In der Vergangenheit wurden schon zahlreiche Risikofaktoren identifiziert, die zum plötzlichen Kindstod („sudden infant death syndrome“, SIDS) führen können. Nun kommt ein weiterer dazu: Adipositas der Mutter.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Mütterliche Adipositas wird mit einer Reihe von negativen Folgen in Verbindung gebracht, darunter Tot- und Frühgeburten sowie angeborene Anomalien. Bis dato wurde vermutet, dass eine Adipositas der Mutter das SIDS-Risiko lediglich erhöhen könnte, wenn Mutter und Kind in einem gemeinsamen Bett schlafen.
Nun hat eine Gruppe von US-amerikanischen und neuseeländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgefunden, dass eine Adipositas auch ohne das gemeinsame Schlafen für SIDS-Fälle verantwortlich sein kann. Darren Tanner vom „AI for Good Research Lab“, Microsoft Corporation in Redmond, im US-Bundesstaat Washington, und sein Team untersuchten insgesamt 18,9 Millionen Lebendgeburten älter als 28 Schwangerschaftswochen zwischen 2015 und 2019. Davon waren insgesamt 16.545 Säuglinge innerhalb des ersten Lebensjahres an SIDS gestorben.
Es handelt sich um eine landesweite Kohortenstudie aus den USA, bei der die verknüpften Geburts- und Sterbedaten der National Center for Health Statistics der Centers for Disease Control and Prevention verwendet wurden. Als SIDS-Fälle wurden Todesfälle definiert, die 7–364 Tage nach der Geburt auftraten und die in der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) als Todesursache den Code R95 (plötzlicher Kindstod), R99 (ungenau bezeichnete und unbekannte Todesursachen) oder W75 (Unfall durch Ersticken oder Strangulierung im Bett) aufwiesen.
SIDS-Risiko abhängig vom Grad der Adipositas
Säuglinge adipöser Mütter hatten ein erhöhtes Risiko für SIDS. Dieses war vom Schweregrad der Adipositas abhängig. Nach Adjustierung auf Störfaktoren wiesen Säuglinge von Müttern mit einer Adipositas Grad I (BMI 30,0–34,9 kg/m2) ein um 10% erhöhtes SIDS-Risiko auf, im Vergleich zu Müttern mit normalem BMI (18,5–24,9 kg/m2). Mit Adipositas Grad II (BMI 35,0–39,9 kg/m2) war das Risiko um 20% erhöht und mit Adipositas Grad III (BMI ≥ 40,0 kg/m2) um 39%. Die Unterschiede fielen statistisch signifikant aus.
Ungefähr 5,4% der SIDS-Fälle führten die Forschenden auf mütterliche Adipositas zurück. In den multivariaten Analysen wurden Variablen, wie Alter der Mutter, Ethnie, Bildung, Geburtsort, Herkunft, Familienstand und Raucherstatus, berücksichtigt.
Nach Meinung von Tanner und Kollegen sollte Adipositas der Liste der Risikofaktoren für SIDS hinzugefügt werden. Jedoch waren sie nicht in der Lage, kausale Mechanismen zu entschlüsseln, die einen Zusammenhang zwischen einem hohen mütterlichen BMI und SIDS herstellen. Ein möglicher Mechanismus könnte das erhöhte Risiko von adipösen Frauen für eine obstruktive Schlafapnoe (OSA) sein. Diese wurde in der Vergangenheit mit einer Reihe von negativen Folgen fürs Kind in Verbindung gebracht, darunter Präeklampsie, postpartale Blutungen und Frühgeburt. OSA kann zu intermittierender Hypoxie führen, die oxidativen Stress verursacht, der sich wiederum nachteilig auf das fetale Wachstum auswirkt.
Jedoch lagen der Studiengruppe um Tanner weder Daten zu OSA noch zu den Schlafgewohnheiten (mit oder ohne Säugling) der Mütter vor.
Zusammenhänge müssen erforscht werden
Drei Autorinnen eines begleitenden Editorials, angeführt von Jacqueline Maya vom Massachusetts General Hospital, Harvard Medical School, Boston, Massachusetts, bringen noch weitere mögliche Zusammenhänge zwischen mütterlicher Adipositas und SIDS ins Spiel: Komplikationen im Zusammenhang mit Adipositas, wie kongenitale Anomalien, mütterliche Anämie und frühzeitiges Abstillen, wurden in der Vergangenheit allesamt schon mit einem erhöhten SIDS-Risiko in Verbindung gebracht.
Einen weiteren möglichen Mechanismus auf molekularer Ebene sehen Maya und ihre Kolleginnen in epigenetischen Veränderungen, die sich auf die Plazenta und/oder die fetale Entwicklung auswirken. Denn viele Studien haben inzwischen berichtet, dass der mütterliche BMI mit der DNA-Methylierung und anderen epigenetischen Markern in Geweben der Plazenta und des Feten in Verbindung steht. Diese epigenetischen Veränderungen könnten sich auf die Entwicklung von Organen, einschließlich des zentralen Nervensystems und der Atmungskontrollzentren des Kindes, auswirken. Zu weiteren postnatalen biologischen Mechanismen gehören Unterschiede im Mikrobiom, das während oder nach der Geburt an den Säugling weitergegeben wird, oder die Zusammensetzung der Muttermilch, die bei Gebärenden mit Adipositas verändert sein kann.
Da es nicht einfach sei, das Gewicht vor oder auch während einer Schwangerschaft zu reduzieren – zumal viele Schwangerschaften nicht geplant seien –, könnten ein besseres Verständnis der Zusammenhänge und mögliches Eingreifen die bessere Lösung sein, um SIDS zu verhindern, als eine Gewichtsabnahme, schreiben Maya et al. Auch über die Wirkung der neuartigen Inkretinmimetika in der präkonzeptionellen Phase sei noch zu wenig bekannt.
SIDS sei eine verheerende Komplikation, die keine Familie erleben sollte, so Maya und ihre Kolleginnen. „Diese Studie ist ein Aufruf zum Handeln an die wissenschaftliche und medizinische Gemeinschaft, um das komplexe Zusammenspiel biologischer, sozialer und verhaltensbezogener Faktoren besser zu verstehen, die zu SIDS führen können.“
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Welcher Zusammenhang besteht zwischen mütterlicher Adipositas und dem Risiko eines plötzlichen Kindstodes (SIDS)? Antwort: Mütterliche Adipositas zeigte eine signifikante Assoziation mit dem SIDS-Risiko, die sich von Grad I bis Grad III erhöhte. Ungefähr 5,4% der SIDS-Fälle wurden auf mütterliche Adipositas zurückgeführt. Bedeutung: Die weltweit steigende Rate an Adipösen könnte auch Einfluss auf die Rate von SIDS-Fällen haben. Einschränkung: Beobachtungsstudie, bei der verbleibende Störfaktoren eine Verzerrung verursachen können. |