Zentralbl Chir 2003; 128(12 ): 995-996
DOI: 10.1055/s-2003-44841
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Distale Radiusfrakur

Distal Radius FracturesT. Mittlmeier1
  • 1Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock
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Publication Date:
29 January 2004 (online)

Die distale Radiusfraktur gehört nach wie vor zu den häufigsten Verletzungen des Erwachsenen, insbesondere auch des älteren Menschen. Die distale Radiusfraktur war, da sie zumeist als „gutmütige” Fraktur galt, über viele Jahrzehnte eine (fast ausschließliche) Domäne der nicht operativen Behandlung, wobei sich selbst in der aktuellen Literatur der Hinweis findet, dass die radiologisch manifeste Ausheilung in Fehlstellung mit funktionellen Beschränkungen, aber keinesfalls zwangsläufig mit einer signifikanten Limitierung bei den alltäglichen Verrichtungen verknüpft ist [2].

Lange Zeit war das Armamentarium der Therapieoptionen - der konservativen wie der operativen - auf einige wenige Verfahren begrenzt: neben der geschlossenen Reposition und Ruhigstellung dominierten die perkutane Kirschnerdrahtosteosynthese in Varianten, die Reposition und Gelenktransfixation mit dem Fixateur extern (ggf. in Kombination mit der K-Drahtspickung), während die offene Rekonstruktion und Plattenosteosynthese vor allem auf die Verletzungen mit volar gelegener Pathologie limitiert war aufgrund „schlechter” Erfahrungen mit der streckseitigen Applikation relativ großvolumiger Implantate am distalen Radius mit konsekutiver Kompromittierung der Weichteile. Die Bemühungen um eine evidenzbasierte Medizin zeigen uns jedoch gerade auch am Beispiel der distalen Radiusfraktur, dass selbst bei der Analyse konservativer Therapieoptionen bis heute nur wenige prospektive und randomisierte Studien existieren, die eine Metaanalyse erlauben und bislang keine objektivierbare Empfehlung hinsichtlich der korrekten Therapiewahl in Abhängigkeit vom Verletzungstyp ermöglichen [1]. Die korrekte Analyse des Verletzungsmusters ist ganz entscheidend für die richtige Therapiewahl, wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die geeignete Klassifikation bei der distalen Radiusfraktur gezeigt hat und die Erkenntnisse über assoziierte ligamentäre Läsionen im Bereich des Radio-Ulno- Karpalgelenks unter dem systematischen Einsatz bildgebender Verfahren, aber auch der intraoperativen Arthroskopie es uns lehren [3]. Unter dem Themenkomplex der distalen Radiusfraktur wurden und werden Verletzungen ganz unterschiedlichen Schweregrades und unterschiedlicher Prognose subsumiert. Die epikritische Aufarbeitung der Therapieergebnisse, die vor einem knappen Jahrzehnt mit den üblichen operativen und nicht operativen Standardverfahren erzielt wurden mit sekundären Dislokationsraten von 56-93 % (!), weist auf die manifesten Defizite hin [4]. Die in den letzten Jahren entwickelten Implantate stellen konsequente Weiterentwicklungen auf der Basis der Frakturbiologie und der Biomechanik des distalen Radius dar, wie die winkelstabile palmare Plattenosteosynthese bei metaphysärer dorsaler Trümmerzonenbildung oder die dorsale Mini-Doppelplattenosteosynthese oder der nicht gelenküberbrückende radio-radiale Fixateur. Diese Verfahren stellen jedoch keinesfalls Globallösungsvarianten für jedwede distale Radiusfraktur dar, sondern bedürfen der differenzierten Indikationsstellung.

Die fünf Beiträge zum Themenschwerpunkt „distale Radiusfrakur” sollen zum einen das Rüstzeug für die frühest mögliche klinische Diagnostik einer seltenen, aber schwerwiegenden Komplikation im Gefolge der distalen Radiusfraktur (CRPS-I-Syndrom, früher M. Sudeck) und ein praktikables Konzept zur Therapie der komplexen Radiusfraktur bieten, zum anderen aufzeigen, inwieweit durch die oben genannten technischen Neuerungen das Spektrum an Therapieoptionen erweitert wird, um der Individualität der jeweiligen Fraktur gerechter werden und dem Ziel eine anatomischen Retention und Heilung mit früh-funktioneller Nachbehandlungsoption und möglichst gutem funktionellen Endresultat näher kommen zu können, wie es im Grundsatz für jede gelenknahe Fraktur bzw. Gelenkfraktur gilt.

Literatur

  • 1 Handoll H, Madhok R. Closed reduction methods for treating distal radius fractures in adults. Cochrane Database Syst Rev 2003; CD003763
  • 2 Jakob M, Mielke S, Keller H, Metzger U. Therapieergebnisse nach primär konservativer Versorgung distaler Radiusfrakturen bei Patienten im Alter von über 65 Jahren.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 1999;  31 241-245
  • 3 Rose S, Frank J, Marzi I. Diagnostische und therapeutische Bedeutung der Arthroskopie bei der distalen Radiusfraktur.  Zentralbl Chir. 1999;  124 984-992
  • 4 Sommer C, Brendebach L, Meier R, Leutenegger A. Distale Radiusfrakturen - retrospektive Qualitätskontrolle nach konservativer und operativer Therapie.  Swiss Surg. 2001;  7 68-75

Prof. Dr. Thomas Mittlmeier

Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie

Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock

Schillingallee 35

18055 Rostock

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