Psychiatr Prax 2011; 38(2): 97
DOI: 10.1055/s-0031-1275219
Szene

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Manuskripte in der digitalen Welt

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Publication Date:
10 March 2011 (online)

 

Bekanntlich wird durch die Digitalisierung von Prozessen alles einfacher, schneller und geordneter. Dieser unaufhaltsame Trend hat nicht nur die therapeutischen Prozesse in der elektronischen Krankenakte, sondern mit einer beeindruckenden Dynamik auch die Einreichung und Begutachtung von Manuskripten in Fachzeitschriften erfasst. Es gab einmal eine Zeit, sogar noch in diesem Jahrtausend, da schickte man Manuskripte als Papier in 2-facher Ausfertigung an die Herausgeber einer Zeitschrift und fand irgendwann einige Monate später einen Brief mit beigelegten Gutachten im Postfach vor, in dem der Herausgeber über Ablehnung oder Annahme des Manuskripts bzw. über die zumeist fälligen Revisionswünsche informierte. Tatsächlich unkomplizierter wurde die Sache, als man Manuskripte als angehängte Datei per E-Mail direkt an den Herausgeber senden konnte und auf demselben Weg unkompliziert und recht formlos erst eine Eingangsbestätigung und nach entsprechender Frist die Antwort über Annahme oder Ablehnung erhielt. So hält es die Psychiatrische Praxis im Übrigen noch heute, was u.a. sehr schnelle Bearbeitungszeiten in dieser Rubrik ("Szene") und gegebenenfalls mehrfache Schriftwechsel an einem Tag ermöglicht. Viele – international sogar inzwischen die meisten – Zeitschriften sind allerdings schon einen Schritt weiter und benutzen ein Online-Portal, welches (das ist der einzige Lichtblick) meistens mehr oder weniger gleich aufgebaut ist. Es beginnt mit "create an account", schließlich benutzt man ja so wenige Passwörter und kann dringend weitere gebrauchen, es folgt die Institutsadresse, nicht zu vergessen das Land (immer auswählen aus einer mit Afghanistan beginnenden Länderliste), dann Telefon- und Faxnummern sämtlicher Ko-Autoren (wahrscheinlich als Abschreckungsmaßnahme gegen Viele-Autoren-Arbeiten gedacht), Begleitbrief, Originaldokument, Abbildungen und Tabellen getrennt, jeweils hochzuladen als Originaldateien von der Festplatte, ganz am Ende schließlich, nach meistens 7 Schritten, endlich der "Submit"-Button. Nein, weit gefehlt. Fehlermeldung. Die einzureichenden inzwischen erzeugten Dateien müssen alle jeweils noch geöffnet und geprüft werden. Als PDF und als HTML. Sieht zwar gleich aus wie die vorige Word-Datei, hat sich auch nichts geändert, ohne das geht aber nichts. Noch mal "Submit". Wieder Fehlermeldung. Bei "Step four" fehlt ein Häkchen bei einer Erklärung. Dann, endlich geschafft. Dieselbe Prozedur ist erst wieder bei der Revision des Manuskripts von vorn erforderlich. Der versierte Autor schafft die Einreichung eines Manuskripts, wenn er alle Informationen (Telefonnummern, Institutsadressen und E-Mail-Adressen der Koautoren, Institutsadressen und E-Mail-Adressen aller vorgeschlagenen Gutachter) schon beieinander hat, in einer halben Stunde, der Anfänger braucht entsprechend länger.

Nun ist man ja als Autor einer Arbeit schon grundsätzlich bereit, sich einigen Zumutungen und notfalls auch Demütigungen zu unterziehen auf dem langen Weg bis zum Erscheinen des gedruckten Manuskripts. Etwas anders liegt die Motivationslage, wenn man als (stets ehrenamtlicher) Gutachter von denselben Zeitschriften angefragt wird. Die Neigung, eine halbe Stunde am PC zu arbeiten, bis man das zu begutachtende Manuskript ausgedruckt in den Händen hält, ist da etwas geringer. Freundlicherweise bieten viele Journals deshalb dem Gutachter einen Quereinstieg ohne Passwort an. Wesentlich weniger Komfort bieten meistens Institutionen, die Drittmittel vergeben, mit ihren jeweils eigens konstruierten elektronischen Portalen. Da wird auch der erfahrene Autor schnell wieder zum Anfänger.

Den Gipfel unter den zahlreichen Ärgernissen erreichte bei mir eine australische Organisation, die nach "create an account" umfangreiche Daten zur Person und Interessenkonflikten des Gutachters in spe verlangte. Nach 6 Wochen kam die Mitteilung, ich sei tatsächlich als Gutachter ausersehen, in einer unmittelbar darauffolgenden weiteren E-Mail eine detaillierte Anleitung über mehrere Seiten mit zahlreichen Screenshots, wie ich nach erfolgreichem Log-in bis zum Manuskript gelangen könne, wenige Stunden später eine weitere E-Mail, dass die Deadline zur Einreichung des Gutachtens noch 3 Tage betrage. Der Vorteil des ehrenamtlichen Gutachters freilich ist seine Freiheit. Ich bin dazu übergegangen, auch meine Antworten auf Anfragen derartiger Institutionen zu standardisieren: Sie können mir ein Manuskript zusenden und erhalten eine Begutachtung. Wenn Sie Account, Passwort usw. wollen, suchen Sie sich bitte einen anderen Gutachter. Das führt dann überraschenderweise (auch bei den Zeitschriften) dazu, dass man ohne alle Portale ganz schnell ein pdf zugeschickt bekommt und Mitarbeiter der Organisa.tion oder Redaktion anbieten, man könne auch eine Datei zurückschicken und sie würden sich dann darum kümmern, diese in ihr eigenes System einzugeben (welches ja dazu da ist, alles schneller und effektiver zu machen). Wir werden sehen, wohin die elektronische Welt sich weiter entwickelt, aber: wie auch sonst im Leben, man muss nicht alles mitmachen.

Tilman Steinert, Weissenau
Email: tilman.steinert@zfp-zentrum.de

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