Z Orthop Unfall 2010; 148(4): 373-374
DOI: 10.1055/s-0030-1265234
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Interview – "Hersteller sollten die Chancen sehen!"

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Publication Date:
23 August 2010 (online)

 

Dr. Christian Schneider (Jahrgang 1972) ist Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts und zugleich Vorsitzender im Ausschuss für Neuartige Therapien (Committee for Advanced Therapies, CAT) bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Dieser ist u. a. maßgeblich an Zulassungsentscheidungen für Produkte zur Knorpelzelltransplantation (ACT) beteiligt. So, wie es die EU-Verordnung über Arzneimittel für Neuartige Therapien seit Kurzem vorschreibt.

Dr. Christian Schneider

? Herr Schneider, bis 2012 brauchen Firmen, die eine ACT verkaufen, eine Zulassung von der Europäischen Kommission. Voraus geht ein Verfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Manch Firmenvertreter beklagt derzeit die hohen Kosten. Das ganze Prozedere sei falsch, schaffe v. a. mehr Bürokratie. Wie sehen Sie das?

Wissenschaftlich gesehen sind wir heute so weit, dass man diese Produkte wie Arzneimittel entwickeln und zulassen kann. Ein besonders wichtiger Aspekt für ein zugelassenes Arzneimittel ist, dass seine Qualität immer konsistent, im Rahmen des Möglichen immer gleich bleibend ist. Für die o. g. Produkte ebenfalls ein Zulassungsverfahren einzuführen dient damit gleich bleibender Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit. Ich habe durchaus auch von Ärzten gehört, dass sie sich solch ein Zulassungsverfahren für autologe Zellprodukte immer gewünscht haben.

? Bleiben wir noch bei den Herstellern. Es gibt eine Reihe an Firmen für die ACT am bundesdeutschen Markt. Zumindest manch tierexperimenteller Befund deutet an, dass etwa die zum Einsatz kommenden Matrizes – jene Trägersubstanzen, in die Zellen heute meist vor Transplantation gegeben werden – unterschiedliche Güte haben könnten. Bekomme ich heute als Patient überall die gleiche Qualität, egal ob in Berlin oder Wasserburg am Inn?

Bislang war das für uns eine Black Box. Eben weil die Produkte bislang nicht als Arzneimittel reguliert waren, konnten wir nicht sagen, ob sie überall in gleicher Qualität hergestellt werden. Hier steckt auch der Hauptgrund, warum uns Ärzte gesagt haben, sie würden sich dringend wünschen, dass Zulasser auf diese Arzneimittel schauen. Um sicherzustellen, dass Patienten ein Produkt gleicher Qualität erhalten. Genau diesen Vorteil bringt uns jetzt die Zulassungsregelung.

Natürlich geht es hier um autologe Arzneimittel, die Zellen eines Patienten enthalten, was immer eine gewisse Variabilität bedingt. Weil schon die Qualität der Ausgangszellen differiert, ist die Qualität eines jeden Produkts naturgemäß ein bisschen unterschiedlich. Für die Herstellungsverfahren an sich und die Qualitätskontrollen müssen die Hersteller nun Validierungsstudien durchführen, aufgrund derer unter anderem wir die Produkte schließlich zulassen. Auch wenn am Ende vermutlich je nach Hersteller gewisse Unterschiede bleiben könnten, etwa so wie bei der Qualität der Autos verschiedener Firmen.

? Was genau müssen Firmen jetzt für eine Zulassung vorlegen? Muss wirklich eine große prospektiv randomisierte Vergleichsstudie her? Etwa ein Vergleich Mikrofrakturierung gegen ACT? Oder reichen womöglich auch einfach Follow-up-Daten von Patienten?

Das CAT hat dazu jetzt ein Papier veröffentlicht, in dem wir auch Vorschläge aus der Industrie aufgenommen haben (siehe Kasten). Eines ist ganz klar: Vergleichsstudien sollen es sein. Was genau eine Studie vergleichen muss, haben wir ein bisschen offen gelassen. Dies, um auch innovativen Ansätzen nicht ganz die Tür zu schließen. Wenn wir jetzt sagen, wir wollen auf jeden Fall den Vergleich gegen Mikrofrakturierung oder gegen ein anderes Chondrozytenpräparat, dann wäre das zu rigide. Wir lassen da eine gewisse Flexibilität.

? Manche Hersteller beschweren sich auch über den Zeitplan, bis 2012 sei die klinische Prüfung nicht zu schaffen ...

Unmöglich ist es nicht. Ein Hersteller hat bekanntlich bereits die Zulassung. Wer allerdings erst jetzt eine klinische Prüfung startet, wird es in der Tat nicht schaffen, bis Ende 2012 die Daten einer Vergleichsstudie ACT gegen Mikrofrakturierung komplett vorzulegen. Auch hier werden wir eine gewisse Flexibilität offerieren. Ich persönlich kann mir einen Stufenprozess vorstellen, bei dem ein Hersteller zunächst mit einem nicht klinischen Endpunkt kommen kann, einem strukturellen Endpunkt. Zum Beispiel einer Aussage über die Qualität des nachwachsenden Knorpels. Entscheiden wird das aber die EMA, bzw. ihre Komitees.

? Wie wäre das zu messen?

Denkbar wären kernspintomografische Daten oder auch eine gute histologische Analyse. Etwas, was zumindest zeigt, dass der Defektschluss beim Knorpel mit ACT oder MACT sehr viel vorteilhafter ist als bei der Mikrofrakturierung.

? Sodass es für die Zulassung reichen würde, zu sagen: Wir haben Belege dafür, dass hyaliner Knorpel nachwächst?

In etwa. Aber dies zugleich unter der klaren Bedingung, später sehr wohl Langzeitdaten zur klinischen Wirksamkeit nachzuliefern.

? Nach 5, 6 Jahren bitte belastbare Daten zum Befinden des Patienten ...

Monophasischer Kollagenträger für die ACT (Bild: B. Rolauffs et al. Regenerative Medizin zur Behandlung von Knorpelschäden. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2009; 4:239–254).

Ja, zum klinischen Erfolg. Ob das 5, 7 Jahre sein müssen oder sogar weniger, sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall erlaubt es die Gesetzgebung, eine Studie mit einem cleveren Konzept so auszulegen, dass man vielleicht bis Ende 2012 schon erste Surrogatparameter hat. Firmen können sich dazu bei der EMA oder bei uns beraten lassen. Das wäre auch meine oberste Empfehlung.

? Wer genau berät?

Das Innovationsbüro beim PEI ist speziell für kleine Firmen und Universitätsgründungen ein möglicher Ansprechpartner (siehe Kasten). Der Dialog zwischen Firma und Behörden ist ohnehin der Schlüssel zum ganzen Prozedere. Leider habe ich derzeit den Eindruck, dass manche Firmen sich da nicht so recht trauen – offenbar in der Vorstellung, wir könnten ihnen sofort sagen, dass sie einen ganz falschen Weg einschlagen.

? Vielleicht nicht völlig abwegig? Gehe nie zu deinem Fürst lautet eine alte Weisheit. Und wer berät schon die Steuererklärung mit dem Finanzamt, auch wenn es dort kostenlose Beratung gibt ...

Aber unsere Intention ist ganz klar ein fairer Dialog.

? Was kostet die Beratung?

Beim PEI kommen Sie mit wenigen 1 000 Euro weit (siehe PEI-Kostenverordnung, Kasten). Man kann auch zur EMA gehen und dort einen Scientific Advice machen. Aber das kostet mehr, an die 70 000 Euro...

? Und was kostet die Zulassung selber?

Die Gebühr für das zentrale europäische Zulassungsverfahren bei der EMA liegt bei ungefähr 200 000 Euro. Es gibt aber Ermäßigungs- und Stornierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen.

? Manche Hersteller sagen, sie schaffen die Zulassung allein schon finanziell nicht und streben eine Ausnahmegenehmigung an. Der Paragraf 4b im Arzneimittelgesetz sieht für Produkte, die "nicht routinemäßig" hergestellt werden vor, dass ausnahmsweise doch keine Zulassung nötig ist. Kommt das in Betracht?

Das wäre für jedes Produkt einzeln zu klären. Es wird gefordert zu zeigen, dass es keine Routine ist und kein industrieller Herstellungsprozess. Aber warum sollten Firmen überhaupt diesen Weg gehen wollen?

? Weil sie die Kosten für die Zulassung nicht tragen wollen oder können?

Aber Hersteller bekommen mit der zentralen Zulassung auf einen Schlag den Marktzugang in alle EU-Länder. Das ist doch ein großer Vorteil. Ich kenne Firmen, die deswegen unbedingt ins zentrale Verfahren wollen. Wer ein gutes Produkt hat, sollte dieses Verfahren als Chance sehen.

? Sind bereits weitere Hersteller im Zulassungsverfahren unterwegs?

Ich darf über laufende Verfahren nichts sagen. Ich erwarte jetzt aber, dass die Firmen mit Dossiers kommen und würde mir wünschen, dass wir die zusammen diskutieren, damit Hersteller anschließend ein gutes Konzept zur klinischen Erprobung vorlegen.

Das Interview führte Dr. Bernhard Epping

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