Psychiatr Prax 2007; 34(7): 359-360
DOI: 10.1055/s-2007-991584
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"Der Dritte im Raum" - Sprach- und Kulturmittler in einem interkulturellen psychotherapeutischen Setting

Ulrike Kluge
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Publication Date:
08 October 2007 (online)

 

Die qualitativ empirische Studie untersuchte in einem interkulturellen psychotherapeutischen Setting (auf ethnopsychiatrischer/ethnopsychoanalytischer Basis), die Wechselwirkungen, die sich unter Einbeziehung von Sprach- und Kulturmittlern in der Beziehungskonstellierung ergeben. Das übergeordnete Ziel war es, die Erkenntnisse in eine theoretische Konzeption interkultureller psychotherapeutischer Ansätze zu integrieren.

Die Bezeichnung Sprach- und Kulturmittler beinhaltet eine terminologische Abgrenzung von dem Begriff des Dolmetschers. Es spiegelt sich darin die Einsicht in die Notwendigkeit einer Verständigung wieder, die über eine sprachliche hinausgehen sollte. Darüber soll es möglich werden, die in der Sprache symbolisierten kulturellen Differenzen, mithilfe der Sprach- und Kulturmittler[1] zu erfassen und sie für den therapeutischen Prozess zugänglich zu machen.

Methodisches Design: Eine gegenstandsangemessene Methoden- und Theorietriangulation machte einen vielschichtigen Einblick in die Diversität der Beziehungskonstellationen möglich. Grundlage der Datenerhebung war eine teilnehmende Beobachtung in der untersuchten Einrichtung. Diese wurde fokussiert auf eine sechswöchige teilnehmende Beobachtung in den Therapiesitzungen. Von diesen wurden Tonbandaufzeichnungen angefertigt und transkribiert. "Kritische Passagen" der fremdsprachlichen Textteile aus den therapeutischen Sitzungen wurden von externen Dolmetschern rückübersetzt, sodass vergleichbar wurde, was die Dolmetscher während der Therapie wie übersetzt hatten. Zeitgleich wurden mit denen am Setting beteiligten Personen Interviews durchgeführt und ausgewertet. Die transkribierten Textteile der einzelnen therapeutischen Sitzungen wurden in einer ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt am ZIPP[2] ausgewertet. Im Ergebnisteil wurden die entwickelten Perspektiven (der Dolmetscher, der Patienten, der Behandler, der Forscherin und der Einrichtung) auf das Setting aufeinander bezogen.

In dem hier beschriebenen Dreiersetting sind anstatt der in einer Einzelbehandlung üblicherweise zwei anwesenden Personen drei Personen im Raum, die miteinander in zwei verschiedenen Sprachen kommunizieren. Die Komplexität der sich in einer solchen Beziehungstriade ergebenden Interaktionsbeziehungen und Verständigungsvorgänge scheint offenkundig und die Beteiligung der Dolmetscher daran maßgeblich.

In den bislang bestehenden Konzeptionen wird häufig auf die Störungen des psychotherapeutischen Settings durch die Anwesenheit von Dolmetschern hingewiesen und daraus folgend, deren Neutralität gefordert. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Einbeziehung von Dolmetschern in ein interkulturelles Setting einerseits unverzichtbar ist, anderseits die Beziehungsgestaltung, Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen an Komplexität zunehmen. Zumal häufig der Behandler der Fremde in diesem Setting ist.

Die Studie zeigt, dass es wichtig ist anzuerkennen, dass die Dolmetscher Teil der therapeutischen Beziehung sind und ein komplexes Geflecht von Beziehungskonstellationen zwischen allen drei Beteiligten entsteht. Vor diesem Hintergrund sollte eine solche Dreierkonstellation konzeptionell als Triade (Dreiersetting im Sinne einer Kleingruppe) erfasst werden, statt als Dyade (Zweiersetting) zu der eine dritte Person (Dolmetscher) hinzukommt. Das heißt für die Praxis: Dolmetscher in die Analyse der Beziehungsgestaltung, der Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen und auch in die Deutungen mit einzubeziehen und die Reflektions- und Supervisionsarbeit für ein solches Setting an Konzepten für Kleingruppen zu orientieren.

Anhand der Daten wurde offenkundig, dass die Dolmetscher nicht als "invisible persons" gewertet werden können. Sie intervenieren in ihrem Handeln bewusst und unbewusst. Ihr Selbstbild, ihre (kulturelle) Identität, ihre selbst- und fremdzugeschriebenen Rollenverständnisse und ihre jeweiligen Vorstellungen von psychotherapeutischer Sprache und Behandlungsmethoden beeinflussen ihre Übersetzungstätigkeit und führen zu sprachlichen Modifikationen und (unbeabsichtigten) kotherapeutischen Interventionen. Die dargestellten Wechselwirkungen dienen bei der beschriebenen Konzeption als Erkenntnisquelle im Sinne von Devereux. Es entsteht ein Zuwachs an "reflexivem Wissen" über das Eigene und das Fremde bei allen am therapeutischen Prozess Beteiligten.

So ist es möglich, dass alle eine professionelle Haltung einnehmen mit der entsprechenden notwendigen Distanz und die Dolmetscher müssen sich nicht über die Massen solidarisch mit dem Patienten zeigen oder die vermeintlichen Wünsche des Behandlers an den Patienten erfüllen.

Im Hinblick auf den Patienten bietet ein solches Dreiersetting die Möglichkeit einer wechselseitigen Identifikation mit dem Therapeut und dem Dolmetscher. Wenn diese genutzt wird, kann es möglich werden, die Spannungen zwischen den konfligierenden Bedeutungen und Symbolen der differenten kulturellen Kontexte, im therapeutischen Prozess zu bearbeiten und für den Patienten integrierbar werden zu lassen.

Perspektiven: Um den hohen Anforderungen, die an Dolmetscher wie an Behandler gestellt werden zu begegnen, ist es notwendig neue Kompetenzen für beide Berufsgruppen zu entwickeln. Für Schulungen von Dolmetschern im psychotherapeutischen Bereich wird es notwendig sein, sie in das therapeutische Prinzip einzuführen. Die Daten verweisen darauf, dass es hierzu vor allem notwendig ist, den Dolmetschern die von den Behandlern verwendete psychotherapeutische Sprache zu erläutern. Denn beispielsweise die meist im Konjunktiv formulierten Äußerungen der tiefenpsychologisch, bzw. psychoanalytisch arbeitenden Therapeuten, die nicht direktiv sind, verlieren in einer dies nicht berücksichtigenden Übersetzung ihre zurückhaltende Konnotation und werden zu Handlungsanweisungen, die den therapeutischen Prinzipien nicht mehr entsprechen.

Die Arbeit mit Dolmetschern ist sicherlich aufwendig, die Kostenfrage in Deutschland noch nicht einheitlich geklärt. Der Mehraufwand zur Finanzierung der Dolmetscher ist jedoch gegenüber diagnostischen Unsicherheiten, die häufig zu Fehldiagnosen und in der Folge zu jahrelanger Fehlbehandlung führen können, sicher die kostengünstigere Variante.

Kluge U. "Der Dritte im Raum"- Sprach- und Kulturmittlerinnen in einem interkulturellen psychotherapeutischen Setting. FU Berlin 2005. http://www.charite.de/psychiatrie/forschung/transkulturelle.html

Dipl. Psych. Ulrike Kluge, Berlin

Email: ulrike.kluge@charite.de

01 Im Sinne einer besseren Lesbarkeit wird jedoch im weiteren Text von Dolmetschern die Rede sein.

02 Zipp - Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie, Psychotherapie und Supervision.

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