem Sitzplatz geht. Wir setzen uns, nachdem sie Platz genommen hat. Sie befindet sich nur knapp einen Meter schräg vor mir. Links und rechts von mir unterhalte ich mich mit den Gewinnerinnen des QSNA aus den anderen Ländern, ehe die Veranstaltung beginnt ... doch es gibt PC-Probleme. Plötzlich springt Queen Silvia auf, dreht sich zu uns um und spricht: "Es tut mir leid. Ich kümmere mich um alles, aber mit Technik kenne ich mich nicht aus." Die Menge lacht. Die schwedische Sozialversicherungsministerin, Anna Tenje, einen Sitz weiter, klatscht. Es vergehen zwei Minuten, bis die ersten Panels starten. Es sprechen Professoren, Wissenschaftler, Ärzte, eine Pflegestudentin aus Kanada. Das Thema ist Demenz: Forschung, Fortschritte und Herausforderungen von Arzneimittelproduktionen, heilkundliche Ansätze, Pflege und Beschäftigungsangebote ...

Internationale Kontakte knüpfen

Es gibt Diskussionen und Fragerunden. Im letzten Panel spricht Dr. Ursula Sottong, eine deutsche Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin, über Demenz in der Praxis, sowie Bedarf und Anliegen von Angehörigen von Menschen mit demenzieller Entwicklung. Beim Mittagessen sitze ich mit einem Professor, einer Ärztin und einer Choreografin am Tisch. Wir unterhalten uns auf Englisch, Schwedisch und Deutsch. Wir tauschen uns über verschiedene Themen aus, während das Essen serviert wird. Auch Queen Silvia sitzt an einem der Tische und unterhält sich mit anderen Teilnehmern der Veranstaltung. Während der kleinen "Mingle" kommen Manager, Firmengründer, Pflegeexperten und Pflegekräfte unterschiedlicher Nationen in Kontakt, Visitenkarten und E-Mailadressen werden getauscht. Auch die Gewinnerinnen des Queen Silvia Nursing Awards sind hierbei aktiv, werden angesprochen und teils angeworben. Nach Vorstellung der Gewinnerinnen vor dem Publikum findet eine erste Preisübergabe statt - Sponsoren von Hautpflegeprodukten und Ausstatter für Pflegebekleidung sowie einige andere Firmen halten Präsente für uns bereit. Zum Abschluss des Tages lädt uns Julian vom QSNA zum Abendessen ein. Dr. Ursula Sottong, Andreas Aerni, Geschäftsführer von Arjo Deutschland, sowie Marie-Luise Bertels vom St. Anna Stift in Kroge, und Falk H. Miekley, Director Congress Organsation Medicine bei der Springer Medizin Verlag GmbH, sind dabei vertreten ... und ich natürlich. Alles erscheint mir irreal.
Wir sprechen über unterschiedliche Blickwinkel auf demenzielle Entwicklungen, Förderungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Fachbereich Demenz und die Zukunft der Pflege. Ich hätte die Zeit gerne angehalten - doch sie verging an diesem Abend wie im Flug.

Der große Tag

Es ist Donnerstag. Der große Tag. Ich umklammere meine Karteikarten, sehe ein letztes Mal auf meine Rede, atme tief durch und trete auf den Flur des Hotels. Dann geht es über den Gustav Adolfs Platz, über die steinerne Norrbro (deutsch: Brücke), vorbei am Parlamentsgebäude "Riksdagshuset" zum eindrucksvollen Royal Palace. Noch eine Sicherheitskontrolle und schon befinden wir uns im Vorraum der Bernadotte Bibliothek im Schloss. An den Wänden hängen Gemälde mit den Porträts von Königinnen und Könige Schwedens unterschiedlichster Epochen. Wenig später betreten wir, die Gewinner aller geladenen Länder und deren QSNA-Betreuer die Bibliothek. Durch bogenförmige große Fenster strahlt weiches Sonnenlicht. Die Luft im Raum steht still. Jeder Schritt hallt auf dem Fußboden leise wider. Um mich herum lagern rund 100.000 Bücher der Königsfamilie Bernadotte. Einige tragen sogar noch Original-Notizen der Könige, erfahre ich.
Auch dieses Mal erheben wir uns, als Queen Silvia den Raum betritt. Und auch dieses Mal begrüßt sie jeden von uns Gewinnern mit einem Kopfnicken und Lächeln. Die Königin Schwedens nimmt vor der Bühne in der Bibliothek Platz. Ein Kameramann eines schwedischen Fernsehsenders filmt die Veranstaltung, königliche Hof-Fotografen fangen die bewegenden Momente ein. Und dann werde ich mit weiteren Gewinnerinnen des Queen Silvia Nursing Awards auf die Bühne gerufen. In Panels erklären wir Queen Silvia und allen Anwesenden vor Ort und Zuschauern an den Bildschirmen unsere Ideen, berichten von unserem Eindruck der Pflegepraxis im eigenen Land sowie von Wünschen und Herausforderungen. Auch die schwedische Politikerin Anna Tenje sitzt aufmerksam in einer der Sitzreihen. Die Polin Dominika Rachwal stellt ihre Idee vor: ein Brett mit austauschbaren Modulen, wie Knöpfen, Reißverschlüssen, Stoffen und Filmdosen mit raschelnden Elementen, zur Interaktion für Menschen mit Demenz. Die Finnin zeigt ihre individualisierten Malvorlagen für eine Patientin mit Demenz, die gerade verstorben sei. Eine andere Gewinnerin berichtet von ihrem Konzept der Tagespflege - einem Hof für Demenzerkrankte mit Hochbeeten, Obstbäumen, Schweinen, Katzen, Hunden, Hühnern im Grünen. Auch hier finden individualisierte Elemente Einzug in die Auseinandersetzung mit Demenzerkrankten. Nun zu meiner Bewerbung.

Wofür steht "getAgo"?

Sie kennen das: Im Notfall muss es schnell gehen. Der Pflegeassistent oder Angehörige suchen noch schnell die Krankenversicherungskarte und Erstinformationen zum Bewohner zusammen und übergibt sie dem Rettungsdienstpersonal, da ist der Patient auch schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Und das ist auch gut.
Im Krankenhaus liegt der Patient dann jedoch die ersten Tage häufig ohne Hörgeräte, Gebiss und Allergiepass, Herzschrittmacherausweis. Der Arzt findet keine aktuelle Medikamentenliste des Patienten in den Unterlagen. Die Pflegefachkraft des Bereichs oder die Angehörigen sind nicht erreichbar, es kommt zu ersten vermeidbaren Komplikationen auf Station: ein anaphylaktischer Schock, Aspiration auf Grund unzerkauter Nahrungsreste mit der Folge einer Pneumonie. Ängste, Abwehrhaltungen und Aggressionen des Patienten gegenüber dem Klinikpersonal, auf Grund von Hör- und Sehbeeinträchtigungen …
Demenziell erkrankte Menschen sind insbesondere in neuer ungewohnter Umgebung auf ihre Sinne angewiesen. Denn wer den Weg zur Toilette nicht eigenständig findet, etwa auf Grund der fehlenden Brille, wird womöglich als inkontinent eingeschätzt. Und wer kein Gebiss im Mund hat, spricht vielleicht aus Scham nicht, kann es jedoch eigentlich.
Mein Kulturbeutel passt in jeden Rettungswagen. Der "getAgo" ist personalisiert, abschließbar und individuell bestückt. So kann über Nacht das Hörgerät in der Tasche geladen werden, die Zahnprothese wasser- und bruchfest über Nacht in der Tasche lagern. Die aktuelle Medikamentenliste, Krankenkassenkarte sowie der Allergiepass finden in einem separaten Fach dauerhaft einen Platz, um direkt vom Notarzt und Klinikpersonal eingesehen zu werden. Im Notfall wird der "getAgo" - der ständig im Badezimmer des Bewohners hängt - gegriffen und mit dem Patienten dem Rettungsdienst übergeben, daher der Name "get And go", also "getAgo". Der Patient mit Demenz erkennt zudem seinen personalisierten "getAgo" im Badezimmer wieder und findet seine vertraute Zahnpasta, seinen gewohnten Rasierer oder die Hörgeräte, was zum Wohlbefinden des Patienten beiträgt - und zum Wohlbefinden der Pflegekräfte.
Meine Idee soll das Risiko eines Delirs wegen fehlender bzw. gestörter Sinneseindrücke während Klinikaufenthalten verringern, indem vorhandene Seh- und Hörhilfen zur Verfügung stehen. Zudem bezieht sich meine Idee darauf, die Menschenwürde und Bedürfnisse des Patienten zu wahren und zu schützen, wie es der International Council of Nursing (ICN) anstrebt. Denn wer nichts sieht und nichts hört, bekommt Ängste und Abwehrhaltungen, reagiert aggressiv.

Auf Augenhöhe mit der Königin

Im Anschluss an die Panels übergibt Queen Silvia uns Gewinnern die Urkunde persönlich, jedem einzeln, mit individuellen Worten, auf Augenhöhe. Während ich auf der Bühne mit meiner Bühnenangst kämpfe, lächelt Queen Silvia mich mehrfach an, nahbar, mitfühlend. Es gibt Momente, in denen wir zeitgleich lachen und ernste Momente, in denen das Gefühl einer Pflegekraft überschäumt vor Emotionen, jene Momente, die erschüttern und bewegen. Jene Momente, die uns dazu bewegen, die Pflege verändern, besser machen zu wollen.

Machen Sie mit!

Der Bewerbungszeitraum für den Queen Silvia Nursing Award 2023 hat begonnen, vom 1. September bis zum 1. November 2023 können sich angehende und ausgebildete Pflegefachkräfte bewerben.
Der Gewinn ist ein Förderprogramm - bestehend aus einem Praktikum bei mindestens einem renommierten Partner, einer feierlichen Preisverleihung, Messe- und Kongressbesuchen sowie einem Preisgeld.

Nutzen Sie Ihre Chance: Dieser Inhalt ist zurzeit gratis verfügbar.

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Metadaten
Titel
Zu Besuch bei der Königin von Schweden
verfasst von
Sonja Meyers
Publikationsdatum
01.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 9/2023
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-023-3143-7

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