Zentralbl Chir 2002; 127(8): 704-705
DOI: 10.1055/s-2008-1076977
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar auf Anforderung der Schriftleitung

Invited CommentaryE. Bärlehner
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Publication Date:
14 August 2008 (online)

Bereits 1995 haben Paul et al. [15] eine Umfrage zur Praxis der Narbenhernienrekonstruktion in Deutschland durchgeführt. Die Aktualität des Themas veranlasste die Schriftleitung des Zentralblatts für Chirurgie, diesem Thema 1997 ein ganzes Heft zu widmen. Mit der Herausstellung der wesentlichen Aspekte zur Narbenhernie musste in Gesamteinschätzung die Frage nach der optimalen Therapie (golden standard) unbeantwortet bleiben. Mit einer Inzidenz der Bauchwandbrüche von 10–15 % unter allen Laparotomien und einem Operationsaufkommen von etwa 25 000 Bauchwandrekonstruktionen jährlich stellen die Narbenhernien eine enorme sozioökonomische Belastung dar. Die multifaktorielle Genese hat in den letzten Jahren zu verschiedensten Bemühungen in der Optimierung des Bauchdeckenverschlusses und der Therapie der Narbenhernie geführt [16]. Neue Aspekte über Kollagensynthesestörungen stellten die alleinige Dominanz technischer Details in Frage [3]. Eine ideale Operationsmethode ist nicht erkennbar.

Hat sich in der ersten Umfrage von Paul et al. noch eine Dominanz der Fasziendoppelung nach Mayo gezeigt mit einer schon deutlichen Abkehr zu Gunsten der Alloplastik, ist dieser Trend in der Analyse von Korenkov et al. [12] nun eindeutig. Kennzeichnend für die Narbenhernienchirurgie ist die Ratlosigkeit bei fehlenden Vergleichsstudien und einer Vielzahl von Operationsmethoden und Fremdmaterialien. Auch die Autoren nehmen sich hierbei nicht aus. Beurteilen sie die primäre Naht (Mayo-Doppelung oder Stoß-auf-Stoß) aufgrund der sehr hohen Rezidivrate in der Umfrageanalyse als obsolet, empfehlen sie dieses Verfahren in einer Studienanalyse bei kleinen Narbenhernie als sicheres Verfahren [12]. Luijendigk et al. [13] aber konnten gerade für diese Hernienkategorie einen Nachteil der Naht gegenüber der Meshrekonstruktion mit 40 % zu 20 % Rezidiven belegen. Es bleibt als wesentliches Handicap in beiden Studien festzustellen, dass kaum eine Klinik über objektive Daten zur Rezidivhäufigkeit verfügt und die Komplikationsrate nicht erfasst wurde.

Die überdurchschnittliche Verbreitung der Netzimplantation bei Narbenhernie dürfte maßgeblich auf die grundlegenden Arbeiten der Aachener Schule um Schumpelick zurückzuführen sein. Mit der alloplastischen Verstärkung der Bauchwand und Induktion einer Narbenplatte ist eine Senkung der Rezidivquote unter 10 % möglich. Die Verunsicherung liegt in der Wahl der Fremdmaterialien (Polyester, Polypropylen, Polytetrafluorethylen), des Implantatlagers (Onlay, Inlay, Sublay), Häufung der Komplikationen und ihrer Therapie sowie unklarer zellulärer Reaktionen auf den Fremdkörper. Erhöhte proliferative Aktivität sowie eine erhöhte Apoptoserate in explantierten Netzen [11] und in humanen Zellkulturen [5] lassen eine zelluläre Entartung nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Hierbei scheinen Netzeigenschaften und Implantationsart eine wesentliche Rolle zu spielen, wobei glatte Oberflächen und Abwesenheit von Poren wesentliche Nachteile bedeuten [9]. Die Häufigkeit von Komplikationen, insbesondere der Spätfolgen, dürfte wie die Rezidivraten in den Umfragen unterschätzt werden. Das große offene Zugangstrauma mit 8–16 % Infektionen, 3–15 % Blutungen, bis 40 % Serome und bis zu 16 % Spätabszesse [10] lässt die postoperative Destruktion in der Operationsebene erahnen. Ruhende Keime – nach Houck [8] bei 16 % der Narbenhernien zu finden – aber auch die Neigung der periimplantären Kapsel zu bakteriellen Infektionen bedeuten ein permanentes Risiko für die offene Netzimplantation. Alarmierend sind die Mitteilungen über großflächige Narbenplatten bis zu ausgedehnten Ossifikationen. Bis zu 50 % der Patienten klagen über funktionelle Behinderungen, teilweise resultieren Explantationswünsche. Netzmigration mit Fistelbildung werden bis 16 % beobachtet und treten nach einer Latenzzeit von mehreren Jahren auf [10].

Unter diesem Hintergrund gibt die Umfrage einen interessanten Ausblick auf die operative Technik. Während in der Umfrage 1995 die laparoskopischen Verfahren keine Rolle spielten, sind es in der Umfrage von Korenkov et al. bereits 90 Kliniken (12,3 %), die Narbenhernien laparoskopisch operierten. Wenn auch die wesentlichste Bedeutung der laparoskopischen Chirurgie in der Vermeidung der Bauchwanddestruktion und damit der Narbenhernie liegt [6], ermöglicht dieses Verfahren eine fast optimale Reparation von primären und Rezidivnarbenbrüchen [1]. Das minimale Zugangstrauma fernab von der Narbenregion bedeutet für den Patienten eine schnelle Rekonvaleszenz, weniger postoperative Beschwerden und kürzeren Krankenhausaufenthalt. Die Adhäsiolyse ist wegen möglicher Enterotomie der gefährlichste Operationsschnitt und sollte subtil und zeitaufwendig erfolgen. Grundprinzipien sind die komplette Freilegung der gesamten Narbenregion und der angrenzenden Bauchwandregion. Die Größe des alloplastischen Materials muss die Bruch- und Narbenregion um mindestens 5 cm überlappen. Die Netzverankerung ist von absoluter Bedeutung für den Operationserfolg. In diesen zentralen Punkten sind alle Arbeitsgruppen übereinstimmend [2] [7] [14] [17]. Unterschiede bestehen bezüglich Netz und Fixation. Die IPOM (Intraperitoneales onlay-mesh)-Technik ist zwangsweise mit einem Netzkontakt zum Viszerum verbunden. Die Vermeidung einer narbigen Verlötung hat bei den meisten Anwendern in den USA zur Bevorzugung einer PTFE-Folie mit Porengrößen unter 10 μm geführt. In Frankreich wird ein einseitig kollagenbeschichtetes multifilamentäres Polyesternetz eingesetzt [4]. Wir verwenden ein feinporiges multifilamentäres Polypropylenmesh mit einer Porengröße um 100 μm (Surgipro-Mesh). Die Porengröße hat eine entscheidende Bedeutung. Bei 10 μm handelt es sich um Folien. Sie vermeiden nahezu Adhäsionen, sind allerdings durch kapselartige Einscheidung mit möglicher zellulärer Destruktion nicht unbedenklich. Netze mit Porengrößen über 100 μm neigen zunehmend zu narbiger Verschwartung und sind in der IPOM-Technik abzulehnen. Polyesternetzen wird eine Degradation und damit abnehmende Haltbarkeit bescheinigt.

Wir präsentieren mit 400 Patienten die größte Serie mit einem medianen follow up von 50 Monaten. Fisteln traten in nur 0,25 % auf, was wir auf die Feinporigkeit zurückführen. Die Netzfixation ist von zentraler Bedeutung. Die geringe Haftung von Folien oder kleinporigen Netzen macht eine Langzeitfixation erforderlich. Spiraltacker und Naht (nichtresorbierbare Fäden) konkurrieren in der Anwendung, wobei sich ein Trend zur Nahtfixation abzeichnet [7]. Die bisherigen Ergebnisse der laparoskopischen Narbenhernienreparation erscheinen mit einer Infektionsrate und Rezidivhäufigkeit von jeweils unter 5 % besser als die der offenen Verfahren. Klinikumfragen suggerieren eine Evidenz nach dem Mehrheitsprinzip. Bei den dargelegten Problemen zur Narbenhernienreparation wird ein anderer Evidenzlevel gefordert. Der Forschungsbedarf ist auf Netzentwicklung und Langzeitwirkung von Biomaterialien zu orientieren. Die Standardisierung operativer Techniken und ihre Praktikabilität in der chirurgischen Routine sind Voraussetzungen, um mit multizentrischen Studien den Weg zum Optimum zu finden.

Literatur

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  • 12k Korenkov M, Sauerland S, Arndt M, Bograd M, Neugebauer E AM, Troidl H. Randomized clinical trial of suture repair, polypropylene mesh or autodermal hernioplasty for incisional hernia.  British Journal of Surgery. 2002;  89 50-56
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  • 14k Park A, Birch D W, Lovrics P. Laparoscopic and open incisional hernia repair: a comparison study.  Surgery. 1998;  124 816-822
  • 15k Paul A, Lefering R, Köhler L, Eypasch E. Gegenwärtige Praxis der Narbenhernienrekonstruktion in der Bundesrepublik Deutschland.  Zentralbl Chir. 1997;  122 859-861
  • 16k Schumpelick V, Klinge U, Welty G, Klosterhalfen B. Meshes in der Bauchwand.  Chirurg. 1999;  70 876-887
  • 17k Toy F K, Bailey R W, Catey S. Prospektive multicenter study of laparoscopic ventral hernioplasty. Preliminary results.  Surg Endosc. 1998;  12 955-959

Dr. E. Bärlehner

Helios-Klinikum Berlin

Klinikum Buch

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