NOTARZT 2012; 28(1): 23-24
DOI: 10.1055/s-0031-1276940
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bahnhofsleben

F.  Martens1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler)
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Publication Date:
22 February 2012 (online)

Fall 1

Der Notarzt wird unter dem Stichwort „Schwere Verletzung“ an einen Berliner Stadtbahnhof alarmiert. Die bereits eingetroffene RTW-Mannschaft stellt einen 31-jährigen, auf dem Boden liegenden Mann vor, der nach Angaben von Passanten wild gestikulierend und schreiend auf einem Dachvorsprung der Bahnhofshalle gestanden habe und dann herabgesprungen sei. Gelandet war er auf dem Dach eines Imbisswagens und von dort durch die Feuerwehr gerettet worden. Zunächst habe er auf Ansprache nicht reagiert, dann aber begonnen laut verworren zu reden. Offensichtliche Verletzungen waren nicht zu erkennen. Die Rettungsassistenten hatten bereits eine Halskrause angelegt.

Während dieser Beschreibung des Vorfalles war der Patient auf eine Vakuummatratze und damit auf die Trage und dann in den RTW gelegt worden.

Hier ergaben sich bei einem orientierenden „Body check“ keine Hinweise auf Frakturen. Insbesondere das Becken und der Brustkorb schienen stabil. Beide Lungen waren seitengleich belüftet. Der Blutdruck betrug 160 / 60 mm Hg, die Herzfrequenz lag bei 90 / min und die pulsoxymetrische Sättigung bei 96 % ohne Sauerstoffzufuhr. Der Patient reagierte nicht auf Ansprache, quittierte Schmerzreize jedoch mit lautem „aua“. Seine weiteren verbalen Äußerungen waren nicht verständlich. Beide Pupillen waren weit, reagierten jedoch seitengleich und konsensuell auf Licht. Nach Legen mehrerer großlumiger Zugänge und Gabe von Ringer-Lösung wurde der Patient in das nächstgelegene Krankenhaus mit Neurochirurgie und Unfallchirurgie transportiert. Die dort vorgenommene CT-Untersuchung „Traumaspirale“ ergab keine Frakturen und auch keine Weichteilverletzungen mit größeren Blutungen. Bei weiterhin stabilen Vitalfunktionen wurde der Patient daher zur weiteren Überwachung des Delirs unbekannter Ursache auf die internistische Intensivstation verlegt. In der dort veranlassten toxikologischen Screeninguntersuchung wurden Lorazepam, Melperon und Gammahydroxybuttersäure (GHB) nachgewiesen.

Während der nachfolgenden 24 Stunden klarte der Patient zunehmend auf, berichtete von der Einnahme von Liquid X und anderen Pillen. Nach einem psychiatrischen Gespräch, in dem der Drogenabusus nochmals bestätigt wurde, sich aber keine Hinweise für eine psychiatrische Erkrankung fanden, konnte der junge Mann nach Hause entlassen werden.

Literatur

  • 1 Haddad P M, Dursun S M. Neurological complications of psychiatric drugs: clinical features and management.  Hum Psychopharmacol Clin Exp. 2008;  23 15-26
  • 2 Iten P X, Oestreich A, Lips R et al. Eine neue Droge erreicht die Schweiz: Koma nach Einnahme von Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB).  Schweiz Med Wochenschr. 2000;  130 356-361
  • 3 Mann K, Heinz A. Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit.  Dt Ärztebl. 2001;  98 A 2279-2283
  • 4 Pfab R, Zilker T. Drogennotfälle mit Opiaten.  Internist. 1999;  40 611-616

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

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