Pneumologie 2007; 61(12): 757
DOI: 10.1055/s-2007-993030
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial zur Serie „Tuberkulose”

Editorial “Series on Tuberculosis”R.  Loddenkemper1 , T.  Schaberg2
  • 1Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK), Helios Klinikum Emil von Behring, Berlin
  • 2Zentrum für Pneumologie, Diakoniekrankenhaus Rotenburg gGmbH, Rotenburg
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Publication Date:
20 December 2007 (online)

Die Tuberkulose (TB) zieht international immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Obwohl sich nach Schätzung der WHO erstmals eine geringfügige Abnahme der globalen Neuerkrankungsinzidenz zeigt, hat sich die Lage aus zwei Gründen verschärft: erstens werden immer mehr resistente Keime, vorwiegend als Folge einer fehlerhaften Behandlung, erzeugt. Nicht nur nimmt die MDR-TB in einigen Regionen der Welt, besonders in Osteuropa und Zentralasien zu, sondern inzwischen werden auch weltweit immer mehr XDR-TB-Fälle registriert, in einigen Ländern machen sie bis zu 20 % der MDR-Fälle aus.

Zum Zweiten bedeutet die AIDS-Epidemie einen schweren Rückschlag in der Bekämpfung der TB. Zunächst wurde über gehäufte TB/HIV-Koinfektionen in den 1980er Jahren besonders aus den USA berichtet. Dort hat man mit erheblichem finanziellem und personellem Aufwand die Situation einigermaßen in den Griff bekommen. Am meisten belastet sind heute die südlich der Sahara gelegenen Staaten Afrikas, wo es dadurch zu einer enorm hohen Inzidenz an TB-Neuerkrankungen gekommen ist, aber zunehmend breitet sich die Koinfektion auch in anderen Ländern der Dritten Welt, besonders in Südostasien, aus. Aber auch Osteuropa, z. B. die Ukraine, ist hier bedroht.

Dies hat die WHO und die Global Stop TB Partnership mit ihren mehr als 500 beteiligten Organisationen dazu gebracht, neue Strategien und Programme zur TB-Kontrolle zu entwickeln, die dringend für die Bewältigung dieser beiden Hauptprobleme benötigt werden. Auch die EU hat die Bedeutung der Tuberkulose erkannt und sie auf ihre Agenda gehoben. Das Argument der US-Amerikaner, europäische Probleme sollten auch durch die Europäer gelöst werden, hat überzeugt. In der Konferenz der Gesundheitsminister der europäischen Staaten am 22. Oktober in Berlin hat nun auch Deutschland ein verstärktes Engagement gezeigt.

Trotzdem erscheinen die Ziele der WHO, bis 2015 die Zahl der Neuerkrankungen um 50 % zu senken und bis 2050 eine Eradikation der Tuberkulose zu erreichen, noch utopisch. Hoffnung wird auf die Entwicklung neuer diagnostischer Verfahren, neuer antituberkulös wirksamer Substanzen und neuer Impfstoffe, vor allem im Zusammenhang mit der gelungenen Genom-Sequenzierung des Mycobacterium tuberculosis, gesetzt.

Die Situation in Deutschland hat sich heute, 125 Jahre nach Entdeckung des Tuberkulose-Erregers durch Robert Koch, wesentlich entspannt. Zählte man 1982 noch etwa 320 Tote auf 100 000 Einwohner (1907 war hier bereits ein Rückgang um die Hälfte zu registrieren - damals war die Tuberkulose noch eine der führenden Todesursachen), so traten 2006 nur noch etwa 7 Neuerkrankungen auf 100 000 Einwohner auf. Ein beispielloser Erfolg, der heute so praktisch von allen Industrieländern erreicht worden ist.

Zwei Punkte müssen aber bei uns Beachtung finden: einmal kann nicht sicher gesagt werden, ob die TB-Lage in Osteuropa und in anderen Teilen der Welt mit hoher TB-Prävalenz bei uns in der Zukunft zu einem Anstieg der TB-Fälle führen wird. Wir haben dies nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und während der Balkankriege in den 1990er Jahren erlebt, als die Zahlen erstmals wieder nach oben gingen. In anderen Ländern, wie z. B. Großbritannien, hat durch Immigranten, vor allem aus Indien und Pakistan, die TB in den letzten Jahren zugenommen.

Zum anderen nimmt parallel mit dem Rückgang der TB auch die Erfahrung im Umgang mit der TB ab. Dies führt heute häufig zu zeitlichen Verzögerungen in der Diagnosestellung und zu mangelhafter Durchführung der Behandlung. Unsere Erfolgsrate liegt unterhalb des von der WHO geforderten Werts von mehr als 85 %. Zum Teil liegt das am Tod alter TB-Patienten aus anderen Gründen während der Behandlung, sicher müssen aber bessere Resultate bei den resistenten Tuberkulosen erreicht werden. Die Studie des DZK hat gezeigt, dass wir Pneumologen hauptsächlich für die Therapie zuständig sind.

Dies alles gibt Veranlassung für die Publikation dieser Serie zur Tuberkulose, in welcher über acht Themenbereiche behandelt werden sollen. In diesem Heft beginnen wir mit einem geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung in den letzten 125 Jahren seit Robert Kochs Entdeckung des Tuberkelbazillus 1882. Unser Freund John Murray hat uns dankenswerterweise ein ausgearbeitetes Manuskript seines Übersichtsreferats überlassen, das er auf dem Internationalen Symposium in Berlin am 22. März 2007 aus Anlass des diesjährigen Welttuberkulosetages gehalten hat. John Murray ist nicht nur ein ausgewiesener Kenner der Tuberkulose-Szene, sondern gehört als früherer Präsident der American Thoracic Society und der Internationalen Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten auch zu den wichtigsten Persönlichkeiten unseres Fachs. Er war wesentlich an der Gründung der Global Stop TB Partnership Ende des vergangenen Jahrhunderts beteiligt. John Murray zählt insgesamt fünf Meilensteine seit 1882 auf, für die ersten beiden waren deutsche Wissenschaftler (Koch und Röntgen) entscheidend, beim dritten Meilenstein, der Einführung der Chemotherapie, war Deutschland (Bayer) an der Entwicklung von INH beteiligt. Heute wird von Bayer das gegen TB bestwirksame Fluorochinolon (Moxifloxacin) hergestellt und zurzeit in großen Studien im Hinblick auf eine Verkürzung der Chemotherapie geprüft.

Weitere Arbeiten werden in lockerer Reihenfolge folgen, zunächst über die heutige epidemiologische Situation in Deutschland und der Welt, danach über den Stand des Wissens über die immunologischen Vorgänge im Bakterium und beim Menschen, die wesentlich für die Entwicklung neuer diagnostischer, therapeutischer und Impfverfahren sind. Es folgen dann Arbeiten über die bakteriologische und klinische Diagnostik, über den heutigen Stand der Therapie, über präventive Maßnahmen, über Risikogruppen, auf die wir uns heute besonders konzentrieren sollten, über TB bei Beschäftigten im Gesundheitswesen und abschließend dann noch ein Beitrag, der die heutigen Kenntnisse über den engen Zusammenhang zwischen TB und Tabakrauchen zusammenfasst.

Wir wünschen den Lesern eine hoffentlich erkenntnisreiche Lektüre und das Bewusstsein, dass noch viel getan werden muss, um die TB erfolgreich unter Kontrolle zu bringen.

Prof. Dr. R. Loddenkemper

Generalsekretär des DZK Lungenklinik Heckeshorn HELIOS Klinikum Emil von Behring

Walterhöferstr. 11

14165 Berlin

Email: loddheck@zedat.fu-berlin.de

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