Skip to main content

29.08.2023 | Politik | Nachrichten

Umfrage zu Pflegekosten

Mehrheit der Bundesbürger votiert für solidarische Pflegevollversicherung

Die Pflegekosten steigen und steigen. Viele Pflegebedürftige und Angehörige sind überfordert. Gewerkschaften und Sozialverbände setzen auf eine neue Art der Finanzierung – und sehen sich in einer Umfrage bestätigt.

Gewerkschaften und Sozialverbände fordern die solidarische Pflegevollversicherung © Frederic Kern / Geisler-Fotopress / picture allianceFingerzeig: Gewerkschaften und Sozialverbände fordern die solidarische Pflegevollversicherung (v.r.): Ulrich Schneider (Paritätischer Wohlfahrtsverband), Sylvia Bühler (ver.di) und Dr. Manfred Stegger am Donnerstag bei der Bundespressekonferenz.
© Frederic Kern / Geisler-Fotopress / picture alliance

Sozialverbände und Gewerkschaften drängen auf die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung. Diese habe alle pflegebedingten Kosten abzudecken, sagte Sylvia Bühler, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft ver.di am Donnerstag vor Journalisten in Berlin. „Wir brauchen die solidarische Pflegegarantie.“

Aktuell übernimmt die gesetzliche Pflegeversicherung nur einen Teil der Kosten. Für die rund 750.000 Heimbewohnerinnen und Heimbewohner waren die pflegebedingten Zuzahlungen zuletzt auf im Schnitt rund 1250 Euro pro Monat gestiegen – hinzu gesellen sich Eigenanteile für Unterkunft und Verpflegung in etwa gleicher Höhe.

Zustimmung über Parteizugehörigkeit hinweg

Die Forderung nach einer Vollversicherung werde von einer „großen Mehrheit“ der Bundesbürger unterstützt, betonte Bühler. Sie verwies dazu auf Ergebnisse einer Umfrage unter 1010 Personen ab 18, die das Forsa-Institut für das „Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung“ Anfang August erstellt habe.

Demnach votieren 81 Prozent der Befragten für eine Pflegevollversicherung. „Bemerkenswert“ sei, dass es Zustimmung über alle Parteipräferenzen hinweg gebe, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider.

So sprächen sich 79 Prozent der SPD-Anhänger, 82 Prozent der Grünen- sowie 76 Prozent der FDP-Anhänger für das Finanzierungsmodell aus. Bei Anhängern der Union seien es 78 Prozent. „Prominente“ Unterstützung erfahre die Forderung nach dem Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung auch von Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).

„Widerstreitende Kräfte“ in der Ampel

Werde die Pflegeversicherung nicht solidarisch ausgebaut, drohten immer mehr Menschen von den hohen Pflegekosten „kalt erwischt“ zu werden, warnte Schneider. Innerhalb der Koalition gebe es allerdings „widerstreitende Kräfte“ bei der Frage der Pflegefinanzierung. Die SPD wolle mehr staatliche Absicherung, die FDP dränge auf private Vorsorge. „Aus einer solchen Gemengelage kann für die Pflege nichts Gutes entstehen.“

Eine solidarische Pflegevollversicherung werde Menschen „Sicherheit“ geben, betonte Schneider. Solidarisch heiße, alle zahlten ein, und sämtliche Einkommensarten flössen in die Beitragsbemessung ein. Solidarität bedeute zudem: „Abschaffung der privaten Pflegeversicherung.“ ver.di-Vorstandsmitglied Bühler rechnete vor, dass bei einer Vollversicherung zusätzliche Kosten für die Versicherten von durchschnittlich fünf Euro im Monat anfielen.

BIVA: Sozialhilfe kein „würdiger Ersatz“

Der Vorsitzende des BIVA-Pflegeschutzbundes, Dr. Manfred Stegger, berichtete von einer steigenden Zahl von Anfragen wegen hoher Zuzahlungen. Viele Pflegebedürftige seien damit überfordert und müssten Hilfe zur Pflege beantragen. Die Menschen gerieten dadurch von „Kunden zu Empfängern von Almosen“. Sozialhilfe sei „kein würdiger Ersatz für Ansprüche aus eigenen Beitragszahlungen“.

Kritik an den Forderungen äußerte am Donnerstag erwartungsgemäß der PKV-Verband. „Kernproblem der Pflegeversicherung ist das Umlageverfahren, in dem immer weniger Jüngere für immer mehr ältere Pflegebedürftige zahlen müssen“, sagte Verbandsdirektor Dr. Florian Reuther. Eine nachhaltige Lösung bestehe darin, mehr finanzielle Vorsorge bei Pflege zu betreiben.

Vertreter der Pflegekassen warfen der Ampel vor, steigende Kosten ausschließlich Beitragszahlern und Pflegebedürftigen aufzubürden. So werde der Bundeszuschuss zur Pflege in Höhe von einer Milliarde Euro bis einschließlich 2027 ausgesetzt, sagte die Chefin des AOK-Bundesverbands, Dr. Carola Reimann. Einzahlungen in den Pflegevorsorgefonds würden ebenfalls für vier Jahre gestoppt. Mit „fortschrittlicher Pflegepolitik“ habe das nichts zu tun.

Bündnis aus Gewerkschaften und Sozialverbänden

Dem Bündnis für eine Pflegevollversicherung gehören außer dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, ver.di und BIVA auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Berufsverband für Pflegeberufe, der Sozialverband Deutschland, der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen, der Deutsche Frauenrat, die Volkssolidarität und die AWO an.

Die Caritas – ebenfalls sozial- und pflegepolitisch hochengagiert – mag die Forderung nach einer solidarischen Pflegevollversicherung nicht mittragen. Die Pflegeversicherung müsse so weiterentwickelt werden, dass bei langer Pflegebedürftigkeit zu Hause oder in einer Einrichtung Pflegeleistungen auskömmlich refinanziert seien, sagte Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa am Donnerstag.

„Aber wir brauchen kein Erbenschutzprogramm. Wir müssen uns gegenseitig darin bestärken, zu sagen: Wer alt und krank ist, hat das gute Recht, Vermögen für Pflege aufzuzehren, um gut versorgt zu sein.“ (hom)

Quelle: Ärzte Zeitung

Weiterführende Themen