Gesundheitswesen 2006; 68(5): 303-308
DOI: 10.1055/s-2006-926770
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Problematik der Implementierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen

Problems of Implementing Integration Management at Company Level in Small and Medium-sized EnterprisesC. Hetzel1 , T. Flach1 , A. Weber1 , H.-M Schian1
  • 1Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln
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Publication Date:
13 June 2006 (online)

Zusammenfassung

Die Verantwortung der Unternehmen für die Sicherung der Eingliederung von Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen steigt. Gleichzeitig besteht in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ein Umsetzungsdefizit. Auf Grundlage theoretischer Überlegungen sowie einer Befragung wird eine Modellvision entwickelt. Ausgangslage: Die Mindestanforderungen an betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gem. § 84 Abs. 2 SGB IX, die Kernprodukte der internationalen Bewegung des Disability Management, eine handlungsorientierte Rollenbeschreibung sowie die wichtigsten Unterstützungspotenziale für Unternehmen werden skizziert. Zwar ist die Notwendigkeit der exogenen Unterstützung für KMU unbestritten, aber nur darauf zu setzen ist teuer und hemmt die Eigeninitiative und Eigenaktivität. Ausgangsthese: Nur wenn KMU ein Mindestmaß an Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz für die Thematik haben, werden sie sich der (bislang nur suboptimal vorhandenen) exogenen Unterstützung öffnen. Befragung: Ziel ist es, Einstellungen, Aktivitäten sowie konkrete Vorschläge und Erwartungen von KMU-Geschäftsführern hinsichtlich BEM zu erfassen, um daraus Erkenntnisse für die Gestaltung von Unterstützungskonzepten ableiten zu können. Anhand von 13 inhaltsanalytisch ausgewerteten Gesprächen können folgende Barrieren identifiziert werden: Informationsdefizit, fehlende Prioritätensetzung, eingeschränkte Eingliederungsmöglichkeiten, Eingliederung als Aufwand, teilweise geringe Eigenverantwortung der Beschäftigten, Krankheit als Tabuthema. Für diese Barrieren werden Überwindungsmöglichkeiten aufgeführt. Resümierend wird eine Modellvision vorgestellt: pragmatisches Handlungsmodell, eine betriebliche Ansprechperson mit Minimalkompetenz im Sinne eines Kümmerers, exogene Unterstützung aus einer Hand, Einbindung des institutionellen Umfelds und Qualitätssicherung nach Disability Management. Ausblick: Sollen die Welten KMU und Sozialversicherung konvergent ineinander greifen, dann müssen in KMU Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz gefördert werden, der „Reha-Dschungel” ein zentrales Gesicht bekommen und KMU-taugliche Bonus- und Prämienregelungen nach § 84 Abs. 3 SGB IX entwickelt werden.

Abstract

At company level responsibility increases for the employment of workers with health-related problems or disabilities, but realisation in small and medium-sized enterprises (SME) is lacking. Therefore a model is developed based on theory and a survey. Situation: Minimum requirements for “betriebliches Eingliederungsmanagement” (integration management at company level) according to section 84 (2) SGB IX Book 9 of the German Social Code, the main products of the international movement “disability management”, a description of roles for realisation and the main sources of employers’ support are described. Although external supporting of SMEs is unquestioned, it is expensive and retards own initiative and own activity counting solely on this. Hypothesis: Only by developing a minimum of SME’s awareness, acceptance and competence, this will open up to (currently suboptimal) external support. Survey: Goal is identifying SME managers’ attitudes, activities, proposals and expectations referring integration management at company level to derive concepts of SME’s support. 13 interviews are analysed by qualitative content analysis identifying the following barriers: information deficit, absence of priority, limited possibilities for transitional work, cost, partially limited workers' self-responsibility, illness as a “tabes” subject. Possibilities overcoming these barriers are delineated. On that basis a model is presented: pragmatically for realisation, a company contact person with minimum competence, uniform external support, institutional partners’ integration and quality assurance according to disability management. Outlook: Interlocking SME world and social insurance world means first to support SME’s awareness, acceptance and competence, second to create for SME a central contact in the “rehabilitation jungle” and third to develop SME-suitable premiums according to section 84 (3) SGB IX, Book 9 of the German social code.

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Christian Hetzel

Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln

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