Notfallmedizin up2date 2011; 6(2): 81-82
DOI: 10.1055/s-0030-1271099
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Traumaversorgung – für die Zukunft vernetzt

A. Seekamp
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Publication Date:
10 June 2011 (online)

Erfreulicherweise hat die Anzahl von tödlich verunglückten Unfallopfern im Straßenverkehr über die letzten Jahre kontinuierlich abgenommen und hat in den vergangenen 2 Jahren mit einer Zahl von deutlich unter 5000 den niedrigsten Stand seit Erhebung dieser Statistik erreicht. Diese Entwicklung ist sicherlich der verbesserten Verkehrstechnik und Verkehrsinfrastruktur sowie der verbesserten Fahrzeugtechnik, aber sicherlich auch der verbesserten medizinischen Versorgung in der Präklinik und in der Klinik zu verdanken.

So positiv diese Zahlen auch zu bewerten sind, hat sich die Anzahl der im Straßenverkehr verunglückten und verletzten Personen über die letzten 50 Jahre nicht dramatisch verändert, schon gar nicht abgenommen. Die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Personen, die eine medizinische Versorgung benötigen, liegt weiterhin bei knapp 500 000 pro Jahr. Im Vergleich zu der nahezu 10-fachen Verdichtung des Straßenverkehrs im gleichen Zeitraum kann man statistisch gesehen zwar von einer relativen Abnahme sprechen, wenngleich die absolute Zahl nahezu gleich geblieben ist.

Für die medizinische Versorgung von Verkehrsunfallopfern bedeutet dies, dass wir auch zukünftig entsprechende Leistungen vorhalten müssen, um der Versorgung von Unfallopfern gerecht zu werden. Nach aktuellen Zahlen des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU e. V.) ist weiterhin bei jedem Schwerverletzten mit etwa 7,6 Einzelverletzungen zu rechnen, wobei die führend verletzten Körperregionen neben den Extremitäten insbesondere der Thorax und der Schädel sind. Entsprechend dem Verletzungsmuster bleibt die Traumaversorgung eine interdisziplinäre Aufgabe, wobei stets in erster Linie neben der Anästhesie und der Chirurgie/Unfallchirurgie insbesondere auch die Neurochirurgie und die Radiologie/Neuroradiologie gefordert sind. Die innerklinische Letalität beträgt aktuell 12,6 %. Diese erhöht sich jedoch drastisch, wenn es zur Entwicklung einer Multiorgandysfunktion kommt. Die Inzidenz hierfür beträgt etwa 26,4 % und führt in knapp der Hälfte der Fälle zu einem letalen Ausgang. Im Mittel verbringt der schwerverletzte Patient aktuell etwa 11 Tage auf der Intensivstation, davon 9 Tage beatmet, und verbleibt insgesamt knapp 26 Tage in der primär behandelnden Klinik.

Um unter den sich verschärfenden ökonomischen Erfordernissen des Gesundheitssystems weiterhin eine Traumaversorgung und den damit verbundenen Vorhaltungsaufwand gewährleisten zu können, wurde vor etwa 3 Jahren seitens der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie die Initiative zur Bildung von Traumanetzwerken ergriffen. Ziel der Initiative ist es, dass sowohl die Infrastruktur – in Bezug auf die technische, räumliche und personelle Ausstattung – als auch die Behandlungsqualität nach einheitlichen Richtlinien festgeschrieben werden. Dabei war im Vorhinein beabsichtigt, dass alle Kliniken die sich zur Traumaversorgung weiterhin bekennen, an diesem Netzwerk auch beteiligt werden sollen, jede nach ihren Möglichkeiten. Entsprechend den Landeskrankenhausbettenplänen wurde für diese Richtlinien ein 3-stufiges System gewählt, um einer regional versorgenden Klinik die Teilnahme ebenso zu ermöglichen wie einem Haus der Maximalversorgung. Mittlerweile haben sich um die 700 Kliniken bundesweit mit dieser Initiative identifiziert und sich der Überprüfung ihrer Ausstattung vor Ort in einem Zertifizierungsprozess unterzogen. Die sich daran anschließende Vernetzung der Kliniken unterschiedlichen Versorgungsgrads auf regionaler Ebene macht weiterhin sehr gute Fortschritte, sodass wir davon ausgehen können, dass innerhalb der nächsten 2 Jahre ein komplett bundesweit flächendeckendes Netz entwickelt ist. Auch was die medizinische Behandlung betrifft, wurden die S3-Leitlinien für die Traumaversorgung nunmehr fertig gestellt und befinden sich noch im abschließenden Konsens der beteiligten Fachgesellschaften. Man kann davon ausgehen, dass die ersten S3-Leitlinien spätestens im 4. Quartal dieses Jahres der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Entscheidend ist nunmehr, dass auch im Rahmen der Präklinik die etablierten Strukturen genutzt werden. Obwohl jeweils auf regionaler Ebene die Rettungsdienste mit den Netzwerkstrukturen bekannt gemacht worden sein sollten, erscheint es mancherorts noch nicht gelungen, den Rettungsdienst mit den Gedanken des Traumanetzwerks vertraut zu machen. Es ist jedoch mehr als wünschenswert, dass die Traumanetzwerkstruktur auch bereits in der Präklinik eine entsprechende Berücksichtigung findet. Sowohl Studien auf bundesdeutschem Gebiet als auch aus den USA konnten zeigen, dass es unter Verwendung der geeigneten Rettungsmittel stets für das Outcome des Patienten von Vorteil ist, wenn er bereits primär in die für ihn am besten geeignete Klinik eingeliefert wird. Dies gilt auch, wenn der Rettungsweg zunächst etwas länger erscheinen mag. Selbst der kreislaufinstabile Patient, der seitens des Rettungsdiensts vielleicht gerne in die unmittelbar nächstgelegene Klinik gebracht würde, profitiert davon nicht, wenn es sich um eine Klinik handelt, die eine entsprechende chirurgische Kompetenz nur auf einem Rufdienst basierend vorhält. Aufseiten des Rettungsdiensts wird es zukünftig mehr als vielleicht bisher erforderlich sein, sich bezüglich der Versorgung von Unfallopfern auf regionaler Ebene zu orientieren und sich nicht mehr auf die lokal vorgehaltenen Kapazitäten und Kompetenzen zu beschränken. Dort wo der Zusammenschluss entsprechender Kliniken zu einem Netzwerk bereits realisiert ist, wird dem Rettungsdienst gegenüber die Abnahme eines jedweden Patienten in jedem Fall garantiert, auch wenn vielleicht später eine Weiterverlegung erforderlich ist. Um die sich abzeichnenden Vorteile der Netzwerkstruktur für den Patienten auch komplett zur Wirkung kommen zu lassen, ist es notwendig, dass sich der Rettungsdienst mit der Ausrichtung der in ihrer landesweiten Region aufgestellten Kliniken auseinandersetzt.

Die präklinische Therapie verunfallter Patienten hat ohne jeden Zweifel innerhalb der letzten Jahre einen hohen qualitativen Standard erreicht, der vonseiten der weiterbehandelnden Ärzte in den Kliniken sehr begrüßt wird. Einen Beitrag dazu bzw. zur Vermittlung dieser Inhalte leistet vielleicht nicht zuletzt auch diese Zeitschrift, die sich auch zukünftig mit präklinischen Therapiemaßnahmen auseinandersetzen wird. Der Rettungsdienst kann versichert sein, dass eine zukunftssichere und optimierte Versorgung von Unfallpatienten und vielleicht auch eine weitere Senkung der Letalität nur im engen Zusammenschluss von Präklinik und Klinik erfolgen kann. Insofern sei abschließend nochmals darauf hingewiesen, dass von den Organisationen, die in der Präklinik tätig sind, ein direkter Kontakt zu den in ihrem Bereich tätigen Kliniken, die dem Traumanetzwerk angehören, gesucht werden sollte.

Prof. Dr. med. Andreas Seekamp, Kiel

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