Skip to main content

14.01.2024 | News Hebammen | Nachrichten

Bei Frühgeburten

Verzögertes Abklemmen der Nabelschnur rettet Leben

verfasst von: Robert Bublak

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Für das Vorgehen beim Abklemmen der Nabelschnur frühgeborener Kinder gibt es eine Reihe von Optionen. Welche davon das Überleben der Babys am meisten fördert, hat die iCOMP-Arbeitsgruppe untersucht. Die Resultate könnten Leitlinien verändern.

Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.

Abklemmen der Nabelschnur zu verschiedenen Zeitpunkten, Ausstreichen der intakten oder durchtrennten Nabelschnur, falls nötig respiratorische Unterstützung – eine ganze Reihe von Maßnahmen, wie bei der Abnabelung von Frühgeborenen vorzugehen sei, ist in Studien untersucht worden. Verzögertes Abklemmen soll den Blutfluss von der Plazenta zum Kind verlängern und so den Übergang von der fetalen zur neonatalen Respiration erleichtern. Unsicher ist, welche der möglichen Abklemmstrategien zu bevorzugen wäre.

Die Arbeitsgruppe iCOMP (Individual Participant Data on Cord Management at Preterm Birth), angeführt von Anna Lene Seidler (Universität Sydney), hat es sich zur Aufgabe gemacht, das optimale Vorgehen beim Abklemmen der Nabelschnur von Frühgeborenen (vor vollendeter 37. Schwangerschaftswoche) zu identifizieren. Dafür nahmen sich die Forscher die besten verfügbaren Studien zum Thema vor und metaanalysierten sie auf der Basis der individuellen Patientendaten.

In einer ersten Metaanalyse von 48 Studien verglichen Seidler und Mitarbeiter das verzögerte Abklemmen der Nabelschnur von Frühgeborenen mit sofortigem Abklemmen (binnen 15 Sekunden) und dem Ausstreichen der Nabelschnur [1]. Insgesamt starben zwischen 4,7% und 7,1% der frühgeborenen Kinder vor der Entlassung aus dem Krankenhaus. Verzögertes Abklemmen der Nabelschnur reduzierte die Sterblichkeit gegenüber sofortigem Abklemmen um 32%; um einen Todesfall zu vermeiden, musste die Nabelschnur von 40 Kindern verzögert abgeklemmt werden.

Für das Ausstreichen der Nabelschnur waren, verglichen mit sofortigem Abklemmen, keine signifikanten Vorteile zu erkennen. Und auch der Vergleich zwischen Ausstreichen und verzögertem Abklemmen förderte keine statistisch relevanten Differenzen zutage.

„Hochgradig gesicherter Nachweis“

Seidler und Mitarbeiter führten diese Befunde zu folgendem Schluss: „Unsere Studie liefert den hochgradig gesicherten Nachweis dafür, dass verzögertes im Vergleich zu sofortigem Abklemmen der Nabelschnur von Frühgeborenen deren Sterberisiko verringert.“

Was aber heißt „verzögertes Abklemmen“? In der ersten Analyse war damit nur ein Zeitraum bezeichnet, der länger war als die fürs sofortige Abklemmen maximal vorgegebenen 15 Sekunden. Seidler und das iCOMP-Team beschäftigten sich deshalb in einer zweiten, ähnlich aufwendigen Metaanalyse von 47 Studien im Netzwerkkonzept mit der Länge der Verzögerung. Verglichen wurden dabei Intervalle von 15–45 Sekunden, 45–120 Sekunden sowie eine Verzögerung von 120 Sekunden oder länger [2]. Die mit Abstand stärkste Senkung der Sterblichkeit erzielte dabei eine Verzögerung um mindestens zwei Minuten, die Reduktion betrug 69% verglichen mit sofortigem Abklemmen. Auf 18 solcherart behandelter Kinder kam ein verhinderter Todesfall. Für die übrigen Intervalle betrug die Minderung der Sterblichkeit zwischen 18% und 25%.

Inwieweit man allerdings in den analysierten Studien die Vorgaben zum Abklemmen der Nabelschnur auch befolgt hatte, war in vielen Fällen nicht dokumentiert worden. Dort, wo dies geschehen war, fiel die Adhärenz oft nicht besonders hoch aus (unter 75% für das verzögerte Abklemmen). Die Ergebnisse sind daher womöglich nur bedingt zu verallgemeinern.

„Eine lange Verzögerung bis zum Abklemmen der Nabelschnur senkt das Sterberisiko von Neugeborenen im Vergleich zur sofortigen Abklemmung“ schreiben Seidler et al. in ihrem Resümee. Auf Frühgeborene, die sofortiger lebenserhaltender Maßnahmen bedürften, sei dieses Resultat aber möglicherweise nur anwendbar, sofern eine solche Versorgung unter Belassen der Nabelschnur möglich sei.

Seidler und Kollegen geben sich zuversichtlich, dass ihre Ergebnisse die Behandlungsempfehlungen weltweit beeinflussen werden. Das würde dann auch für die deutsch-österreichisch-schweizerische Leitlinie „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ gelten. Dort heißt es zwar, frühgeborene Kinder sollten spät abgenabelt werden, eine genaue Spanne wird aber nicht genannt. Verwiesen wird jedoch auf die Empfehlung des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG). Darin ist die Rede von einer Verzögerung um mindestens 30 bis 60 Sekunden.

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Wann nach der Geburt sollte die Nabelschnur von Frühgeborenen abgeklemmt werden?

Antwort: Ein um mindestens zwei Minuten verzögertes Abklemmen senkt die Sterblichkeit von Frühgeborenen im Vergleich zum sofortigen Abklemmen am stärksten. Sollten lebenserhaltende Maßnahmen nötig sein, gilt dies nur, wenn die Nabelschnur belassen werden kann.

Bedeutung: Die Ergebnisse könnten sich auf künftige Empfehlungen in Leitlinien auswirken.

Einschränkung: Die Adhärenz zu den Vorgaben zum Abklemmen der Nabelschnur war in vielen der metaanalysierten Studien nicht dokumentiert worden, in anderen fiel die Adhärenz relativ gering aus.

print
DRUCKEN
Literatur

Literatur

1 Seidler AL et al. Deferred cord clamping, cord milking, and immediate cord clamping at preterm birth: a systematic review and individual participant data meta-analysis. Lancet 2023; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)02468-6

2 Seidler AL et al. Short, medium, and long deferral of umbilical cord clamping compared with umbilical cord milking and immediate clamping at preterm birth: a systematic review and network meta-analysis with individual participant data. Lancet 2023; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)02469-8