Räume spielen in der gerontologischen Forschung und Praxis eine zentrale Rolle. Im Kern dieser Diskussion steht dabei häufig die Aufrechterhaltung von Autonomie und Wohlbefinden in einer gewohnten Umgebung. Gerade aktuell stehen angesichts der Corona-Pandemie Empfehlungen, „zu Hause“ zu bleiben, auch mit Blick auf gewünschte und ungewünschte Folgen zur Diskussion.
Das Verhältnis von Mensch und Raum in der ökologischen Gerontologie [5, 7, 15] fokussiert auf Verhalten und Erleben der Person im Austausch mit sozialräumlicher Umwelt und deren Folgen, insbesondere im Sinne von Einschränkung oder Förderung von Handlungsfähigkeit durch Umweltbedingungen zur Erreichung eines Ziels. Im Fokus standen lange potenziell prothetische Umweltfunktionen zur Kompensation altersbedingter oder altersassoziierter Defizite, von Mobilitätseinschränkungen bis zur Verringerung sozialer Kontakte (bereits Lindsley [8]). Theoretisch wird eine klare Trennung zwischen der Person und der Umwelten vorausgesetzt. Die Frage nach einem Raumkonzept stellte sich nicht. De facto wurde ein „Containermodell“ vertreten, d. h., Umwelt als sozialräumlicher Kontext, in dem Alter(n) sich vollzieht. Neuere Zugänge der ökologischen Gerontologie öffnen sich einer Diskussion um Raumkonzepte über ein reines Ursache-Wirkung-Folge-Denken hinaus ([2, 14]).
Sozial- und Kulturwissenschaften, etwa die Raumsoziologie, Humangeografie oder materielle Gerontologie vertreten dagegen einen relationalen Raumbegriff [1, 9]. Angewandt auf das Alter(n) bedeutet das: Alter(n) und Räume sind immer in Verwicklung begriffen und kokonstitutiv, d. h., sie bringen sich gegenseitig hervor. So sind Räume keine äußeren Kontextbedingungen des Alterns, sondern werden durch das Alter(n) mithervorgebracht; und umgekehrt ist das Alter(n) inhärent räumlich [3, 16]. Diese Verwicklungen können auf mehreren Ebenen des Sozialen beobachtet werden: So werden Räume, etwa Pflegeheime oder Kindergärten, aber auch Universitäten, Supermärkte oder Kultureinrichtungen, für bestimmte (Alters‑)Gruppen geplant und errichtet, und dabei spielen Diskurse und Vorstellungen über das Alter(n) eine zentrale Rolle.
Aufbau des Themenschwerpunktes
Relationale Raumbegriffe – so argumentieren die drei zentralen Beiträge (zwei empirische, ein konzeptueller) in diesem Schwerpunkt – können uns helfen, ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, wie Alter(n) durch Räume und Materialitäten hergestellt wird, und wie sich räumliche (Neu)Anordnungen zu Wahrnehmungen, Praktiken und dem Erleben des Älterwerdens verhalten. Unter dem Begriff des Mapping age werden dabei alternative Ansätze aufgezeigt, das Verhältnis zwischen älteren Menschen und räumlich-dinglichen Umwelten zu erfassen. Mapping age dient dabei weniger als Theorie oder Heuristik, denn als Forschungsansatz, der auf Konzepte und Methoden bestehender Forschungsfelder wie der ökologischen Gerontologie, der materiellen Gerontologie und der Humangeografie zurückgreift.
Vera Gallistl und Viktoria Parisot zeigen exemplarisch anhand der kulturellen Bildungsangebote eines Jodelseminars und eines Theaterworkshops eindrücklich auf, wie räumliche Umwelten und Alternserleben miteinander verwoben sind, und wie Räume im Sinne eines aktiven Alterns genutzt werden können. Anne Münch fokussiert auf innerhäusliche und außerhäusliche sozialräumliche Herausforderungen in der partnerschaftlichen Begleitung und Pflege von Menschen mit Demenz anhand einiger Alltagsbeispiele. Grit Höppner und Anna Sarah Richter schließlich argumentieren sogar für eine Neuvermessung des Alterns infolge ihrer kritischen Sichtung vorhandener Zugänge.
Thematisch „rund“ und anschlussfähig an sozialgerontologische/sozialpädagogische sowie ökogerontologische/ökopsychologische Debatten machen den Schwerpunkt zwei eingeladene Kommentare: Cornelia Kricheldorff ordnet den (neuen) Zugang des Mapping age ein, in den gerontologischen Diskurs (auch der Sozialraumorientierung und der sozialen Arbeit), und stellt die Relevanz der drei genannten Beiträge zur notwendigen Erweiterung unserer Perspektiven auf die Beziehung von Raum und Altern heraus. Hans-Werner Wahl verweist in seiner Einordnung vor dem Hintergrund einer scheinbar nicht aufhaltbaren Dekontextualisierung des Alterns auf historische und bestehende neuere konzeptuelle Diskurse und Methodendiskussionen innerhalb der ökologischen Gerontologie (u. a. auch mit Bezug zu intelligenten Technologien) und zeigt zudem mit Blick auf eine konstruktive Weiterführung der Diskussion auch konzeptuelle Engführungen auf, die eine Forderung nach Neuvermessung des Alterns mit sich bringen kann.
Ziel des Themenschwerpunktes
Ziel des Themenschwerpunkts ist eine Weiterentwicklung der Forschung auf Raum und Alter unter der Perspektive eines Mapping age. Eine solche muss jedoch das Rad nicht völlig neu erfinden, sondern greift bestehende Ansätze aus der ökologischen Gerontologie auf und verbindet sie mit solchen aus der materiellen Gerontologie und der Humangeografie. Aus der ökologischen Gerontologie greift ein Mapping-age-Ansatz zum einen auf, dass sie den Fokus von älteren Menschen auf der einen Seite und räumlich-dinglichen Umwelten auf der anderen Seite hin zu den Person-Umwelt-Beziehungen und -Austauschprozessen verschiebt [2, 13]. Zum anderen betont die ökologische Gerontologie die Fähigkeit älterer Menschen, Räume auf vielfältige Weise in ihre Alltagspraxen einzubeziehen und diese auch zu transformieren [11].
Während in der ökologischen Gerontologie trotz der Bedeutung von Wechselbeziehungen tendenziell der ältere Mensch im Fokus steht, erweitert die materielle Gerontologie den Blick von Mapping age auf die andere Seite – jene der materiellen Umwelten. Das Altern wird von dieser als soziale Praxis verstanden, die inhärent materiell ist; sie besteht aus alternden Körpern, Dingen und Artefakten des Alterns sowie räumlichen Anordnungen dieser Dinge, gebauter Umwelten und Architekturen des Alterns, z. B. Pflegedingen, und Architekturen von Pflegeheimen, aber auch alternsgerechten Städten, neuen Technologien oder der Materialität von Spaß und Freizeit [4, 10]. In gewissem Sinne geht eine solche Perspektive „zurück“ zu den Anfängen der ökologischen Gerontologie, in der Räume – wenn auch in einem anderen Vokabular – als „machtvolle Akteure“ verstanden wurden [6]. Anders als diese wird das Verhältnis zwischen älteren Menschen und räumlich-dinglichen Umwelten jedoch nicht als Wechselwirkung, sondern als Kokonstitution verstanden – „ageing and space can be analysed as entwined becomings“ [12]. Ein solches Verständnis erlaubt, Altern nicht nur als inhärent materiell, sondern auch als räumlich verteilt zu denken – wo Alter statt, also seine Stätte findet, lässt sich mit humangeografischen Methoden, wie dem Geographic Information System (GIS) Mapping, auf für die Gerontologie neue Art visualisieren und damit imaginieren. Die Beiträge in diesem Themenheft zeigen also auch, dass Räume dabei immer dinglich-materielle Anordnungen sowie affektive und psychosoziale Möglichkeitsstrukturen darstellen und in einem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis mit den alternden Subjekten stehen.
Mit dem vorgelegten Themenschwerpunkt soll somit ein Beitrag geleistet werden, zur möglichst undogmatischen und transdisziplinären Weiterführung der Diskussion um das Verhältnis von Altern und Raum in Forschung und Praxis. In die Alternsforschung kürzlich eingeführte Konzepte, wie etwa Praxistheorien und Konzepte des „new materialism“, sollen dabei ebenso für die Frage des Zusammenhangs von Räumen und Altern fruchtbar gemacht wie ihre empirische Anwendung in ausgewählten Fällen vorgestellt und diskutiert werden. Auf diese Weise soll ein besseres Verständnis dafür erlangt werden, wie das Altern durch Räume und Materialitäten hergestellt wird, und wie sich räumliche (Neu)Anordnungen zu Wahrnehmung und Erleben des Älterwerdens verhalten.
Literatur
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Wanka, A., Oswald, F. „Mapping age“ – das Verhältnis von Altern und Raum neu denken. Z Gerontol Geriat 53, 379–381 (2020). https://doi.org/10.1007/s00391-020-01769-4
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