Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(12): 802-804
DOI: 10.1055/s-2003-45399
Die Kontroverse
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kontra: Thorakaler Epiduralkatheter zur postoperativen Schmerztherapie

Contra: Thoracic Epidural Catheter in Postoperative Pain TreatmentK.  Taeger1
  • 1Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Universität Regensburg
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Publication Date:
10 December 2003 (online)

Die thorakale Epiduralanästhesie (TEA) ist unbestreitbar ein Verfahren, das postoperativ eine exzellente Analgesiequalität vermittelt und auch während eines operativen Eingriffs in einer Weise Schmerzen und Stress ausschalten kann, die von keinem anderen Verfahren erreicht wird. Dennoch bleibt das Thema Pro und Kontra TEA in Zeitschriften und auf Kongressen ein Dauerbrenner. Nun kann man über nichts so ausdauernd und intensiv streiten wie über Ansichten, deren Richtigkeit nicht zweifelsfrei zu belegen ist. Die seit Jahrzehnten anhaltende Kontroverse um den thorakalen Epiduralkatheter ist der beste Beweis für die Richtigkeit dieser These. Die Meinungsäußerungen in der deutschsprachigen Literatur reichen von einem „Cave” [1] bis zu massiver Kritik an denen, die das Verfahren der thorakalen Epiduralanästhesie ablehnen.: „Eine Ablehnung oder gar „Verteufelung” der thorakalen Epiduralanästhesie - sie sind ein Zeichen bedauernswerter Kritiklosigkeit.” [2]

In der englischsprachigen Literatur wird ein Defizit an gesicherten Erkenntnissen zum Nutzen/Risiko-Verhältnis des thorakalen Epiduralkatheters konstatiert.: „Given the devastating nature of paraplegia, low and moderate risk of epidural hematoma is unacceptable unless there is some great benefit to be gained from the technique such as reduction in mortality or serious morbidity.” [3] Ein überzeugender Nutzen ist aber nach Giebler [4] nicht belegt.: „However, despite many studies, whether perioperative thoracic epidural analgesia improves postoperative morbidity or mortality remains controversial.” Auch Grant (5) sieht keine überzeugenden Vorteile dieses Verfahrens: „It is disappointing, therefore, to realize that the evidence available at present documents only modest improvements in outcome in the majority of patients who receive TEA.”

Es hat nicht den Anschein, dass sich die Auseinandersetzung um das Pro und Kontra ihrem Ende zuneigt. Zwar belegt eine prospektive Studie von Brodner et al. [6] an einer beeindruckend großen Zahl von Patienten, dass eine postoperative Schmerztherapie mit einer thorakalen Epiduralanästhesie im Vergleich zu einer patientenkontrollierten Analgesie (PCA), die für die parenterale Analgetikagabe sicher den Goldstandard darstellt („In conclusion, PCA alone has the highest safety record of all techniques of systemic opioid administration.” [7]), eine bessere Schmerzausschaltung, einen höheren Vigilanzgrad und eine höhere Patientenzufriedenheit erreicht. Doch fragt es sich nach wie vor, ob eine ausgeprägtere Sedierung oder eine häufiger auftretende Übelkeit nach PCA das Risiko gravierender neurologischer Komplikationen aufwiegt, wo doch die Vorteile der patientenkontrollierten Epiduralanästhesie (PCEA) gegenüber der PCA nach 48 Stunden bei der Mehrzahl der Patienten kaum mehr nachweisbar sind.: „In the author’s experience, after 48 hours the majority of surgical patients report their pain is well controlled regardless of the primary modality of analgesia.” [5]

Wulf [8] hat die Indikationen für eine TEA folgendermaßen beschrieben.: „Die Abwägung von Nutzen, Risiko und Aufwand zur Durchführung der postoperativen Schmerztherapie mittels Epiduralanalgesie in der klinischen Routine ist derzeit eine Ermessensfrage. Je größer der chirurgische Eingriff, je stärker die zu erwartenden Schmerzen und je gravierender die Risikofaktoren des Patienten sind, desto eher ist der höhere Aufwand und das höhere Applikationsrisiko einer epiduralen Analgesietechnik gerechtfertigt.”

Diese Feststellung ist allerdings an Voraussetzungen gebunden, die in vielen Krankenhäusern nicht gegeben sein dürften. Es ist deshalb von jeder Anästhesieabteilung sorgfältig zu prüfen, ob sie die nachfolgend aufgeführten Anforderungen erfüllen kann.

 An erster Stelle ist zu fragen, ob das chirurgische Patientengut der Klinik eine ausreichend große Anzahl Patienten mit ausgedehnten Eingriffen aufweist, für die eine wenigstens 3 - 4-tägige invasive Schmerztherapie gerechtfertigt ist. Nur so haben Mitarbeiter, Chirurgen und Stationspflege die erforderliche Erfahrung mit diesem Verfahren, nur so kann die Misserfolgsrate respektive die Komplikationsrate des Verfahrens in einer akzeptablen Größenordnung gehalten werden, wird die Abwägung von Nutzen und Risiko zu einem positiven Ergebnis kommen.

Als nächstes ist zu fragen, ob es die Personalausstattung der Anästhesieabteilung erlaubt, eine TEA vor Narkoseeinleitung zu legen und zu testen. Denn der Zeitaufwand des Verfahrens wird nur dann in tolerablen Grenzen gehalten werden können, wenn bei laufender Operation der nächste Patient im Vorraum den Katheter gelegt erhält, d. h. ein Anästhesist für diese Maßnahme frei ist.

Besonders problematisch stellt sich die Situation auf den chirurgischen Pflegestationen dar. „Im Bereich der postoperativen Betreuung und Versorgung haftet dagegen für Überwachungsmängel auf der Station der Anästhesist grundsätzlich selbst dann nicht, wenn sich ein Risiko aus seiner Sphäre verwirklicht. Denn mit der Verlegung des Patienten auf die Krankenstation enden die Zuständigkeit und Verantwortung des Anästhesisten, die nunmehr in die Hände des Operateurs übergehen.” So B. Debong in der Zeitschrift Arztrecht [9]. Und Schulte-Sasse [10] hat an gleicher Stelle zu Recht festgestellt: „Es ist eine die Patienten besonders gefährdende Konstellation, wenn sich die Komplikation eines Fachgebietes erst im Beobachtungsbereich einer anderen Disziplin verwirklicht, und bei Querschnittslähmung nach Spinal- oder Periduralanästhesie ist es geradezu typisch, dass sie sich nicht unter den Augen des Anästhesisten, sondern erst auf den Bettenstationen der Operateure entwickelt.”. Das heißt aber, dass man insbesondere an Häusern mit hoher Personalfluktuation seinen operativen Kollegen und dem Stationspflegepersonal in Form ständig wiederholter Einweisungen immer wieder klar machen muss, dass sie sich mit den spezifischen Problemen dieses Verfahrens und den unter Umständen sehr diskreten Symptomen einer sehr seltenen Komplikation auseinandersetzen müssen. So schrieb Mayall [11]: „Our patient‘s paraplegia was almost certainly caused by the hematoma, the symptoms of which are difficult to recognize, particularly in the absence of back pain.”

Zwei publizierte Fallberichte sollen die Variabilität der klinischen Symptomatik und die Unmöglichkeit beleuchten, eine neurologische Komplikation sicher auszuschließen. Dawson et al. [12] berichteten von einer 63-jährigen Patientin, die sich einer Choledochojejunostomie unterziehen musste. Die Anästhesie wurde als Kombination aus ITN und TEA durchgeführt. Die Gerinnung war normal, die Operation verlief ohne Besonderheiten. Am 12. Tag nach der Operation wurde die Patientin nach Hause entlassen. An diesem Tag bemerkte sie erstmals ein Taubheitsgefühl am großen Zeh. In den nachfolgenden 4 Tagen kam es zu einer Ausdehnung des Taubheitsgefühls. Es trat eine motorische Schwäche hinzu, zusätzlich entwickelte sich eine Harninkontinenz. Am 6. Tag nach der Entlassung aus der stationären Behandlung bestand eine Paraplegie. Es vergingen noch einmal 2 Tage, bevor die Patientin am 20. Tag nach der Operation erneut stationär eingewiesen wurde. Die Patientin ist trotz Laminektomie bei epiduralem Abszess dauerhaft gelähmt.

Sowter et al. [13] berichteten von einem Patienten, der sich an einem abdominellen Aortenaneurysma in Allgemeinanästhesie und TEA operieren lassen musste. Perioperativ erhielt der Patient 2-mal 1,2 g Augmentan und 500 mg Metronidazol. 8 Tage nach dem Eingriff konnte er entlassen werden. „After a symptom-free period at home, the patient was readmitted to hospital on the 28th day after operation (23 days after removal of the extradural catheter) with a 3-day history of progressively severe, constant, low thoracic back pain associated with paraesthesia and weakness in both legs... Sensory deficit recovered partially, but 1 year later he was still paraplegic.”

Wie die beiden Fallberichte verdeutlichen, können durch eine noch so engmaschige Überwachung der Patienten während der stationären Behandlung derartige Komplikationen nicht verhindert werden.

Wollte man die Sicherheit der Patienten vor einer neurologischen Komplikation erhöhen, müsste man die Patienten nicht nur über das Risiko einer Querschnittslähmung aufklären, sondern ihnen auch die Frühsymptome einer Paraplegie ausführlich erläutern und ihnen entsprechende Verhaltensmaßregeln an die Hand geben.

Schließlich muss, wenn man sich für die Durchführung des Verfahrens entscheidet, sichergestellt sein, dass eine neuroradiologische Diagnostik und die operative Entlastung eines Hämatoms oder eines epiduralen Abszesses durch Laminektomie innerhalb von 6 Stunden nach Symptombeginn rund um die Uhr garantiert werden können [14].

Einen wesentlichen Teil der angeführten Probleme wird man nur in den Griff bekommen, wenn man einen Akutschmerzdienst einrichtet, der werktäglich auf Station Patienten mit TEA besucht, und ein Mitglied der Dienstmannschaft ständig mit der vorrangigen Versorgung dieser Patienten während der Nacht und an Feiertagen beauftragt wird. Damit übernimmt die Anästhesie mit ihrem Personal genuine Aufgaben der operativen Fächer, für die diese Fächer mit ärztlichem und Pflegepersonal ausgestattet sind. Dass die Anästhesie Personal für die Einrichtung eines Akutschmerzdienstes im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen von den Kassen oder von der Verwaltung erhält, dürfte die absolute Ausnahme sein.

 Die der TEA innewohnende, exzellente Analgesie birgt auch das Risiko der Verschleierung von Symptomen, die auf eine sich entwickelnde Komplikation der Grunderkrankung hinweisen. Dazu eine Kasuistik aus unserer Klinik: Ein Patient musste sich wegen eines Karzinoms einer tiefen anterioren Rektumresektion in ITN und TEA unterziehen. Postoperativ wurde eine PCEA durchgeführt. Der Patient war völlig beschwerdefrei und in der Lage, sein Bett ohne fremde Hilfe zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt kam es aus den Drainagen zum Abfluss von Eiter und Galle. Die Relaparotomie ergab eine 4-Quadrantenperitonitis bei Dünndarmleck.

Fasst man alles zusammen, so setzt die Durchführung einer TEA voraus:

ein Patientengut mit entsprechend ausgedehnten Eingriffen die Einrichtung eines Akutschmerzdienstes eine neuroradiologische Diagnostik und eine Neurochirurgie, die rund um die Uhr Diagnostik und Laminektomie innerhalb von 6 Stunden nach Symptombeginn sicherstellen können die ständige Schulung von Ärzten und Pflegekräften auf Station.

Sind diese Voraussetzungen nicht realisiert, sollte die TEA respektive auch die PCEA nicht durchgeführt werden. Wer das Verfahren anwendet, muss sich darüber im Klaren sein, dass auch bei optimalen Gegebenheiten vor Ort eine sichere Vermeidung neurologischer Funktionsstörungen nicht erreichbar ist.

Literatur

  • 1 Weis K H. Cave: Thorakale Katheter-Epiduralanästhesie zur postoperativen Schmerztherapie.  Anästhesiologie und Intensivmedizin. 1994;  35 202-203
  • 2 Nolte H. Die thorakale Epiduralanästhesie - noch immer strittig?.  Anaesthesist. 1997;  46 749-750
  • 3 Alston R P, Sinclair C J, Scott D HT. Thoracic epidural analgesia and coronary artery bypass graft surgery.  Anaesthesia. 1998;  53 512-513
  • 4 Giebler R M, Scherer R U, Peters J. Incidence of neurologic complications related to thoracic epidural catheterization.  Anesthesiology. 1997;  86 55-63
  • 5 Grant R P. Con: Every postthoracotomy patient does not deserve thoracic epidural analgesia.  J Cardiothoracic Vascular Anesthesia. 1999;  13 355-357
  • 6 Brodner G, Mertes N, Buerkle H. et al . Acute pain management: analysis, implications and consequences after prospective experience with 6349 surgical patients.  European Journal of Anaesthesiology. 2000;  17 566-575
  • 7 Schug S A, Torrie J J. Safety assessment of postoperative pain management by an acute pain service.  Pain. 1993;  55 387-391
  • 8 Wulf H. Epidural analgesia in postoperative pain therapy. A review.  Anaesthesist. 1998;  47 501-510
  • 9 Debong B. Überwachung nach rückenmarksnaher Regionalanästhesie - aus juristischer Sicht.  Arztrecht. 1998;  3 71-74
  • 10 Schulte-Sasse U. Überwachung nach rückenmarksnaher Regionalanästhesie - aus medizinischer Sicht.  Arztrecht. 1998;  3 67-71
  • 11 Mayall M F, Calder I. Spinal cord injury following an attempted thoracic epidural.  Anaesthesia. 1999;  54 987-994
  • 12 Dawson P, Rosenfeld J V, Murphy M A. et al . Epidural abscess associated with postoperative epidural analgesia.  Anaesthesia and Intensive Care. 1991;  19 569-572
  • 13 Sowter M C, Burgess N A, Woodsford P V. et al . Delayed presentation of an extradural abscess complicating thoracic extradural analgesia.  British J Anaesthesia. 1992;  68 103-105
  • 14 Scherer R, Schmutzler M, Erhard J. et al . Zur Integration der thorakalen Epiduralanästhesie in die Anästhesie bei intraabdominellen Eingriffen.  Anaesthesist. 1992;  41 260-265

Kathrin Maragakis

Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Universität Regensburg

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Email: kathrin.maragakis@klinik.uni-regensburg.de

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