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28.07.2023 | Content plus | Online-Artikel

Interview mit Dorothea Metzen: Klima und Veränderungen im Gehirn

Klimakrisenbedingte Angst, Belastungsstörung und Depressionen

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Dorothea Metzen und Prof. Dr. Sebastian Ocklenburg aus der Biopsychologie der Ruhr-Universität Bochum und der Medical School Hamburg veröffentlichten das Buch „Die Psychologie und Neurowissenschaft der Klimakrise. Wie unser Gehirn auf die Klimaveränderungen reagiert" im Springer Verlag, Berlin 2023. Im Interview mit Frau Metzen kommentiert sie den Inhalt des Buches und gibt einen Einblick in die Klimaneurowissenschaften.

Frau Metzen, können Sie uns konkrete Beispiele dafür nennen, wie sich das Gehirn an veränderte Umweltbedingungen anpasst?

Metzen: Unser Gehirn weist eine gewisse Plastizität auf. Das bedeutet, dass es sich zu einem gewissen Grad durch Umwelt und Erfahrungen verändern kann. Eine sehr bekannte Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass ein Teil des Gehirns, welcher für Navigation wichtig ist, bei Londoner Taxifahrer*innen deutlich größer ist als bei Menschen, die keine Taxifahrer*innen sind. Auch die Nähe zur Natur scheint einen wichtigen Einfluss auf unser Gehirn zu haben. So hat eine Studie gezeigt, dass bereits ein einstündiger Spaziergang im Wald zu einer verminderten Aktivität von Stressnetzwerken im Gehirn führen kann. Dieser Effekt kommt nicht zustande, wenn die Proband*innen stattdessen eine Stunde in der Stadt spazieren gehen. Der Verlust von Biodiversität stellt daher ein Risiko für unsere Gesundheit dar, da wichtige Erholungsräume zerstört werden. Auch lange Exposition besonders reizarmer Umgebungen kann unser Gehirn beeinflussen. Nach einer 14-monatigen Polarexpedition zeigten die Teilnehmer*innen zum Beispiel eine Verkleinerung des Hippocampus, welcher auch mit Defiziten in kognitiven Tests zusammenhing.

Welche Rolle spielen Faktoren wie Angst, Sorge und Stress bei der Wahrnehmung und dem Umgang mit der Klimakrise?

Metzen: Sorge und Angst bezüglich der Klimakrise sind ein weitverbreitetes Phänomen und für uns als Wissenschaftler*innen und Menschen in Gesundheitsberufen nicht zu vernachlässigen. Allerdings ist die Angst vor der Klimakrise abzugrenzen von einer Angststörung, welche pathologischer Natur ist. Denn Angst vor den katastrophalen Folgen der Klimakrise zu haben ist eine normale Reaktion auf eine existentielle Bedrohung. Angst ist eine wichtige Emotion, die uns evolutionär gesehen vor Gefahren schützen soll. Angst kann allerdings auch hemmend wirken und uns von Engagement in der Klimaschutzbewegung abhalten, sollte sie zu stark werden. Deswegen ist es besonders wichtig, dass wir die Klimaängste von Menschen ernst nehmen und dass wir Klient*innen dabei unterstützen, aktiv zu werden. Denn das Engagement in der Klimaschutzbewegung und der Austausch mit Menschen, die ähnlich fühlen, kann unsere empfundene Selbstwirksamkeit steigern und unsere Angst lindern.

Wie können Pflegekräfte und Gesundheitsberufe wirksam handeln?

Metzen: Es gibt zwei Wege, die beide beschritten werden müssen, um unsere Patient*innen und Klient*innen zu schützen. Erstens können wir unsere Kommunikation im direkten Patient*innenkontakt anpassen. Es ist beispielsweise notwendig, Menschen die Bedrohung durch Hitze zu erklären und klarzumachen, dass es jedes Jahr mehr Hitzetode gibt. Diese Tode wären möglicherweise vermeidbar, wenn Personen an kühlere Orte gebracht und mit Wasser versorgt würden. Vor allem Angehörige von älteren Menschen sollten dafür sensibilisiert werden.
Zweitens können wir uns dafür einsetzen, dass endlich wirksamer Klimaschutz betrieben wird. Denn jedes verhinderte Zehntelgrad Erderwärmung rettet Menschenleben. Prävention ist hier wie so häufig einfacher und wirksamer als Intervention. Eine einzelne Person wird vermutlich keine politischen Änderungen bewirken, aber wir sind nicht allein. Es gibt bereits viele Klimaschutzgruppen, die aus Gesundheits- und Wissenschaftsberufen entstanden sind, zum Beispiel Health for Future, Psychologists for Future, Scientists for Future, Scientist Rebellion oder Doctors for Extinktion Rebellion.

Welche Ansätze sehen Sie, um die Auswirkungen des Klimawandels auf das Gehirn und die psychische Gesundheit besser zu erforschen?

Metzen: Die Klimakrise betrifft alle Bereiche unseres Lebens, daher braucht es auch interdisziplinäre Ansätze, um ihre Auswirkungen zu verstehen und Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Medizin, Psychologie, Sozialwissenschaften und Neurowissenschaften können dort zusammen einen wichtigen Beitrag leisten. Es ist außerdem wichtig, Forschung und Interventionen spezifisch für Regionen und Bevölkerungsgruppen zu entwickeln, denn die Gefahren durch die Klimakrise sind sehr von Wohnort, Alter, Gesundheitsstatus und Einkommen abhängig. Auf der einen Seite ist es essentiell verstehen, wie menschliches Verhalten die Klimakrise begünstigt oder hemmt, interessante Forschungsgebiete sind dabei zum Beispiel Fairness, Kooperation, Empathie und persönliche Werte. Allerdings müssen auch Behandlungsstrategien für klimakrisenbezogene Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Ängste besser erforscht werden.

Sie betonen die Bedeutung von Prävention im Umgang mit den Gesundheitsrisiken der Klimakrise. Können Sie einige Beispiele nennen?

Metzen: Wir können uns dafür einsetzen, dass das Gesundheitssystem auf die kommenden Folgen der Klimakrise vorbereitet wird. Das kann in einzelnen Krankenhäusern oder auf einer gesamtpolitischen Ebene passieren. In Zukunft wird es deutlich mehr Naturkatastrophen geben, die betroffenen Menschen müssen versorgt werden und Krankenhäuser selbst müssen Katastrophenschutzpläne haben. Wir müssen auch mit mehr hitzebezogenen Patient*innen im Sommer rechnen. Es ist daher besonders wichtig, die psychologischen Folgen der Klimakrise in der Planung von Programmen zu psychischer Gesundheit mitzudenken. Unser Gesundheitssystem und unsere psychologische Versorgung müssen jetzt beginnen, sich auf eine steigende Anzahl von Patient*innen und Klient*innen vorzubereiten. Zudem müssen vulnerable Bevölkerungsgruppen und Regionen identifiziert und besonders beobachtet werden.

Das Interview führte Laura Herbst

Mehr zum Thema "Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen" lesen Sie in der PflegeZeitschrift Ausgabe 9/2023 und in unserem Fokusthema.

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