NOTARZT 2002; 18(4): 121-122
DOI: 10.1055/s-2002-33301
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Medizinische Betreuung von Großveranstaltungen

Medical Care at Mass EventsC.  Madler1 , T.  Luiz1
  • 1Institut für Anästhesiologie und Norfallmedizin I, Westpfalz-Klinikum, Kaiserslautern
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Publication Date:
08 August 2002 (online)

Großveranstaltungen stellen heute nicht nur einen obligaten Bestandteil des öffentlichen Lebens, sondern auch einen nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor dar. Ihre sanitätsdienstliche und medizinische Betreuung wird durch Auflagen der Genehmigungsbehörden geregelt und macht vielerorts einen festen Bestandteil der notfallmedizinischen Einsatzrealität aus. Dennoch steht die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas erst am Anfang, und Daten, aus denen sich gesicherte Erkenntnisse für die Praxis ableiten ließen, sind nur sporadisch vorhanden. Deshalb widmet „Der Notarzt” ein Schwerpunktheft der medizinischen Betreuung von Großveranstaltungen. In einer Übersichtsarbeit werden die vielfältigen Aspekte dieser Aufgabenstellung ausführlich behandelt. Originalbeiträge und eine Kasuistik zu speziellen Problemen runden die Darstellung ab.

Der einleitende Beitrag von B. Pichler gibt eine Einführung in rechtliche Grundlagen, epidemiologische Daten sowie Grundlagen von Einsatzplanung und -durchführung. Eine der Kernaussagen lautet, dass die medizinische Logistik der Bewältigung eines Massenanfalls ebenso gerecht werden muss, wie einer optimalen individualmedizinischen Versorgung. Für beide Zielvorgaben liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Planungsphase. Grundlage jeder Planung ist das Sammeln von sicherheitsrelevanten Informationen und deren Bewertung mittels einer sorgfältig durchgeführten Gefahrenanalyse. Das von Maurer erarbeitete Scoringsystem [1] kann als Bemessungsgrundlage empfohlen werden, um den Bedarf an personellen und materiellen Ressourcen zu ermitteln. Von großer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die Kenntnis spezifischer Problematiken bei einzelnen Veranstaltungskategorien. Bei aller Planung sind auch während des Einsatzes notfallmedizinische Führungskompetenz und eine flexible Organisationsstruktur erforderlich. Der Artikel versteht sich deshalb als Plädoyer für ein systematisches Vorgehen sowie die obligate Einbindung notfallmedizinischer Kompetenz in die Organisation nicht nur vor und während, sondern auch in der Nachbereitungsphase einer Veranstaltung. Letzteres sichert die Verwertung gewonnener Erkenntnisse für die Zukunft.

Der Beitrag von T. Laux stellt exemplarisch und detailliert die Umsetzung eines Versorgungskonzepts für eine Fußballarena dar. Der ständige Dialog und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Veranstalter bilden neben der epidemiologischen Erfassung des Tätigkeitsspektrums die wesentliche Voraussetzung für eine fortlaufende Optimierung des Vorgehens. Auch in diesem Beitrag wird, wie in der ergänzenden Kasuistik, die sich dem nicht seltenen Ereignis des Herz-Kreislauf-Stillstands im Stadion widmet, der Stellenwert des individualmedizinischen Versorgungsauftrages deutlich. Die Wahrscheinlichkeit eines Herz-Kreislauf-Stillstands infolge Kammerflimmerns ist für einen Besucher eines Fußballstadions hoch [2]. Veranstalter und Sanitätsdienste sollten diesem Umstand Rechnung tragen und auf diesen vorhersehbaren Notfalleinsatz nach heutigen Kriterien vorbereitet sein. Die gerade bei Massenveranstaltungen im Kampf gegen den plötzlichen Herztod zu erzielenden Erfolge rechtfertigen diesen Aufwand allemal.

G. Greulich analysiert in seinem Originalbeitrag die Inanspruchnahme des Sanitätsdienstes bei unterschiedlichen Veranstaltungskategorien. Er zeigt unter anderem, dass ärztliche Präsenz eine wesentliche Voraussetzung zur Reduktion von Klinikeinweisungen darstellt. Notfallmedizinische Kompetenz am Ort der Veranstaltung hilft also, durch Vermeidung überflüssiger Patiententransporte Kosten zu senken und lokale klinische Versorgungseinrichtungen zu entlasten. Diese Strategie hat sich bei internationalen Großveranstaltungen, wie etwa den Olympischen Spielen, bewährt [3]. Bemerkenswert ist aber die Erkenntnis, dass dieser positive Effekt der Präsenz eines notfallmedizinisch kompetenten Arztes auch bei Veranstaltungen einer geringeren Größenordnung, wie sie in Deutschland unzählige Male jährlich durchgeführt werden, zum Tragen kommt.

Der Übersichtsartikel von F. G. Pajonk behandelt den Aspekt psychischer Massenphänomene. Diese stellen fraglos eine Ausnahmesituation dar, zählen jedoch gleichwohl zu den größten medizinischen und organisatorischen Herausforderungen in der Notfallmedizin. Prävention von und Intervention bei Panik werden ausführlich erörtert. Auch dieser Artikel weist ausdrücklich darauf hin, welch hohen Stellenwert die Aufbereitung solcher Ereignisse einnimmt.

Mehr noch als andere Tätigkeitsfelder der präklinischen Akutmedizin findet die medizinische Betreuung von Großveranstaltungen im Blickpunkt des öffentlichen Interesses statt. Schon aus diesen Gründen verdient das Thema besondere Aufmerksamkeit und ein angemessenes Problembewusstsein auch auf Seiten der Veranstalter. Wir hoffen, dass es uns mit diesem Heft gelungen ist, hierzu Impulse zu geben. Die Sicherstellung einer nachgewiesenen fachlichen Kompetenz der bei Großveranstaltungen eingesetzten Notärzte stellt eine Conditio sine qua non dar [4]. Allerdings darf die Notfallmedizin auch auf dem Gebiet der medizinischen Betreuung von Großveranstaltungen nicht auf eine nur vordergründig kostengünstige Erbringung der handwerklichen Einzelleistung beschränkt werden. Sie muss vielmehr in die Lage versetzt werden, ihren Systemauftrag - auch im Sinne einer präventiven Medizin - wahrnehmen zu können. Eine unabdingbare Voraussetzung hierzu ist die systematische Erfassung epidemiologischer Daten.

C. Madler

T. Luiz

Literatur

  • 1 Maurer K. Einsatzplanung bei Großveranstaltungen. In: Mitschke Th, Peter H (Hrsg) Handbuch für Schnelleinsatzkräfte. Edewecht, Wien; Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossendey 2001: 271-275
  • 2 Greulich G, Luiz T, Metzger M, Klinner U, Madler C. Inzidenz, Management und Outcome von Kreislaufstillständen in einem Bundesligafußballstadion.  Anästhesiologie und Intensivmedizin. 2001;  42 418
  • 3 Wetterhall S F, Coulombier D M, Herndon J M, Zaza S, Cantwell J D. Medical care delivery at the 1996 Olympic Games. Centers for Disease Control and Prevention Olympics Surveillance Unit.  JAMA. 1998;  279 (18) 1463-1468
  • 4 Hessisches Sozialministierum .Empfehlungen zur Einsatzplanung für den Sanitätsdienst bei Großveranstaltungen. Grundsätze der Risikoanalyse bzw. Gefahrenprognose. Kapitel B I.5.10. In: Lüttgen R, Mendel F (Hrsg) Handbuch des Rettungswesens. Aachen; Mendel-Verlag 2001

Prof. Dr. Ch. Madler

Institut für Anästhesiologie und Notfallmedizin I · Westpfalz-Klinikum GmbH

Hellmut-Hartert-Straße 1

67655 Kaiserslautern

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