Laryngorhinootologie 2012; 91(02): 115-116
DOI: 10.1055/s-0031-1295417
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Halsepithese – ein „Heilhilfsmittel“?!

Epithesis for Neck Area – an Adjuvant for the Healing Process?!
J. Markwardt
,
J. Lexmann
,
B. Reitemeier
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Publication History

Publication Date:
30 November 2011 (online)

Die 43-jährige Patientin stellte sich im August 2007 vor. Nach der Probeexzision wurde die histologisch gesicherte Diagnose: Plattenepithelkarzinom in der linken Molarenregion/Unterkieferalveolarfortsatz gestellt. Ende August erfolgte die Tumorresektion mit einer Unterkieferkastenresektion (pT2 pN0 M0 R0 G2). Dieser Eingriff war mit einer supraomohyoidalen Dissektion der linken Seite verbunden. In der Folge kam es zu einer Wundheilungsstörung im Bereich des Platysmalappens, und der in der linken Molaren-/Kieferwinkelregion verbliebenen Unterkieferspange, sodass letztere entfernt werden musste. Daraufhin erfolgte eine Unterkieferrekonstruktion mit mikrovaskularisiertem Beckenkammtransplantat. Dem schloss sich die postoperative Bestrahlung mit 60 Gy an.

Im Juli 2008 kam es zum ersten Rezidiv (r1 pT4 N0 M0 R0 G2). Zusammen mit dem Tumor musste das Beckenkammtransplantat wieder entfernt, der Unterkiefer links exartikuliert und im Prämolarenbereich nachreseziert werden. Der Unterkieferdefekt wurde mit einer Rekonstruktionsplatte mit Gelenkkopf überbrückt. Der Weichteildefekt der linken Mundhöhle und Pharynxwand konnte mit einem Latissimus-dorsi-Lappen von links gedeckt werden.

Im Januar des Folgejahres wurde das 2. Rezidiv (r2 pT2 N0 M0 Rx G2) chirurgisch behandelt. Bei der letztgenannten Operation mussten Gesichts-Hals-Weichteile, einschließlich der Resektionsplatte, mit entfernt werden. Es resultierte ein seitlicher Halsdefekt im Sinne einer oro-kutanen Kommunikation mit einer flächigen Ausdehnung von 8,5×5,0 cm nach dem Verlust eines dabei von rechts transplantierten Latissimus-dorsi-Lappens mit Mikroanastomose zur Weichgewebsdefektdeckung. Unter palliativer Zielstellung wurde eine Chemotherapie im Februar 2009 begonnen. Cetuximab®, Cisplatin®, Folinsäure® und 5-FU® waren die Medikamente, die in 5 Zyklen mit je 6 Applikationen zum Einsatz kamen.

Die Patientin hatte große Schwierigkeiten mit dem verbliebenen Defekt von 8,0×5,0 cm im Bereich des Kieferwinkels und des lateralen Halsdreiecks links ([Abb. 1]). Es kam ständig und vor allem beim Schluckprozess zum Austritt von Speichel und aufgenommener Nahrung. Auch die phonetische Funktion war beeinträchtigt. Die Patientin musste einen häufigen Verbandswechsel durchführen. Der Verband war wegen der Halsbewegungen undicht. Dadurch traten auch weiterhin Nahrungsanteile und Speichel in erheblichem Umfang aus. Außerdem wurde der Verband als störend und sehr auffällig bezeichnet.

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Abb. 1 Ausgangssituation vor der Erstversorgung mit der Halsepithese.

Dies führte im Juni 2009 zur Anfertigung einer „Halsepithese“. Dabei waren vordergründige Ziele:

  • die Verhinderung des Austrittes von Speichel und Nahrungsbestandteilen

  • gleichzeitig sollte die Halsepithese als Orientierung für die heilenden Weichgewebe dienen, um die Verkleinerung des Defektes zu unterstützen.

Die Herstellung der Epithese erfolgte wie sonst auch üblich auf der Basis einer Abformung. Bei mittlerer Kopf- und Halshaltung wurden mittels dem in der Zahnmedizin üblichen Silikon-Abformwerkstoff Provil (Hersteller: Fa. Heraeus Kulzer, Hanau, D) gleichzeitig die Ohr- und die zugehörige Halsregion erfasst.

Dabei handelt es sich um ein additionsvernetztes Silikon, das besonders gewebsfreundlich ist. Um die Genauigkeit im Ohr- und im Defektbereich zu erhöhen, wurde auch die dünnfließende Komponente des o. g. Materials eingesetzt ([Abb. 2]). Die Epithese wurde aus 2 Komponenten gestaltet. Der Teil, der im Sinne eines abgewandelten Ohrpassstückes gestaltet war (Material: Epicryl, Fa. Candulor, Wangen, CH) trägt die Masse der Gesamtkonstruktion und dient gleichzeitig der Lagesicherung der gesamten Epithese. Der Teil, der den Defektbereich abdeckt, ist aus einem weichbleibendem Silikon gefertigt, das als Epithesenmaterial im Handel ist (Typ: Cosmesil, Hersteller: Fa. Principality medical, Newport, GB). Dieser defektabdeckende Teil wurde schalenartig mit dünnauslaufenden Rändern ausgeführt ([Abb. 3]). Die Randbereiche wurden mittels eines hautverträglichen Klebers vom Typ: Medical Adhesive B Liquid (Hersteller: Aromando Medizintechnik/Fa. Ulrich AG, St. Gallen, CH) befestigt. Dadurch war der Austritt von Speichel und Nahrungsbestandteilen beseitigt. Dies wurde durch die Aufnahme v. a. weicher, gehaltvoller Speisen unterstützt. Die Patientin hatte sich die veränderte Form der Ernährung bereits im Nachgang zu den chirurgischen Maßnahmen angewöhnt.

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Abb. 2 Darstellung der Abformung. Im oberen Bildanteil ist das Abformnegativ des Ohres zu erkennen. Im unteren Anteil sind die abgeformten Defektränder sichtbar.
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Abb. 3 Eingegliederte Epithese.

Die Kontrolluntersuchung im Juni 2010 ergab Tumor- und Metastasenfreiheit. Die Defektränder waren entzündungsfrei und epithelisiert. Hervorzuheben ist, dass sich der Defekt auf 7,0×4,0 cm reduziert hatte. Die Halsepithese wurde an die aktuelle Defektgröße angepasst. Die Kontrolle im Juni 2011 ergab klinische Verhältnisse wie im Juni des Vorjahres. Positiv wurde festgestellt, dass sich der Defekt inzwischen auf 6,0×3,0 cm verringert hatte ([Abb. 4]). Es erfolgte wiederum die Anpassung der Epithese an die geringere Defektgröße.

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Abb. 4 Klinische Defektsituation bei der Kontrolluntersuchung im Juni 2011.