Laryngorhinootologie 2000; 79(11): 657-658
DOI: 10.1055/s-2000-8292
HAUPTVORTRAG
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Geschichte der Kehlkopf- und Trachealchirurgie im 19. Jahrhundert

H. Luckhaupt
  • Bochum
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die detaillierte Beschreibung der Kehlkopfanatomie begann mit den Arbeiten der Renaissance-Anatomen um Andreas Vesalius (1514 - 1564) und Fallopius. Ab dem 16. Jahrhundert wurde neben der Anatomie auch die Physiologie des Kehlkopfes studiert, wichtige Beobachtungen stammen von Morgagni (1682 - 1771). Bis ins 19. Jahrhundert hinein war jedoch die Untersuchung des Kehlkopfes ein ungelöstes Problem. Die Zeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wird auch als prälaryngoskopische Periode bezeichnet. Erste Anfänge der Kehlkopf-Spiegeluntersuchungen erfolgten ab 1827 durch Senn in Genf, Babington in London (Glottiskop). Dem spanischen Gesangslehrer Manuel Garcia kam das Verdienst zu, die praktisch verwertbare Laryngoskopie begründet zu haben. Im Jahre 1854 betrachtete er mit einem Spiegelchen seinen eigenen Kehlkopf zu stimmphysiologischen Zwecken, 1855 folgte die Publikation. Türck, der Patienten mit seinem selbstkonstruierten Kehlkopfspiegel mittels Sonnenlicht ab 1857 laryngoskopierte, und Czermak machten die Laryngoskopie als epochemachende Erfindung der Klinik dienstbar. Zwischen den beiden kam es zu einem Prioritätsstreit, dem sog. „Türckenkrieg”. Das grundlegende Werk Türcks wurde durch Carl Stoerk und Leopold Schrötter von Kristelli in Wien später fortgeführt. Im Jahre 1870 wurde an der Wiener Medizinischen Fakultät die weltweit erste Klinik für Laryngoskopie eingerichtet. Nicht zuletzt rückte die Tragödie des deutschen Kaisers Friedrich III. die Laryngologie in den Brennpunkt des Interesses der Weltöffentlichkeit. Die Laryngologie entwickelte sich aus der Inneren Medizin heraus.

Wichtige Meilensteine für die Untersuchung und Behandlung von Kehlkopferkrankungen waren die Anfänge der Anästhesie (Morton 1846) und die Einführung der Antisepsis (Lister 1867). Ein wesentlicher Fortschritt war die Einführung des Kokains im Jahre 1884 als Anästhetikum und Analgetikum in die Pharyngo-Laryngologie durch Edmund Jellinek.

Die direkte Laryngoskopie wurde ebenfalls bereits am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt, 1895 publizierte Alfred Kirstein seine Technik der „Autoskopie”. Brünings, von Eicken und Gustav Killian entwickelten die direkte Laryngoskopie weiter. Bereits 1895 stellte Max Oertel sein Stroboskop vor.

Bis ins 19. Jahrhundert liegen nur vereinzelte Mitteilungen zur operativen Behandlung von Kehlkopferkrankungen vor, so ist davon auszugehen, dass etwa ab dem Jahre 1788 (Pelletan) Laryngotomien zur Fremdkörperentfernung durchgeführt wurden. 1829 veröffentlichte Albers eine erste Mitteilung über Kehlkopfteilresektionen und Laryngektomien an Hunden. Desault (1810) und Brauers (1833) berichteten über Einzelfälle von Laryngotomien. 1844 führte Ehrmann in Straßburg die erste Laryngotomie aus, um Kehlkopfpolypen zu entfernen. Horace Green, New York, berichtete 1852 über eine Kehlkopf-Polypenentfernung bei einem Kind. Viktor von Bruns entfernte 1861 seinem Bruder laryngoskopisch einen Kehlkopfpolypen; 1878 konnte P. Bruns über 1100 Fälle diagnostizierter Kehlkopf-Neubildungen in der Literatur berichten, von denen mehr als 1000 auf laryngoskopischem Wege operiert wurden.

Patrick Watson führte 1866 in Edinburgh die erste Kehlkopftotalentfernung bei syphilitischer Kehlkopfstenose durch. Der berühmte Wiener Chirurg Theodor Billroth führte hingegen am 31. 12. 1873 die erste Laryngektomie wegen eines Kehlkopfkarzinoms durch. Der Patient überlebte den Eingriff 7 Monate, dann verstarb er an einem Tumorrezidiv. Bis zum Jahre 1875 hatten Heine (Prag), Maas (Berlin), Schönborn (Königsberg), Bottini (Novarra), von Langenbeck (Berlin) und Multanowski (St. Petersburg) totale Kehlkopfentfernungen durchgeführt. Aspiration und Pneumonie waren die Hauptprobleme, bis Pharynx und Trachea separiert wurden. Dieser wichtige Operationsschritt war der Erkenntnis von Operateuren wie Gluck und Zeller (1881), Soerensen, Sebileau, Perier in Europa und Solis Cohen in Amerika zu verdanken. Bereits im 19. Jahrhundert machten sich Ärzte Gedanken zur Stimmrehabilitation nach Kehlkopftotalentfernung; hier sind beispielsweise Gussenbauer („künstlicher Kehlkopf” 1874) und Gluck zu nennen.

Vorläufer der vertikalen Kehlkopfteilresektion waren Laryngotomie und Laryngofissur, Mitte des 19. Jahrhunderts wurde bereits die Thyreotomie ohne Tracheotomie zur Tumorentfernung im Larynx (Gilewski, Köberle, von Balassa) ausgeführt. Eine vertikale Hemi-Laryngektomie erfolgte im Jahre 1878 durch Billroth. Das Hauptrisiko dieser Operation war die gefürchtete Aspirationspneumonie. Gluck und Soerensen beschäftigten sich bereits im 19. Jahrhundert mit den so wichtigen Fragen der Rekonstruktion bei der Hemi-Laryngektomie.

Vorläufer der horizontalen Kehlkopfteilresektion waren verschiedene Formen der Pharyngotomie und Epiglottektomie. De Cassis (1826) beschrieb eine erste Pharyngotomie mit Tumorentfernung, 1835 beschrieb Malgaigne seine erste „Laryngotomia subhyoidea”. Die weitere Entwicklung und Verbesserung der Operationstechnik bei den horizontalen Kehlkopfteilresektionen ist mit Namen wie Langenbeck (1862) und Burow (1875) verbunden.

Vereinzelt wagten sich Pioniere wie Elsberg (1886), Fränkel (1886) und Schnitzler (1888) an erste Versuche einer „endoskopischen” Chirurgie von umschriebenen Stimmlippenkarzinomen.

Ein weiterer Schwerpunkt im 19. Jahrhundert war die Entwicklung der chirurgischen Behandlung von Kehlkopf- und Trachealstenosen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren lediglich lokale Behandlungen von Kehlkopfstenosen (z. B. Inhalationen, Ätzmittel) möglich. Neben dem Versuch interner medikamentöser Therapie wurde dann die Galvanokaustik in der Behandlung derartiger Stenosen eingesetzt. Etwa ab dem Jahre 1870 beschäftigte sich Schrötter von Kristelli in Wien intensiv mit der Behandlung von Narbenstenosen in Kehlkopf und Trachea. Er entwickelte und arbeitete mit Zinnbolzen, Hartkautschukrohren, er benutzte Dilatatoren (z. B. Schraubendilatatorium mit spezieller Kanüle). Zu den Pionieren der Stenosenbehandlung zählen auch Trunsbeau, von Langenbeck, Richet, Passavant, Chiari u. a.

Nicht selten waren die Stenosen in der damaligen Zeit Folgen von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Typhus und Diphtherie. So galt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Larynxtuberkulose letztendlich als unheilbare Erkrankung. Gluck und Zeller berichteten 1881 über eine erste experimentelle Resektion einer Trachealstenose mit End-zu-End-Anastomose am Hund. Am Ende des 19. Jahrhunderts führte Küster bereits die erste Querresektion der Luftröhre wegen einer narbigen Trachealstenose durch. Der Eingriff wurde weiterentwickelt von König, Foederl, von Hacker, Gluck und Soerensen.

Kocher führte bereits im Jahre 1883 eine Lateropexie bei Tracheomalazie mit Stenose durch. Türck (1859), Gerhardt (1863), Mackenzie (1867) und Elsberg (1882) beschäftigten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Rekurrensparese und ihren Folgen.

Zusammenfassend darf festgestellt werden, dass im 19. Jahrhundert nicht nur grundlegende Untersuchungsverfahren des menschlichen Kehlkopfes entdeckt und in die Medizin eingeführt wurden, sondern es war die Epoche, in der die Grundlagen für zahlreiche chirurgische Behandlungsverfahren an Kehlkopf und Luftröhre inauguriert wurden.

Dr. med. H. Luckhaupt

HNO-Klinik der Ruhr-Universität St. Elisabeth-Hospital

Bleichstraße 15 44787 Bochum

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