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20.01.2022 | Politik | Nachrichten

Dreh- und Angelpunkt sind gute Arbeitsbedingungen

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Die SPD-Bundestagsabgeordnete Claudia Moll ist die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Wo liegen die größten Baustellen, um die sich die examinierte Altenpflegerin kümmern will? Wir haben nachgefragt.

© Pflegebevollmächtigte, Fotograf Thomas EckeDie Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Claudia Moll. Das Bundeskabinett hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete am 11. Januar ins Amt berufen. 

Frau Moll, die Erwartungen der beruflich Pflegenden an ein entschiedenes Handeln der Politik sind größer denn je. Immer mehr Pflegende kehren ihrem Beruf den Rücken. Können Sie die Frustration der Berufsgruppe nachvollziehen?

Claudia Moll: Den Fachkräftemangel gibt es ja nicht erst seit der Pandemie. Ich selbst habe ihn während meiner Arbeit als Altenpflegerin erlebt und bin für eine bessere Personalausstattung auf die Straße gegangen. Deshalb kann ich die Frustration nur zu gut nachvollziehen und will deutliche Verbesserungen für die Pflege erzielen.

In der letzten Legislatur wurde schon einiges auf den Weg gebracht, aber natürlich dauert es, bis die Maßnahmen greifen. Zum Beispiel die Entlohnung nach Tarif: Das ist ein echter Fortschritt und wird sich mittelfristig darauf auswirken, dass die Langzeitpflege als Arbeitsfeld endlich attraktiver wird. Aber das passiert nun einmal nicht von heute auf morgen. Man kann sich keine qualifizierten Pflegepersonen backen und die Probleme einfach wegwischen. Aber wenn wir dem Pflegenotstand etwas entgegenhalten wollen, dann muss im Arbeitsalltag der Pflegekräfte dringend etwas ankommen.

Gute Arbeitsbedingungen sind eine wichtige Voraussetzung für gute Pflegequalität. Was betrachten Sie als Ihre dringlichsten Aufgaben im neuen Amt?

Richtig, der Dreh- und Angelpunkt sind gute Arbeitsbedingungen. Geteilte Dienste oder Rückrufe aus dem Frei müssen der Vergangenheit angehören. Es braucht ein bundesweit einheitliches, verbindlich geltendes Personalbedarfsbemessungsverfahren. Die Vorarbeiten dazu sind ja schon lange erledigt. Nun muss es an die rasche Umsetzung gehen, und dafür werde ich mich einsetzen.

Und wir brauchen ein positiveres Berufsbild. Wenn immer nur die negativen Seiten des Berufes bekannt werden, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass ihn keiner machen will. Auch in anderen Branchen ist nicht alles Gold, was glänzt, aber das hört man nicht jeden Tag. Pflege ist ein toller, anspruchsvoller und abwechslungsreicher Beruf. Und dazu gibt es auch noch krisensichere Arbeitsplätze. Das ist doch wunderbar! 

Wenn nun die Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter noch verbessern, so dass sie Familie, Freizeit und Beruf besser vereinbaren können – dann ist das ein Traumberuf. Und manchmal helfen schon Veränderungen in der Organisation, um den Arbeitsalltag zu verbessern. Da setzt auch das Projekt „GAP – Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege“ an. Dieses Projekt unterstützt die Arbeitgeber bei der Veränderung der Arbeitsbedingungen und wird auch von mir fortgesetzt, da ich von dessen Wichtigkeit komplett überzeugt bin. Ich kann alle Pflegeeinrichtungen nur ermuntern, sich zu informieren und anzumelden. Hier sind jetzt ganz klar auch die Arbeitgeber am Zug.

Welche Ziele verfolgen Sie langfristig für die Pflege?

Augenscheinlich geht es ja um drei Bereiche: die Pflegebedürftigen, die pflegenden Angehörigen und die professionelle Pflege. Alle drei haben mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen, die kurzfristig oder perspektivisch zu lösen sind. Beispielsweise brauchen Pflegebedürftige für ein selbstbestimmtes Leben weniger Bürokratie und mehr Entlastung, Individualität und Flexibilität. Pflegende Angehörige brauchen eine echte Lohnersatzleistung für pflegebedingte Auszeiten. Und wie bereits gesagt, die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen sich verändern, damit der Beruf (wieder) attraktiv ist.

Wir müssen die Pflege aber auch fit für die Zukunft machen. Es ist bekannt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren deutlich steigen wird und die Zahl der Pflegenden sich voraussichtlich weniger stark erhöhen wird. Das hat vor allem demographische Ursachen und wird Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Wir müssen deshalb das Bewusstsein für Pflege stärken. Die Auseinandersetzung mit Themen wie Pflegebedürftigkeit oder Behinderung muss bereits in der Jugend anfangen, zum Beispiel mit dem Ausbau von Freiwilligendiensten in diesen Bereichen. Und auch die Quartierspflege und das Zusammenspiel der beteiligten Berufsgruppen wird eine viel größere Rolle spielen. Die nötigen Entwicklungen sollten wir jetzt anstoßen.

Als examinierte Altenpflegerin haben Sie viele Probleme in der pflegerischen Versorgung selbst hautnah miterlebt. Inwieweit beeinflusst das Ihren Blick auf die anstehenden Herausforderungen?

Mein Erfahrungsschatz ist natürlich wichtig für die zu bewältigen Herausforderungen. Das gilt allerdings nicht nur für meine Arbeit als Altenpflegerin, sondern auch für die Erfahrungen, die ich als Abgeordnete machen konnte. Ich weiß, wo vor Ort der Schuh drückt, wie Politik funktioniert und gebe nicht schnell klein bei. Das sind vielleicht ganz gute Voraussetzungen für die Aufgabe.

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland in punkto Professionalisierung und Akademisierung der Pflege weit hinterher. Welche Rolle spielt das bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben?

Das spielt natürlich eine Rolle, ist aber nicht die dringendste Baustelle, die wir zu bewältigen haben. Zumal sich in den letzten Jahren hier einiges bewegt hat und der Beruf mit einem neuen Berufsgesetz und vielen Entwicklungsmöglichkeiten neu aufgestellt wurde. Ich sehe viel mehr die Herausforderung, wie es gelingt, die bereits Berufstätigen zu halten und junge Menschen für einen Pflegeberuf zu gewinnen und die Ausbildung zu Ende zu führen – als Pflegehelfer, Fachkraft oder Akademiker. Und hier sind wir wieder bei den Arbeitsbedingungen und der Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf. Das spielt heute für viele eine viel größere Rolle als noch vor zwanzig Jahren.

Als Pflegebevollmächtigte sind Sie in alle wichtigen Vorhaben der Politik mit Pflegebezug einzubeziehen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass dies künftig stärker als bisher stattfindet? 

Richtig, das Amt der Pflegebevollmächtigten ist dafür da, dass ich bei allen wichtigen Entscheidungen, die die Pflege betreffen einbezogen werde und die Interessen der Pflegebedürftigen, Angehörigen und Berufsgruppe vertrete. Wer mich kennt, der weiß, dass ich gehört werde. Aber einer alleine kann nicht alles für die Pflege verändern. Pflegekräfte, ihre Verbände und Kammern müssen sich selber gut organisieren und deutlich einbringen. Ich kann nur hoffen, dass die Pflegekräfte sich hier noch stärker engagieren und auch selber laut einfordern, dass sie künftig überall dort mit am Tisch sitzen, wo über Fragen entschieden wird, die sie angehen. Dabei haben sie mich an ihrer Seite!

Pflegeorganisationen plädieren zusätzlich für die Etablierung einer Chief Government Nurse mit strategischer Ausrichtung. Wie stehen Sie dazu?

Eine interessante Forderung. Aber vorerst stehen erst einmal andere Themen auf der Agenda. Deutschland hat eine Pflegebevollmächtigte aus der Profession. Das ist gut so. Und wie ich letztens in einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) gelesen habe, haben nur etwa 50 Prozent aller Regierungen weltweit überhaupt Pflegebevollmächtigte. Da sind wir doch hier in Deutschland eigentlich schon ganz gut aufgestellt.

Das Interview führte Nicoletta Eckardt.

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