Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(11/12): 746-753
DOI: 10.1055/s-0028-1104614
Fachwissen
Notfallmedizin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychosozialer Notfall – Substanzinduzierte Störungen durch illegale Drogen – Teil 1

Substance–abuse related emergencies – illegal drugs, part IMichael Kinn, Rüdiger Holzbach, Frank–Gerald Bernhard Pajonk
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Publication Date:
18 November 2008 (online)

Zusammenfassung

Seit 2000 ist im Jahr 2007 erstmals wieder ein Anstieg der Drogentote um 8 % zum Vorjahr verzeichnet worden. Notfälle im Zusammenhang mit Drogenkonsum sind für den Notarzt häufig schwierig zu beherrschen, da zum einen diagnostische Möglichkeiten fehlen und zum anderen die Therapie nur symptomatisch geschehen kann. Selten sind Drogenintoxikationen auf den Monokonsum einer Substanz zurückzuführen. Oftmals stehen suizidale Absichten hinter einer Intoxikation mit illegalen Drogen. Das schwierige Umfeld, in dem sich Drogenintoxikationen abspielen erschwert das Handeln zusätzlich, wichtige Differentialdiagnosen können leicht übersehen werden. Notfälle im Zusammenhang mit einer Entzugssymptomatik eröffnen die Möglichkeit die Betroffenen in eine therapiegestützte Abstinenz zu überführen. Diese Chance sollte nicht vertan werden.

Abstract

For the first time since the year 2000 the number of death due to substance abuse of illegal drugs has increased in Germany in 2007 (+8 % compared to 2006). Emergency situations due to drug abuse are frequent, particular in big cities. They may be, however, difficult to diagnose and / or treat for an emergency physician on scene because of a lack of diagnostic tools, the local and personal surroundings, and the unknown number and nature of drugs. Many drug intoxications must be considered suicidal. On the other hand, drug intoxications may mask (other) life–threatening conditions. Emergency situations due to withdrawal offer the possibility to motivate patients to take advantage of specialist–guided abstinence programs.

Kernaussagen

  • Notfälle im Zusammenhang mit illegalen Drogen sind oft eine Indikation für Notarzteinsätze.

  • Intoxikationen sind oftmals in suizidaler Absicht herbeigeführt.

  • Die Bewusstseinseinschränkung unter dem Einfluss von Drogen bedingt viele Notfallsituationen (psychischer Erregungszustand, Trauma, Entzugssymptomatik)

  • Die Behandlung der meisten Intoxikationen mit illegalen Drogen ist häufig auf die symptomatische Therapie und das Sichern der Vitalfunktionen beschränkt.

  • Antidota sollten zurückhaltend eingesetzt werden und dem absoluten Notfall vorbehalten bleiben.

  • Beim Vorliegen psychotischer Symptome sollten auch Antipsychotika zum Einsatz kommen.

  • Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Abklärung möglicher Differenzialdiagnosen und zusätzlicher Diagnosen gelegt werden.

  • Patienten in Entzugssituationen sollten unterstützt und ermutigt werden: zur weitergehenden Abstinenz und zum Aufsuchen weiterführender Hilfen (z. B. Beratungsstellen).

  • Beim Vorliegen psychischer Symptome sollte die fachärztliche Abklärung erfolgen.

  • Der Eigenschutz hat in allen Situationen Vorrang.

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Michael Kinn
Dr. med. Rüdiger Holzbach
Prof. Dr. med. Frank G. B. Pajonk

Email: mkinn@bgu-ludwigshafen.de

Email: R.Holzbach@wkp-lwl.org

Email: pajonk@klinik-dr-fontheim.de

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