NOTARZT 2012; 28(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0031-1276921
Editorial
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„Katastrophenschutz“ oder „Katastrophenhilfe“?

„Disaster Control“ or „Aid for Disaster Victims“?A.  Bartsch1
  • 1Evangelische Kliniken – Waldkrankenhaus, Bonn
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Publication Date:
22 February 2012 (online)

Der Leiter der Katastrophenforschungsstelle der Universität Kiel (KFS), Herr Dr. Martin Voss, stellt in diesem Heft aus soziologisch-politologischer Sichtweise den „Katastrophenschutz“ in seinen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang vor. Der Begriff „Katastrophe“ – im medialen Sprachgebrauch oft überstrapaziert – schließt das „planbare“ Unglück, aber auch das Unvorhersehbare, das Undenkbare ein. Ein Schutz vor dem Unvorhersehbaren ist naturgemäß nicht möglich, hier reduziert sich der „Katastrophenschutz“ zur „Katastrophenhilfe“, vielleicht nur zur Hilfe bei der Selbsthilfe.

Die Redaktion empfiehlt die Gedanken von Martin Voss der Aufmerksamkeit unserer Leser, etwas Zeit sollten Sie sich allerdings nehmen. Dies ist kein Beitrag, den man durch Überfliegen versteht.

„Undenkbar“ war die Terrordimension von 9/11 – bis sie Realität wurde. Die ganze Komplexität des „Undenkbaren“ demonstriert Voss am Beispiel der fatalen Verknüpfung von Naturereignis (auf dem Boden von Klimaveränderung), immanentem technischen Risiko und menschlicher Fehlentscheidung. Und wenn alles zusammenkommt, dann bekommt das Unheil einen Namen: Tschernobyl, Fukushima. Bemerkenswert, dass selbst die atomfreundliche Bundesregierung unter Leitung physikalischen Sachverstands nach Fukushima die sicher geglaubte Technologie in einem andern Licht sieht. Ein Sinneswandel, dem man Respekt zollen muss statt ihn im Parteiengezänk zu belächeln oder als temporären Opportunismus zu kritisieren.

Und was tut die Politik in Sachen Katastrophenschutz: Ja, es wurden Bundesmittel angehoben, es wurden Aktivitäten im BBK gebündelt, nachdem kurz zuvor schon die Abschaffung des THW zur Debatte stand. Es wurden Bundesfahrzeuge und Gerätschaften angeschafft und flächendeckend verteilt, z. B. ABC-Erkunder, Dekonsysteme, modernste Messtechnologie in den bundesweit 7 Analytischen Task Forces. Auch die Länder – in föderalistisch unterschiedlicher Intensität – haben einiges geleistet, z. B. hat NRW für jeden der 54 Rettungsdienstbezirke einen Abrollbehälter zum Aufbau eines Behandlungsplatzes für 50 Patienten und 2 Gerätewagen zum Aufbau einer Patientenablage von je 25 Patienten konzipiert und kurzfristig im Land verteilt. Übungen mit 5 parallel aufgebauten Behandlungsplätzen verschiedener Gebietskörperschaften (überörtliche Hilfe beim Massenanfall von Verletzten – Ü-MANV) bewiesen, dass die Konzepte nach oben kaum limitiert sind.

Dem Fußballgott und dem heiligen Vater sei Dank dafür, denn unter dem Druck der bevorstehenden Großveranstaltungen haben Politik und Exekutive das Konzept des Aussitzens und Re-Agierens zugunsten konzeptioneller Planung verlassen. Diese Pläne und die inzwischen erworbene Praxis sind gut und beruhigend. Aber sie betreffen die lokale Katastrophe, das größere Unglück.

Aber was ist, wenn das Undenkbare eintritt: Schon ein Stromausfall über 12 Stunden lähmt, unabhängig von der Ursache, bereits die Infrastruktur nachhaltig: Es funktioniert kein Computer, keine Supermarktkasse, keine Zapfsäule. Die Trinkwasserpumpen steigen aus: Der Brunnen versiegt. DER SPIEGEL (31 / 2011) zitiert eine Studie der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), nach der soziale Unruhen die unmittelbare Folge eines solchen Blackouts wären. Mit der bewundernswerten Geduld und Leidensfähigkeit der Japaner dürfen wir hier wohl kaum rechnen.

Die Gefahrenberichte der „Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern“ und die Publikationen des BBK vertiefen solche Szenarien. Diese Publikationen von hochkarätigen Experten sind beim BBK abrufbar und jedem Notarzt und jedem Verantwortlichen im Bereich Rettungsdienst und Katastrophenschutz eindringlich anempfohlen.

Und die Politik – sie schweigt. Sie gibt Forschung in Auftrag, sie nimmt Berichte zur Kenntnis, aber sie unterrichtet nicht die Bevölkerung und nicht einmal die Mitarbeiter des Rettungsdienstes über die Ergebnisse der Analysen. Weil Konsequenzen zu ziehen aus möglichen und unmöglichen Szenarien teuer ist. Sehr teuer. Und Geld ist bekanntlich knapp. So knapp, dass der fast 25 Jahre währenden erfolgreichen Arbeit der Katastrophenforschungsstelle der Universität Kiel das finanzielle Aus droht.

Bei allem Alltagspalaver über Kosten, Gebühren, Ausschreibung, Leitlinien und vieles mehr – wir sollten das gesellschaftliche Ganze nicht aus den Augen verlieren. Dabei hilft uns der Beitrag von Martin Voss. Die Politik muss entscheiden, ob sie Vorsorge gegen denkbare Szenarien treffen will, im besten Fall wird dadurch sogar die Beherrschung des Undenkbaren möglich oder wahrscheinlicher.

Mit dem rheinischen „et kütt wie et kütt“ und „et hätt noch immer jot jejange“ ist es nicht mehr getan.

Dr. med. Andreas Bartsch

Evangelische Kliniken – Waldkrankenhaus

Waldstraße 73

53177 Bonn

Email: Bartsch-Bonn@t-online.de

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