Laryngorhinootologie 2000; 79(11): 636-638
DOI: 10.1055/s-2000-8287
HAUPTVORTRAG
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Strömung und Konditionierung der Atemluft

G. Mlynski
  • Greifswald
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die respiratorische Funktion der Nase, das Anwärmen, Anfeuchten und Säubern der Luft, ist eine Vorbedingung für einen ungestörten Gasaustausch in der Lunge. Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Bau der Nase und der Atemluftströmung sind Grundlage für das Verständnis der Klimatisierung und Reinigung der Atemluft. Diese Kenntnisse sind aber auch wichtig für unser therapeutisches Vorgehen, vor allem bei der funktionellen Rhinochirurgie.

Eine Literaturstudie hat ergeben, dass unser Wissen auf dem Gebiet der nasalen Atemströmung lückenhaft und die Aussagen teilweise widersprüchlich sind. Wir haben deshalb umfangreiche und grundlegende strömungsexperimentelle Untersuchungen zu diesem Problem durchgeführt, über die Ergebnisse soll hier berichtet werden.

Mit der Klimatisierungsfunktion hat sich in letzter Zeit besonders die Arbeitsgruppe um Keck in Ulm befasst. Darüber wird im zweiten Teil des Vortrages berichtet.

Die wichtigste Vorbedingung für die respiratorische Funktion der Nase aus strömungsdynamischer Sicht ist eine gute Luftdurchgängigkeit, das heißt ein geringer Atemströmungswiderstand, denn bei einem großen nasalen Widerstand atmen wir unbewusst durch den Mund. Die Nase steht demzufolge für die respiratorische Funktion nicht mehr zur Verfügung.

Wodurch kommt ein erhöhter Atemwiderstand zustande? Der Atemwiderstand ist ein Energieverlust, welcher durch Reibung verursacht wird. Reibung entsteht zwischen der ruhenden Wand und den strömenden Luftpartikeln sowie zwischen den Partikeln untereinander, da sie sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen. Für einen erhöhten Energieverlust gibt es zwei Ursachen: Einengungen der Strombahn und vermehrte Turbulenz. Die Reibung wird vor allem an Engstellen erhöht, da hier die strömenden Partikel stärker aneinander und gegen die Wand gedrückt werden. Einen auf diese Weise verursachten hohen Atemwiderstand kennen wir aus der täglichen klinischen Routine, zum Beispiel bei einer Einengung durch eine Septumdeviation. Einen gleichen Druckverlust können wir aber auch durch turbulentes Strömungsverhalten beobachten. Die durch die Wandunebenheiten ausgelöste Turbulenz führt zu einem Energieverlust. Durch die vermehrten Seitwärtsbewegungen kommt es zum Zusammenprall von strömenden Partikeln und zum Anstoßen gegen die Nasenwand. Auch diese Art von Widerstandserhöhung ist uns Rhinologen bekannt. Bei der Ozaena ist trotz ausreichender Weite die Atmung behindert. Aber nicht nur bei der Ozaena, sondern bei jeder Nase wird ein Teil des Widerstandes durch Turbulenz verursacht.

Die zweite Voraussetzung für die respiratorische Funktion der Nase ist ein ausreichender Kontakt der Atemluft mit der Schleimhaut und eine Durchmischung der strömenden Partikel. Dazu ist es notwendig, dass der Luftstrom über die gesamte Muschelregion verteilt und durch ein ausgewogenes Turbulenzverhalten Seitwärtsbewegungen ausgelöst werden. Bei laminarer, das heißt wandparalleler Strömung, würden nur die an der Wand strömenden Partikel Schleimhautkontakt haben und es würde keine Durchmischung der strömenden Partikel stattfinden. Bei auftretender Turbulenz führen Seitwärtsbewegungen dazu, dass die seitlich strömenden Partikel die Wand verlassen und zentral strömende Partikel Wandkontakt bekommen. Moleküle mit einer höheren Temperatur vermischen sich mit solchen niedriger Temperatur, somit kommt es zu einem Energieausgleich. Sehr ausgeprägte Turbulenz führt zu Auskühlung und Austrocknung der Schleimhaut infolge der zu häufigen Kontakte der strömenden Partikel mit der Schleimhaut. In der Nase ist demzufolge ein gut ausgewogenes Turbulenzverhalten erforderlich.

Die dritte Voraussetzung für die respiratorische Funktion der Nase ist eine gute Durchblutung der Schleimhaut zum Zwecke der Energie- und Feuchtigkeitsbereitstellung. In diesem Zusammenhang ist der Nasenzyklus zu verstehen. In der Arbeitsphase ist die Schleimhaut abgeschwollen. Durch den niedrigen Atemwiderstand wird die Nase vermehrt durchströmt und dabei die Luft konditioniert. In der Ruhephase ist die Nase infolge vermehrter Durchblutung eng und nur wenig durchströmt. Die Schleimhaut hat so die Möglichkeit zur Erholung, d. h. zur Energie- und Feuchtigkeitsspeicherung.

Aber wir wissen jetzt auch, dass nicht nur die Luftdurchgängigkeit der Nase einer zyklischen Änderung unterliegt. Auch das Turbulenzverhalten ändert sich zyklisch. In der Arbeitsphase sorgt eine ausgeprägtere Turbulenz dafür, dass auch bei starkem Luftstrom alle Luftpartikel ausreichend Schleimhautkontakt haben. Dagegen ist in der Ruhephase die Strömung vorwiegend laminar. Folglich wird der Schleimhaut nur wenig Wärmeenergie und Feuchtigkeit entzogen, so dass sie diese Phase zur Speicherung nutzen kann.

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie durch den Bau der Nase diese Voraussetzungen erfüllt werden. Für den mittleren Bereich der Nase, die Muschelregion, ist die starke Oberflächenvergrößerung charakteristisch. Wir bezeichnen diese Region als Funktionsbereich. Hier kann die Nase potenziell das meiste für die Konditionierung leisten. Sie kann es aber nur, wenn die zweite Voraussetzung, die Ausbreitung der Strömung über den gesamten Querschnitt sowie eine ausgewogene Turbulenz einen suffizienten Kontakt der Luft mit der Schleimhaut gewährleistet ist.

Diese Voraussetzungen werden durch den inspiratorisch vorgeschalteten Einströmbereich realisiert. Dabei kommen dem Vestibulum, dem Isthmus und dem vorderen Cavum nasi besondere Aufgaben zu. Diese Aufgaben lassen sich am besten verstehen, wenn man das Vestibulum, den Isthmus und das vordere Cavum mit Formelementen vergleicht, deren Wirkungen auf die Strömung aus der Strömungsdynamik bekannt sind.

Das Vestibulum nasi hat die Form eines Krümmers. In einem Krümmer wird die Richtung des strömenden Mediums geändert. Aufgabe des Vestibulums ist es, die von vorn, unten eingeatmete Luft in Richtung Muschelregion umzulenken. Außerdem hat das Vestibulum infolge einer Verkleinerung der Querschnittsflächen zwischen Ostium externum und Ostium internum auch eine leichte Düsenwirkung. In einer Düse wird laminare Strömung stabilisiert. Das ist für die Nase sehr wichtig, da die Luft anschließend den engsten Bereich, den so genannten Isthmus nasi oder das funktionelle Ostium internum durchströmen muss. Hier würde die Kombination von Engstelle und Turbulenz zu einem sehr hohen Atemwiderstand führen, so dass unsere erste Voraussetzung, eine gute Luftdurchgängigkeit der Nase, nicht mehr gewährleistet würde.

Der Isthmus nasi ist nicht nur die engste Stelle und damit die Stelle des höchsten Energieverlustes innerhalb des nasalen Atemkanals. Er hat durch seine in inspiratorischer Richtung konkav gebogenen Form eine besondere Wirkung auf den Atemluftstrom. Experimente demonstrieren eine aus der Strömungsphysik bekannte Tatsache. Nach einer geraden Durchtrittsfläche strömen die Luftpartikel parallel weiter. Eine konkav gebogene Durchtrittsfläche dagegen wirkt auf die Strombahnen divergierend wie eine konkave Linse auf Lichtstrahlen. Diese Wirkung hat auch der konkav gekrümmte Isthmus.

Als dritten Abschnitt im Einströmbereich sehen wir uns die Funktion des vorderen Cavum nasi an. Dieser bisher viel zu wenig beachtete Bereich hat eine sehr entscheidende Bedeutung für die Strömung und damit für die respiratorische Funktion der Nase. Aus strömungsdynamischer Sicht ist dieser Bereich infolge der Querschnittserweiterung zwischen funktionellem Ostium internum und dem Beginn der Muschelregion ein Diffusor. Ein Diffusor hat die umgekehrte Wirkung auf die Strömung wie eine Düse. Infolge der größer werdenden Querschnittsflächen verlangsamt sich die Strömung und es kommt zu Seitwärtsbewegungen der strömenden Partikel, also zur Turbulenzentstehung. Diese ist abhängig vom Ausmaß der Querschnittserweiterung. In einem Diffusor mit starker Zunahme der Querschnittsflächen lässt sich bei gleicher Strömungsgeschwindigkeit ein wesentlich ausgeprägteres Turbulenzverhalten beobachten.

Das vordere Cavum besitzt einen Regelmechanismus, mit dem es die Querschnittserweiterung und damit das Ausmaß der Turbulenzentstehung regeln kann. Es ist das schwellfähige Gewebe in diesem Bereich: das Tuberculum septi und der Kopf der unteren Muschel.

Diese Aussage wurde im Strömungsexperiment überprüft. Wir haben im Modell einen geschwollenen Zustand, also eine geringe Zunahme der Querschnittsflächen zwischen Isthmus und dem Ausgang des Diffusors simuliert. Die Strömung bleibt weitestgehend laminar. Das entspricht bei einer normal konfigurierten Nase dem Ruhezustand innerhalb des Nasenzyklus. Wenn der abgeschwollene Zustand entsprechend der Arbeitsphase im Experiment simuliert wird, beobachten wir eine ausgeprägte Entstehung von Turbulenz infolge großer Querschnittserweiterung im Diffusor.

Mit dieser Möglichkeit, die Erweiterung der Querschnittsflächen zu regulieren, wird auch gleichzeitig die Strömungsverlangsamung reguliert. Damit hat die Nase im Einströmbereich einen guten Mechanismus, die Voraussetzungen für einen ausreichenden Schleimhautkontakt der Luft im nachgeschalteten Funktionsbereich zu regeln.

Im Folgenden soll die Frage beantwortet werden, wie die Luft auf ihrem Weg durch die Nase angewärmt und angefeuchtet wird. Auch dazu einige theoretische Vorbemerkungen:

Es ist wahrscheinlich, dass die Abgabe von Wasser an die Luft durch Verdunstung erfolgt, da bei einer Oberflächentemperatur von ca. 35° die Verdunstung schon sehr effektiv ist. Der entstehende Wasserdampf wird von der strömenden Luft mitgerissen. Für die Abgabe von Wärmeenergie an die strömende Luft gibt es theoretisch drei Denkmöglichkeiten:

Die erste ist im Zusammenhang mit der Abgabe von Wasser zu verstehen. Der durch Verdunstung entstehende Wasserdampf hat eine wesentlich höhere Temperatur als die eingeatmete Luft. Es entsteht also zunächst ein Gasgemisch aus kälterer Luft und warmem Wasserdampf, in welchem es dann zu einem Temperaturaustausch und somit zum Erwärmen der Luft kommt. Zweitens ist ein Wärmeübergang durch Konvektion möglich. Dafür ist ein Kontakt der strömenden Luftpartikel mit der Schleimhaut erforderlich. Der Wärmeübergang durch Konvektion ist um so effektiver, je länger die Kontaktzeit ist. Die dritte Möglichkeit, die Wärmestrahlung, ist zwischen zwei Körpern möglich, welche sich nicht berühren. Diese Energieübertragung spielt in der Nase wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle.

Bisher ist nicht geklärt, in welchem Ausmaß diese drei genannten Möglichkeiten der Energieübertragung für die respiratorische Funktion der Nase eine Rolle spielen. In jedem Falle ist aber für die Effektivität der Konditionierung der Atemluft in der Nase

die Größe der zur Verfügung stehenden Schleimhautoberfläche, die Kontaktzeit der Luft mit der Schleimhaut, der Turbulenzgrad der strömenden Luft und der Temperatur- bzw. Feuchtigkeitsunterschied zwischen der Nasenwand und der strömenden Luft von Bedeutung.

Nach diesen Vorbemerkungen können wir uns nun die Ergebnisse der Ulmer Arbeitsgruppe ansehen, welche die Temperatur und die relative Feuchtigkeit bei 23 Probanden während der Atmung im Bereich der Nasenklappenregion, der vorderen Muschelregion und im Nasopharynx gemessen haben.

Am Ende der Einatmung waren bei einer Außentemperatur von 23° die durchschnittlichen Temperaturwerte an der Nasenklappe 29°, im vorderen Drittel der Muschelregion 30° und im Nasopharynx 33°. Die Messwerte für die relative Luftfeuchtigkeit betrugen bei einem Ausgangswert in der Umgebungsluft von 35 % im Bereich der Nasenklappe 69 %, im Bereich des vorderen Muscheldrittels 79 % und im Nasenrachen 90 %.

Wir sind bisher noch sehr vorsichtig mit der Deutung der Ergebnisse. Erstaunlich erscheint der Temperaturanstieg zwischen der Außenluft und der Isthmusregion. Eine Erklärung wäre hier der noch große Temperaturunterschied zwischen Luft und Nasenwand. Wenn wir davon ausgehen, dass die Nasenschleimhaut eine Temperatur von etwa 35° hat, wird im weiteren Verlauf die Differenz zwischen der Schleimhauttemperatur und der Lufttemperatur immer geringer. Folglich muss die Natur jetzt erheblich mehr Aufwand betreiben, um der Luft weitere Wärmeenergie zuzuführen. Deshalb sind eine Vergrößerung der Schleimhautoberfläche, eine Strömungsverlangsamung und eine Turbulenzzunahme erforderlich, welche Energie- und Feuchtigkeitsaustausch begünstigen. Diese Voraussetzungen werden durch den besonderen Bau der Nase gewährleistet, welcher im ersten Teil dieses Vortrages dargestellt wurde.

Aus den hier dargestellten Erkenntnissen über den Zusammenhang zwischen Bau und respiratorischer Funktion der Nase sollten wir schlussfolgern, dass das Ziel funktionell-rhinochirurgischer Maßnahmen nicht nur die Beseitigung von Engstellen sein kann. Der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der funktionell wichtigen Strukturen der Nase muss stärker in das chirurgische Konzept einbezogen werden.

Prof. Dr. G.  Mlynski

Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie Ernst-Moritz-Arndt-Universität

Rathenaustraße 43 - 45 17487 Greifswald

Email: E-mail: mlynski@mail.uni-greifswald.de

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