Zeitschrift für Palliativmedizin 2007; 8(2): 51-53
DOI: 10.1055/s-2007-990741
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Notarzt und Palliativmedizin

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Publication Date:
24 September 2007 (online)

 

Mit großem Interesse haben wir den Beitrag "Palliativ- und Notfallmedizin: Teamarbeit durch Kommunikation" von Wiese et al. [1] gelesen.

Die Autoren schildern die notärztliche Versorgung eines Tumorpatienten im finalen Krankheitsstadium. Nach einer erfolgreichen Reanimation nach Kreislaufstillstand erfolgte eine Änderung des Therapiezieles und die Verlegung des Patienten auf die Palliativstation, als aus den Unterlagen und den Angaben der Angehörigen deutlich wurde, dass der Patient keine medizinische Therapie wünscht. Die Autoren betonen die Notwendigkeit einer intensiven Kommunikation und Kooperation zwischen Notfallmedizin und Palliativmedizin.

Wesentlich für den geschilderten Verlauf scheint aber vor allem die Bereitschaft der Notärztin, die üblichen standardisierten Behandlungsmuster zu verlassen und die Verantwortung für den Wechsel von Rettungs- auf Unterstützungsmaßnahmen zu übernehmen.

Dies wird auch mit einem ähnlichen Fall aus unserer eigenen Erfahrung deutlich: Eine 65-jährige Patientin mit ossär metastasiertem Schilddrüsenkarzinom wurde auf der Palliativstation wegen zunehmender Wirbelsäulenschmerzen, Angstzuständen und zur Organisation der häuslichen Versorgung behandelt. Da der einzige Sohn der verwitweten Patientin mit seiner Familie in Göttingen lebte, erfolgte die häusliche Versorgung nach der Entlassung von der Palliativstation durch eine rund um die Uhr anwesende ungarische Hilfskraft mit eingeschränkten Deutschkenntnissen und durch eine ehrenamtliche Hospizbegleiterin.

Während des stationären Aufenthalts hatte sich die Patientin gegen intensivmedizinische Maßnahmen/gegen eine Reanimation ausgesprochen. Eine Patientenverfügung hatte sie jedoch nicht ausgefüllt.

Knapp 2 Wochen nach der Entlassung wurde die Patientin am frühen Morgen bewusstlos und mit flacher Atmung von der Pflegerin auf dem Boden liegend aufgefunden. Von der Pflegerin wurde zuerst die ehrenamtliche Hospizbegleiterin telefonisch informiert und danach der Notarztdienst alarmiert.

Beim Eintreffen der Notärztin lag nur eine ungarische Übersetzung des Medikamentenplanes (für die Pflegerin) auf dem Tisch. So stand der Ärztin nur die Aussage der inzwischen auch anwesenden ehrenamtlichen Hospizbegleiterin zur Verfügung. Diese wies eindringlich darauf hin, dass die Patientin in einem fortgeschrittenen Tumorstadium in palliativer Behandlung stehe. Von der Notärztin wurde nach der Erstversorgung der Patientin mit Sauerstoff per Gesichtsmaske und intravenöser Flüssigkeitszufuhr ein Transport in die nächstgelegene Intensivstation vorbereitet.

Vor der Abfahrt nahm die Notärztin jedoch telefonisch Kontakt mit der Palliativstation auf. Die diensthabende Pflegekraft bestätigte, dass die Patientin mit ihrer fortgeschrittenen Tumorerkrankung bis vor kurzem auf der Palliativstation behandelt worden sei und dass eine Wiederaufnahme in der Palliativstation sinnvoll und vor allem im Sinne der Patientin sei.

Aufgrund dieser telefonischen Aussage änderte die Notärztin das Transportziel und lieferte die Patientin auf der Palliativstation ein, obwohl die Vitalparameter zunehmend eingeschränkt waren. Die diensthabende Pflegekraft hatte inzwischen den Stationsarzt in der Rufbereitschaft telefonisch informiert und die Aufnahme der Patientin vorbereitet.

Beim Eintreffen auf der Palliativstation war der Puls nicht mehr messbar und das Atemmuster pathologisch. Sauerstoffgabe und intravenöse Flüssigkeitszufuhr wurden fortgesetzt, weitere diagnostische oder therapeutische Maßnahmen wurden im Einklang mit dem mutmaßlichen Willen der Patienten nicht eingeleitet. 45 Minuten nach der Aufnahme verstarb die Patientin.

In der geschilderten Situation standen der Notärztin nur Laienaussagen von Betreuern, die nicht zur Familie gehörten, zur Verfügung. Nach telefonischer Rücksprache mit der Palliativstation hat die Notärztin dennoch einen Wechsel der Therapierichtung und des Transportzieles vorgenommen und dafür auch die deutlich längere Anfahrt zur Palliativstation in Kauf genommen.

Die Übernahme der Verantwortung für einen solchen Wechsel scheint nur möglich auf der Grundlage einer ausreichenden Erfahrung und Sicherheit des Notarztes. Erst dann können Kommunikation und Kooperation wie von Wiese et al. gefordert zur Änderung des Therapieziels führen.

Wiese et al. fordern die Einführung von spezifischen Kriseninterventionsbögen und die Nutzung von schriftlichen Patientenverfügungen, da so schon in der ersten Versorgungsphase eine dem Patientenwunsch entsprechende Entscheidung getroffen würde. In unserem Fall wurden der Patientin bei der Entlassung von der Palliativstation neben einer Kopie des Entlassungsbriefes ein umfangreicher Notfallplan ausgehändigt. Sie wurde instruiert, diesen Plan gut sichtbar in der Wohnung aufzubewahren. In dem Plan wurden die Diagnosen, die Medikamenten sowie Notfallmedikamente für potenzielle Krisensituationen und die Telefonnummer der Palliativstation aufgeführt.

Beim Eintreffen der Notärztin lag jedoch nur eine ungarische Übersetzung des Medikamentenplanes (für die Pflegerin) auf dem Tisch. Der Notfallplan sowie der Entlassungsbrief waren von der Pflegerin beiseite geräumt worden und waren in der Eile nicht auffindbar.

In diesem Fall waren also auch eine optimale Vorbereitung und der Einsatz eines speziellen Notfallplans nicht ausreichend, um bereits primär eine palliativmedizinische Zielsetzung zu gewährleisten.

Aus unserer Sicht scheinen deshalb vor allem die Schulung und Weiterbildung von Rettungsassistenten und Notärzten notwendig, um Sicherheit und Erfahrung zu erhöhen und Kompetenz zu vermitteln für den Umgang mit Palliativpatienten und mit Situationen, in denen die Rettungskette vielleicht mehr aus der Hilflosigkeit der Angehörigen und Betreuer heraus als aus einer notfallmedizinischen Indikation ausgelöst worden ist.

Peter Trottenberg, Frank Elsner,

Lukas Radbruch,

Klinik für Palliativmedizin,

RTWH Aachen Universitätsklinikum

Email: ptrottenberg@ukaachen.de

Literatur

  • 01 Wiese C. H. R . Bartels U . Geyer A . et al . .  Z Palliativmed. 2007;  8 35-39
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