Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2004; 39(4): 237-240
DOI: 10.1055/s-2004-814531
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kosten-Nutzen-Relation der Anästhesiesimulation

B.  M.  Graf1 , C.  Grube1
  • 1Klinik für Anästhesiologie, Universität Heidelberg
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Publication Date:
08 June 2004 (online)

Der im Jahr 2000 erschienene Report des American Institute of Medicine mit dem Titel „To Err is Human” [1] [2] zeigt, dass medizinische Fehler bezüglich der Todesursache in westlichen Ländern an fünfter bzw. achter Stelle stehen und damit eindeutig vor Krankheiten wie Brustkrebs rangieren. Diese Tatsache wirft sofort die Forderung nach mehr Sicherheit und Qualität in der modernen Medizin auf. Parallel hierzu stellt sich die Frage nach der Finanzierbarkeit von Sicherheit und Qualität in der Medizin bzw. der Anästhesie, und dies vor dem Hintergrund eines limitierten Budgets. Inwieweit unsere Gesellschaft bereit ist, die Kosten für höhere Sicherheit in der Medizin und der Anästhesie zu übernehmen, ist derzeit noch unbeantwortet.

Ohne entsprechende Beweise bisher erbringen zu können, erscheint Simulation in Anlehnung an die Luftfahrt als ideale Möglichkeit, Zwischenfälle und kritische Situationen ohne Gefährdung des Patienten realitätsnah zu üben und somit die Sicherheit für den Patienten perioperativ zu erhöhen. Allerdings sind die Investitionen für diese Form der Weiterbildung nicht unerheblich, wobei nicht nur die reinen Hardwarekosten des Simulators selbst zu berücksichtigen sind, sondern auch die Folgekosten in Form von Unterhalt, Personalkosten, Reparaturen etc. Diese Kosten übersteigen häufig die Anschaffungskosten für den Simulator um ein Vielfaches und sind in der Regel präoperativ schwer zu erfassen.

Die Hardwarekosten für ein Full-Scale-Simulations-Mannequin, für die benötige Ausstattung des Simulationsraumes und die obligatorische Videoüberwachung müssen mit mindestens 150 000,- Euro veranschlagt werden, wobei nach oben keine Grenzen gesetzt sind. Für einen Full-Scale-Simulator, wie er von der DGAI [3] gefordert wird, müssen etwa 220 000,- Euro bereitgestellt werden müssen. Für die Ausstattung eines Simulationszentrums nach den Empfehlungen der DGAI muss demnach mit mindestens 550 000,- Euro gerechnet werden muss, wobei die benötigten Räumlichkeiten in diese Kostenaufstellung noch nicht mit eingeschlossen sind. Zu diesen Kosten müssen Unterhalts-, Raum-, Personal- und Wartungskosten addiert werden. Da effektive Simulation nur mit entsprechendem trainiertem Personalpool möglich ist (Instruktor, Steuerung, Chirurg, Anästhesieschwester, OP-Personal etc.), sind besonders Personalkosten in der Kostenrechnung zu berücksichtigen. Auch hier ist einer entsprechenden Ausweitung je nach finanziellen Ressourcen keine Grenze gesetzt.

Simulation erlaubt einerseits das Training so genannter technischer Skills, wobei hierunter rein technische Fähigkeiten fallen, wie Intubation, Anlegen eines zentralen Weges, praktische Durchführung einer Herz-Kreislauf-Wiederbelebung etc. Defizite in diesen technischen Fertigkeiten sind für etwa 20 - 25 % aller medizinischen Zwischenfälle verantwortlich zu machen. Schwerpunkt der Full-Scale-Simulation ist jedoch das Üben so genannter nichttechnischer Fähigkeiten oder von Human-Faktors, wie etwa Teaminteraktion, Kommunikation, Ressourcenmanagement etc. Zur Übung dieser Fertigkeiten erscheint Full-Scale-Simulation besonders geeignet, ist doch menschliches Versagen für mehr als 70 % aller Zwischenfälle in der Anästhesie verantwortlich. Hierbei werden kritische Situationen am Full-Scale-Simulator dargestellt, die nur durch funktionierende Kommunikation und Interaktion im Team sowie den Einsatz aller verfügbaren Ressourcen zu meisten sind. Vorteile der Simulation sind Darstellungen seltener und kritischer Zwischenfälle, beliebige Wiederholbarkeit dieser Szenarien sowie Fortführung einer Komplikation bis zur Lösung oder bis zum letalen Ausgang. Speziell geschulte Instruktoren müssen hierbei im so genannten Debriefing auf technische und nicht-technische Skills der Trainees eingehen. Technischem und menschlichem Versagen kann wirksam vorgebeugt werden, wenn man Schlüsselfähigkeiten in der Simulation gezielt übt.

Full-Scale-Simulation ist jedoch, wie bereits dargelegt, eine äußerst kostenintensive Form des Trainings dieser Fähigkeiten, so dass die kritische Frage nach der Effektivität dieses Übungsmethode vor allem im Zeitalter limitierter Budgets gestellt werden darf und sogar muss. Um die Erfolge dieses Trainings zu beschreiben, ist es primär nötig, den Ist-Zustand möglichst genau zu erfassen, um überhaupt Trainingserfolge feststellen zu können. Aus amerikanischen Closed-Claims-Untersuchungen [4], also abgeschlossenen Versicherungsverfahren in den USA, die dort seit 1984 anonymisiert an einer zentralen Stelle erfasst werden, lassen sich sehr gut Ursachen kritischer Zwischenfälle beschreiben. Allerdings ist nur bedingt möglich, aus diesen Versicherungsberichten auf die Häufigkeit kritischer Situationen zu schließen, weil die Motivationen, ein Verfahren anzustreben, unterschiedlich sein können. Letztlich erwachsen diese nicht immer aus tatsächlich kritischen Zwischenfällen, anderseits aber wird auch nicht jeder Zwischenfall zu einem Versicherungsfall. Besser geeignet, die Inzidenz kritischer Situationen in der Anästhesie zu erfassen, erscheinen systematische Untersuchungen, wie sie 1987 in Großbritannien als CEPOD-Studie [5] durchgeführt wurden. Inzwischen wurden ähnliche Studien auch in anderen Ländern mit vergleichbaren Ergebnissen publiziert [6]. Dabei wird eine große Anzahl an Anästhesien zentral und in der Regel anonymisiert erfasst, wobei sowohl Inzidenz als auch Ursache auftretender Zwischenfälle relativ gut erfasst werden können. Das Design dieser Studie erlaubte auch Beinahezwischenfälle zu erfassen, die nicht unbedingt zu einem Schaden führen müssen. Aus diesen Untersuchungen wird unabhängig von den untersuchten Krankenversorgungssystemen derzeit von einer Häufigkeit von einem tödlichen Narkosezwischenfall bei etwa 185 000 Narkosen auszugehen sein, der allein einem Anästhesiefehler zugeschrieben werden muss. Um eine Zehnerpotenz höher liegt sicherlich die Rate an Narkosekomplikationen, die bleibende und teilweise schwere Folgen wie Lähmung, Myokardischämie oder Hirnschaden nach sich ziehen. Nicht immer ist die Anästhesie als einziger Auslöser eines Zwischenfalls zu sehen, oft ist die Narkose jedoch mehr oder weniger an einem negativen Outcome mitbeteiligt, wobei man von Anästhesie-assozierter Morbidität oder Mortalität spricht. Hierbei sind besonders höhere Risikogruppen mit einem Alter über 65 Jahren, die außerhalb der regulären Arbeitszeit einem operativen Eingriff unterzogen werden, betroffen.

Nach der Beschreibung des Ist-Zustandes stellt sich die Frage nach der Erfassung des Trainingserfolges, wobei hierfür von Kirkpatrick mit seinem Vier-Stufen-Evaluierungsprogramm [7] [8] entscheidende Ideen eingebracht worden sind. Kirkpatrick kritisierte immer wieder, dass Evaluierungen von Trainings häufig nur Teilaspekte berücksichtigten wie etwa Verhaltensänderungen, Kommentare der Kursteilnehmer oder aber Wissensüberprüfung am Kursende. All dies überprüft jedoch nur Teilaspekte des Trainings. Zur globalen Beurteilung eines Trainingserfolgs müssen alle Elemente berücksichtigt werden, woraus Kirkpatrick ein Evaluierungsmodell entwickelte, das 4 Stufen von Trainingskriterien einschließt: Reaktion, Wissenszuwachs, Verhalten und letztlich Outcome (Abb. [1]). Entscheidend ist, all diese Stufen bezüglich des Trainings als gleichwertig und gleich wichtig zu bewerten. Unter Reaktion wird dabei das subjektive Gefühl des Probanden gegenüber dem durchgeführten Training verstanden. Reaktion lässt sich sehr gut mittels Fragebogen erfassen, indem man den Probanden die Möglichkeit bietet, offen über ihre Einstellung und ihre ersten Eindrücke von der angebotenen Trainingsmöglichkeit zu diskutieren. Von der Reaktion ist es nur ein kleiner Schritt bis zum nächsten Evaluierungsschritt, dem Lernen neuer Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Training vermittelt werden sollen. Hierbei kann die Reaktion, die Einstellung zum Training, den erreichten Lernerfolg durch die entsprechende individuelle Motivation entscheidend beeinflussen. Um neu erworbene Kenntnisse und Fähigkeit erfassen zu können, sind in der Regel ein Prä- und ein Posttest mit entsprechendem Kontrollgruppendesign nötig, um entsprechende Unterschiede zu beschreiben. Notwendigerweise müssen neu erworbene Fähigkeiten und Erkenntnisse nicht unbedingt zu einer Änderung des professionellen Verhaltens führen, da innerbetriebliche Leitlinien, Regelungen und Handlungsabläufe den erlernten Fähigkeiten am spezifischen Arbeitsplatz widersprechen können und nicht alle Komponenten des individuellen Arbeitsumfeldes im Training diskutiert werden können. Innerbetriebliche Zwänge und Reglementierungen verhindern bisweilen das Anwenden erlernter Fähigkeiten, so dass trotz eines erfolgreich absolvierten Trainings keine Verhaltensänderungen erzielt werden. Änderungen im Verhalten lassen sich zu einem gewissen Prozentsatz mit „Transferübungen” erfassen. Praktisch wird dies durch Zusenden eines so genannten Transferfragebogens mit entsprechend formulierten Fragen in einer ausreichenden zeitlichen Distanz zum Training erreicht. Oberstes Ziel jedes Trainings ist eine Optimierung des Outcomes, das endgültige Ergebnis, da nur zu diesem Zweck - zur Verbesserung der Arbeitsabläufe - Trainings durchgeführt werden. Outcome zu evaluieren ist jedoch die schwierigste Stufe der Erfassung. Letztlich kann nur langfristig durch eine verminderte Anzahl an Zwischenfällen, durch höhere Produktivität, höhere Personalzufriedenheit, oder durch Ökonomisierung der erbrachten Arbeit eine Optimierung des Outcomes belegt werden.

Abb. 1 Vier Schritte der Evaluierung des Trainings nach Kirkpatrick [8].

Bei Teilnehmern an unseren Simulatortrainings, wobei spezifische ACRM-Prinzipien (Anästhesie-Crisis-Ressourcen-Management) vermittelt wurden, fand sich bezüglich der Reaktion der Trainees auf diese Kurse ein extrem positives Ergebnis. Mehr als 88 % der bisherigen Teilnehmer beurteilten das Simulationstraining allen bisher erlebten Fortbildungsveranstaltungen als überlegen, nur 5 % bewerteten diese Art der Fortbildung als gleichwertig mit anderen Hands-on-Kursen, und 7 % der Teilnehmer war es nicht möglich, Simulation mit anderen Fortbildungsmaßnahmen in Relation zu setzen. Mehr als 95 % aller ärztlichen Teilnehmer erklärten sich bereit, einen weiteren Kurs am Simulator zu belegen, auch mit eigener finanzieller Beteiligung, was ebenfalls als Hinweis auf eine positive Motivation gewertet werden kann. Bezüglich der erlernten Fähigkeiten erhielten die Probanden in Fragebogen vor (Pretest) und nach der Simulation (Posttest) spezifische Situationen zur Bearbeitung vorgelegt, aus deren Beantwortung vor allem bezüglich der Human Factors auf Lernerfolge geschlossen werden kann. Dabei wurde deutlich, dass durch Simulationstraining besonders im Verhalten bezüglich der Führungsrolle, der Kommunikation und der Planung eindeutig positive Effekte erzielt werden konnten. In einem Transferfragebogen, den die Probanden im Intervall von 3 - 4 Monaten nach Teilnahme an einem ACRM-Kurs in unserem Simulationszentrum erhielten, konnte bestätigt werden, dass im Durchschnitt bei jedem dritten Teilnehmer nach diesem Zeitintervall eine Verhaltensänderung gegenüber den Vortestfragebogen beobachtet werden konnte. Besonders wurde angeführt, dass die Teilnehmer in ihrem Arbeitsbereich nach kritischen Zwischenfällen ein gemeinsames Debriefing etabliert haben, vorausschauender handeln und effektiver kommunizieren. Dennoch steht der letzte Beweis einer Outcome-Verbesserung durch Simulation in der Anästhesie bisher aus. Wir als Anästhesisten befinden uns hierbei allerdings in guter Gesellschaft, weil bisher in keinem Berufsfeld, in dem auf Simulation zu Ausbildungs- und Weiterbildungszwecken zurückgegriffen wird und in dem das Leben von Menschen von raschen Entscheidungen abhängig ist, ein solcher Nachweis der Outcome-Verbesserung durch Simulationstraining erbracht oder auch nur gefordert wurde. Diese Berufsgruppen, allen voran die Luftfahrt, greifen sowohl in Ausbildung als auch in Weiterbildung letztlich ohne positive Evaluierungsergebnisse auf Simulation zurück, da der Effekt von Simulation vorteilhaft erscheint. Wir als Anästhesisten sollten nicht diejenigen sein, die aufgrund des erheblichen Aufwandes auf die möglichen Vorzüge des Simulationstrainings solange verzichten, bis der definitive Beweis der Effektivität dieser Trainingsmethode erbracht wird, da nach wie vor trotz limitierter Budgets ein Menschenleben als unbezahlbar einzuschätzen ist.

Für die Bereitstellung der hier präsentierten Daten danken wir den Mitarbeitern am Simulationszentrum HANS in Heidelberg sowie Frau Anja Schmitz, Doktorandin und Mitarbeiterin am Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Heidelberg.

Literatur

  • 1 Kohn L T, Corrigan J M, Donaldson M S. To err is human: building a safer health care system, 1. Edition. Washington, D. C; National Academy Press 2000
  • 2 Bates D W, Cohen M, Leape L L, Overhage J M, Shabot M M, Sheridan T. Reducing the frequency of errors in medicine using information technology.  J Am Med Inform Assoc. 2001;  8 299-308
  • 3 DGAI-Verbandsmitteilung . Anforderungskatalog zur Durchführung von Simulatortraining-Kursen in der Anästhesie.  Anästhesiologie&Intensivmedizin. 2002;  43 828-830
  • 4 Cheney F W. The American Society of Anesthesiologists Closed Claims Project: what have we learned, how has it affected practice, and how will it affect practice in the future?.  Anesthesiology. 1999;  91 552-556
  • 5 Buck N, Devlin H, Lunn J. Report on the confidential enquiry into perioperative deaths. London; Kings Fund Publisher House 1987
  • 6 Webb R K, Currie M, Morgan C A, Williamson J A, Mackay P, Russell W J, Runciman W B. The Australian Incident Monitoring Study: an analysis of 2000 incident reports.  Anaesth Intensive Care. 1993;  21 520-528
  • 7 Kirkpatrick D. Techniques for evaluating training programs.  Journal of the American Society of Training Directors. 1959;  13 3-26
  • 8 Kirkpatrick D. Evaluating Training Programs: The four levels. San Francisco; Berret-Koehler 1994

Priv. Doz. Dr. B. M. Graf

Klinik für Anaesthesiologie · Universitätsklinikum Heidelberg

Im Neuenheimer Feld 110 · 69120 Heidelberg

Email: bernhard_graf@med.uni-heidelberg.de

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